Eigentlich hat es erstaunlich lange gedauert, bis die Finanzkrise eine Protestbewegung hervorbrachte, aber nun ist es wohl soweit. Am 15. Oktober gingen von Tokyo über Frankfurt bis New York Demonstranten auf die Straße, um gegen die Banken, die Finanzmärkte, die Ungleichheit und manches andere zu protestieren. Seinen Anfang nahm all das in New York, mit der „Occupy Wall Street“-Bewegung, also: „Besetzt Wall Street!“. Kurz darauf gab es die ersten Ableger in anderen amerikanischen Städten, und nun also auch in anderen Kontinenten. Globalisierung funktioniert eben nicht nur mit Konsumgütern.
Die Demonstationen erscheinen äußerlich als ziemlich heterogen. Die Amerikaner etwa pflegen reichlich bizarre Umgangsformen, wie in diesem Video zu sehen. Applaus ist verboten, er gilt als repressiv, stattdessen sind stumme Gesten als Zustimmungsäußerung vorgesehen. Außerdem wird alles, was ein Redner sagt, von der Menge wiederholt. Während man es in den USA also wohl – trotz des Mottos „We are the 99 percent“ – tatsächlich mit eigenwilligen Sektierergruppen zu tun hat, sah man auf den Bildern der deutschen Demonstrationen neben den üblichen Verdächtigen von attac und Linkspartei vor allem viele landestypische Wutbürger aus dem Mittelstand.
Nun muß man trotz der weltweiten Proteste nicht damit rechnen, daß eine Weltrevolution unmittelbar bevorsteht. Aus New York wird von Teilnehmerzahlen im niedrigen vierstelligen Bereich berichtet, in Frankfurt waren es etwa 8000. Diese pflegen zwar teils ein erstaunliches Widerstandspathos und vergessen dabei wohl, daß sie in offenen Demokratien demonstrieren und nicht in China oder Syrien. Aber die bisher formulierten Ziele wirken doch größtenteils unausgegoren und vage oder, wo es konkreter wird, widersprüchlich. So fordert etwa der amerikanische Zweig der Bewegung zugleich Einfuhrzölle und einen weitgehenden Verzicht auf internationalen Handel, aber auch die völlige Öffnung der Grenzen für internationale Migration. Daß beides nicht zusammengeht dürfte aber eigentlich klar sein.
Ansonsten natürlich: höhere Einkommensteuern für Reiche und solche, die man dafür hält, die Vermögensteuer wieder einführen, auch eine Transaktionssteuer für die Finanzmärkte, eine irgendwie engere Regulierung der Finanzmärkte und vor allem der Banken, oder gleich die vollständige Abschaffung „des Zinssystems“. Unsinnige Fundamentalkritik an der Marktwirtschaft insgesamt findet mal also genauso wie problematische Detailfoderungen: Die historische Erfahrung mit der Vermögensteuer nicht nur in Deutschland zeigt, daß es sich hier um eine ziemlich aufkommensarme Steuer handelt, von der man sich fiskalisch nicht viel erhoffen kann. In der Einkommensteuer beginnt die Proportionalzone mit einem Grenzsteuersatz von 42% bei knapp 53.000 Euro. Will man nun wirklich hier schon Belastungen (inklusive Solidaritätszuschlag) von über 50% herbeiführen?
Natürlich ist es von einer Protestbewegung zuviel verlangt, ein durchdachtes Konzept etwa zu einer effizienteren Regulierung von Finanzmärkten vorzulegen. Aber der Glaube an die Problemlösungsfähigkeit des Staates scheint doch ein wenig zu ausgeprägt. Ein Beispiel zur Erinnerung: Es ist heute rund dreieinhalb Jahre her, seit Bear Stearns einen Bailout benötigte. Ebenso lange ist es her, daß Regierungen auf der ganzen Welt sich vornahmen, den Bankensektor so neu zu regulieren, daß ein too big to fail zukünftig ausgeschlossen sein sollte. Passiert ist seither wenig entscheidendes. Ist das nur ein Durchsetzungsproblem? Sind die Regierungen fest in der Hand der Bankenlobby? So etwas in der Art würden die Vertreter der Protestbewegungen wohl behaupten, aber es gibt natürlich auch eine andere Möglichkeit: Es handelt sich hier einfach um ein sehr schwierig zu lösendes Problem, nicht nur ökonomisch, sondern auch im Hinblick auf die politische und rechtsstaatliche Durchsetzbarkeit. Die Politik kommt an ihre Kapazitätsgrenze, oder vielleicht auch darüber hinaus.
Wirklich gefährlich wird die Protestbewegung, wenn sie dazu beiträgt daß die aktuellen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten noch mehr als ohnehin schon durch die Brille der Verteilungspolitik gesehen werden, während Fragen der ökonomischen Effizienz noch mehr in den Hintergrund treten. Eine weitere Stützung von Banken, die mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit als Folge der Staatsschuldenkrise in den nächsten Monaten nötig wird, lehnen die Protestierer beispielsweise grundsätzlich ab, und zwar aus kurzfristigen und kurzsichtigen Gerechtigkeitserwägungen; die Langfristfolgen werden dagegen nicht berücksichtigt.
Genau hier liegt dann auch tatsächlich der Hase im Pfeffer. Nehmen wir einmal den schlimmsten Fall an: Der Protest in Deutschland schwillt an und erreicht Dimensionen, die mit den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 vergleichbar sind oder darüber hinaus gehen. Gleichzeitig wird der wackelige Krisen-Status Quo mit dem bekannten europäischen Durchwursteln noch eine Weile aufrechterhalten, sagen wir einmal bis ins zweite Halbjahr 2012, wenn in Berlin der nächste Bundestagswahlkampf bereits das Denken und Handeln beherrscht. Das wären keine günstigen Randbedingungen für rationale politische Entscheidungen in einer dann immer noch schwelenden europäischen Staatsschuldenkrise. Ein Ende mit Schrecken wäre einem Schrecken ohne Ende deshalb vorzuziehen: eine Bankenrekapitalisierung und ein Schuldenschnitt Griechenlands, so schnell wie möglich.
- Auch Du, Brutus?
Die NZZ auf einem Irrweg zu höherer Staatsverschuldung - 21. Oktober 2024 - Wie steht es um den Bundeshaushalt 2025 – und darüber hinaus? - 19. September 2024
- Die Krise des Fiskalföderalismus
Dezentralisierung und Eigenverantwortung sind notwendiger denn je - 31. Juli 2024
„Die Politik kommt an ihre Kapazitätsgrenze, oder vielleicht auch darüber hinaus.“
Dann sollte man doch mal fragen warum. Ich habe dass Gefuehl, dass die Politik den Glauben an Gestaltung verloren hat. Krisenmanagement laesst sich irgendwie ja auch waehlerwirksam verkaufen.
Lieber Herr Schnellenbach,
ein guter Beitrag, der den Nagel auf den Kopf trifft. Die Occupy-Proteste belächle ich genauso, wie die zu S21 oder gegen Kernenergie. Mich wundert nur, dass im Sommer diesen Jahres von den „üblichen Verdächtigen“ niemand für den Ausstieg aus dem Gemüse protestierte, als EHEC ca. 30 Menschen in D das Leben kostete. 😉
Nunja, ich denke, dass der Wohlstand in unserem Lande vielen Leuten zu Kopf zu steigen scheint. Anstatt sich einen Job zu suchen und arbeiten zu gehen, versammeln sich einige Hirnlose immerwieder zu albernen Protesten. Da die Teilnehmerzahlen – ähnlich wie bei S21 & Co. – eher im Bereich unterhalb von 0,1% der dt. Bevölkerung bleiben dürften und auch der kalte Winter bevorsteht, sehe ich kein signifikantes Anschwellen der Protestbewegung.
Einmal mehr zeigt sich jedoch, dass die politischen Protagonisten davon ablenken wollen, dass sie ja die Staatsverschuldung in den letzten 40Jahren (in D) ausufern ließen. Mit höherer Staatsverschuldung konnte man ja wunderbar das Wahlvolk schmieren. Daher werden Transaktionssteuer und „Mehr Steuern für die Superreichen“ im Sinne einer typisch dt. Neiddebatte ausgegraben, um das ungebildete dumme Wahlvolk mit platten Sprüchen zu fangen und von den wahren Verursachern der hohen Staatsverschuldung abzulenken.
Solange wir Politiker haben die als erlernte Berufe Physiker, Sozialpädagoge, Berufsschulleher, Jurist etc. vorweisen, kann unser Land ökonomisch nur verlieren. Die Leute haben ja nicht mal die grundlegenden Kenntnisse der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge erworben. Ich glaub ich werde Chirurg, auch ohne Medizinstudium und ohne chirurgische Ausbildung….
viele Grüße
T.S.
> Applaus ist verboten, er gilt als repressiv, stattdessen sind stumme Gesten als Zustimmungsäußerung vorgesehen.
Das hat vor allem den Grund um für Ruhe zu sorgen. Normalerweise redet immer irgendjemand und stört damit die anderen. Also „verhängt“ man ein generelles „Lärmverbot“, damit jeder immer alles mitbekommt und nicht zigmal nachfragen muss.
> Außerdem wird alles, was ein Redner sagt, von der Menge wiederholt.
Den Demonstranten in NY wurden Megafone und Lautsprecher verboten. Dieser Weg wurde gewählt, dass trotzdem auch die hinten stehenden was mitbekommen. http://www.vancouversun.com/news/Human+mike+hand+signals+unify+Occupy+Vancouver+crowd/5564376/story.html
Der Rest hat die bekannte wissenschaftliche Arroganz „Wer sich nicht klar äußern kann soll die Fresse halten“
Lieber Franke,
probiers mal mit Psychologie. Dort wo es die meisten Psychologen gibt, gibt es ja auch die meisten „leidenden“ … .
Revlution, Revolution ! Es ist alles lächerlich.