Viele sehen in den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts einen Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB. Wir nehmen das zum Anlass, dem Wesen von Notenbank-Unabhängigkeit auf den Grund zu gehen und zu zeigen, wo die eigentlichen Gefahren für die Unabhängigkeit lauern.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt von der Europäischen Zentralbank (EZB), die Verhältnismäßigkeit ihrer Geldpolitik nachzuweisen. Ansonsten dürfe sich die Bundesbank nicht weiter an den Anleihenkäufen der EZB beteiligen. Viele sehen in dieser Forderung der Karlsruher Richter einen Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB. Aber ihre Unabhängigkeit ist nicht schrankenlos. Vielmehr verlangt Unabhängigkeit Grenzen.
Die Delegierung der Geldpolitik an ungewählte Technokraten…
In einer Demokratie wählen die Bürger Politiker, damit diese die öffentlichen Belange in ihrem Sinne gestalten. Das gilt grundsätzlich für alle Politikbereiche, damit auch für die Geldpolitik. Allerdings hat sich gezeigt, dass Politiker einen Hang zu einer lockeren Geldpolitik haben und ungeeignet sind, für eine niedrige Inflation zu sorgen. Deshalb haben die Wähler die Verantwortung für die Geldpolitik an Zentralbanken delegiert, die unabhängig von tagespolitischen Einflüssen für stabile Preise sorgen sollen. Statt gewählter Politiker bestimmen ungewählte Technokraten die Geldpolitik.
… erfordert Beschränkung auf das Mandat…
Diese Delegierung widerspricht eigentlich demokratischen Prinzipien; sie erfordert deshalb besondere Sicherungen. [1] So darf der Beauftragte – hier die EZB – nur das tun, wozu er beauftragt wurde. Ein Hausverwalter kassiert zwar die Mieten und organisiert Wartungsreparaturen, darf aber nicht eigenmächtig eine Haussanierung in Auftrag geben oder gar die Immobilie verkaufen. Übertragen auf eine unabhängige Zentralbank bedeutet das, dass sie sich strikt an ihr Inflationsmandat zu halten hat und nicht auf anderen Politikfeldern agieren darf. Unabhängigkeit verlangt Begrenzung, beides sind Seiten ein und derselben Medaille.
… und die Pflicht zur Rechenschaft
Zudem ist es bei einer Delegierung normal, dass der Beauftragte über sein Tun Rechenschaft ablegt und zeigt, dass seine Entscheidungen gut abgewogen sind. So muss ein Hausverwalter am Ende eines Geschäftsjahres den Eigentümern Rede und Antwort stehen. Entsprechend müssen sich unabhängige Zentralbanker vor ihren Wählern rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht fordert zu Recht, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit ihres Handels darlegt.
Schrankenlose Unabhängigkeit gefährdet Unabhängigkeit
Eine Zentralbank, die ihr Mandat etwa durch unverhältnismäßiges Handeln überschreitet, verletzt den Wählerauftrag und riskiert, dass die Wähler ihr den Auftrag entziehen, und sie ihre Unabhängigkeit verliert. Schrankenlose Unabhängigkeit kann das Ende von Unabhängigkeit bedeuten. So gesehen gefährdet nicht das Bundesverfassungsgericht die Unabhängigkeit der EZB, sondern sie selbst. Denn es deutet einiges darauf hin, dass sie ihr Mandat überschreitet, in dem sie auf breiter Front Staatsanleihen kauft, faktisch Staaten finanziert und damit teilweise Aufgaben der Finanzminister übernimmt. Diese Anleihenkäufe führen zu einer massiven Verschiebung von Risiken zwischen den Euro-Teilnehmerländern, für die die Wähler die EZB nicht beauftragt haben. Das provoziert auf Dauer Widerstand und gefährdet die Unabhängigkeit der EZB.
[1] Paul Tucker, „Unelected Power“, Princeton University Press, 2018.
Blog-Beiträge der Serie “Unabhängigkeit der EZB”
Bernd Lucke: Das BVerfG stellt die Unabhängigkeit der EZB nicht in Frage
Uwe Vollmer: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu PSPP. Anfang vom Ende der Notenbankunabhängigkeit
- Gastbeitrag
Was Trumps Wahl für Deutschland bedeutet - 7. November 2024 - Gastbeitrag
Das Comeback der Geldmenge - 8. März 2024 - GastbeitragEZB-LiquiditätMehr Normalität wagen - 31. Mai 2023
Eine Antwort auf „Unabhängigkeit der EZB (3)
Grenzenlose Unabhängigkeit gefährdet die Unabhängigkeit “