Gastbeitrag
„Mehr Schatten als Licht – Die wirtschaftspolitische Performance der Bundesregierung“

2010 und 2011 ist die deutsche Wirtschaft mit 3,7 und 3,0 Prozent stark gewachsen. Im Sommer 2011 erreichte das Bruttoinlandsprodukt das Vorkrisenniveau von 2008 – Deutschland ist das einzige OECD-Land, dem das gelungen ist. Mit gut 41 Millionen Erwerbstätigen hat nun mehr als jeder Zweite einen Job – das gab es in Deutschland noch nie. Die Arbeitslosenzahl ist unter drei Millionen gefallen. Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren aber vor allem durch die Staatsschuldenkrise in Europa und die Energiewende geprägt. Wichtige Reformvorhaben sind auf der Strecke geblieben. Die Bundesregierung sollte die verbleibende Zeit bis zur Bundestagswahl nutzen, um sichtbare finanz- und wirtschaftspolitische Spuren zu hinterlassen.

Europäische Staatsschuldenkrise: Die Bundesregierung hat in Brüssel Regeln durchgesetzt, die die Wettbewerbsfähigkeit von Krisenländern stärken und zur Haushaltskonsolidierung beitragen sollen. Mit dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) wird ein dauerhafter Rettungsschirm für Eurozonen-Staaten eingerichtet. Sollten die vereinbarten Regeln aber ebenso wenig eingehalten werden wie die Maastricht-Regeln, kann der ESM sogar zu loserer Haushaltsdisziplin in Mitgliedsländern verleiten. Eine geordnete Staatsinsolvenz wird hingegen nicht mehr diskutiert. Mit der massiven Bereitstellung von Liquidität hat sich die EZB auf einen waghalsigen Kurs begeben. Die Vermischung von geld- und fiskalpolitischer Kompetenzen untergräbt ihre Unabhängigkeit.

Finanzmarktregulierung: Mit Basel III wurde beschlossen, die Mindestanforderungen für Eigenkapital von Banken zu erhöhen und Kapitalpuffer einzuführen. Dennoch ist nicht  für  alle  Kredite  an  Staaten eine   Eigenkapitalunterlegung   vorgesehen. Wo das der Fall ist, fehlen Sicherheiten und kann exzessive Staatsverschuldung kreditvergabeseitig nicht eingedämmt werden. Die Diskussion um die Finanztransaktionsteuer geht indessen weiter. Wird sie nur von einigen Ländern eingeführt, sind Ausweicheffekte wahrscheinlich. Zielgenauer im Hinblick auf fortbestehende Finanzmarktprobleme wirken regulatorische Eingriffe, etwa eine höhere Leverage Ratio.

Haushaltskonsolidierung: 2010 wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert: Der Bund darf ab 2016 nur noch eine strukturelle Neuverschuldung von  0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eingehen; die Länder dürfen ab 2020 gar keine neue Schulden mehr machen. Mit den aktuell sprudelnden Steuereinnahmen kann der Bund die Schuldenregel sogar schon vor 2016 einhalten. Insgesamt lassen die Konsolidierungsbemühungen aber nach. So gibt es keine Gegenfinanzierung für die Einnahmeausfälle aus der Kernbrennstoffsteuer (rd. eine Mrd. Euro) und die geplanten zwei Mrd. Euro aus der Finanztransaktionsteuer werden kaum realisiert werden. Zusätzliche Vorhaben sind nicht gegenfinanziert, wie Betreuungsgeld oder Zuschussrente. Hilfen für überschuldete Eurozonenländer stellen weitere Haushaltsrisiken dar.

Energiepolitik: Mit der Energiewende soll der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben, der Netzausbau bewerkstelligt und die Netzstabilität gewährleistet werden. All dies muss möglichst kostengünstig geschehen, um Privathaushalte und Unternehmen nicht übermäßig zu belasten. Zudem besteht die Gefahr, dass der Staat zunehmend gedrängt wird, Aufgaben zu übernehmen, die in private Hände gehören. Bereits jetzt ist der Energiesektor in Deutschland durch vielfältige, sich teilweise widersprechende staatliche Eingriffe gekennzeichnet. Hier gilt es, den klimapolitischen Instrumentenkasten aufzuräumen, zunehmenden Subventionsforderungen zu widerstehen und den Wettbewerb zu stärken.

Steuerpolitik: Die Bundesregierung ist weit hinter den Ankündigungen des Koalitionsvertrags zurückgeblieben. So sind weder bei der Steuervereinfachung noch bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen Fortschritte erzielt  worden.  Die  Gemein-definanzreform ist gescheitert. Die Einkommensteuerreform zu einem Stufenmodell wurde erst gar nicht angegangen. Ein Gesetzentwurf zur Korrektur der „kalten Progression“  befindet  sich  derzeit  wenig aussichtsreich im   parlamentarischen Verfahren. Bei den Unternehmenssteuern ist geplant, die Regelungen zur steuerlichen Verlustverrechnung sowie der Besteuerung von verbundenen Unternehmen zu reformieren. Dabei sind strukturelle Steuerreformen durchaus vereinbar mit Haushaltskonsolidierung – insbesondere wenn man den Subventionsabbau konsequent angeht.

Sozialpolitik: Die konjunkturelle Lage wirkt sich positiv auf die Sozialversicherung aus. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Strukturreform, die das Gesundheitssystem langfristig leistungsfähig und finanzierbar macht, weiterhin aussteht. Dies gilt in noch größerem Maße für die Pflegeversicherung. In der Rentenversicherung sind mittelfristig aufgrund der steigenden Lebenserwartung Nachjustierungen notwendig. Bei der Rente mit 67 wird es langfristig nicht bleiben können.

Arbeitsmarktpolitik: Der Arbeitsmarkt ist in hervorragender Verfassung. Gründe dafür sind: die gute Konjunktur, beschäftigungsfreundliche Tariflohnabschlüsse und insbesondere die Arbeitsmarktreformen 2003-2005 sowie die Kurzarbeit als Krisemaßnahme 2009. Dass die Bundesregierung in immer mehr Branchen Mindestlöhne einführen will und sogar einen flächendeckenden Mindestlohn anstrebt, gefährdet die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt.

 

Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Die wirtschaftspolitische Performance der Bundesregierung – eine Analyse aus Sicht eines Wirtschaftsweisen“ mit Prof. Dr. Lars P. Feld (Walter Eucken Institut und Sachverständigenrat) in Berlin.

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
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  1. Also, dass Deutschland das „einzige OECD-Land“ sein soll, das wieder das Vorkrisenniveau des BIP von 2008 erreicht haben soll, ist definitiv falsch!
    1. USA haben lange vor Deutschland das Vorkrisenniveau wieder erreicht, nämlich bereits in Q1.2011
    2. Da Polen (als einziges Land übrigens!) überhaupt kein negatives Wachstum hatte, lag sein BIP natürlich logischerweise seit 2008 kontinuierlich IMMER über dem „Vorkrisenniveau“ (anders: im OECD-Land Polen gab es gar keine Krise!!)

    wenn die anderen Aussagen im Artikel auch so falsch sein sollten….

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