Gastbeitrag
Was taugt das Corona-Konjunkturpaket?
Lehren aus der Evaluierung der Konjunkturpolitik während der Finanzkrise

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus hat die wirtschaftliche Aktivität stark beeinträchtigt. Nachdem die erste ökonomische Welle über den chinesischen Außenhandel zu Beginn des Jahres 2020 erste Spuren in der Weltwirtschaft hinterlassen hatte, brachten Eindämmungsmaßnahmen auf der ganzen Welt die Wirtschaft in einigen Bereichen mehr oder weniger zum Stillstand. Gastronomie, Tourismus, Unterhaltungsbranche und große Teile des Einzelhandels fielen allgemeinen Kontakteinschränkungen zum Opfer, Erwerbstätige in nicht direkt eingeschränkten Wirtschaftsbereichen sind aufgrund der Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen beeinträchtigt worden, und das Verarbeitende Gewerbe ist vor allem durch die Probleme in der Fahrzeugproduktion erheblich eingebrochen. Insgesamt ist die deutsche Wirtschaft durch einen kombinierten Angebots-Nachfrageschock in eine tiefe Rezession gestürzt. Das Ausmaß der Rezession lässt sich gegenwärtig noch nicht abschließend quantifizieren, es dürfte in etwa in der Größenordnung der Rezession während der weltweiten Finanzkrise entsprechen. Die gegenwärtige Situation unterscheidet sich aber konjunkturell aufgrund der ausgeprägten angebotsseitigen Komponente von der Finanzkrise, die aus deutscher Perspektive eher eine Nachfrageschwäche war, weil es hierzulande keine systemische Banken- oder Immobilienkrise gab.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hat seinerzeit das damalige Konjunkturpaket im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen evaluiert.[1] Dabei sind eine Reihe von ökonometrischen Modellen zum Einsatz gekommen. Ich werde im Folgenden vor allem darauf eingehen, welche Ergebnisse des finanzpolitischen dynamischen allgemeinen Gleichgewichtsmodells des IWH sich auf das aktuelle Konjunkturpaket übertragen lassen.[2] Das Modell ist geeignet, verschiedene Übertragungswege finanzpolitischer Maßnahmen auf die Konjunktur zu erfassen. Es berücksichtigt u.a.  liquiditätsbeschränkte Haushalte, die keine Möglichkeit haben, auf Ersparnisse zurückzugreifen. Ferner hängt die Produktion von Gütern in dem Modell auch vom öffentlichen Kapitalstock ab. Insgesamt lassen sich mit dem Modell die Effekte von einnahmeseitigen Maßnahmen wie Abgabensenkungen und von ausgabeseitigen Maßnahmen wie direkten Transfers, Staatskonsum und öffentlichen Investitionen simulieren. In Einklang mit der einschlägigen internationalen Literatur haben in dem Modell kreditfinanzierte staatliche Konsumausgaben den größten konjunkturstimulierenden Effekt gefolgt von Lohnsteuer- sowie SV-Beitragssenkungen und Transfers an private Haushalte. Öffentliche Investitionen entfalten ihre Wirkung erst mit erheblicher Verzögerung; selbst wenn die entsprechenden Mittel schnell abgerufen werden, dauert es eine Weile, bis der private Kapitalstock auf den produktivitätssteigernden Effekt der öffentlichen Investitionen reagiert. Insgesamt hat demnach das Konjunkturpaket der Jahre 2009 und 2010 mit einem nominalen Gesamtvolumen von etwa 90 Mrd. Euro das Bruttoinlandsprodukt in beiden Jahren um jeweils etwa ein halbes Prozent angehoben. Der Konjunktureffekt war also gering; schon damals waren die automatischen Stabilisatoren wie das Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld sowie die Bürgschafts- und Garantieprogramme wichtiger für die Konjunkturstabilisierung als die diskretionäre Finanzpolitik. Von den diskretionären finanzpolitischen Maßnahmen war die Umweltprämie kurzfristig mit am wirksamsten, insbesondere, weil für den Kauf eines Autos zusätzlich eigene Ersparnisse mobilisiert werden müssen. Eine Autokaufprämie ist allerdings mit unerwünschten Nebeneffekten verbunden: sie benachteiligt Anbieter anderer langlebiger Konsumgüter, sie hat ungünstige Verteilungseffekte, und sie geht mit großen Mitnahmeeffekten einher. Dass die Autokäufe im Folgejahr einbrechen, ist nicht als Nachteil zu sehen, weil es bei Konjunkturpolitik gerade um die Vorzieheffekte geht. Insgesamt ist eine solche Maßnahme trotz ihrer konjunkturellen Wirkung nicht zur Wiederholung zu empfehlen.

Wie schneidet das aktuelle Konjunkturpaket im Lichte der Evaluierungsergebnisse ab? Betrachten wir zunächst die befristete Mehrwertsteuersenkung. Aufgrund der Befristung geht mit dieser Maßnahme die Erwartung (wieder) steigender Preise zum Jahreswechsel 2020/2021 einher, so dass größere Anschaffungen vorgezogen werden könnten. Die Senkung von Konsumsteuern hat allerdings von allen in unserem Modell simulierbaren Maßnahmen die geringste konjunkturelle Wirkung; der Multiplikator liegt unter eins, d.h. der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage fällt geringer aus als die Steuermindereinnahmen. Denn es kommen auch Haushalte ohne konkrete aktuelle Liquiditätsprobleme in den Genuss etwaiger Preisvorteile, und bei diesen Haushalten fließt der Vorteil nicht vollumfänglich in den Konsum, sondern zu einem gewissen Teil auch in die Ersparnis. Der Teil der Mehrwertsteuersenkung, der nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, kommt den Unternehmensgewinnen zugute. Eine zweite große Maßnahme des Pakets ist die Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge. Dadurch werden die Einkommensperspektiven und Lohnnebenkosten stabilisiert, was sich positiv auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auswirkt. Aber auch der Multiplikator dieser Maßnahme dürfte unter eins liegen. Ähnlich ist auch die Wirkung der Senkung der EEG-Umlage beim Strompreis zu beurteilen.

Des Weiteren enthält das Konjunkturprogramm eine Reihe von Maßnahmen, die die Liquidität der Unternehmen verbessern, etwa die Erweiterung des steuerlichen Verlustrücktrags, die Verschiebung des Fälligkeitstermins der Einfuhrumsatzsteuer oder überarbeitete Abschreibungsregeln für Investitionen. Diese Maßnahmen sind konjunkturell sinnvoll. Corona-bedingte Unternehmensinsolvenzen gingen mit einem beträchtlichen Verlust an unternehmensspezifischem Human- und Sachkapital einher.

Positive ökonomische Effekte gehen zudem von den öffentlichen Investitionen aus. Der diesbezüglich wichtigste Punkt des Konjunkturpakets ist die Entlastung der Kommunen; denn dort findet der größte Teil der öffentlichen Investitionen statt. Somit wird verhindert, dass Kommunen Investitionen aufgrund der Kassenlage streichen müssen. Zusätzliche Investitionsimpulse werden hingegen erst nach mehreren Jahren ihre volle Wirkung entfalten. Viel spricht dafür, öffentliche Investitionen aus dem Bedarf abzuleiten und nicht zum Bestandteil von Konjunkturpaketen zu machen. Gleiches gilt für das im Konjunkturpaket enthaltene „Zukunftspaket“; Zukunftsgestaltung sollte nicht konjunkturabhängig sein.

Ein weiterer wichtiger Posten sind die Hilfen für unmittelbar von der Coronakrise betroffene Unternehmen und private Haushalte. Diese Transfers dürften aufgrund der Liquiditätsbeschränkung der Empfänger eine hohe konjunkturelle Wirksamkeit haben. Die Hilfen für Unternehmen sind geeignet, krisenbedingte Insolvenzen ein Stück weit abzuwenden. Teilweise gehen Transfers wie der Kinderbonus aber auch an Haushalte, die bislang keine Einkommenseinbußen hinnehmen mussten; dort werden sie nur eine relativ kleine konjunkturelle Wirkung entfalten. Transfers an tatsächlich liquiditätsbeschränkte Haushalte wären konjunkturell wirksamer als ein Kinderbonus für alle.

Alles in allem haben die Maßnahmen durchaus eine gewisse konjunkturelle Wirkung. Das Paket bringt allerdings eine Reihe von Defiziten mit sich. Soweit die Mehrwertsteuersenkung den privaten Konsum stabilisiert, wird das in Bereichen geschehen, in denen die weiter bestehende Gesundheitsgefahr durch das Virus keine gravierende Rolle spielt. Die besonders betroffenen Bereiche wie Gastronomie und Tourismus werden davon kaum profitieren. Auch von dem Kinderbonus sind keine größeren konjunkturellen Effekte zu erwarten. Der größte Nachteil des Konjunkturpaketes liegt aber darin, dass zielgenauere und konjunkturell wirksamere Maßnahmen als die nun ergriffenen unterbleiben. Direkte staatliche Konsumnachfrage hat kurzfristig den größten konjunkturstimulierenden Effekt. Staatliche Mehrausgaben, die an den tatsächlichen Krisentreibern ansetzen, hätten ein deutlich höheres Potenzial, die Wirtschaft zu unterstützen. Dazu zählten Maßnahmen, die auf die Eindämmung des Virus abzielen wie etwa umfangreichere Tests, und Maßnahmen, die unter den gegebenen medizinischen Erfordernissen schnell wieder zu einer Beschulung aller Kinder beitragen, ohne die Ausbreitung des Virus zu begünstigen. Dafür wären zusätzliche Sach- und Personalkosten aufzubringen. Eltern könnten dann kurzfristig wieder in gewohntem Umfang erwerbstätig sein. Zusätzlich würde dies über die Abmilderung von Bildungsungleichheit auch langfristig eine positive volkswirtschaftliche Rendite mit sich bringen.

Eine Wirtschaftspolitik, die sich an drei Punkten orientiert, wäre jetzt sinnvoll: Gesundheitsgefahr eindämmen (zweite Infektionswelle vermeiden oder abflachen) damit die Menschen wieder weitgehend sorgenfrei arbeiten und konsumieren können, Verlust von Human- und Sachkapital durch Corona-bedingte Unternehmensinsolvenzen reduzieren und Kosten der Krise gerecht verteilen. Die Erfahrung aus der Finanzkrise zeigt, dass selbst sehr umfangreiche finanzpolitische Maßnahmen verglichen mit der Größenordnung des Einbruchs nur geringe stabilisierende Wirkung entfalten. Das dürfte auch diesmal so sein. Anstatt ursachengerecht zu agieren und die tatsächlichen realen Einbußen auf größere Bevölkerungsgruppen umzuverteilen, stellt das Konjunkturpaket auch Gruppen besser, die gar keine Einbußen hatten. Nur wer glaubt, dass das Konjunkturpaket das Bruttoinlandsprodukt über das hypothetische Niveau ohne Coronakrise hebt, kann darin einen Gewinn sehen. Dies scheint jedoch so gut wie ausgeschlossen.

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[1] Vgl. Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Kiel Economics (Hrsg.): Ökonomische Wirksamkeit der Konjunktur stützenden finanzpolitischen Maßnahmen der Jahre 2008 und 2009. Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen. IWH Online 4/2015. Halle (Saale) 2015.

[2] Vgl. Drygalla, A.; Holtemöller, O.; Kiesel, K.: The effects of fiscal policy in an estimated DSGE model – The case of the German stimulus packages during the great recession. Macroeconomic Dynamics, forthcoming.

3 Antworten auf „Gastbeitrag
Was taugt das Corona-Konjunkturpaket?
Lehren aus der Evaluierung der Konjunkturpolitik während der Finanzkrise

  1. Der Corona-Schock ist kein „kombinierter Angebots-Nachfrageschock“. Ein Schock im ökonomischen Sinne ist ein unerwarteter exogener Impuls. Der exogene Corona- Impuls besteht darin, dass wegen der Pandemie nicht mehr so viel produziert werden kann wie vorher, d.h. das Angebot geht zurück. Die staatlichen Produktions- und Verkaufsverbote haben sogar bewirkt, dass das neue, geschrumpfte Angebot völlig unelastisch ist. Einem Restaurantbesitzer oder Friseur, der nicht öffnen darf, hilft es nichts, wenn die Geld- oder Fiskalpolitik versucht, die Nachfrage zu stimulieren.
    Natürlich führt die Corona-Pandemie auch zu Veränderungen von Nachfragegrößen. Zum Beispiel hängt die Güternachfrage vom Einkommen und damit von der Produktion ab, aber diese Nachfrageänderungen sind nicht exogen, sondern Teil der Anpassung an den Angebotsschock. Sie sind nach der ökonomischen Terminologie nicht als Nachfrageschocks zu klassifizieren.

  2. Die Coronakrise ist zuerst und vor allem ein negativer Angebotsschock. Die Stockungen auf der Angebotsseite infizieren die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Mit den ausufernden fiskalischen und monetären Rettungsschirmen, die nichts retten können, wenn die Angebotssperre nicht weggeräumt wird, wächst auch die Gefahr inflationärer (stagflationärer) Entwicklungen. Verhindern lässt sich das nur, wenn die Politik die gesundheitspolitisch verursachten Stockungen auf der Angebotsseite auflöst. (hier)

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