„Lässt sich Inflation noch vermeiden?“ fragte Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) in einem Beitrag aus dem Jahr 1970. Er hatte große Zweifel. Und sie erwiesen sich als gerechtfertigt. Die Inflation wurde nämlich nicht vermeiden. Zu Beginn der 70er und der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam es in nahezu allen westlichen Volkswirtschaften zu einem drastischen Ansteigen der Inflation. Ihre Kosten waren beträchtlich, sie lösten Rezessionen aus und beförderten wachstumshemmende Wirtschaftspolitiken.
Hayeks Frage „Lässt sich Inflation noch vermeiden?“ war dabei eigentlich rein rhetorischer Natur. Schließlich bestand für ihn – wie für alle Vertreter der „Österreichischen Schule“ der Ökonomik und später auch des Monetarismus – keinerlei Zweifel daran, dass Inflation stets und überall ein monetäres Phänomen ist. Und um Inflation im staatlichen Papiergeld zu stoppen, so folgerte Hayek, bedarf es lediglich einer Zentralbank, die damit aufhört, die Geldmenge unablässig zu erhöhen.
Hayek sah jedoch, dass das Beenden der Inflation weniger ein „technisches“, sondern vielmehr ein politisches Problem sei. Denn ist die Inflation erst einmal in Gang gekommen, gewinnen weite Kreise der Gesellschaft – Private, Unternehmen und Regierungen – ein Interesse daran, dass sich die Inflation fortsetzt. Das Tückische an der Inflation ist nämlich, dass sie kurzfristig durchaus zu augenscheinlich guten Ergebnissen führen kann, während ihre destruktiven Kräfte meist erst viel später, dann aber umso gewaltiger in Erscheinung treten.
So geht ein Konjunkturaufschwung, der durch eine Geldmengenausweitung angeheizt wird, zunächst mit Produktions- und Beschäftigungsgewinnen einher. Die Wirtschaft scheint zu prosperieren, Arbeitsplätze werden geschaffen, gesellschaftliche Verteilungskämpfe werden entschärft, die Stimmungslage steigt. Das wirtschaftliche und politische Interesse an der Inflation kann so groß werden, dass sich das Kollektiv auf den Pfad einer sich beschleunigenden Inflation einlässt.
Denn der mit einer Geldmengenexpansion angezettelte Aufschwung basiert auf einer Illusion; eine zusätzliche Geldmenge schafft ja keine zusätzlichen Güter, sie macht die Volkswirtschaft nicht reicher. Sie erhöht lediglich die Preise der Güter und Dienstleistungen unterschiedlich stark und zu verschiedenen Zeitpunkten. Dies nährt die Hoffnung auf attraktive Investitions- und Gewinnmöglichkeiten, die aber die knappen Ressourcen bei unveränderten Preisen nicht hergeben. Vor allem aber bedarf es immer höherer Dosen der Geldausweitung, damit die Inflation stimulierend bleibt.
Sobald nämlich die erwarteten Preissteigerungen nicht übertroffen werden, oder wenn Inflation gar geringer ausfällt als erwartet, werden Investitionen, die mit in der Hoffnung auf künftig weiter steigende Preise getätigt wurden, unrentabel. In einem solchen Fall kommt es zunächst nur vereinzelt zu Produktions- und Einkommensausfällen, dann jedoch ziehen Fehlinvestitionen und Arbeitsplatzverluste immer weitere Kreise und bringen schließlich das ganze Konjunkturgebäude ins Wanken.
Eine aufkeimende Furcht vor einem Abschwung provoziert Rufe in der Öffentlichkeit, die Zentralbank solle die Zinsen senken. Niedrige Zinskosten würden die Investitions- und Ausgabenneigung beleben und die Wirtschaft auf Wachstumskurs bringen, so die herrschende Meinung. Die Geldpolitiker in den Zentralbanken widersetzen sich dem Willen der Massen nicht, und früher oder später lenken sie ein, senken die Zinsen und erhöhen so die Geldmenge. In jüngster Zeit vor allem wohl auch deswegen, weil die Inflation meist nicht mehr als eine solche wahrgenommen wird.
Inflation scheint mittlerweile zu einem akzeptierten und vielfach sogar begrüßten Phänomen geworden zu sein. Die Inflation, für die die Zentralbanken mit dem markanten Ausweiten der Geldmengen gesorgt haben, zeigt sich derzeit vor allem in den Preisen der Vermögensgüter wie zum Beispiel Aktien, Häuser und Grundstücke, bislang jedoch weniger in der Inflation der Konsumentenpreise. Das Wohl und Wehe der Volkswirtschaften hängt damit am Fortführen und Beschleunigen des Inflationstrends in den Vermögensmärken. Schon das kleinste Anzeichen, dass der Preissteigerungspfad sich verlangsamen oder gar umkehren könne, provoziert hohen politischen Druck auf die Zentralbank, die Geldmengen noch weiter auszudehnen.
Dies mag auch erklären, warum die aktuelle Krise in den Kreditmärkten und die damit einhergehende Sorge vor einer Beschädigung der Bankbilanzen so ausprägt ist: Geld wird durch Kreditgewährung der Banken geschöpft. Schwindet die Fähigkeit und Willigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, weil etwa ihr Eigenkapital durch Verluste aufgezehrt wird, würde dies unweigerlich zu einem Abschwächen des Geldmengenwachstums und damit auch der Inflation führen.
Doch nicht etwa Deflation, sondern Inflation ist die Gefahr, die unter einem Papiergeldregime dem wirtschaftlichen und politischen Wohlergehen droht. Währungsgeschichtlich erwies sich die gefürchtete „schlechte“ Deflation meist als Folgeerscheinung einer vorangegangenen Inflation. Würde die Sorge vor Deflation um sich greifen – etwa als Folge eine Kreditkrise –, wäre absehbar, dass die Notenbank schnell die Notenpresse anschmeißt, die Geldmenge erhöht und so inflationiert.
Wenn die Inflation nun schon lange angedauert hat, und der Aufbau der wirtschaftlichen Strukturen – Arbeitsplätze, Investitionen und Staatsausgaben – von ihr maßgeblich beeinflusst wurde, wird das Beenden der Inflation teuer in Form von Produktions- und Beschäftigungsverlusten. Und daher ist es verständlich, dass alle Betroffenen alles versuchen werden, den Kosten zu entkommen – durch niedrigere Zinsen und noch mehr Geld.
Doch solche Versuche können die Anpassungskrise nur hinauszögern, und dies zum Preis steigender Kosten der Bereinigung. Ein Hauptschaden, den die Inflation anrichtet, ist nämlich die Verzerrung der gesamten Wirtschaftsstruktur. Inflation lässt immer mehr Arbeitsplätze entstehen, die von der Fortdauer oder gar Beschleunigung der Inflation abhängen. Sie kann jedoch nicht endlos fortdauern, weil eine steigende Inflation früher oder später das Wirtschaftsleben in völlige Unordnung bringt.
Vor dem Hintergrund von Hayeks Befürchtungen sähe es schlecht aus für den Geldwert, wenn nicht Inflation, sondern die Konjunktur als die größere Gefahr gesehen wird, der die Geldpolitik entgegen treten müsse; wenn der breiten Öffentlichkeit das Verständnis, was Inflation tatsächlich ist, abhanden gekommen ist; und wenn die Zentralbanken die Kredit- und Geldmengen nicht mehr im Zaume halten. Dann könnte sich Hayeks Sorge ein weiteres Mal bewahren: Die Inflation ließe sich vermeiden, sie wird aber nicht vermieden.
- Kurz kommentiert
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Hallo Thorsten,
eine Bildungsfrage zur von dir angesprochenen Geldausdehnung durch die Nationalbank: Würdest du sagen, dass diese in der heutigen Situation primär über die Senkung von Leitzinsen erfolgt (die den Geschäftsbanken ermöglicht, mehr Geschäftskredite zu geben und damit neues Kreditgeld zu schaffen) oder über die Diskontierung von (nicht so tollen) Wechseln der Geschäftsbanken? Oder, drittens, über das Drucken von Bargeld? Ist das vielbeschworene „Anwerfen der Notenpresse“ nicht eher nur eine Metapher? Gerade wenn man sich das Verhältnis von M1 zu M3 ansieht, merkt man doch, dass über die Bargeld-Vermehrung nicht viel auszurichten ist.
danke für den gute Artikel und ggf. für eine Auskunft.