Zur Diskussion um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (2)

Im ersten Beitrag zu den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen wurden insbesondere die grundsätzlichen Zusammenhänge in der Zahlungsbilanz, Einkommensdifferenzen zwischen Deutschland und dem Rest der Welt sowie Veränderungen des realen effektiven Wechselkurses als Bestimmungsgründe der Leistungs- bzw. Handelsbilanzentwicklung erläutert (hier). Neben weiteren Ursachen sollen im Folgenden die im ersten Beitrag bereits aufgeworfenen Fragen diskutiert werden:

  • Welche Wirkungen haben die Leistungsbilanzüberschüsse auf Deutschland selbst und andere (Defizit-)Länder?
  • Bedarf es einer Korrektur der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse?
  • Auf welche Art kann eine gegebenenfalls als notwendig erachtete Korrektur erfolgen?

  1. (Weitere) Bestimmungsgründe der Handelsbilanz

Über die bereits im ersten Beitrag erläuterten Faktoren der Leistungs- bzw. Handelsbilanzentwicklung hinaus, basiert ein zweiter Erklärungsansatz auf den – aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgeleiteten – saldenmechanischen Zusammenhängen. Danach spiegelt das Handelsbilanzungleichgewicht einer Volkswirtschaft (Ex – Im) die Differenz zwischen privaten Ersparnissen (SP) und Investitionen (I) sowie den staatlichen Einnahmen (T) und Ausgaben (G) wider:

Ex – Im  = (S – I)  +  (T  –  G)  (1)

Ergibt sich ein Überschuss in der Handelsbilanz (Ex > Im), so wird als Erklärung häufig ein zu hohes Spar- oder ein zu niedriges Investitionsvolumen im privaten oder öffentlichen Sektor dafür verantwortlich gemacht. Gleichung (1) stellt jedoch nur eine (ex post) Identität dar, die stets gilt und aus der keine kausalen Beziehungen abgeleitet werden können – zumindest nicht ohne zusätzliche Verhaltensannahmen für die in ihr enthaltenen Variablen. Daher sind es letztlich auch in diesem Fall wieder die von den (zusätzlichen) – privaten oder staatlichen – Investitionen ausgehenden Wirkungen auf das heimische Einkommen (YD), die dann für einen Anstieg der Importe verantwortlich sind und damit die Handelsbilanz beeinflussen.

Kritische Analysen der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse betrachten vor dem Hintergrund von Gleichung (1) typischerweise die Entwicklung der Variablen auf der rechten Seite der Gleichung sowie die daraus resultierenden Finanzierungssalden des privaten und des öffentlichen Sektors. Da der Staat auf die privaten Komponenten aber nur einen indirekten Einfluss auszuüben vermag, stehen in aller Regel die öffentlichen Investitionen im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Empfehlungen, weil diese der unmittelbaren Kontrolle des Staates unterliegen. Auf eine ausführliche Diskussion der vergangenen und für die Zukunft erwarteten Entwicklung dieser Einflussfaktoren soll allerdings an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet werden.[1]

In einem dritten Argumentationsstrang führt man die Ursachen der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse – vor dem Hintergrund der linken Seite von Gleichung (1) – auf eine systematische Importschwäche Deutschlands zurück. Betrachtet man aber die Importquoten einiger europäischer und außereuropäischer Länder dann zeigt sich, dass Deutschland mit gegenwärtig etwa 42 Prozent sogar die höchste Quote der hier betrachteten Länder aufweist und damit wohl kaum im Verdacht stehen dürfte, bezogen auf das Einkommen zu wenig zu importieren.  Eine (noch) höhere Importquote könnte man – unter sonst gleichen Bedingungen – dann ableiten, wenn sich der Ölpreis in den letzten Jahren nicht mehr als halbiert hätte. Auf diese Entwicklung vermag Deutschland jedoch keinen Einfluss auszuüben, kann also im Umkehrschluss auch nicht für den daraus resultierenden Anstieg des Überschusses verantwortlich gemacht werden. Dieses letzte Argument stellt allerdings bestenfalls einen temporären Erklärungsansatz dar.

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Neben der hohen Importquote kommt hinzu, dass der Anteil importierter Vorprodukte, die in die deutschen Exporte eingehen, in den Jahren von 1995 bis 2011 von 15 auf 25 Prozent gestiegen ist.[2] Dies hat auf der einen Seite dazu geführt, dass auch die entsprechenden Lieferländer zunehmend von den deutschen Exporten profitieren, und erklärt auf der anderen Seite möglicherweise das im Gegensatz zu den theoretischen Überlegungen „unerwartet“ negative Vorzeichen der deutschen Importelastizität in Bezug auf den REER (siehe hierzu den ersten Beitrag zu diesem Thema).

  1. Wirkungen deutscher Leistungsbilanzüberschüsse

Die allgemeinen Wirkungen von Handelsbilanzungleichgewichten sollen zunächst mit Hilfe von Gleichung (2) erläutert werden. Sie stellt ebenfalls eine Identitätsgleichung dar und basiert auf der volkswirtschaftlichen Verwendungsrechnung. Das Volkseinkommen (Y) ergibt sich demnach aus den inländischen Nachfragekomponenten privater Konsum (C), private Investitionen (I), staatliche Nachfrage (G) sowie durch die Nettoauslandsnachfrage (Ex – Im). Zugleich kann Beziehung (2) als ex post Gleichheit von angebotenen (Y + Im) und nachgefragten Gütern (C + I + G + Ex) in einer Volkswirtschaft interpretiert werden.

Y  = C  + I  + G  + (Ex – Im)  (2)

Betrachtet man zunächst die Wirkungen deutscher Handelsbilanzüberschüsse auf das Ausland, dann suggeriert Gleichung (2), dass durch ein dort auftretendes Handelsbilanzdefizit (Im > Ex) die Produktion bzw. das potenzielle Einkommen kleiner ist als im Falle einer ausgeglichenen Handelsbilanz (Ex = Im). Diese Schlussfolgerung ist aber so nicht zulässig, da die Importe in Gleichung (2) lediglich einen Korrekturfaktor darstellen für die in den Nachfragekomponenten bereits enthaltenen importierten Bestandteile. Durch sinkende Importe (bis hin zu einem Ausgleich der Handelsbilanz) würde sich also zunächst das Einkommen überhaupt nicht verändern, da auch die Nachfragekomponenten entsprechend niedrigere Werte aufweisen würden. Zu einer Erhöhung des Einkommens könnte es hingegen dann kommen, wenn mit der Reduktion der Importe eine Nachfrageverlagerung zugunsten des Inlands einhergeht. Berücksichtigt man jedoch die vergleichsweise niedrige Elastizität der deutschen Exporte bezüglich des realen effektiven Wechselkurses (REER), dann ist mit einer solchen Reaktion im Ausland nur in sehr begrenztem Maße zu rechnen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich eine Reduktion der Importe bzw. eine Erhöhung der Exporte bei begrenzten inländischen Ressourcen durchaus negativ auf die sonstigen Variablen in Gleichung (2) auswirken kann. Beziehung (2) macht aber auch deutlich, dass ein Handelsbilanzdefizit den inländischen Nachfragern die Möglichkeit eröffnet, bei gegebener Inlandsproduktion sowie unveränderten Exporten mehr zu konsumieren als dies bei einer ausgeglichenen Handelsbilanz der Fall wäre. Im umgekehrten Fall eines Handelsbilanzüberschusses (Ex > Im) ist das inländische Einkommen vermeintlich höher als im Falle einer ausgeglichenen Handelsbilanz. In diesem Fall nehmen die inländischen Wirtschaftssubjekte nicht die gesamte inländische Produktion in Anspruch, sondern stellen einen Teil dem Ausland zur Verfügung und verzichten daher (bewusst) auf eigene Konsummöglichkeiten.

Die im Ausland entstehenden Defizite können allerdings nur dann über einen längeren Zeitraum Bestand haben, wenn entsprechende Finanzierungsmittel zur Verfügung stehen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund erneut das Beispiel der Europäischen Währungsunion, dann wurden die bis etwa 2009 zunehmenden Handelsbilanzdefizite in den späteren Krisenländern durch private Kapitalzuflüsse – u.a. bedingt durch hohe Wachstumsraten in diesen Ländern – finanziert. Als diese private Finanzierung jedoch im Zuge der Finanzkrise weitgehend zusammenbrach, wurden die verbliebenen (aber sinkenden) Defizite in der Handelsbilanz auch weiterhin finanziert – nun allerdings über das öffentliche Zahlungssystem TARGET 2, was in Deutschland zu viel diskutierten[3] TARGET-Forderungen und in den Defizitländern zu entsprechenden -Verbindlichkeiten geführt hat. Da das Eingehen solcher Verbindlichkeiten keiner Grenze unterliegt, kann im Umkehrschluss auf diese Weise jedes Handelsbilanzdefizit dauerhaft finanziert werden. Während also in einem „normalen“ Festkurssystem – dessen schärfste Form letztlich eine einheitliche Währung darstellt – die Defizitländer aufgrund eines begrenzten Bestandes an Devisenreserven, die zu Interventionszwecken am Devisenmarkt benötigt würden, zur Rückführung des Handelsbilanzdefizits gezwungen wären, bleibt dieser Druck in der Währungsunion komplett aus. Wenn jedoch jedes Handelsbilanzdefizit problemlos finanziert werden kann, dann darf man sich auch nicht beschweren, dass an anderer Stelle Überschüsse entstehen. Die zu beobachtende Verminderung der Handelsbilanzdefizite in (früheren) Euro-Krisenländern sind im Gegensatz dazu – wie Abbildungen 2 und 3 für Griechenland und Spanien belegen – in erster Linie auf den rezessionsbedingten Rückgang der Importe seit etwa 2009 zurückzuführen.

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Ferner findet man das Argument, dass eine höhere Binnennachfrage nicht nur zu einer Verbesserung der deutschen Konjunktur führen würde, sondern darüber hinaus auch die Krisenländer auf ihrem Weg aus der Rezession unterstützen könnten. Bei diesem Argument, dem die sogenannte Lokomotivtheorie[4] zugrunde liegt, geht es aber gar nicht mehr primär um die Leistungsbilanz und den Abbau von Überschüssen, sondern vielmehr um die (positive) Konjunkturübertragung zwischen zwei oder mehreren Ländern. Die Grundvoraussetzung der zugrundeliegenden Theorie, nämlich ein System fester Wechselkurse bzw. eine einheitliche Währung, ist zumindest im Rahmen der Europäischen Währungsunion und damit gegenüber den Euro-Krisenländern zweifelsfrei erfüllt. Deutlich problematischer ist jedoch das Ausmaß der Konjunkturübertragung selbst zu beurteilen. So ist von einem Anstieg des deutschen BIP sicherlich nur ein geringer „Wachstumsschub“ insbesondere auf die Krisenländer in der Eurozone zu erwarten. Dass man gerade Deutschland in eine solche Rolle als Konjunkturlokomotive zu drängen versucht liegt wiederum daran, dass eine derartige Politik – quasi als Nebeneffekte – auch zu einem Anstieg der Staatsausgaben und der Importe führen würde. Dies ist nämlich für ein Land wie Deutschland, das einen ausgeglichen Staatshaushalt und erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse aufweist deutlich einfacher zu bewältigen als für Länder mit Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten. Bezogen auf das eigentliche Ziel einer positiven Konjunkturübertragung erscheint eine solche Strategie allerdings wenig erfolgversprechend, weil die erhofften Wachstumseffekte im Ausland vernachlässigbar gering sind.

Bezogen auf die Wirkungen von Leistungsbilanzüberschüssen in Deutschland selbst wird hingegen argumentiert, dass deutsche Anleger in verlustbringende Anlagen investieren – was wenig Sinn ergibt und daher von amerikanischer Seite auch als „stupid German money“ bezeichnet wurde. Betrachtet man die Finanzkrise sowie die Staatsschuldenkrise und die dadurch entstandenen Verluste, so scheint dieses Ergebnis zunächst einleuchtend. Empirische Überprüfungen dieser Hypothese setzen gewöhnlich an dem im ersten Beitrag zu diesem Thema bereits erläuterten Zusammenhang zwischen Leistungsbilanz- und Kapitalbilanzungleichgewicht an, den Gleichung (3) nochmals verdeutlichen soll – an dieser Stelle allerdings mit dem Fokus auf der Kapitalbilanz.

LB = KEx – KIm + ?R   (3)

Da einem Leistungsbilanzüberschuss stets ein entsprechendes Kapitalbilanzdefizit gegenüberstehen muss, das wiederum zu einem Anstieg der Nettoauslandsposition (KEx – Kim) führt, müsste – im Sinne einer Überschlagsrechnung – deren Wert unter der Annahme positiver Ertragsraten größer sein, als die kumulierte Summe der Leistungsbilanzüberschüsse. Entsprechende Berechnungen ergeben allerdings in der Regel einen negativen Saldo dieser beiden Summen, der permanente Verluste der Auslandsanlagen impliziert. Die erfolgte Berechnung besitzt allerdings – wie Gleichung (3) zeigt – nur dann Gültigkeit, wenn ein System flexibler Wechselkurse existiert, in dem die Veränderung der Währungsreserven (?R) aufgrund fehlender Interventionsverpflichtungen den Wert null annimmt. Die währungspolitische Vergangenheit Deutschlands war jedoch in vielen Phasen durch feste Wechselkurse gekennzeichnet, die typischerweise zu einem Anstieg der Währungsreserven führten, der wiederum mit einem erzwungenen öffentlichen Nettokapitalexport gleichgesetzt werden kann. Zu dieser Festkursphase gehört auch die gegenwärtige Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion. In diesem System sind insbesondere die TARGET-Forderungen der Deutschen Bundesbank als ein Anstieg von Währungsreserven im Sinne von Gleichung (3) zu interpretieren. Addiert man folglich die (private) Nettoauslandsposition Deutschlands zu der Auslandsposition der Deutschen Bundesbank, so ergibt sich für die Zeit ab 1999 eine gesamte Auslandsposition, die deutlich höher ist als die kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse während dieser Zeitphase, was – im Gegensatz zu den alternativen Berechnungen – auf positive Erträge für die deutschen Auslandsanlagen hindeutet. Für diese Schlussfolgerung sprechen auch empirische Untersuchungen der Deutschen Bundesbank[5], die zu dem Ergebnis kommen, dass die Erträge auf deutsche Auslandsanlagen 2013 bei 2,8 Prozent lagen und damit nicht nur positiv, sondern auch höher als für deutsche Anlagen in ausländischem Besitz, die 2,1 Prozent erbrachten, ausgefallen sind. Die Hypothese vom „stupid German money“ lässt sich folglich nicht halten und bildet daher auch kein Argument gegen deutsche Leistungsbilanzüberschüsse.

  1. Notwendigkeit und Art von Korrekturen

Fasst man die nationalen Nachfragekomponenten in Gleichung (2) zur Absorption (A) zusammen, dann lässt sie sich wie folgt umformulieren:

Ex – Im  = Y  –  A  (4)

Geht man in einem ersten Schritt davon aus, dass die Absorption ausschließlich aus dem privaten Konsum besteht, dann impliziert ein Handelsbilanzüberschuss, dass in der betrachteten Periode das heimische Einkommen größer ist als der Konsum. Die damit verbundenen privaten Sparentscheidungen lassen sich wiederum auf die Zeitpräferenzrate für Gegenwarts- bzw. Zukunftskonsum zurückführen. Vor diesem Hintergrund können Defizite in der Handelsbilanz durch eine Kreditaufnahme am Weltkapitalmarkt finanziert werden, während Überschüsse dazu führen, dass heimische Sparbeträge über den Weltkapitalmarkt anderen Volkswirtschaften zur Verfügung gestellt werden. Ein „zwangsweiser“ Ausgleich der Handelsbilanz würde in diesen Fällen nicht den Präferenzen der privaten Wirtschaftssubjekte entsprechen und daher zu einem Wohlfahrtsverlust führen.

Berücksichtigt man neben dem privaten auch den staatlichen Konsum, so können Defizite in der Handelsbilanz – wie zuvor bereits diskutiert – ferner auf zu hohe bzw. Überschüsse auf zu geringe öffentliche Ausgaben zurückgeführt werden. Es sei an dieser Stelle aber nochmals darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um keine kausale Beziehung handelt. Befindet sich der öffentliche Sektor hingegen im Gleichgewicht (G = T), so wie dies etwa im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts für die Länder der Eurozone (längerfristig) gefordert wird, so gehen hiervon aber weder positive noch negative Effekte auf die anderen Faktoren in Gleichung (1) aus.

Abschließend lassen sich diese Überlegungen auch um Investitionseffekte erweitern. Bei uneingeschränktem internationalen Kapitalverkehr werden die Ersparnisse der Überschussländer automatisch in diejenigen Länder gelenkt und investiert, wo sie die höchste erwartete Rendite erbringen. Auch aus dieser Warte wäre eine „zwangsweise“ ausgeglichene Handelsbilanz suboptimal, weil sie weltwirtschaftlich gesehen zu einer Fehlallokation von Kapital führen würde.

Grundsätzlich lässt sich daher schlussfolgern, dass – bei flexiblen Wechselkursen und einem Gleichgewicht im öffentlichen Sektor – jeder Saldo der Leistungs- und Kapitalbilanz optimal ist, der ohne Beschränkungen des Güter- und Kapitalverkehrs zustande kommt.[6] Da diese Bedingungen im Falle Deutschlands erfüllt sind, besteht weder die Notwendigkeit, die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zu reduzieren, noch lässt sich ein ökonomisch stichhaltiger Grenzwert für entsprechende Ungleichgewichte ableiten.

Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (längerfristig) aufgrund der künftigen demographischen Entwicklung automatisch abgebaut werden und daher auch keiner Korrektur durch die Politik bedürfen. Die Begründung hierfür liegt erneut im Sparverhalten der Wirtschaftssubjekte, das sich im Laufe des Lebenszyklus ändert.  Dabei kommt es in der ersten Phase aus Vorsorge für das Alter zu einer hohen Präferenz für Zukunftskonsum, so dass der Konsum hinter das Einkommen zurückfällt und sich der jetzt zu beobachtende Handelsbilanzüberschuss einstellt.[7] Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft wird im Gegensatz dazu entspart, was dazu führt, dass sich der Handelsbilanzüberschuss in ein –defizit umkehrt. Weitere demographische Einflüsse auf die Leistungsbilanz lassen sich aus einer erhöhten Zuwanderung ableiten: Dämpfende Wirkungen auf die deutschen Überschüsse könnten dabei vom verstärkten Import von aus der Sicht von Migranten heimischen Produkten sowie durch Rücküberweisungen in die Heimat, die sich als laufende Übertragungen an das Ausland niederschlagen, ausgehen. Eine empirische Untersuchung des Sachverständigenrats[8] kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die demographischen Effekte erst ab etwa 2040 dämpfend auf die  Leistungsbilanzüberschüsse wirken könnten.

Doch selbst wenn man – unter Vernachlässigung aller bisher vorgetragenen Argumente – die Notwendigkeit zur Korrektur bejahen würde, bliebe die Frage nach adäquaten Mitteln. Typische Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang vorgeschlagen werden[9], setzen in aller Regel an den (vermeintlichen) Ursachen vor dem Hintergrund von Gleichung (1) in diesem Beitrag sowie Abbildung 2 im ersten Beitrag zu diesem Thema an. Damit geht es insbesondere um private und staatliche Investitionen, das Sparverhalten der privaten Wirtschaftssubjekte sowie um die Entwicklung der (Mindest-)Löhne  zur Beeinflussung sowohl der Preiswettbewerbsfähigkeit als auch des Einkommens.

Da sich aus der Identitätsgleichung (1) allerdings – wie vorher bereits erläutert – keine kausalen Beziehungen ableiten lassen entscheidet letztlich über die Wirkung einer Maßnahme immer nur deren Einfluss auf das heimische Einkommen. Dies zeigt sich besonders deutlich im Fall staatlicher Investitionen, denn solche Maßnahmen haben in der Regel einen deutlich kleineren Importanteil als dies etwa beim privaten Konsum der Fall ist, so dass eine signifikante Wirkung bestenfalls über den allgemeinen Anstieg des Einkommens ausgelöst werden kann. Doch gerade hier zeigt sich, dass die Multiplikatoreffekte staatlicher Investitionen zumindest für Deutschland als verhältnismäßig gering angesehen werden können. Darüber hinaus besteht die grundsätzliche Gefahr, dass eine solche, auf staatlichen (Infrastruktur-)Investitionen basierende Politik, zu nicht gewünschten Budgetdefiziten des Staates führt.

Auf das private Spar- bzw. Konsumverhalten sowie auf die privaten Investitionen kann der Staat hingegen bestenfalls einen indirekten Einfluss ausüben – etwa über die Besteuerung. All diese Entscheidungen hängen aber letztlich wiederum vom verfügbaren Einkommen ab, so dass alle darauf wirkenden Maßnahmen grundsätzlich auch die Leistungsbilanzsituation beeinflussen können. Dies führt aber auch zu einer Interdependenz sowohl zwischen den verschiedenen privaten Einflussfaktoren als auch zwischen den privaten und den staatlichen Einflussfaktoren, die dazu führen kann, dass die angestrebten Wirkungen einzelner Maßnahmen abgeschwächt oder sogar kompensiert werden.

Der Versuch, über eine Erhöhung der (Mindest-)Löhne die internationale Preiswettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu verschlechtern und zugleich die Nachfrage zu erhöhen, erscheint ebenfalls wenig zielführend. Zum einen übersieht ein solcher Vorschlag, dass zumindest die Löhne im Rahmen der deutschen Tarifautonomie nicht vom Staat „verordnet“ werden können, sondern in dezentralen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern – also den Tarifparteien – zustande kommen. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich die Einführung oder Erhöhung von Mindestlöhnen, wobei diese jedoch fast ausschließlich im für den deutschen Außenhandel irrelevanten  niedrigqualifizierten Dienstleistungssektor überhaupt wirksam sind. Zum anderen haben die Ergebnisse im ersten Beitrag gezeigt, dass – vor dem Hintergrund insbesondere der Exportelastizitäten – die internationale Preiswettbewerbsfähigkeit eine deutlich geringere Rolle für die deutsche Handelsbilanzentwicklung spielt als die Differenzen beim Wirtschaftswachstum.

Als eine weitere Maßnahme zur Rückführung des Leistungsbilanzüberschusses hat zum Beispiel die EU-Kommission eine Deregulierung des deutschen Dienstleistungssektors gefordert.[10] Davon erhofft man sich wohl u.a. eine (weitere) Marktöffnung sowie damit verbundene erhöhte Dienstleistungsimporte, die dann zu einer Reduktion des Leistungsbilanzüberschusses beitragen könnten. Mit Blick auf das Gewicht des Saldos der Dienstleistungsbilanz am Saldo der gesamten Leistungsbilanz werden die möglichen Wirkungen aber ebenfalls sehr begrenzt sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es insgesamt – selbst wenn man es wollte – äußerst schwierig, über staatliche Maßnahmen einen signifikanten Rückgang der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse herbeizuführen.

Fasst man die vorstehenden Überlegungen zusammen, so ergeben sich – unter Berücksichtigung beider Beiträge zu diesem Thema – weder stichhaltige Argumente für eine „zwangsweise“ Reduktion der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse noch ökonomisch nachvollziehbare Grenzwerte für deren Korrektur. Doch selbst dann, wenn man eine Korrektur der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse für notwendig erachten würde fällt es schwer, sinnvolle (staatliche) Maßnahmen zu identifizieren, die das angestrebte Ziel zu realisieren vermögen.

[1] Zu der konkreten Entwicklung einzelner Variablen sowie der Finanzierungssalden nach Sektoren siehe etwa IWF: Country report Germany, No. 16/202 http://www.imf.org/external/pubs/cat/longres.aspx?sk=44029.0 und Europäische Kommission: Warnmechanismusbericht 2016. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015DC0691 &from=EN . Da es sich bei Gleichung (1) um eine (ex post) Identitätsgleichung handelt, muss die Summe der Finanzierungssalden (als Anteil am BIP) stets gleich sein dem Leistungsbilanzungleichgewicht (als Anteil am BIP).

[2] OECD-WTO TiVA Database. http://www.oecd-ilibrary.org/trade/data/oecd-wto-statistics-on-trade-in-value-added_data-00648-en

[3] Sinn, H.-W.: Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder, München 2012, sowie http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/policy/Spezialthemen/Policy-Issues-Archive/Target.html

[4] Vgl. hierzu etwa Smeets, Heinz-Dieter: Die Bundesrepublik Deutschland als internationale „Konjunkturlokomotive“. Hamburg 1988.

[5] Deutsche Bundesbank: Diskrepanz zwischen der Veränderung des Auslandsvermögens und des kumulierten Saldos der Kapitalbilanz: Kein geeigneter Indikator für Vermögensverluste. Monatsbericht Mai 2014, S. 52 – 54.

[6] Willms, Manfred: Internationale Währungspolitik. München 1995, S. 15.

[7] Südekum, Jens und Gabriel Felbermayr: Das Yin und das Yang der Leistungsbilanz. FAZ, 3. April 2017, S. 16.

[8] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2014/15: Mehr Vertrauen in Marktprozesse. http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg201415/JG14_ges.pdf   , S. 261 ff.

[9] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2014/15: Mehr Vertrauen in Marktprozesse. http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg201415/JG14_ges.pdf  , S. 216 ff.

[10] European Commission: Germany – Review of Progress on Policy Measures relevant for the Correction of Macroeconomic Imbalances. http://ec.europa.eu/info/sites/info/files/mip_specific_monitoring_epc_report_germany_published.pdf

Blog-Beiträge zum Thema:

Dieter Smeets: Zur Diskussion um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (1)

Gunther Schnabl: Leistungsbilanzungleichgewichte. Was Trump wirklich will, und warum Deutschland leiden wird

Norbert Berthold: Deutschland am Pranger. Salden und Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz

Juergen B. Donges:Deutschland Leistungsbilanzüberschüsse in der Kritik. Worauf zu achten ist

3 Antworten auf „Zur Diskussion um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (2)“

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