Was eine ökonomisch sinnvolle Steuerreform leisten kann und was nicht

Alle (vier) Jahre wieder

Ein Bundestags-Wahlkampf, in dem die zur Wahl stehenden Parteien keine Ankündigungen bezüglich der Reformen des Steuersystems machen, ist schwer vorstellbar. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl sind noch drei Jahre hin. Die Regierungskoalition will angesichts der Finanzkrise nicht an ihre Steuersenkungsversprechen erinnert werden. Die SPD beschränkt sich darauf, medienwirksam eine Erhöhung des Spitzensatzes der Einkommensteuer auf 49% zu fordern. Ansonsten ist es still geworden um das Thema Steuerreform. Dabei wäre dies ein guter Zeitpunkt, um fern von Wahlkampfüberlegungen einmal Bestandsaufnahme zu machen und notwendige Anpassungen des Steuerrechts in die Wege zu leiten.

Brauchen wir höhere Steuern oder niedrigere? Wie wichtig ist der Steuertarif, seine Ausgestaltung als linear-progressiver Formeltarif in der Einkommensteuer oder als einheitlicher, konstanter Steuersatz in der Körperschaftsteuer? Oder liegt das Problem vielleicht gar nicht in den Steuersätzen, sondern in der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlagen? Sind unsere Steuern zu kompliziert?

Positiver Arbeitsanreiz durch wiederholte Tarifsenkungen

Wir blicken auf ein Jahrzehnt zurück, in dem die Steuersätze in der Einkommensteuer in mehreren Schritten deutlich gesenkt wurden. So fiel der Eingangssteuersatz von 25,9% im Jahr 1998 auf 14% im Jahr 2009. Der Spitzensteuersatz wurde von 53% (1990-1999) auf 42% im Jahr 2005 gesenkt. Das zu versteuernde Einkommen, bei dem diese Steuersätze greifen, wurde im selben Zeitraum nur unwesentlich verändert. Die seit 2007 eingeführte zusätzliche Tarifstufe von 45% ab einem Einkommen von 250.731 € trifft nur einen relativ kleinen Personenkreis und ändert nichts an diesem generellen Trend. Die Belastung der Kapitalgesellschaften wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 ebenfalls deutlich gesenkt. So sank die Belastung auf einbehaltene Gewinne von durchschnittlich 38,7% auf 29,8%.

Der Trend zu Tarifsenkungen ist aus wissenschaftlicher Sicht positiv zu bewerten. Wir wissen aus der ökonomischen Theorie und zunehmend auch aus empirischen Untersuchungen, dass hohe Grenzsteuerbelastungen negative Anreize haben, sowohl auf den Arbeitseinsatz als auch auf die Spar- und Investitionsbereitschaft. Sogar in Laborexperimenten konnte jüngst nachgewiesen werden, dass Versuchspersonen bei der Arbeitsangebotsentscheidung die Besteuerung des Arbeitslohns bis zu einem bestimmten Punkt tolerieren. Wird die Grenzbelastung jedoch zu hoch, scheint die Steuerlast besonders negativ wahrgenommen zu werden und die Probanden arbeiten weniger. Angesichts der doppelten Herausforderung, geringqualifizierte Personen zu aktivieren und als Wohn- und Arbeitsort für international mobile Hochqualifizierte attraktiv zu bleiben erscheint es folgerichtig, die Steuerbelastung auf Erträge des Humankapitals niedrig zu halten. Weniger eindeutig ist die Wirkungsrichtung der vergangenen Tarifsenkungen auf die Steuerlast auf Kapitaleinkommen.

Standort Deutschland für ausländische Investoren attraktiver

Ohne Zweifel hat die Senkung des Körperschaftsteuersatzes die Attraktivität des Standortes Deutschland im internationalen Vergleich erhöht. Unternehmen dürften nun mehr als bisher bereit sein, in Deutschland zu investieren und auch einen größeren Teil ihrer Gewinne in Deutschland zu versteuern statt sie über steuerliche Gestaltungsmaßnahmen auf dem Papier in Länder zu verschieben, in denen die Steuersätze niedriger sind.

Dieser Befund gilt, obwohl die Tarifsenkungen zu einem guten Teil durch Maßnahmen zur Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen getroffen wurden, die letztlich dieselben Investoren treffen. So führt beispielsweise eine Einschränkung der steuerwirksamen Bildung von Rückstellungen unmittelbar zu einer höheren Steuerbelastung. Steuerersparnisse aus der Bildung von Rückstellungen sind weder für Investitionsentscheidungen noch bei der Entscheidung über Gewinnverlagerungen in andere Länder entscheidungsrelevant. Hier zählt alleine die Grenzbelastung bzw. der Unterschied zwischen den Grenzbelastungen in den verschiedenen, zur Wahl stehenden Ländern. Die Verschlechterung von Abschreibungsbedingungen, z.B. durch Streichung der degressiven AfA, erhöht dagegen die marginale Steuerbelastung. Angesichts des derzeit niedrigen Zinsniveaus ist jedoch der Nachteil aus der zeitlichen Streckung der Abschreibungen barwertig so gering, dass hiervon keine nennenswerten negativen Entscheidungswirkungen ausgehen dürften.

Bizarre Fehlanreize für inländische InvestorenAus Sicht eines in Deutschland ansässigen Investors sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Auch für ihn ist die Steuerbelastung der erzielten Gewinne so niedrig wie schon lange nicht mehr. Allerdings nur so lange die Gewinne dem Unternehmen nicht entzogen werden sollen. Denn der inländische Empfänger hat bezogene Gewinnausschüttungen aus Kapitalgesellschaften zusätzlich mit dem Abgeltungsteuersatz von 25% zu versteuern. Von einem Euro Gewinn der Kapitalgesellschaft kommt also nach Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Einkommensteuer in Höhe des Abgeltungsteuersatzes sowie dem Solidaritätszuschlag auf zwei Ebenen nur etwas mehr als die Hälfte beim Kapitalgeber an. Diese Ausschüttungsbelastung kann letztlich nicht umgangen werden.

Wer auf Gewinnausschüttungen verzichtet und stattdessen Anteile seines Unternehmens mit Gewinn verkaufen möchte, muss auch diesen Veräußerungsgewinn der Abgeltungsteuer unterwerfen. Wenn die Wertsteigerung der Anteile (und damit der Veräußerungsgewinn) auf die einbehaltenen und mit verkauften Gewinnrücklagen zurückzuführen ist, so kommt es nun sogar zu einer Dreifachbesteuerung des selben Gewinns: zum ersten Mal bei Entstehung im Unternehmen, ein zweites Mal bei Veräußerung der Anteile mit Gewinn und drittens beim Erwerber der Anteile, sobald dieser Gewinnausschüttungen aus den mit gekauften Gewinnrücklagen bezieht. Aus steuerlicher Sicht muss ein Eigenkapitalgeber also Gewinnausschüttungen (und ggf. anschließende Reinvestition z.B. über eine Kapitalerhöhung) einer Gewinnthesaurierung vorziehen.

Noch vorteilhafter ist es jedoch aus Sicht eines in Deutschland ansässigen Investors, sein Kapital so anzulegen, dass es steuerlich als Fremdkapital anzusehen ist und lediglich dem Abgeltungsteuersatz von 25% unterliegt. Ein Gesellschafterdarlehen an das eigene Unternehmen erfüllt diese Bedingung regelmäßig nicht. Unter steuerlichen Gesichtspunkten sollte ein Unternehmer also sein Kapital in Staats- oder Unternehmensanleihen anlegen. Je nach dem gewünschten Rendite-Risiko-Profil können dies auch Junkbonds hochverschuldeter Unternehmen oder Staaten sein. Das eigene Unternehmen sollte dagegen soweit wie nur möglich mit Fremdkapital finanziert werden. Der Steuergesetzgeber hat also Anreize geschaffen, die die Krisenanfälligkeit von Unternehmen erhöhen. Angesichts der gerade abklingenden Finanzkrise ist dies eine bizarre Fehlsteuerung. Diese Überlegungen gelten nebenbei bemerkt nicht nur für inländische Unternehmer, sondern treffen gleichermaßen auf Kleinanleger zu. Seit Bestehen der Bundesrepublik dürfte es steuerlich noch nie so unattraktiv gewesen sein, in Aktien zu investieren.

Die bisherige Argumentation stellte auf Investitionen in Kapitalgesellschaften ab. Für Investitionen in Personenunternehmen gelten jedoch ähnliche Ergebnisse. Die Erträge des dort investierten Kapitals unterliegen im Wesentlichen nur der Einkommensteuer. Damit unterliegen die Gewinne eines ertragsstarken Unternehmens einer Grenzbelastung von 42% oder sogar 45% zzgl. Solidaritätszuschlag. Unter Umständen kann die Belastung höher sein, wenn die Entlastung für die gezahlte Gewerbesteuer durch Abzug von der Einkommensteuerschuld gemäß Â§ 35 EStG nicht vollständig möglich ist. Im Vergleich zu einer abgeltend mit 25% belasteten Finanzanlage ist die Gesamtbelastung in jedem Falle deutlich höher. Daran kann auch die 2008 geschaffene „Begünstigung nicht entnommener Gewinne“ (§ 34a EStG) nichts ändern. Diese erlaubt es, einbehaltene Gewinne zunächst nur mit einem besonderen Steuersatz von 28,25% zu versteuern. Allerdings erfolgt bei späterer Entnahme eine 25%-ige Nachversteuerung. Der Unternehmer verschafft sich zwar so kurzfristig einen Liquiditätsvorteil, insgesamt ist die Steuerbelastung jedoch in den meisten Fällen höher als wenn auf die „Begünstigung“ verzichtet worden wäre. Hinzu kommt, dass es durch sogenannte „Überentnahmen“ unter Umständen zu einer ungewollten Nachversteuerung kommen kann und dass die Regelung gerade für kleinere Unternehmen mit geringem steuerrechtlichem Know-how schwer zu verstehen ist. Die eigentlichen Begünstigten des § 34a EStG dürften die Steuerberater sein, denen hier zusätzliche Aufträge beschert werden.

Keine plausible Alternative zu einer finanzierungsneutralen Besteuerung

Handlungsbedarf seitens des Steuergesetzgebers besteht bei der Korrektur der Fehlanreize, die durch die nicht finanzierungsneutrale Kapitaleinkommensbesteuerung erzeugt werden. Es ist dringend erforderlich, die Begünstigung der Fremdkapitalfinanzierung bzw. Strafbesteuerung der Eigenkapitalfinanzierung zu beseitigen. Aus der Finanzkrise könnte man sogar den Schluss ziehen, dass eine Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen und damit eine Begünstigung der Eigenkapitalfinanzierung wünschenswert sei. Hierzu müsste der Gesetzgeber jedoch über Kenntnisse zur angemessenen Höhe der steuerlichen Diskriminierung verfügen. Dazu können nach dem Stand der Wissenschaft aber keine Aussagen getroffen werden. Plausibel erscheint daher die Forderung nach verzerrungsfreier Besteuerung von Eigen- und Fremdkapitalerträgen, von Gewinnen und Zinsen.

In den Steuerwissenschaften wurde regelmäßig auch die Forderung nach einer rechtsformneutralen Besteuerung erhoben. Diese Forderung erscheint im Lichte neuerer Erkenntnisse zwar fragwürdig. Eine höhere Steuerbelastung auf Investitionen in Kapitalgesellschaften könnte nämlich gerechtfertigt sein, weil hierdurch die Gefahr reduziert werden kann, dass Manager aus Eignersicht unerwünscht hohe Risiken eingehen. Da es allerdings nicht möglich ist, die Mehrbelastung so festzusetzen, dass die ungewünschten Anreize ausgeglichen werden, gilt auch hier der Rat, das Steuerrecht im Zweifel neutral auszugestalten, um unerwünschte Lenkungswirkungen zu vermeiden.

Duale Einkommensteuer oder Radikalreform der Bemessungsgrundlage?

So bleibt die Frage zu klären, auf welchem Niveau die Besteuerung der Kapitaleinkommen erfolgen soll, auf dem niedrigen Niveau der Zinsbesteuerung, oder auf dem höheren Niveau der Unternehmensgewinne. Manches spricht für eine Angleichung auf niedrigem Niveau. Neben den Zwängen aus dem internationalen Standortwettbewerb ist dies vor allem das Argument, dass Kapitaleinkommen etwas anderes sind als Arbeitseinkommen. Wer auf sein investiertes Kapital eine Rendite von 4% erwirtschaftet, hat bei einer Inflationsrate von 1,5% real nur 2,5% verdient. Werden die 4% mit einem Satz von 50% besteuert, bleiben netto nominal 2%, real sind dies jedoch nur 0,5%. Je nach Rendite und Geldentwertung ist auch denkbar, dass die reale Rendite nach Steuern negativ ist. Hierin zeigt sich ein grundsätzliches Problem der Einkommensermittlung durch Vermögensvergleich, wie sie dem deutschen Steuerrecht überall dort zugrunde liegt, wo Kapitaleinkommen im volkswirtschaftlichen Sinne erfasst werden sollen. Arbeitseinkommen sind dagegen vor einer inflationsbedingten Überbesteuerung sicher, denn sie werden bei Zufluss besteuert. Erst wenn Arbeitslohn nicht konsumiert, sondern verzinslich angelegt wird, tritt das oben beschriebene Problem auf.

Akzeptiert man diese Sicht der Dinge und will man die Definition der unterschiedlichen Einkommensbegriffe des Steuerrechts beibehalten, folgt hieraus die Notwendigkeit, Kapitaleinkommen niedriger zu besteuern als Arbeitseinkommen. So wäre es denkbar, dass die Gesamtbelastung von Erträgen aus Kapitalgesellschafen auf dem Niveau der Abgeltungsteuer auf Zinserträge fixiert wird. Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne dürften dann beim Empfänger nicht weiter belastet werden. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit könnten weiterhin einem progressiven Tarif unterworfen werden. In denjenigen Einkunftsarten, in denen sich Arbeits- und Kapitaleinkommen mischen, also insbesondere den drei Gewinneinkunftsarten, wäre eine Normverzinsung des gebundenen Kapitals dem Satz auf Kapitaleinkommen zu unterwerfen; der übersteigende Betrag würde als Arbeitseinkommen gelten und könnten progressiv besteuert werden. Die Wissenschaft hat hierfür in den vergangenen Jahren eine Reihe geeigneter Konzepte entwickelt, die unter dem Oberbegriff „Duale Einkommensteuer“ zusammengefasst werden können.

Wer dieses Konzept ablehnt, weil er hierin einen Bruch mit der überkommenen „synthetischen Einkommensbesteuerung“ sieht, muss folgerichtig fordern, dass Kapital- wie Arbeitseinkommen dem progressiven Einkommensteuertarif zu unterwerfen ist. Eine tatsächlich synthetische Einkommensteuer würde jedoch auch eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagenermittlung erfordern. Entweder müsste dann das Einkommen von Gehaltsempfängern durch Bilanzierung des persönlichen Humankapitals ermittelt werden, oder aber Unternehmensgewinne wären als Cash-Flow zu ermitteln. Beides dürfte Politikern und Wirtschaftspraktikern aber schwer zu vermitteln sein, so dass letztlich nur die Duale Einkommensteuer als praktikable und zugleich theoretisch konsistente Lösung bleibt.

Wo bleibt die Steuervereinfachung?

Das Jammern über unser viel zu kompliziertes Steuerrecht ist geradezu Volkssport. Unsere Politiker versprechen regelmäßig und gerne, hier nun endlich einmal richtig aufzuräumen. Eingelöst hat dieses Versprechen aber noch keiner. Und man sollte hier nicht zu viel erwarten. Eine Steuererklärung, in der die individuellen Merkmale von Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, wird nie auf einen Bierdeckel passen. Sonst müssten wir akzeptieren, alle über einen Kamm geschoren zu werden. So wie bei der Müllgebühr: ein Bürger, ein Eimer, eine Gebühr. Ebenso werden unsere Steuergesetze immer so formuliert sein müssen, dass bestimmte missbräuchliche Umgehungsversuche seitens der Steuerpflichtigen von vorneherein verhindert oder zumindest erschwert werden. Ersetzt man einen langen, detaillierten Gesetzestext durch einen neuen, kurzen, schafft man Unsicherheit. Die Rechtssicherheit muss dann durch Widersprüche, Gerichtsverfahren und Ergänzungen der neuen Gesetze wieder hergestellt werden. Es bringt auch keine nennenswerte Vereinfachung, den Formeltarif der Einkommensteuer durch einen Stufentarif zu ersetzen. Im Gegenteil: Die Steuerschuld aus einer Tabelle abzulesen dürfte manchem leichter fallen, als eine einfache Prozentrechnung selbst durchführen zu müssen. Außerdem belegen Laborexperimente bei Stufentarifen stärkere negative Anreizeffekte als bei einem Formeltarif.

Dennoch gibt es jenseits solch populärer aber unrealistischer Erwartungen Chancen für eine Vereinfachung des Steuerrechts. Eine gewisse Vereinfachung fällt als Kuppelprodukt einer wirkungsorientierten Reform quasi automatisch an. Denn ein Steuerrecht, das alle Kapitaleinkommen gleichmäßig besteuert, unabhängig davon, ob Eigen- oder Fremdkapital investiert wird und unabhängig davon, welche Einkunftsart durch die Investition verwirklicht wird, macht steuerliche Gestaltungsüberlegungen entbehrlich. Darüber hinaus bestehen Vereinfachungsmöglichkeiten durch die Rücknahme verunglückter Neuerungen, allen voran des § 34a EStG, der Begünstigung nicht entnommener Gewinne. Eine weitere Erleichterung ergäbe sich, wenn die Gewerbesteuer abgeschafft und durch einen Zuschlag der Gemeinden auf die Einkommensteuer ersetzt würde.

Die Grenzen der Vereinfachung – das internationale Steuerrecht

Schwieriger ist es bei internationalen Sachverhalten. Da Deutschland wohl nie ein Niedrigsteuerland werden wird, wird sich der Fiskus immer dagegen wehren müssen, dass Steuerpflichtige im Inland erzielte Gewinne durch Gestaltungsmaßnahmen in anderen Ländern ausweisen wollen. Einige jüngere Entwicklungen, wie etwa die ebenfalls viel kritisierte Besteuerung der „Funktionsverlagerung“ als eine Art Wegzugsbesteuerung für Unternehmen oder „Advance Pricing Agreements“, bei denen Verrechnungspreise zwischen Steuerpflichtigem und Fiskus vorab vereinbart werden, sind der mehr oder weniger taugliche Versuch, eine Erosion des nationalen Steueraufkommens aus multinationalen Unternehmen zu begrenzen. Hier ist die Rechtsstaatlichkeit der Steuererhebung latent bedroht, denn Fiskus und Steuerpflichtiger verhandeln die Höhe der Steuerzahlung individuell. Kuhhandel ersetzt Verwaltungsakt. Mehr als sonstwo hängt die Höhe der Steuerbelastung vom steuerlichen Know-How des Unternehmens und seiner Berater ab.

Die viel gescholtene Zinsschranke (§ 4h EStG und § 8a KStG) stellt dagegen einen vielversprechenden Versuch des Steuergesetzgebers dar, gegen einen Konstruktionsfehler des internationalen Steuerrechts anzukämpfen. Dieser besteht darin, dass die Erträge des Eigenkapitals, der Gewinn eines Unternehmens, in dem Land besteuert werden, in dem sie erzielt werden (Quellenland), dass aber die Erträge des Fremdkapitals, als Schuldzinsen desselben Unternehmens den Gewinn mindern und im Sitzland des Kapitalgebers besteuert werden. Könnte Deutschland andere große Industrienationen dazu bewegen, das Konzept der Zinsschranke zu übernehmen, wäre dies ein großer Beitrag zur Steuervereinfachung. Gelingt dies nicht, bleibt mittelfristig wohl nur ihre Abschaffung. Eine noch weitergehende Vereinfachung ergäbe sich durch eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in der EU. Aber hier darf man wohl nicht zu viel erwarten, da die europäischen Staaten hier widerstreitende Interessen verfolgen und jede Harmonisierung der Steuern einen einstimmigen Beschluss aller Mitgliedsländer erfordert.

Und wer soll das bezahlen?

In absehbarer Zeit werden große Steuersenkungen wohl nicht möglich sein. Daher werden die Steuerpflichtigen selbst eine Fundamentalreform des Steuerrechts finanzieren müssen. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Möglichkeiten zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bereits ausgeschöpft. Dabei wurde auch so manches echte oder vermeintliche Steuerschlupfloch geschlossen. Dennoch bleiben dem Gesetzgeber ein paar Möglichkeiten. Die erste besteht in der Abschaffung des Ehegattensplittings. Eine Gesellschaft, die sich Gleichstellung und Frauenförderung auf die Fahnen geschrieben hat, sollte ihre Ziele nicht durch eine Herdprämie konterkarieren. Auch die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Überstunden gehört abgeschafft.

Das größte verbleibende Steuerschlupfloch dürfte jedoch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu suchen sein. Es ist einfach überhaupt keine Rechtfertigung dafür denkbar, dass Vermieter seit Jahrzehnten Abschreibungen für den Wertverzehr ihrer Immobilien beanspruchen dürfen, dass aber der Gewinn aus der Veräußerung derselben Immobilien in aller Regel steuerfrei bleibt. Deshalb ist die zehnjährige Spekulationsfrist bei Immobilien ersatzlos abzuschaffen. Alternativ könnten per sofort auch die Abschreibungen in der laufenden Einkünfteermittlung untersagt werden.

Weiterhin könnten die Möglichkeiten der „steuerneutralen“ Umstrukturierung von Unternehmen bzw. Veränderung von Eigentümerverhältnissen eingeschränkt werden (UmwStG und § 6 Abs. 5 EstG). Hinter diesem Euphemismus verbirgt sich die Möglichkeit, einmal gelegte stille Reserven unversteuert auf andere Steuerpflichtige übergehen zu lassen. Stille Reserven entstehen jedoch deshalb, weil die steuerlichen Bewertungsvorschriften nicht fehlerfrei sind. Sie sind gewissermaßen ein Messfehler, eine Abweichung der nach geltendem Recht ermittelten von der ökonomisch begründbaren Steuerbemessungsgrundlage. Sie sind Schlupflöcher, die zugunsten einer gleichmäßigen Einkommensteuer mit moderaten Steuersätzen geschlossen werden können.

3 Antworten auf „Was eine ökonomisch sinnvolle Steuerreform leisten kann und was nicht“

  1. Die Betrachtung des Inflationseffektes (5. Abschnitt) ist in der dargestellten Weise lediglich für Fremdkapital vollständig. Fremdkapital unterliegt durch die Berechnung auf Nominalbasis einem Wertverlust durch Inflation. Dies ist dies für Eigenkapital nicht der Fall: Nominaler Preisanstieg ist schließlich nur die andere Seite des nominalen Umsatz/Gewinnanstiegs der Umternehmen in gleichem Umfang. Eigenkapital hat damit einen inhärenten „Inflationsschutz“ durch ein zusätzliches nominales Wachstum der Erträge mit der jeweiligen Inflationsrate.

    Auch wenn dieses zusätzliche nominale Wachstum der Besteuerung unterliegt, so kommt dieser Inflationsschutz, wenn auch nur eingeschränkt, zum Tragen.

    Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Man denke sich eine Aktie/Anleihe von 1000 EUR im Jahr 1, die bei einer gedachten 0%-Inflation 40 EUR Dividende bzw. Zinsen p.a. einbringt, nach Steuern also Jahr 2 also ein Kapital von je 1030 EUR auflaufen lässt. Erhöht man nun die gedachte Inflation auf 10%, wären dies im Fall der Anleihe real nur noch 936 EUR, also ein deutlicher realer Verlust. Im Fall der Aktie hätte sich allerdings die Dividende auf 44 EUR erhöht, zugleich der Wert der Aktie im Jahr 2 auf nominal 1100 EUR, also ergibt sich ein Kapitalwert im Jahr 2 von 1144 EUR. Nach Besteuerung mit 25% auf den nominalen Gewinn verbleiben 1108 EUR im Jahr 2, real also 1007 EUR. Das ist mit 0,7% realer Rendite nicht üppig, aber immerhin positiv.

  2. Rechnen Sie mal bitte nach. 2% Inflation. Haus ist heute 250 000 EUR wert somit in 36 Jahren „angeblich“ 500 000 EUR wert. Resultat der Besteuerung wären 250 000 EUR mal ungefähr 50% also 125 000 EUR. Wo es da ein „Steuerschlupflich“ gibt, erschließt sich mir nicht.

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