Die Diskussion um die Diskriminierung von Frauen ist wahrlich nicht neu und die Grenzerträge zusätzlicher Beiträge haben in manchen Bereichen die Nulllinie bereits erreicht bzw. sogar unterschritten[1]. Beispielsweise hat sich im Bereich der Lohndiskriminierung bzw. der „Gender Pay Gap“ seit Entwicklung der nach ihren geistigen Vätern benannten „Oaxaca-Blinder-Zerlegung“ vor mittlerweile über 40 Jahren kein grundsätzlicher Fortschritt mehr ergeben, sondern nur noch ökonometrisches Feintuning für die zwischenzeitlich immer üppigeren Datensätze.
Ob die öffentlichen Kommentatoren – vorwiegend aus der Politik – sich der methodischen Grundlagen entsprechender Studien regelmäßig bewusst sind, darf bezweifelt werden. Insoweit erscheint es zunächst eher beruhigend, dass bei einem weiteren Dauerbrenner der Diskriminierungsdiskussion methodische Grundkenntnisse in Sachen empirischer Sozialforschung nicht sehr stark ausgeprägt sein müssen: Die Frage, ob es feste Quoten für Frauen in Führungspositionen geben sollte, muss seit je her ohne Bezug auf einen verlässlichen messtheoretischen Eichstrich geführt werden, weil ein solcher nicht auf dem Markt ist.
Trotzdem oder vielleicht deshalb werden immer wieder unterschiedliche (!) allgemeine Quoten in exakter Höhe gefordert, deren Begründung zumeist in der Behauptung eines Marktversagens besteht. Dass solche Quoten verfassungs- und europarechtlich zumindest umstritten sind, ficht ihre Befürworter nicht an – auch Organe der Legislative sehen über derart grundsätzliche Probleme gerne hinweg, wie der Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt.
Neuen Schwung bekam die Quotendebatte nämlich im vergangenen Herbst, als eine schon länger laufende Initiative auf EU-Ebene in Brüssel wichtige legislative Etappen durchlaufen hatte und im deutschen Koalitionsvertrag erstmals die Umsetzung einer konkreten Quote festgeschrieben wurde. Zwar beziehen sich beide Ansätze nur auf die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen und haben unterschiedliche Ausprägungen in den administrativen Details bis hin zur Höhe der Quote selbst, doch scheint diese Koinzidenz darauf hinzudeuten, dass auf EU- und Bundesebene nunmehr Fakten geschaffen werden sollen, nachdem man von politischer Seite mit der Umsetzung von nicht sanktionierbaren „freiwilligen“ Verpflichtungen alles Andere als zufrieden war. Man mag all dies emotional verstehen – die Umsetzungslogik überzeugt nicht.
Das Grundübel dieser Logik besteht darin, sich auf Bestands- anstatt auf Einstellungsquoten zu beziehen. Es wäre schlicht Unsinn und wie erwähnt rechtlich kaum darstellbar, gut arbeitende männliche Stelleninhaber zu entlassen, um eine Bestandsquote zu erfüllen. Was gerade unter Diskriminierungsaspekten ansteht, ist für die Chancengleichheit aller gleichqualifizierten Bewerber/innen bei Neueinstellungen zu sorgen. Bei einem Bewerber/innen-Pool, der eine ähnliche Geschlechterverteilung wie die deutsche Bevölkerung aufweist, sollten entsprechend im Durchschnitt ungefähr so viele Frauen wie Männer in die jeweilige Hierarchiestufe neu aufgenommen werden.
Eine Bestandsquote kann unter durchaus praxisrelevanten Verhältnissen indessen sogar dazu führen, dass eine „Umkehrdiskriminierung“ hinsichtlich der Einstellungsquote zustande kommt. Je höher die vorgegebene Bestandsquote und je kürzer die Übergangszeit bis zu ihrem Erreichen, je niedriger die bisherige Bestandsquote und je geringer die Ausscheidensfrequenz bestehender Funktionsträger, desto größer ist der Druck, die Kandidatinnen für freie Stellen den Kandidaten vorzuziehen bis hin zu einem faktischen Einstellungsstopp für Männer. Können die derart diskriminierten Männer aber etwas dafür, dass – vielleicht – früher andere (!) Frauen zugunsten von männlichen Bewerbern nicht in Führungspositionen berufen wurden? Haben die nunmehr (!) begünstigten Frauen einen daraus abzuleitenden Bevorzugungsanspruch abzuleiten? Will man keine intergenerationale Geschlechterhaftung installieren, lauten die Antworten natürlich jeweils „nein“.
All dies wird die politischen Entscheidungsträger vermutlich nicht beeindrucken, obwohl es auch relativ leicht in einem einfachen Modell nachzurechnen ist. Worauf sollte man also realistisch hinzuwirken versuchen? Betrachtet man die von der Politik adressierten Parameter gesetzlicher Quotenvorgaben, erscheint die Übergangszeit als die geschmeidigere Größe, da sie weniger als die Quotenhöhe selbst im Zentrum öffentlicher Debatten steht. Außerdem ist ihre quantitative Wirkung zumeist nicht geringer, wie unter anderem ein Vergleich der beiden erwähnten Initiativen zeigt, denn bei realistischen Werten für bisherige Bestandsquoten und ausscheidende Funktionsträger führt die Regelung im Koalitionsvertrag zu einer stärkeren Umkehrdiskriminierung als der EU-Plan, obwohl die vorgegebenen Quoten mit 30% gegenüber 40% auf den ersten Blick das Gegenteil vermuten lassen. Also bleibt letztlich nur zu hoffen, dass man bei Umsetzung scheinbar nicht aufzuhaltender Gesetzesinitiativen auch über die Aufsichtsratsbesetzung hinaus auf der Zeitachse einen Puffer einbaut, der allzu große Umkehrdiskriminierungen verhindert bzw. Besetzungen mit geeigneten Bewerbern teilweise erst möglich macht.
Dass damit das Ende der Quotendiskussion erreicht wäre, ist indessen nicht anzunehmen. Eine Diskriminierung wird von vielen auch dann noch propagiert werden, wenn die letzten tatsächlich renitenten Arbeitgeber allein schon durch den demographischen Druck zur Aufgabe einer frauenfeindlichen Besetzung von Führungspositionen gezwungen worden sind, und ein von theoretischen Ansprüchen derart unbelastetes Instrument wie die Quote wird sich dann unverändert als Mittel der Wahl für medienwirksame Debatten anbieten.
[1] Dieser Beitrag beruht in Teilen auf zwei aktuellen Veröffentlichungen des Verfassers mit Daniel Lochner in DER AUFSICHTSRAT 1/2014, S. 6-7, und DER BETRIEB 10/2014, S. 495-499. Im letztgenannten Artikel finden sich auch umfangreiche Nachweise zu Schrifttum und Rechtsprechung sowie die Darstellung des hier erwähnten einfachen Modells zur Umkehrdiskriminierung.
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