Nach jedem Skandal – ob Vetternwirtschaft bei Wulff, Korruption bei Siemens oder Abzockerei bei den Banken – ertönt der Ruf nach mehr Transparenz. Transparenz gilt inzwischen als Allheilmittel einer verunsicherten Gesellschaft. Ist es das wirklich? Wohl kaum. Eher ist das Gegenteil wahr.
Es grassiere heute allenthalben eine „Transparenz-Hysterie“, schreibt der koreanische, in Karlsruhe lehrende Philosoph Byung-Chul Han in einer gerade erschienenen vorzüglichen kleinen Schrift mit dem Titel „Transparenzgesellschaft“ (http://www.matthes-seitz-berlin.de/scripts/start.php). Transparenz ist das Gegenteil von Vertrauen: Vertrauen greift, wo das Wissen über andere nur beschränkt möglich ist. Vertrauen, sagt Han, heißt: trotz Nichtwissen zu einem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufbauen. So gesehen ist das Lob der Transparenz in Wirklichkeit ein Krisenphänomen. Denn es ist das Eingeständnis, dass das Vertrauen dahin ist. Gleichzeitig ist es auch das resignative Bekenntnis, dass die Gesellschaft nicht mehr zum Vertrauen zurück will oder kann. Denn die Transparenz-Hysterie mündet in eine totalitären Kontrollgesellschaft; da kommt kein Vertrauen mehr auf. Der nächste Bundespräsident muss jetzt schon sein ganzes früheres Leben entblättern – als scheinbar moralisches Gebot der Transparenz. Han vergleicht mit guten Argumenten unsere Transparenzgesellschaft mit atavistischen Stammesgesellschaften, in der jeder über jeden Bescheid weiß. Ein Horror. Intimitäten werden ausgestellt und konsumiert. In vielen Dorfgesellschaften ist das bis heute ähnlich. Distanzlosigkeit ist gewollt. „Die Welt wird dadurch schamloser und nackter“ (Han). Der größte Vorwurf an Wulff war, dass er Transparenz nur scheibchenweise hergestellt habe. Intransparenz wird plötzlich zum moralischen Versagen. Alles muss auf den Tisch!
Zugleich lügt der Mythos der Transparenz sich permanent in die eigene Tasche. Transparenz der Managervergütung (Einzelausweis der CEO-Kompensation) wurde als Instrument der Mäßigung verkauft und gesetzlich eingeführt. Seit börsennotierte Unternehmen daran gebunden sind, hat sich keine dämpfende Wirkung eingestellt. Ein weiteres Beispiel: Die Auflagen zur Ad-Hoc-Publikation sollten dafür sorgen, dass alle Anleger stets zeitgleich alle kursrelevanten Informationen zur Hand haben. Inzwischen sorgt eine große outgesourcte PR-Industrie dafür, das Gesetz erfolgreich zu unterlaufen (das könnte man Transparenz-Arbitrage nennen). Schließlich: Transparenz in der Anleger-Aufklärung führt kurioserweise zu erhöhter Intransparenz, weil kein Mensch die hundertseitigen Aufklärungsschreiben liest, die der Berater seinem Kunden jetzt aushändigen muss. Und Transparenz als Korruptionsverhinderer in Unternehmen (im Anschluss an den Siemens-Skandal) hat zwar eine ganze, neue Compliance-Industrie hervor gebracht und Scharen von Anwälten zu Mandaten verholten. Ob es dadurch weniger Korruption gibt, wurde noch nicht untersucht.
Hayek wusste bekanntlich, dass Informationen unterschiedlich und asymmetrisch verteilt sind (http://www.econlib.org/library/Essays/hykKnw1.html) und dass es zum Prozess des Wettbewerbs gehört, dass jeder mit den Informationen agiert, die ihm zu Verfügung stehen. Eine Welt, in der allen alle Informationen bekannt sind, ist weder möglich noch wünschenswert. In Vergessenheit geraten ist auch, dass das Recht auf Privatheit und Intimität ein klassisch liberaler Grundsatz ist, der sich zwingend aus dem Schutz des Eigentums ergibt. Privatheit und Intimität gehören zu den Grundfesten eines menschlichen Miteinanders, d.h. einer humanen Gesellschaft. Menschen können ihre Rolle, die sie in der Gesellschaft übernehmen wollen, nur dann selbstbestimmt wählen, wenn ihre Privatheit geschützt wird. Den Satz „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, hat der große Liberale Otto Graf  Lambsdorff stets, da so verführerisch, als besonders töricht bezeichnet, weil ein willkommenes Einfallsstor für eine „totalitär anmutenden Allverfügbarkeit des Staates über selbst die intimsten Lebensbereiche der Menschen“.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten nach fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise - 29. Oktober 2013 - Ungleichheit heute (15)
Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013
Nachtrag zur „Transparenz“
In der neuen Weltwoche (15.März) gibt es ein vorzügliches Editorial von Roger Köppel (http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2012-11/editorial-tyrannei-die-weltwoche-ausgabe-112012.html), der darauf hinweist, dass die Forderung nach Transparenz nicht selten Machtmittel der demokratischen Mehrheit bei der Unterdrückung ungeliebter Minderheiten ist. Der „Tyrannei der Mehrheit“ (Alexis de Tocqueville, Knut Wicksell) ist jedes Mittel recht: Der Aufruf zur Transparenz ist dabei besonders perfide, weil er es schafft, besonders aufklärerisch daher zu kommen und seine Kontrollabsichten zu kaschieren. Nebenbei kommt dabei auch zum Vorschein, dass das Geld (vor allem als Bargeld) sich seinem Wesen nach der Tyrannei der Transparenz entzieht. Bargeld muss von jedermann unbeschränkt als Zahlungsmittel angenommen werden – ohne dass der, der damit bezahlt über dessen Herkunft Rechenschaft ablegen müsste (es sei denn er war Bundespräsident und hat einen Freund entschädigt, der die Rechnung für eine Hotelübernachtung vorgestreckt hat). Unter dem Vorwand des Verdachts von Geldwäsche, Steuerbetrug, Vorteilsnahme etc. ist dem Staat in seiner Kontrollwut so etwas suspekt. Deshalb versucht er die Neutralität, Ubiquität und Transparenzverweigerung des Geldes mit allen Mitteln (vor allem mit dem Mittel der Bankdatenkontrolle) zu unterlaufen: Der Terror der Transparenz entspringt der Lust an der Überwachung der Untertanen durch den Staat und der Kontrolle der Minderheit durch die Mehrheit.
„Transparenz ist das Gegenteil von Vertrauen.“
Das ist ein Zitat von SPD Ratsherr Neubauer während der Ratssitzung in Lüneburg.
Wie kann denn so eine Aussage in Ihren Augen entstehen?
Mfg
Matthias
9. Dezember Welt-Anti-Korruptions-Tag der UN
Obwohl deutsche Politiker in den vergangenen Wochen immer wieder laut darüber geredet haben, dass Transparenz ein hohes Gut in der Politik sei, gehört Deutschland nicht zu den 140 Staaten, die sich der UN-Konvention unterworfen haben. Und das nur, weil die Regelungen zum Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung in Deutschland nicht den internationalen Vorgaben entsprechen. Die diesbezügliche Blockade-Haltung der schwarz-gelben Koalition verhindert bislang die erforderlichen Änderungen und damit die Ratifizierung der Konvention.
Am weltweiten Anti-Korruptions-Tag steht Deutschland damit auf einer Stufe mit Myanmar, Sudan, Saudi-Arabien, Nordkorea und Syrien. Herzlichen Glückwunsch Frau Merkel und Herr Rösler!
Mehr dazu auf http://www.diebuergerlobby.de mitmachen-einmischen-verändern