Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts in unruhigen Zeiten. Das gilt sowohl im Guten wie auch im Schlechten: Zunächst lief der deutsche Konjunkturmotor von 2005 bis hinein in das Jahr 2008 auf vollen Touren. Infolge der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise – ausgelöst durch die Verwerfungen am US-Immobilienfinanzierungsmarkt – wurde der Rückwärtsgang eingelegt. Das reale Bruttoinlandsprodukt sank im Jahr 2009 um 5 Prozent. Das entspricht dem stärksten Rückgang in den letzten sechs Dekaden und stellt alle bisherigen Rezessionen weit in den Schatten. Die Jahre 2010 und 2011 waren dann wieder von einem sehr hohen Wachstumstempo geprägt. Und jetzt wird für 2012 ein erneutes Stottern des Konjunkturmotors erwartet.
Die Wirtschaftsperspektiven haben sich aber nicht nur hierzulande eingetrübt – in vielen europäischen Ländern schaut es sogar erheblich düsterer aus als in Deutschland (siehe nachfolgende Abbildung). Damit wächst auch die Angst vor Arbeitslosigkeit – einem echten Übel mit gesamtwirtschaftlich und vor allem auch individuell negativen Folgen. Beim einzelnen Betroffenen wirkt sich dies als Einkommens- und Konsumausfall aus – von der Frustration ganz zu schweigen.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Im Gefolge der expansiven Geldpolitik in Europa und den USA kommt auch eine steigende Angst vor Inflation auf. Auch dabei handelt es sich um ein Übel für die Volkswirtschaft und den Einzelnen – durch die mit dem allgemeinen Preisanstieg einhergehenden Kaufkraftverlust von Einkommen und Vermögen. Jedes vernünftige Lehrbuch zur Makroökonomik thematisiert die vielfältigen negativen Folgen des Geldwertverlustes.
Diese erneute Gefahr beider makroökonomischer Grundübel weckt Erinnerungen an die 1970er Jahre als infolge der Ölpreisschocks und expansiver Geld-, Lohn- und Fiskalpolitiken die Inflation in die Höhe schnellte und gleichzeitig aber auch die Arbeitslosigkeit markant anstieg. Damit setzte sich auch mehr und mehr die makroökonomische Haltung wieder durch, dass es eben nicht funktioniert, über eine expansive Geldpolitik und die damit einhergehende höhere Inflation die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Phillipskurve, die als eine Darstellung des vermuteten Trade-off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit verstanden werden kann, kam auf den Prüfstand und fiel durch.
Die beiden „bads“ Inflation und Arbeitslosigkeit können stark vereinfa-chend mit dem sogenannten Elendsindex dargestellt werden. In den 1960er Jahren hat der US-Ökonom Arthur Okun diesen Misery-Index entwickelt. Dieser wird berechnet als die Summe von Arbeitslosenquote und Inflationsrate. Es handelt sich dabei nicht um ein wissenschaftliches Maß, sondern vielmehr um eine plakative Darstellung zweier ökonomischer Grundübel. Bei manchen Analysen wird die Arbeitslosigkeit höher gewichtet, um dieses Problem stärker zu akzentuieren. Der US-Ökonom Robert Barro hat den Okun-Index weiterentwickelt, indem er noch das Wirtschaftswachstum und die Zinsen mit einbezieht.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Die Abbildung zeigt die Werte für eine Reihe von Volkswirtschaften zum einen für das Jahr 2012 und zum anderen für den Zeitraum 2000 bis 2011. Folgendes lässt sich daraus ableiten:
Niveauunterschiede: Unabhängig vom Betrachtungszeitraum gibt es große Differenzen beim absoluten Elend. Nimmt man das Jahr 2012 in den Blick dann weist das so gemessene Elend vor allem in Spanien, Griechenland, Portugal und Irland hohe Werte auf. Das sind zugleich auch die Länder, die derzeit im Fokus der Diskussion um Staatsschulden sind. Am anderen Ende der Liste rangieren die Schweiz, Norwegen und vor allem Japan, das gleichwohl beim Blick auf die Höhe der Staatsschulden eine katastrophale Bilanz aufweist. Auch Österreich, die Niederlande und Deutschland können in den erweiterten Länderkreis mit vergleichsweise niedrigem makroökonomischen Elend einbezogen werden.
Unterschiedliche Entwicklung: Vergleicht man das Jahr 2012 mit dem Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2011, dann fallen einige Ländern ins Auge, wo sich das Elend erheblich verschlimmert hat. Neben den bereits genannten Krisenländern Spanien, Griechenland, Portugal und Irland zählen dazu auch das Vereinigte Königreich und die USA. Dagegen können einige Länder auf eine merkliche Verbesserung verweisen – allen voran Deutschland.
Quelle der Veränderung: Wird schließlich gefragt, woher die Veränderungen beim Misery-Index (Werte für das Jahr 2012 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2011) kommen, dann gibt es eine eindeutige Antwort: Die Veränderung der Arbeitslosigkeit sorgt maßgeblich für ein wachsendes, aber auch ein schrumpfendes Elend. Für Letzteres ist Deutschland mittlerweile ein gutes Beispiel. Die Inflationsentwicklung führt zumindest beim Vergleich der für das Jahr 2012 erwarteten Werte mit dem Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2011 – mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs – überall zu einem sinkenden Elend.
Es wird sich nun beim Blick über den Tellerrand 2012 hinaus zeigen, ob die gegenwärtige „makroökonomische Verelendung“ in einigen Ländern auch weiterhin nur aus einer ansteigenden Arbeitslosigkeit gespeist wird. Bleiben Reformen in den Krisenländern aus, dann wird sich dieses Elend auf dem hohen Niveau festsetzen, wenn nicht sogar weiter ansteigen. Gelingt es darüber hinaus den Zentralbanken nicht, das überreichliche Geld zu neutralisieren, dann vergrößern sie das gesamte Übel durch steigende Preise. Noch ist der Elendsbeschleuniger Inflation nicht aktiv. Die Zentralbanken haben es in der Hand, dies zu verhindern.
- Kumulative Angebotsschocks bremsen Konjunktur und treiben Kosten - 11. September 2021
- Konjunkturprognosen im Wechselbad der Pandemie - 31. März 2021
- Einige Überlegungen zu möglichen Verhaltenseffekten der Corona-Krise - 8. Oktober 2020
Eine Antwort auf „Quellen des Elends“