Niedrigzinspolitik schrumpft traditionelles Bankgeschäft

Die Europäische Zentralbank denkt über weitere Zinssenkungen nach, von derzeit 0,25% beim Hauptrefinanzierungssatz auf nahe Null. Sie setzt entschlossen ihre Politik des billigen Geldes fort. Zinserhöhungen und ein Ausstieg aus der ungewöhnlichen geldpolitischen Lockerung sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Inzwischen dürfte unbestritten sein, dass die sehr expansive Geldpolitik vornehmlich der Stabilisierung der Finanzmärkte dient. Doch als Nebeneffekt untergräbt die Nullzinspolitik das traditionelle Geschäftsmodell der Banken und zwingt diese an den Tropf des Staates.

So auf dem Geldmarkt, wo unter normalen Bedingungen Geschäftsbanken untereinander Liquidität handeln, um kurzfristige Schwankungen in der Finanzierung ihrer Kreditvergabeverpflichtungen auszugleichen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 ist der Geldmarkt ausgetrocknet, da die Banken sich misstrauen. Die Niedrigzinspolitik sorgt dafür, dass dies so bleibt. Denn bei einem Zins nahe Null gibt es keinen Anreiz für Geschäftsbanken mit Überschussliquidität diese auf dem Geldmarkt anzubieten. Stattdessen wird die auf Rekordwerte gestiegene Überschussliquidität in der unverzinsten Einlagenfazilität der Europäischen Zentralbank geparkt. Banken mit Liquiditätsbedarf dürfen sich auf eine unbeschränkte Liquiditätszufuhr durch die Europäische Zentralbank verlassen. Der Geldmarkt ist damit quasi verstaatlicht!

Auf dem Kreditmarkt kämpfen die Banken mit einem schleichenden Bedeutungsverlust. Die Kreditnachfrage der Unternehmen sinkt, weil diese durch die Nullzinspolitik direkt und indirekt subventioniert werden. Zum einen sinken die Zinslasten auf das ausstehende Fremdkapital, was die Gewinne nach oben treibt und das Eigenkapital relativ zum Fremdkapital wachsen lässt. Zum anderen sinkt durch das Niedrigzinsumfeld die Renditeerwartung von Eigenkapitalgebern, so dass Eigenkapital billiger verfügbar ist.

Das Fremdkapital müssen die Unternehmen sich nicht mehr zwingend bei den Banken besorgen. Durch die Niedrigzinspolitik werden derzeit die Aktienkurse von Großunternehmen nach oben getrieben. Der höhere Unternehmenswert erleichtert die direkte Finanzierung auf dem Kapitalmarkt durch die Emission von Unternehmensanleihen. Viele Großunternehmen können sich damit mittlerweile günstiger refinanzieren als Banken. Die Klein- und Mittelunternehmen werden hingegen oft aufgrund des höheren Risikos von den labilen Banken geschmäht. So ist die Ausgabe von Unternehmensanleihen mit Non-Investment-Grade jüngst auf Rekordwerte gestiegen. Die Anleger tendieren zu den risikoreicheren Papieren, weil die Verzinsung der sicheren Bankeinlagen lächerlich ist.

Damit wächst auch auf der Einlagenseite die Konkurrenz. Bei einem Einlagenzins nahe Null suchen die Sparer nach renditeträchtigeren Anlageformen wie Aktien, Unternehmensanleihen oder Anlagen in aufstrebenden Volkswirtschaften. Zudem bieten Großunternehmen mit Banklizenz (z.B. Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz) über ihre Bankentöchter Privatkunden vergleichsweise hochverzinste Festgeld- und Tagesgeldkonten an. Die gesammelten Einlagen werden in Form von günstigen Leasingangeboten oder Krediten an die Kunden weitergegeben, die aufgrund der niedrigen Verzinsung ihrer Ersparnisse kauffreudig geworden sind.

Den letzten Rest trägt die Regulierung bei. Da unvorsichtige Kreditvergabe der Banken ein wesentlicher Grund für die Krise war, werden die Aufsicht verstärkt und die Anforderungen hinsichtlich der Eigenkapitalvorschriften erhöht (Basel III). Dies stärkt die Schattenbanken (z.B. Hedge Fonds, Geldmarktfonds, Private-Equity Fonds), die aufgrund des geringeren Regulierungsgrades sowohl Kreditnehmern als auch Einlegern attraktivere Konditionen bieten können. Versicherungen haben langfristige Unternehmenskredite und Hypotheken als lukrative Anlageform erkannt. Das geplante Regelwerk „Solvency II“ wird Hypothekenkredite für Versicherer noch attraktiver machen, da diese zukünftig mit weniger Eigenkapital unterlegt werden müssen als Immobilienkäufe.

Es steht damit nicht gut für den Bankensektor. Wachsende Konkurrenz beim Kredit- und Einlagengeschäft lässt die Marge zwischen Kredit- und Einlagezinsen schrumpfen, die die traditionelle Einnahmequelle der Banken ist. In Japan, wo die Niedrigzinspolitik schon seit fast 20 Jahren fortdauert (Schnabl 2012), ist in die Marge zwischen Einlagen- und Kreditzinsen von 3,5% auf 0,5% abgesunken (siehe Abbildung). Das traditionelle Bankengeschäft, d.h. die Kreditvergabe einschließlich der Einschätzung der Kreditrisiken von privaten Investitionsprojekten, ist auf dem Rückzug.

Die Banken werden stattdessen in die Finanzierung der immer weiter wachsenden öffentlichen Verschuldung gedrängt. Es wird zu einem Zins von nahe Null Geld bei der Zentralbank aufgenommen, das für den Kauf von mehr oder weniger gut verzinsten Staatsanleihen verwendet wird. Der Trend hin zu diesen „Carry Trades“ wird durch das Basel III-Regelwerk verstärkt, das trotz drohenden Staatsschuldenkrisen weiterhin keine Aufschläge für das Halten von Staatsanleihen verlangt. Die Bestände der Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken steigen damit, wie es in Japan sehr deutlich ist. Auch das qualitative Kreditgeschäft der Banken wird unterminiert, weil ein Einschätzen der Risiken der Staatsverschuldung per Definition nicht nötig ist.

Bankensektor
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Dies führt zu den Rückwirkungen der strukturellen Veränderungen im Bankensektor auf die Geldpolitik. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist ein Anreiz zu höherer Staatsverschuldung, weil sie die Finanzierungskosten steigender öffentlicher Schuldenstände niedrig hält. Da sich die Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken auftürmen, steigt das versteckte Risiko für die Banken. Die Stabilität des Bankensektors kann nur noch dadurch garantiert werden, dass die Zentralbank Staaten mit hoher Verschuldung stabilisiert, indem sie die Zinsen am langen und am kurzen Ende der Zinsstrukturkurve niedrig hält.

Das ist ein Teufelskreis, der in die schleichende Verstaatlichung des Bankensektors führt. Er kann nur gebrochen werden, wenn die Europäische Zentralbank bald den Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik wagt.

Literatur

Schnabl, Gunther 2012: Die japanischen Lehren für die europäische Krise, Global Financial Markets Working Paper 36.

 

Hinweis

Juliane Gerstenberger ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig

 

5 Antworten auf „Niedrigzinspolitik schrumpft traditionelles Bankgeschäft“

  1. Ich stimme durchgängig zu, möchte aber 2 Ergänzungen machen:
    1. Wenn die Passivmarge durch die Regulierung quasi vernichtet ist und die Aktivmarge nicht gleichzeitig besser wird, können normale Geschäftsbanken den Ausweg nur über eine stärkere Fristentransformation suchen. Das ist natürlich nicht risikolos und daher steht die Aufsicht vor dem Problem, wie sie reagieren soll. Entweder ist man bei Konsequenzen aus der Verletzung der Grenze für die relevante Kennzahl, den sog. „Basler Zinsschock“, wie bisher tendenziell großzügig oder man unterbindet die Ausweichreaktion der Banken. Im beiden Fällen steigt das Risiko: Im ersten unmittelbar durch Änderungen des Zinsniveaus, im zweiten mittelbar, weil beschriebenermaßen keine Kompensation für die Ergebnisausfälle möglich ist.
    2. Diese Problematik trifft insbesondere die „braven“ Geschäftsbanken, keine Lehman et al., die uns die Finanzkrise beschert haben – es ist ein Aberwitz, dass seriöses Gebaren in der Vergangenheit zur regulativen Existenzbedrohung für die Zukunft werden könnte!

  2. Ein sehr interessanter Artikel!

    Darf ich die Autoren fragen, wie sie dem „Schuldgeldsystem“ an sich eigentlich gegenüberstehen?

    Was ich hier lese, befinde ich persönlich für richtig, doch frage ich mich, ob Lehman & Co die Implikationen des Schuldgeldsystems nicht einfach nur potenziert haben.

  3. René,

    Vielen Dank für die Frage.

    Wir stehen dem „Schuldgeldsystem“ nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Die Gewinne der Zentralbank werden an das Finanzministerium und damit an den Steuerzahler überwiesen. Die Zentralbank kann durch Leitzinserhöhungen der Kreditschöpfung der Banken Grenzen setzen. Allerdings unterliegt die Geldschöpfung der Zentralbanken seit einiger Zeit keiner wirksamen Beschränkung, weil die Geldpolitik einseitig auf die Stabilität der Konsumentenpreise ausgerichtet ist. Da die Wirkung der Geldpolitik aber zunehmend auf den Finanzmärkten sichtbar wurde, konnten die Geldbasis der Zentralbanken und damit die Kreditschöpfungsmöglichkeiten der privaten Finanzinstitute sehr stark wachsen, ohne dass die Konsumentenpreise stark angestiegen sind. Die ausgeweiteten Kreditschöpfungsmöglichkeiten der Finanzinstitute haben aber in großen Ausmaß Spekulation auf den Finanzmärkten begünstigt. Beim Platzen der entstandenen Spekulationsblasen wurden die Zentralbanken gezwungen dem Finanzsektor noch mehr billige Liquidität zur Verfügung zu stellen und damit deren Verluste zu sozialisieren. Wir halten eine solche Politik für nicht nachhaltig. Sie führt zu Umverteilungseffekten, oft zugunsten der Superreichen, und lähmt langfristig das Wachstum. Ein „Schuldgeldsystem“ kann deshalb aus unserer Sicht nur funktionieren, wenn die Zentralbanken die Auswirkung ihrer Politiken auf den Finanzmärkten in ihre Entscheidungen mit einbeziehen und die geldpolitischen Zügel straff halten.

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