Bildungspflicht ist besser als Schulzwang

In Deutschland dürfen Eltern ihre Kinder nicht selbst erziehen. Das Monopol des Staates unterdrückt die Freiheit. Und schadet der Bildung.

Schule ist in Deutschland eine Sache des Staates. Wer eine private Schule aufmachen will, muss mit großen Schwierigkeiten rechnen. Wer seine Kinder gar selbst unterrichtet oder zu einem Hauslehrer schickt, bekommt es mit der Polizei zu tun. Denn er begeht eine Ordnungswidrigkeit.

In Deutschland gilt absolute und strafbewehrte Schulpflicht. Das klingt für die meisten Menschen selbstverständlich. Und ist es doch nicht, weder historisch noch im europäischen oder gar internationalen Vergleich: Der deutsche Schulzwang ist, sieht man von einigen Diktaturen ab, die Ausnahme und nicht die Regel. In den meisten anderen Ländern gibt es stattdessen eine vom Staat überwachte Bildungspflicht. Ob die Kinder zur Schule gehen oder die von der Gesellschaft geforderten Standards anderswo erwerben, ist ihnen (und ihren Eltern und Erziehern) freigestellt.

Warum werden in keinem freien Land der Welt Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen möchten, vergleichbar stark kriminalisiert wie hierzulande? Nach den Verbrechen des Nationalsozialismus sei es zu einem stillen Einvernehmen zwischen Eltern und Staat gekommen, dass Erziehung zur Demokratiefähigkeit für ein gelingendes Gemeinwesen unabdingbar sei und dass diese Erziehung nur durch den Staat organisiert werden könne, vermutet der Bonner Pädagoge Volker Ladenthin. Deutsche Eltern haben ein größeres Vertrauen in den Erzieher Staat als die Nachbarn in anderen Ländern.

Das ist ihr gutes Recht. Aber warum wird Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen wollen, dieser Wunsch streitig gemacht? Wäre nicht eine gesetzliche Bildungspflicht dem staatlichen Schulzwang überlegen? Schon der deutsche Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767 bis 1835) hatte gegenüber dem Staat als Erzieher große Bedenken. „Soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte, den Menschen zu erteilende bürgerliche Formen, Menschen bilden, so bedarf es des Staates nicht.“ Öffentlicher Schulzwang führt nach Humboldts Auffassung dazu, dass die Eltern die Verantwortung für die Aufzucht der Kinder an den Staat delegieren und dafür einen hohen Preis zahlen müssen: Statt zu freien und gebildeten Menschen werden die Schüler von früh an zu Staatsbürgern gemacht, zu Untertanen also.

Tatsächlich ist das staatliche Bildungsmonopol – wie die meisten Monopole – nicht gut begründet. Bildungsökonomisch ließe sich für die Schulen allenfalls ins Feld führen, dass es effizienter ist, Kinder in Klassen zusammen zu unterrichten, anstatt den Familien die Suche nach Hauslehrer und Gouvernante zuzumuten (für statistisch 1,3 Kinder) oder aber die Eltern von der Berufsausübung abzuhalten. Staatliche Lehrerbildung bürgt zudem für eine gewisse Professionalität bei der Erstellung des „Produkts“ Bildung.

Doch gegen die Qualität der staatsschulischen Leistung sprechen nicht nur die wiederholten Pisa-Befunde, sondern auch die zunehmende Abwanderung der Schüler in Privatschulen. Gäbe es die Möglichkeit, die Kinder zu Hause zu unterrichten, würden Eltern gewiss davon Gebrauch machen. Spätestens beim staatlich für alle vorgeschriebenen Bildungstest käme heraus, wo es die bessere Bildung gibt. In allen Ländern, welche die Ausbildung pluralisieren und dezentralisieren, stößt diese Freiheit auf Zustimmung, wenngleich der Anteil der häuslichen „Beschulung“ kaum über drei bis vier Prozent der Bevölkerung hinausgeht – freilich mit stark zunehmender Tendenz. Selbst in Österreich ist „Homeschooling“ neuerdings erlaubt. In Kanada erhalten Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, sogar bis zu 1000 Dollar monatlich vom Staat. Das soll für Chancengleichheit mit der staatlichen Schule sorgen.

Ursprünglich war der Schulzwang nicht die Regel, sondern die Ausnahme. „Die Schulpflicht wurde eingeführt, weil die bildungsfernen Schichten ihre Kinder zu Hause behielten und zum Kartoffelausbuddeln und Getreideernten gebrauchten“, sagt der Pädagoge Ladenthin. Dadurch schädigten Eltern ihre Kinder, weil sie nur auf ihren kurzfristigen Vorteil bedacht waren. Das Gebot der Subsidiarität, das in Deutschland in Festreden immer hochgehalten wird, besagt: Der Staat braucht nur dann einzuschreiten, wenn die Privaten versagen. Er muss die Schüler vor ihren Eltern also auch nur dann schützen, wenn er befürchtet, ihnen werde Bildung vorenthalten oder aber sie würden auf gefährliche Weise indoktriniert.

Damit ist ein gewichtiger Einwand gegen das Homeschooling vom Tisch. Viele Zeitgenossen befürchten nämlich, radikale oder religiöse Elterngruppen könnten den Hausunterricht dazu missbrauchen, ihre Kinder zu Gegnern der europäischen Werteordnung und aufgeklärten Rechtsstaatlichkeit zu erziehen. Die Angst vor Parallelwelten geht um, sie ist nicht von der Hand zu weisen. Doch abgesehen davon, dass auch die Staatsschule Parallelwelten nicht verhindert (Neukölln), behielte die Obrigkeit immer die Gewalt, im Fall von Missbrauch oder Versagen die Kinder ihren Eltern zu entziehen.

Ohnehin würden wohl eher die gebildeten Eliten und nicht die unteren Schichten von der Möglichkeit des Homeschooling Gebrauch machen. Auch diese Vermutung taugt freilich zum Einwand dagegen. Wachsende Ungleichheit und eine Privilegierung der von Hauslehrern erzogenen Reichenkinder seien die Folge, heißt es. Doch auch hier gilt: Schon heute päppeln die Bildungsbürger ihre Nachkommen mit Cellounterricht, Sprachkursen und privater Nachhilfe. Oder sie schicken sie gleich aufs Internat. Dass in Deutschland Begabungen brach liegen, Geld und Sozialhintergrund den Bildungserfolg bestimmen, ist wahr. Der staatliche Schulzwang kann die Misere nicht verhindern.

Literatur: Ralph Fischer und Volker Ladenthin (Hrsg.): Homeschooling. Tradition und Perspektive. Würzburg 2006.

4 Antworten auf „Bildungspflicht ist besser als Schulzwang“

  1. Lieber Herr Hank,

    ich gratuliere Ihnen zu diesem Beitrag. Auf diesem Gebiet haben die Freunde der Freiheit noch viel zu arbeiten. Dabei geht es aber nicht alleine um die Eindämmung paternalistischer Staatserziehung, sonder letztlich auch darum, den Problemen PISA und Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brauchen deutlich mehr Wettbewerb im Bildungswesen, wir müssen weg von den staatlichen Lehranstalten und hin zu leistungsfähigen Wissensunternehmen und zu mehr Bildungsautonomie.

    Ihr Christoph Sprich

  2. Hallo Herr Hank,

    wie schon Herr Sprich kommentiere kann ich Ihnen auch nur sagen: „Sie haben vollkommen recht“.

    Unser Bildungssystem ist sehr angeschlagen, wir produzieren viel Bildungsversager. Ich weis von was ich hier rede, den ich spreche hier für die Gruppe der Legastheniker die bis heute keine Chancengleichheit auf Bildung erhalten, Sie werden bis heute Diskriminiert und Sitmatisiert, und von der Bildung ferngehalten.

    nach den neuesten Stand der Wissenschaft, ist die Legasthenie aber keine Krankheit oder Behinderung sondern ist ein pädagogisch didaktisches Problem. Aufgrund der falschen Handhabung legasthener Menschen im Bildungssystem entsteht ein enorm hoher Schaden. Obwohl diese Menschen nicht selten eine überdurchschnittliche Intelligenz besitzen, wählen Sie in unseren staatlichen Bildungssystem nicht gemäß dem Grundgesetz gefördert und unterstützt.

    ich kämpfe schon mehr als 14 Jahre für die Rechte legasthener Menschen in der Bundesrepublik. Es ist ein vielschichtiges Thema, wenn wir dieses aber verstehen würden, könnten wir mit Sicherheit so einige gute Fachkräfte generieren.

    Aber da müssten wir unser ganzes Bildungssystem erst einmal entrümpeln, wie schon Herr Sprich sagte: „weg von staatlichen Lehr Anstalten und hin zu leistungsfähigen Wissens Unternehmen mit mehr Bildungsautonomie“.

    Dies ist ein ganz besonders wichtiger Aspekt! gerade im Zuge der Entwicklung der Wissensgesellschaft können wir uns so ein Bildungssystem was den Kindern und Jugendlichen unser Land keine Chancenfreiheit einräumt, uns nicht mehr leisten. Außerdem dürfen wir nicht den demographischen Faktor vergessen.

    Fachkräfte in vielen Bereichen werden bald Mangelware sein, und Kinder sowieso.

    Eine gesunde Konkurrenz von Privatschulen und weniger Staatsschulden wäre sehr vernünftig. Dies würde ich sogar eher staatlich fördern…

    In diesen wird eines der wichtigen BIPs für die Zukunft werden.

    Beste Grüße, lars-michael lehman

    ————————————————
    Legasthenie ist keine Schande

  3. @ Herr Hank,

    ob das wirklich mehr Freiheit ist? Gibt es keine Schulpflicht, dann gibt es eine Bildungspflicht. Der Staat muss quasi dann kontrollieren, was in den elterlichen Wohnräumen passiert (bei wirklichem home schooling), ob eine Indoktrination stattfindet oder nicht.

    Die gerichtlichen Auseinandersetzungen hierzu möchte ich mir aber lieber nicht vorstellen. Natürlich kann man kontrollieren, ob das Kind in Mathematik oder Englisch ein entsprechendes Niveau erreicht hat. Aber in geisteswissenschaftlichen Fächern wird es schwieriger.

    Hat der Jugendliche z.B. eine antidemokratische Gesinnung, liegt dies an ihm selbst, seinem Umgang außerhalb der home school (auch in einer staatlichen Schule gibt es ja Jugendliche mit einer antidemokratischen Gesinnung) oder ist ihm diese in der home school indoktriniert worden? Wer will dies wirklich überprüfen oder entscheiden?

    Zu ihren beiden Beispielen: In Kanada liegt diese Freigabe vor allem daran, dass das Land so groß ist. Kinder könnten ansonsten von ihren Eltern in der Wildnis gar nicht aufgezogen werden. Da geht es praktisch gar nicht ohne home schooling. Diese Verhältnisse haben wir im dichtbevölkerten Deutschland nicht.

    In Österreich kann man home schooling beim Bezirksschulrat anmelden. Widerspricht dieser jedoch, kann man hiergegen keinen Widerspruch einlegen. Daher ist dies auch für den Fall unproblematisch, dass ein Jugendlicher eine antidemokratische Gesinnung hat. Der Bezirksschulrat widerruft dann seine Erlaubnis einfach. Da ein Widerspruch dagegen nicht möglich ist, braucht der Schulrat auch nicht zu überprüfen, ob die Eltern daran schuld sind oder nicht. Da dies ausserdem eh kaum jemand macht (unter 0,5% der Eltern gehen diesen Weg), gibt es hierzu auch keine umfangreiche Diskussion in Österreich.

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