Ökonomische Bildung ist heute mehr denn je erforderlich, um als mündiger Arbeitnehmer, Konsument, Steuerzahler und nicht zuletzt als Wähler verantwortungsvoll handeln zu können. Wie wichtig fundierte ökonomische Kenntnisse sind, zeigt aktuell die europäische Staatsschuldenkrise. Obwohl sie jeden Bürger betrifft, haben viele große Probleme, sich eine fundierte Meinung über die diskutierten und vollzogenen Maßnahmen zu bilden. Und auch bei anderen wirtschaftspolitisch relevanten Themen ist das nicht anders. Ein Schulfach Ökonomie bundesweit an allgemeinbildenden Schulen würde allen Schülern in Deutschland ökonomische Zusammenhänge systematisch und wissenschaftlich fundiert vermitteln. Voraussetzung für den Lernerfolg wäre allerdings, dass deutschlandweit eine eigenständige akademische Ausbildung für Wirtschaftslehrer eingeführt wird und wissenschaftlich fundierte Schulbücher genutzt werden.
Um die ökonomische Bildung ist es bei den Jugendlichen in Deutschland schlecht bestellt: 40 Prozent der 14- bis 24-jährigen verbinden „nichts Bestimmtes“ mit dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ und 54 Prozent können das Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht korrekt erklären. Die mangelnden Ökonomiekenntnisse wiegen schwer, denn ökonomische Kompetenzen sind in einer zunehmend wirtschaftlich verflochtenen und auf Eigenverantwortung basierenden Welt unverzichtbares Rüstzeug für informierte Entscheidungen in vielen Lebensbereichen. Dabei geht es darum, die Konsequenzen eigener Entscheidungen für sich und andere einschätzen zu können. Sei es bei der Wahl der Ausbildung und des Berufs, der Bewertung von Konsumgütern, Aktien und Versicherungen oder der Beurteilung der wirtschaftspolitischen Performance der jeweiligen Regierung – nicht zuletzt an den Wahlurnen. Auch zeigen empirische Untersuchungen, dass Menschen, die sich mit Ökonomie beschäftigen und ökonomische Zusammenhänge verstehen, die Leistungsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft als Garant unseres Wohlstandes besser einschätzen können. In Zeiten, in denen Marktwirtschaft vielfach pauschal in Frage gestellt wird, ist dies nicht zu unterschätzen.
Inzwischen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass ökonomische Kenntnisse im Schulunterricht vermittelt werden sollen. Und in vielen Schulen ist dies auch bereits gängige Praxis. Allerdings existiert kaum ein eigenständiges Schulfach  für  Ökonomie, obwohl sich Dreiviertel der Schüler und fast 80 Prozent der Erwachsenen dafür aussprechen. In der Regel wird Ökonomie in Fächern wie Politik, Geschichte, Sozialwissenschaft oder Gemeinschaftskunde behandelt. Dies hat zur Folge, dass Ziele, Inhalte und zeitlicher Umfang und damit das Ausbildungsniveau der Schüler stark variieren. Schwerwiegend kommt hinzu, dass die Schüler im Teilgebiet Wirtschaft oft von fachfremden Lehrkräften unterrichtet werden, denen es häufig an fachwissenschaftlichem und fachdidaktischem Wissen fehlt. Die ökonomische Schulbildung bleibt damit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Diese Defizite könnten mit der Einführung eines Schulfaches Ökonomie behoben werden. Um eine hochwertige Lehre zu gewährleisten, wäre es jedoch notwendig, deutschlandweit eigene Studiengänge für Ökonomielehrer zu etablieren. Auch bei den Unterrichtsmaterialien für den Ökonomieunterricht besteht Verbesserungsbedarf – nicht zuletzt im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Fundiertheit und Neutralität. So bestehen – zu Recht oder Unrecht – in der öffentlichen Debatte Vorbehalte gegenüber den zahlreichen von Interessenverbänden herausgegebenen Unterrichtsmaterialien. Und aktuell verwendete Schulbücher erfüllen oftmals moderne fachwissenschaftliche und fachdidaktische Anforderungen nur unzureichend.
Internationale Vergleichsstudien von Schulleistungen wie die PISA-Studie der OECD haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ein gesellschaftlicher Diskurs über Defizite in der Schulbildung in Gang gekommen ist und Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen wurden. So konnte sich Deutschland von 2000 bis 2009 in der PISA-Rangliste deutlich verbessern: im Bereich Mathematik vom 20. auf den 10. Platz und in den naturwissenschaftlichen Kompetenzen vom 20. auf den 9. Rang. Eine PISA-Studie zu den Ökonomiekenntnissen deutscher Schüler  im  internationalen Vergleich könnte einen ähnlichen Diskussions- und Reformprozess anstoßen. Tatsächlich werden in der PISA-Studie 2012 erstmals ökonomische Kenntnisse in Finanzfragen untersucht. Deutschland beteiligt sich daran jedoch nicht und vergibt damit eine große Chance, das Thema ökonomische Schulbildung empirisch fundiert zu diskutieren und notwendige Reformen anzustoßen.
Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Panels „Ökonomische Bildung an Schulen – Voraussetzung für verantwortungsvolle Wahlentscheidungen in Markt und Politik“ mit Prof. Dr. Franziska Birke (Universität Potsdam), Prof. Dr. Günther Seeber (Universität Koblenz-Landau) und Andreas Wegener (Direktor der Privaten Kant Schule e.V., Berlin) unter der Moderation von Dr. Ursula Weidenfeld am 17. Oktober 2011in Berlin.
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Ein Schulfach Ökonomie würde nur dann etwas bringen, wenn die Lehrer objektiv unterrichteten. Das tun sie aber nicht, ganz im Gegenteil, die Schule wird vorrangig dazu genutzt, die Kinder zu indoktrinieren und zu politisch-korrekten Jasagern zu erziehen. Eigenständiges Denken wird dabei mit allen Kräften verhindert statt gefördert.
Ein Schulfach Ökonomie wird es bei dieser Politik niemals geben.
Der Staat verstümmelt sich doch nicht selbst. Besser kann es nur werden, wenn es einen Systemwechsel gibt.
Ich kann den etwas verschwörerisch anmutenden Pessimismus meiner Vorgänger so nicht teilen. Offenbar ist unbekannt, dass es z.B. in den Freistaaten Bayern und Thüringen zumindest an Gymnasien das Schulfach „Wirtschaft und Recht“ gibt, in dem exakt die eingeforderten wirtschaftlichen Grundlagen in BWL und VWL vermittelt werden. Zu hoffen bleibt, dass diese nützliche Idee auch in andere Schulformen und Länder diffundiert.
Bedenken sollte man allerdings, dass jeder Vertreter selbstverständlich seine Disziplin natürlich für die wichtigste überhaupt halten. Mehr MINT: Wie sonst Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten? Mehr Sprachen: Wie sonst in einer globalisierten Welt bestehen? Mehr Ökonomie: Wie sonst die wichtigen Fragen unserer Zeit verstehen? usw. Die Lehrpläne sind aber bereits heute mehr als gut gefüllt. Bitte unsere Kinder nicht überfordern. Bei aller Sympathie für mehr ökonomische Bildung – wer mehr an einer Stelle fordert, muss auch sagen, was er an anderer Stelle kürzen möchte.
Dann gleich eine Frage zu dem Thema, wo gibt es gute nichtideologische Unterlagen zum Schulfach Wirtschaft?
VG Ludwig
Schauen Sie doch z.B. einmal auf das aus Bayern stammende Portal „Wirtschaft/Recht im Unterricht“ (http://www.wr-unterricht.de) oder die dazugehörigen, im Voll-Verlag erschienen Bücher. Interessanterweise wird offenbar hier den Schülern mehr Ordnungsökonomik vermittelt als in so manchem VWL-Studium heutzutage.
Das Portal ist leider etwas unübersichtlich, man muss ein bisschen suchen und herumklicken. Ob sie nun unideologisch ist, sei dahingestellt. (Gibt es das überhaupt?) Aber zumindest findet sich dort eine breite Vielfalt von Methoden und Denkschulen.
Danke!