In diesem Beitrag werden die wichtigsten Reformen der vergangenen zehn Jahren in Deutschland kurz beschrieben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Maßnahmen sich als besonders erfolgreich und effektiv erwiesen haben. Die Erfahrungen mit den Reformen in Deutschland geben dabei wertvolle Hinweise für heutige europäische Krisenländer wie etwa Italien.
1. Einleitende Bemerkungen
In den vergangenen Monaten sind mehrere Euroländer zu (weiteren) strukturellen Reformen aufgefordert worden. In Italien, Spanien und Portugal sollen eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt werden, um die Wachstumskräfte zu stärken. Dazu gehören eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eine Anhebung des Rentenalters sowie erhebliche staatliche Einsparungen. Europäische Politik und Finanzmärkte werden in den nächsten Wochen und Monaten genau beobachten, wie schnell und konsequent diese Reformen umgesetzt werden. Neben solideren Staatsfinanzen sind eine steigende gesamtwirtschaftliche Produktivität und ein höheres Potenzialwachstum essenziell. Staatliche Kürzungsmaßnahmen allein werden auf Dauer nicht ausreichen, um die europäische Schuldenkrise zu bewältigen.
Werden Länder wie Italien, Spanien und Portugal Erfolg haben? In Deutschland scheint die Skepsis zu überwiegen. Dabei wird eines ganz offensichtlich übersehen: Vor rund zehn Jahren befand sich die deutsche Wirtschaft in einer vergleichbaren Situation wie einige EWU-Staaten heute. Damals war die Rede von Deutschland als dem „kranken Mann Europas“. Das Wachstum fiel seit der Wiedervereinigung anhaltend schwach aus. Das reale BIP legte im Zeitraum von 1992 bis 2002 um lediglich 1,4 % pro Jahr zu. Das war deutlich weniger als in vielen anderen Euroländern. Auch im Vergleich zu Italien (+1,5 %) und Frankreich (+2 %) schnitt Deutschland (etwas) schlechter ab. Viele Nachbarländer beklagten sich deshalb zu Recht über das anhaltend niedrige Wachstum. Deutschland wurde als Bremsklotz betrachtet, der die wirtschaftliche Entwicklung im restlichen Europa hemmte. Die strukturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft spiegelte sich auch in anderen zentralen Größen wider. So fiel die Arbeitslosenrate ab Jahresmitte 2002 deutlich höher aus als in der restlichen Eurozone (siehe nachfolgende Abbildung). Der damalige Bundeskanzler Schröder zog dann ein knappes Jahr später die Notbremse. Gegen erhebliche Widerstände wurden strukturelle Reformen auf den Weg gebracht, um das Potenzialwachstum zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu verringern. Zum damaligen Zeitpunkt waren diese Maßnahmen in der deutschen Öffentlichkeit heftig umstritten. Erst mit dem mittelfristig wieder anziehenden Wachstum und der stark rückläufigen Arbeitslosigkeit wurden die kritischen Stimmen leiser.
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Im Folgenden werden die wichtigsten Reformen der vergangenen zehn Jahren in Deutschland kurz beschrieben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Maßnahmen sich als besonders erfolgreich und effektiv erwiesen haben. Die Erfahrungen mit den Reformen in Deutschland geben dabei wertvolle Hinweise für heutige europäische Krisenländer wie etwa Italien.
2. Agenda 2010
Im März 2003 stellte der damalige Bundeskanzler Schröder seine Agenda 2010 vor, die in der Folgezeit eine Vielzahl von Reformen anstieß. Im Mittelpunkt standen die sozialen Sicherungssysteme und der Arbeitsmarkt. Bundeskanzler Schröder sagte dazu in seiner Regierungserklärung: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“ Die Agenda 2010 sah unter anderem eine Kürzung des Arbeitslosengeldes und die Förderung von Teilzeitbeschäftigung vor, um den verkrusteten Arbeitsmarkt aufzubrechen.
Als eine besonders wirksame Reform erwies sich die Liberalisierung der Zeitarbeit Anfang 2004. Die bis dahin geltenden Regelungen für den befristeten Einsatz von Zeitarbeit wurden aufgehoben. Die Unternehmen konnten dadurch den rigiden Kündigungsschutz unterlaufen und je nach Bedarf zusätzliche Arbeitskräfte einstellen oder freisetzen. Die Fähigkeit, flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren zu können, stieg seitdem erheblich. Aber auch die Arbeitnehmer profitierten, da sie im Rahmen der Zeitarbeit einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten. Hinzu kommen der Erwerb von Berufserfahrung sowie die Möglichkeit, von der Zeitarbeit in eine reguläre Festanstellung wechseln zu können. Die Erfolgsgeschichte der Zeitarbeit in Deutschland spiegelt sich in harten Zahlen wider. Seit 2003 stieg die Anzahl der Zeitarbeiter um den Faktor 2,5 auf knapp 900.000 (Durchschnitt von Januar bis August 2011, siehe nachfolgende Abbildung). Damit stammt seit 2003 jeder dritte zusätzliche Arbeitsplatz aus der Zeitarbeit.
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3. Höhere Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen
Neben Reformen auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene gab es auch erhebliche Veränderungen in den deutschen Unternehmen selbst. Umstrukturierungen und Auslagerungen ins Ausland (insbesondere nach Mittelosteuropa) steigerten die Produktivität. Durch Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer konnten die Lohnstückkosten gesenkt werden. Seit dem Beginn der EWU sanken sie etwa im exportorientierten Verarbeitenden Gewerbe zeitweilig um bis zu 13 %. Neben geringeren Lohnforderungen trug die sinkende Tarifbindung zu mehr Flexibilität der Unternehmen bei. Mitte der 1990er Jahre arbeiteten noch rund 70% der Beschäftigten in Westdeutschland in einem Unternehmen, das an einen Branchentarif gebunden war. 2010 betrug diese Kennziffer lediglich noch 56% (vgl. nachfolgende Abbildung). In den Neuen Bundesländern ging sie sogar zuletzt auf 37% zurück. Diese Entwicklung ermöglicht es den Unternehmen, von Tarifverträgen abzuweichen und dadurch gegebenenfalls geringere Lohnzuwächse und Bedingungen mit den Beschäftigten auf Betriebsebene zu vereinbaren.
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Hinweis
Die ausführliche Version dieses Beitrages findet sich in WiSt, 41 Jg. 2012, Heft 3 (März 2012), S.156-158.
Eine Antwort auf „Der Chefvolkswirt
Deutsche Reformerfolge als Blaupause für Europa“