Wirecard, IKB und der Ruf nach (noch) strengerer Kontrolle im Finanzsektor

Wirecard

Ende Januar 2019: Eine Reportage der Financial Times erhebt schwere Vorwürfe gegen den damaligen Börsenliebling Wirecard AG, die – natürlich – umgehend vom Unternehmen dementiert werden. In der Folge kommt es zu einem Ping-Pong gegenseitiger Vorwürfe, das in aller Öffentlichkeit und teilweise unter Einbezug amtlicher Stellen wie der Staatsanwaltschaft und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin ausgetragen wird. Nach wechselhaftem Verlauf dieses Schlagabtausches (vgl. zur Chronologie https://boerse.ard.de/boersenwissen/boersengeschichte-n/wirecard-vs-ft-chronologie-der-ereignisse100.html) kommt es im Juni 2020 zum vorläufigen Ende: Nochmalige Verschiebung der Bilanzvorlage, Verweigerung des Wirtschaftsprüfertestats, Mitteilung des Unternehmens, dass Guthaben über insgesamt 1,9 Mrd. € (rund ein Viertel der Bilanzsumme) „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“, exzessiver Kurseinbruch, Entzug der Ratings, Abberufung von Vorständen, … bis hin zum Insolvenzantrag und erneuten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen – diesmal allerdings insbesondere gegen Vorstände der Gesellschaft, von denen einer zwischenzeitlich festgenommen sowie danach gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt und ein anderer in Südostasien gesucht wird.

In der Folge hielten sich Wehklagen und Anklagen bislang zumindest quantitativ die Waage. Weitgehend Konsens besteht in der allgemeinen Diagnose eines Kontrollversagens, das in der Retrospektive nicht zuletzt juristisch aufgearbeitet werden dürfte und für die Zukunft die Frage nach Veränderungen aufwirft. Da die Konzernmutter Wirecard AG eine Tochter Wirecard Bank AG mit Banklizenz hat, war und ist auch die Finanzaufsicht am Zug. BaFin-Chef Felix Hufeld zeigte sich nach der Mitteilung des Unternehmens über die wahrscheinlich fehlenden Milliarden durchaus selbstkritisch und sprach von „Schande“ sowie einem „kompletten Desaster“. Je nach politischer Couleur oder anderweitig motivierter Interessenlage wurde seine Institution – nicht nur, aber auch nicht zuletzt – von Vertretern aller Parteien kritisiert, die zumeist gleichzeitig Reformen für die Finanzaufsicht, das allgemeine Prüfungswesen sowie das Unternehmensstrafrecht forderten.

Mittlerweile konkretisieren sich erste Ankündigungen von Regierungsseite. Am 29.6.2020 verkündete das Justizministerium, dass als erster Schritt für entsprechende Reformen die Kündigung des Vertrags mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) vorbereitet werde, die als privatrechtlich organisierter Verein im Staatsauftrag Bilanzen kontrolliert – im Fall der Bilanzprüfung von Wirecard soll die DPR mit sage und schreibe einem Mitarbeiter engagiert gewesen sein. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 5.7.2020 konkretisierte Bundesfinanzminister Olaf Scholz zuletzt die Stoßrichtung für die Reform der Finanzaufsicht, was von anderen Medien sofort aufgegriffen wurde. Insbesondere soll die BaFin bei Zahlungsdienstleistern wie Wirecard unabhängig von der Frage einer vorhandenen Banklizenz Durchgriffsrechte und die Möglichkeit einer Sonderprüfung bekommen. Am Geld für zusätzlich nötige Ressourcen solle es auch nicht fehlen, was angesichts der aktuellen Ausgabenfreude der Regierung dann auch fast schon selbstverständlich klingt.

IKB

Wer den Fall Wirecard für etwas einzigartig Neues hält, sollte sich einmal den Fall der Deutschen Industriebank AG (IKB) aus dem Jahr 2007 ansehen. Die Parallelen sind erstaunlich (vgl. zum Folgenden https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-542712.html). Der Bund war zu dieser Zeit über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit einem Paket von 38% als größter Aktionär an der börsennotierten IKB beteiligt und auch mit einem Staatssekretär im Aufsichtsrat vertreten. Von Mitte Mai bis Anfang August 2007 wurde nun aus dieser Bank, deren eigentliche Aufgabe die Finanzierung mittelständischer Unternehmen war, ein verheerender Sanierungsfall, weil eine Tochtergesellschaft wegen Versiegens sonstiger Quellen zur Finanzierung von US-Immobilien ihre Kreditlinien bei der Mutter ziehen musste, die ein Vielfaches von deren Eigenkapital ausmachten. „Subprime“ hatte die deutsche Bankenlandschaft erreicht!

Auch damals wurde eine Reformdiskussion losgetreten, um die zuvor angeblich zu geringe Transparenz in den Bilanzen zu überwinden und Wirtschaftsprüfern sowie Finanzaufsicht eine wirkungsvolle Kontrolle zu ermöglichen. Die BaFin wie auch andere externe oder interne Kontrolleure waren damit nicht Objekte der Kritik, sondern Opfer unzureichender Rahmenbedingungen, die sie am Ausüben ihrer Funktion hinderten. Im Gegensatz zu Hufeld dachte sein damals amtierender Vorvorgänger Jochen Sanio aber gar nicht an Selbstkritik, sondern beklagte die fehlende Sichtbarkeit von Risiken bei der IKB für Bundesbank und BaFin – mit Erfolg!

Indessen war die Angelegenheit bei genauerer Betrachtung ein Panoptikum betriebswirtschaftlicher Ignoranz. Die letztlich verheerenden Kreditzusagen waren ordnungsgemäß unter dem Bilanzstrich ausgewiesen. Zu behaupten, dass entsprechende Risiken nicht sichtbar waren und für die Zukunft eine entsprechende Behebung dieses Zustands zu fordern, war im Gegensatz zur heutigen Verteidigungsstrategie der Wirecard-Prüfer bei Ernst & Young sowie DPR, die sich wohl immerhin auf einen manifesten Betrug stützen wird, geradezu absurd.

Und nun?

Gleichwohl bleibt die Frage, was jetzt aus den angekündigten Kontrollreformen wird. Dass sich Aktiva in Höhe eines Viertels der Bilanzsumme in Luft auflösen, hat wenig mit Reformbedarf zu tun, sondern mit dem Verständnis von Abschlussprüfung an sich und sich daraus ergebendem Handeln. Welche Konsequenzen dieser Fauxpas zivil- und strafrechtlich haben wird, dürfte schon bald in entsprechenden Prozessen geklärt werden und der Gesetzgeber mag abwarten, ob diese Klärung de lege lata einen entsprechenden Bedarf de lege ferenda indiziert.

Sicher falsch wäre eine weitere Verschärfung der allgemeinen Bankenaufsicht, denn deutsche Kreditinstitute unterliegen bereits bislang einer exzessiven Kontrollmaschinerie: Innenrevision, Aufsichtsrat, Abschlussprüfer, Einlagen- oder Institutssicherung und über allem je nach Größe bzw. Bedeutung der Bank EZB oder Bundesbank & BaFin. Inwieweit eine der angesprochenen Institutionen aus den Quellen der jeweils anderen schöpfen darf oder soll, ist dabei teils klar definiert, teils allgemein gebräuchliche Übung und teils durch die Umstände des jeweiligen Einzelfalls bedingt. Entsprechend ist keine Erweiterung von Prüfung bis hin zum aufsichtsrechtlichen Overkill angezeigt, sondern eine klare Zuordnung, insbesondere für kleinere Banken, die durch die vorzuhaltenden Ressourcen überproportional belastet werden. Immerhin wurde in der politischen Reformdiskussion auch vom finanzpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Florian Toncar, propagiert, dass das lange versprochene Gesetz zu regulatorischen Erleichterungen für kleinere und mittlere Banken jetzt endlich kommen müsse.

Richtig erscheint es aber, darüber nachzudenken, ob Zahlungsdienstleister und andere FinTechs ab einer vernünftigen Größenordnung auch ohne Banklizenz unmittelbare Kontrollen der Finanzaufsicht akzeptieren müssen. Ob zu diesem Zweck die Legaldefinition des Kreditinstituts ausgeweitet oder eine andere Zuordnungsgrundlage geschaffen wird, bleibt sekundär. Es ist schwerlich zu vermitteln, dass sich kleine Kapitalanlagegesellschaften und Vermögensverwalter ständig einer überwuchernden Regulatorik ausgesetzt sehen, deren Einhaltung scharf überwacht wird, während die großen Dominatoren des Zahlungsverkehrs als mehr oder weniger normale Unternehmen ohne besonderen Prüfungsbedarf gelten.

3 Antworten auf „Wirecard, IKB und der Ruf nach (noch) strengerer Kontrolle im Finanzsektor“

  1. „Nachspiele“:
    Jeden Tag kommen neue Details ans Licht und immer mehr wird die Argumentation der betroffenen Institutionen bzw. ihrer Verantwortlichen zu einer reinen Defensivtaktierei. Wenn Hufelds zitierte Aussagen „Schande“ und „komplettes Desater“ sich am Anfang wie erwähnt noch ein bisschen nach Selbstkritik – vielleicht sogar Reue – anhörten, sind sie heute noch bestenfalls als Ausfluss von Betroffenheit zu interpretieren. Anders formuliert: Was beim IKB-Skandal sofort einsetzte, tritt jetzt bei Wirecard mit geringfügiger Verspätung ein!

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