Pro&Contra
Bedingungsloses Grundeinkommen und soziale Marktwirtschaft

Am bedingungslosen Grundeinkommen scheiden sich die Geister – und zwar scheinbar unabhängig von der politischen Richtung oder der Rolle in der Arbeitswelt. Selbst erfolgreiche Unternehmen sprechen sich dafür aus; bei einer Volksabstimmung in der Schweiz gab es dagegen zuletzt einen Dämpfer für eine Transferleistung, die an keinerlei Bedingungen geknüpft ist, in diesem Fall allerdings relativ hoch angedacht war. Derzeit läuft ein auf zwei Jahre angelegter Modellversuch in Finnland mit einer lediglich die Existenz sichernden Transferleistung. Die Ökonomen Prof. Dr. Michael Hüther und Prof. Dr. Thomas Straubhaar sind unterschiedlicher Meinung, ob das bedingungslose Grundeinkommen mit der sozialen Marktwirtschaft vereinbar ist.

Pro: Prof. Dr. Thomas Straubhaar

claschabb1Prof. Dr. Thomas Straubhaar, gebürtiger Schweizer, ist Inhaber des Lehrstuhls für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Im Februar ist sein Buch „Radikal gerecht. Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert“ bei der edition Körber-Stiftung erschienen.

Hauptargumente: Jobverluste durch Digitalisierung und Abbau von Bürokratie im Sozialstaat.

Problem: Die Digitalisierung führt dazu, dass Automaten und Roboter den Menschen zunehmend aus der Produktion verdrängen. Dadurch werden nicht nur standardisierte einfache Tätigkeiten verschwinden, auch anspruchsvolle Aufgabenbereiche sind betroffen. Hinzu kommen eine zunehmende Alterung und Individualisierung der Bevölkerung.

Folge: Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre die soziale Marktwirtschaft mit ihrem bereits implodierenden Sozialsystem mit einem Schlag revitalisiert. Das Grundeinkommen ist wie gemacht für die Herausforderungen der Zukunft, für das digitale Zeitalter, wo Wechsel, Brüche, Auszeiten im Erwerbsleben dazu gehören und eine völlig neue Arbeitswelt Wirklichkeit sein wird.

Empirie: Umfragen zeigen immer wieder, dass die wenigsten in der Hängematte liegen und nichts mehr tun wollen. Daran würde sich nach Einführung eines Grundeinkommens nichts ändern. Die allermeisten Menschen arbeiten nicht nur wegen des Geldes, sondern auch wegen der festen Alltagsstrukturen, der Kontakte, der Anerkennung und weil sie etwas Sinnvolles tun.

Begleitvorschlag: Parallel sollte der Staat alle Einkommen – also Löhne, Zinsen, ausgeschüttete Gewinne, Dividenden, Tantiemen, Mieteinnahmen, Transaktions- und Spekulationsgewinne – gleichermaßen und mit dem gleichen Steuersatz an der Quelle in Form einer Wertschöpfungssteuer besteuern und nicht die eine gegenüber der anderen Einkommensform bevorzugen oder benachteiligen.

Contra: Prof. Dr. Michael Hüther

claschabb1Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Er ist Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. In der Öffentlichkeit spricht er sich regelmäßig gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus – so auch im Vorfeld der Schweizer Volksabstimmung, bei der letztlich mehr als 75 Prozent gegen die Einführung stimmten.

Hauptargumente: Finanzierbarkeit der Transferleistungen und Fairness gegenüber den Transferzahlern.

Problem: Um leistungsloses Einkommen auszahlen zu können, muss Leistungseinkommen von Arbeitnehmern, Selbstständigen und Unternehmen besteuert werden. Gleichzeitig sind die Empfänger eines bedingungslosen Grundeinkommens in gewisser Weise nicht mehr für sich selbst verantwortlich, sondern in besonderem Maße von dieser Zahlung abhängig.

Folge: Die Arbeitsanreize sowohl der arbeitenden Bevölkerung als auch der Transferbezieher nehmen tendenziell ab. Gleichzeitig steigt die ohnehin schon hohe Staatsverschuldung und Steuerbelastung weiter an. Insofern kann die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sogar den Wohlstand einer Volkswirtschaft und deren künftigen Generationen gefährden.

Empirie: Modelle, wie sie derzeit in Finnland durchgeführt werden, mögen in kleinem Rahmen funktionieren. Doch sie haben einen Haken: Sie stellen keine authentische Institution dar, die Teilnehmern glaubwürdig einen lebenslangen gesellschaftlichen Überbau in Form von monatlichen Auszahlungen auf ihrem Konto bietet. Entsprechend sind die vermeintlichen Erkenntnisse sehr beschränkt.

Alternativvorschlag: Das bedingungslose Grundeinkommen ist nichts anderes als eine kulturelle Fiktion und würde bewährte Institutionen auf den Kopf stellen. Stattdessen ließe sich die Anreizverträglichkeit von Transferleistungen in staatlichen Stellen viel wirkungsvoller durch eine negative Einkommensteuer realisieren; ein solches System wäre aber mitnichten bedingungslos.

Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Redenschreiber J. Rieger. Der Beitrag erschien in Heft 5 (2017) der Fachzeitschrift WiSt.

Blog-Beitrag zum Thema:

Norbert Berthold: Des Läba isch koin Schlotzer. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist grober Unfug

3 Antworten auf „Pro&Contra
Bedingungsloses Grundeinkommen und soziale Marktwirtschaft“

  1. Nicht nur die Digitalisierung, sondern vor allem auch die Globalisierung bringt die Mittelschicht zunehmend unter Druck. Milanovic hat uns das mit seiner Elefantenkurve ins Bewusstsein gebracht. Wenn die Einkommensverlierer sich aus Angst gegen den Fortschritt stellen, wird es schwer, die Gewinne der Globalisierung weiterhin nutzen zu können. Das zeigt sich schon heute. Die ökonomischen Tatsachen (Rust belt, Elefantenkurve) übersetzen sich in den Industrieländern zunehmend in politische Realitäten (Wahl von Donald Trump, Brexit, Erfolge der AfD etc.). Ein Grundeinkommen mag ein ordnungspolitisch höchst fragwürdiges Projekt sein. Aber: Die Politik wird innovative sozialpolitische Maßnahmen vorlegen müssen, um auch die zu überzeugen zu können, für die die Risiken durch Globalisierung und Digitalisierung größer sind als die Vorteile. Wenn sie das nicht tut, könnte es bald unmöglich werden, die europäische Integration voranzutreiben, Handelsverträge auszuhandeln, bei der WTO weiter zu kommen etc. Ein Grundeinkommen könnte aus meiner persönlichen Sicht ein solcher großer Wurf sein. Ordnungspolitisch betrachtet ohne Zweifel ein hoher Preis, eine zu schluckende Kröte, aber vielleicht ein Hilfsmittel, um die Menschen in zunehmend unsicheres, aber fruchtbares weltwirtschaftliches Terrain mitnehmen zu können. Freilich sollte es nicht deutlich „bedingungsloser“ sein als die schon heute üblichen Sozialsätze. Auf Arbeitsanreize darf nicht gänzlich verzichtet werden. Die Finanzierbarkeit muss gewährleistet sein. Und ja, eine negative Einkommensteuer könnte ein Baustein einer solche Maßnahme sein.

  2. @ Christoph Sprich
    „Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein“ (Hans D. Barbier, 1992)

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