Seit zwei Jahrzehnten ist in der europapolitischen Diskussion immer wieder – insbesondere von Frankreich – die Forderung nach einer „Wirtschaftsregierung“ aufgetaucht, allerdings ebenso regelmäßig als politisch nicht durchsetzbar beiseite geschoben worden. In den letzten Monaten hat die Debatte über dieses Thema allerdings eine neue Intensität und Qualität gewonnen. Hierbei stand zum einen die Vorstellung Pate, Europa müsse zur Überwindung der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise eine einheitliche Strategie verfolgen. Zum anderen hat die Verabschiedung des Lissaboner Vertrags die Stimmen lauter werden lassen, Europa müsse nun endlich auch in der Wirtschaftspolitik ,mit einer Stimme“˜ sprechen. Diese Ideen sind von einer Reihe von Politikern in Frankreich, aber auch von Politikern auf EU-Ebene als ein überfälliger Fortschritt zur Verwirklichung einer echten Wirtschafts- und Währungsunion begrüßt worden. Demgegenüber haben Politiker, aber auch Wirtschaftswissenschaftler vor allem im deutschen Sprachraum vor einer weiteren Übertragung wirtschaftspolitischer Kompetenzen an die EU-Ebene gewarnt.
Bei dem EU-Gipfeltreffen im Juni 2010 haben sich der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nun in unerwarteter Einigkeit für eine Wirtschaftsregierung der 27 EU-Staaten ausgesprochen – wobei dieser Begriff allerdings explizit nur in der französischen Fassung („gouvernement économique“) genannt wurde, während in der deutschen Version nur von einer vertieften Kooperation in der Wirtschaftspolitik die Rede war. Weiterhin hat die Europäische Kommission am 29. September 2010 ein Paket mit Vorschlägen vorgelegt, die im Falle ihrer Realisierung auf weitreichende Eingriffsmöglichkeiten der EU-Organe – insbesondere der Kommission und des Ministerrats – in die nationalen Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer hinauslaufen würden. Der Weg zu einer stärkeren Lenkung der Wirtschaftspolitik in Europa durch EU-Organe scheint damit vorgezeichnet. Die Frage ist allerdings, ob Europa eine solche Wirtschaftsregierung wirklich benötigt oder ob sie nicht mehr Risiken als Chancen bieten würde.
„Gemeinsame Wirtschaftspolitik“ in einer Wirtschafts- und Währungsunion
Zu den konstitutiven Bestandteilen einer Wirtschafts- und Währungsunion gehören neben einer gemeinsamen Geldpolitik auch Elemente einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Das bedeutet jedoch erstens nicht, dass eine „gemeinsame Wirtschaftspolitik“ alle Bereiche der Wirtschaftspolitik umfassen sollte. Zweitens ist eine „gemeinsame Wirtschaftspolitik“ nicht zwingend mit einer Zentralisierung wirtschaftspolitischer Kompetenzen auf der Gemeinschaftsebene verbunden. Als instrumentelle Alternativen zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftspolitischer Ziele auf der Ebene der EU, jedoch mit geringeren nationalen Autonomieeinbußen, sind Maßnahmen der Harmonisierung und der Koordinierung denkbar. Harmonisierung betrifft die Festlegung einheitlicher Rahmenbedingungen (und betrifft damit v.a. das Feld der Ordnungspolitik). Koordinierung bezieht sich auf die Abstimmung wechselseitig konsistenter Zielwerte sowie die Auswahl und zeitliche Abstimmung wirtschaftspolitischer Instrumente (d.h. primär den Bereich der Prozesspolitik). Eine Zentralisierung von Kompetenzen auf der Gemeinschaftsebene zur Erreichung gemeinsamer wirtschaftspolitischer Ziele ist zwar möglich, aber nicht zwingend. Begriffe wie „gemeinsame Wirtschaftspolitik der EU“ oder „Europäische Wirtschaftsregierung“ suggerieren freilich bereits eine Notwendigkeit einer Verlagerung wirtschaftspolitischer Aufgaben auf die EU im Sinne einer Zentralisierung.
Nach den Überlegungen der ökonomischen Theorie des Fiskalföderalismus sollten wirtschaftspolitische Kompetenzen nur dann einer übergeordneten Staatsebene zugewiesen werden, wenn damit Effizienzgewinne erreicht werden können; Maßstäbe hierfür sind insbesondere die Kriterien der fiskalischen Äquivalenz und der Skaleneffekte im Konsum. In der europapolitischen Diskussion werden vordergründig ähnliche Postulate verwendet, so v.a. das in Art. 5 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip und das Kriterium des „europäischen Mehrwerts“. Allerdings wird das Subsidiaritätsprinzip in der politischen Realität nur unzureichend beachtet. Der Begriff des „europäischen Mehrwerts“ ist inhaltsleer, woraus die Gefahr einer missbräuchlichen Auslegung im Sinne einer ineffizienten Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen resultiert.
Legt man die Kriterien der Theorie des Fiskalföderalismus zugrunde, so sind viele Politikbereiche der EU ökonomisch nicht begründbar, sondern als Ergebnis politischer Kompromisse bzw. politischer Kompensationsgeschäfte zu erklären (v.a. Agrarpolitik, Regionalpolitik, Sozialpolitik, Industriepolitik, Bildungspolitik). Daher wäre bei diesen Politikbereichen aus ökonomischer Sicht eine Rückverlagerung auf die nationale Ebene angemessen. Eine solche „Renationalisierung“ von Politikkompetenzen mag aus außen- bzw. europapolitischen Gründen als unrealistisch erscheinen. Umso wichtiger ist aber, dass die Dysbalance zwischen ökonomisch sinnvollen und tatsächlichen EU-Kompetenzen nicht durch mögliche Beschlüsse über eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ weiter verstärkt wird.
„Europäische Wirtschaftsregierung“ – ein vieldeutiger Begriff
Die Diskussion über eine Europäische Wirtschaftsregierung führt vor allem deshalb zu politischen Missverständnissen, weil mit diesem Begriff völlig verschiedene Zielsetzungen und Inhalte verbunden werden.
In der älteren Diskussion – die bis in die 1990er Jahre zurückreicht, aber insbesondere von französischer Seite bis heute vielfach vertreten wird – ging es um die Forderung nach einem politischen Gegengewicht zur unabhängigen EZB. So bezeichnete der französische Staatspräsident Sarkozy eine Wirtschaftsregierung im Jahr 2008 als eine „Eurogruppe auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs“ mit der „wesentlichen Funktion, … mit der Europäischen Zentralbank zu diskutieren“. Noch eindeutiger auf eine Einschränkung der Unabhängigkeit der EZB zielten Forderungen des Commisariat Général du Plan aus dem Jahr 2008, die Wirtschaftsregierung solle der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und der EZB zur Erreichung eines „angemessenen Policy-Mix“ sowie der Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch die EU-Ebene dienen.
Die aktuelle Debatte richtet sich dagegen auf eine verbindlichere Kontrolle der Prozesspolitiken, freilich in zwei diametral entgegengesetzten Richtungen. Einerseits geht es um eine Steuerung der Makropolitiken zwecks Verringerung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte in der Eurozone, wie sie insbesondere von Frankreich, aber auch von dem Vorsitzenden der Eurogruppe, J.-C. Juncker, und dem ständigen Ratsvorsitzenden, H. Van Rompuy, gefordert worden ist. Gegenstand einer solchen Steuerung – von Lüder Gerken (Centrum für Europäische Politik/Hayek-Stiftung) als „dirigistisches Konzept“ (Quelle: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Nr. 2/2010) charakterisiert – sollen u.a. die Nachfragepolitik, die Lohnpolitik und die Sozialpolitik sein. Nach Ansicht der Europäischen Kommission soll sich eine umfassende „Wirtschaftpolitische Überwachung“ nicht nur auf Defizite und Schuldenstand, sondern darüber hinaus auf Leistungsbilanzen, Produktivität und Lohnstückkosten der Mitgliedstaaten, auf die Beschäftigung und reale effektive Wechselkurse erstrecken. Am weitesten ist die französische Ministerin Christine Lagarde mit ihrer Forderung gegangen, dass es „allen voran (um) die sehr sorgfältige Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit jedes Mitgliedslandes sowie der Abstände der Wettbewerbsfähigkeit zwischen ihnen“ gehe; speziell Deutschland wird empfohlen, weniger zu exportieren und weniger zu sparen, sondern mehr zu konsumieren und kräftige Lohnerhöhungen vorzunehmen. Eine derartige makroökonomische Steuerung würde jedoch „nichts anderes als die Ausschaltung des spontanen freien Wettbewerbs in Europa“ (Philipp Plickert/gleiche Quelle wie L. Gerken) bedeuten. Eine ,Steuerung“˜ der Lohnpolitik schiede im Fall Deutschlands ohnehin wegen der Tarifautonomie der Tarifpartner aus.
Die von Frau Lagarde ebenfalls vertretene Vorstellung, dass die Politik sich um die Korrektur von ,unangemessenen“˜ Salden der Leistungsbilanzen kümmern könne und solle, ist allerdings keineswegs nur auf den Euroraum beschränkt. So hat der amerikanische Finanzminister T. Geithner jüngst beim Treffen der Finanzminister der G 20 internationale Vorgaben für den Abbau von Ungleichgewichten im Welthandel gefordert. In einem Brief an seine Kollegen hat er vorgeschlagen, den Leistungsbilanzsaldo nicht nur von dauerhaften Defizitländern, sondern auch von permanenten Überschussländern wie China, Japan und Deutschland auf 4 v.H. des BIP zu begrenzen. Überschussländer sollten durch schuldenfinanzierte Steuersenkungen ihre Binnennachfrage erhöhen; Länder mit hohen und dauernden Defiziten sollten dafür ihre Sparquote erhöhen und ihre Exportindustrie stärken. Man mag sich fragen, ob dem US-Finanzminister wirklich bewusst ist, was für eine Art von Wirtschaftspolitik mit seinem Vorschlag einer quantitativen Begrenzung von Außenwirtschaftssalden verbunden wäre. Die Entscheidungen über internationale realwirtschaftliche Transaktionen, d.h. über Ex- und Importe von Gütern und Dienstleistungen, werden in marktwirtschaftlichen Systemen nicht von Politikern, sondern von den Marktteilnehmern, also primär den Unternehmen, gefällt. Eine politische Einflussnahme auf außenwirtschaftliche Salden, also auf die Ergebnisse dieser unternehmerischen Entscheidungen, ist nur auf zwei Arten möglich: Zum Einen mit planwirtschaftlichen Mitteln, d.h. mit der partiellen oder totalen Außerkraftsetzung der Marktwirtschaft im Bereich der Außenwirtschaft; es sollte unterstellt werden, dass diese Strategie weder dem amerikanischen Finanzminister noch seiner französischen Kollegin vorschwebt. Zum Anderen mit Hilfe der Wechselkurspolitik, also mit politisch begründeten Eingriffen der Zentralbanken in die Wechselkursbildung über Interventionen an den Devisenmärkten. Diese Möglichkeit steht nun zwar für die Beziehungen zwischen den großen Wirtschaftsblöcken – Europa, USA, Japan, China – zumindest theoretisch zur Verfügung. Das gilt jedoch nicht für ein einzelnes Euro-Land wie etwa Deutschland, weil mit dem Eintritt in die Europäische Währungsunion nicht nur die Geldpolitik, sondern auch eine (denkbare) Wechselkurspolitik dem nationalen Kompetenzbereich der Euro-Mitgliedsländer entzogen worden ist. Eine Korrektur der Leistungsbilanzsalden einzelner Euro-Länder mit Hilfe der Politik zu fordern, wie es Geithner ebenso wie Lagarde offenbar im Sinn haben, ist daher unsinnig – jedenfalls, wenn man weder die Spielregeln der Marktwirtschaft noch die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion außer Kraft setzen will.
Andererseits –Â so vor allem die deutsche Position –Â soll eine „Wirtschaftsregierung“ eine frühere und durchgreifendere Kontrolle der nationalen Haushaltspolitiken erreichen, um künftigen Verschuldungskrisen vorzubeugen. Elemente einer derart interpretierten „Wirtschaftsregierung“ im Sinne eines „ordnungspolitischen Konzepts“ (L. Gerken) sind zwar bereits im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) enthalten, allerdings in der politischen Praxis weitgehend ignoriert worden. Eine ernsthafte Härtung des SWP, wie sie von Deutschland befürwortet wird, wäre ökonomisch sicherlich wünschenswert, erscheint aber politökonomisch kaum durchsetzbar. Zwar hat die Europäische Kommission am 29. September ein Paket von Vorschlägen präsentiert, mit denen dem SWP eine größere Durchschlagskraft verliehen werden könnte. Dazu sollte zum Einen das Verfahren bei einem „übermäßigen Defizit“ verschärft und beschleunigt werden. Zum Zweiten sollte künftig auch bei einem zu hohen Staatsschuldenstand – d.h. gemäß dem Maastricht-Kriterium bei einer Schuldenstandsquote von mehr als 60 v.H. des BIP – ein ähnliches Strafverfahren wie im Falle eines übermäßigen Defizits möglich sein. Vor allem aber wollte die Europäische Kommission das Abstimmungsverfahren im Ministerrat umkehren: Bislang ist dort für jeden Kommissionsvorschlag zur Eröffnung oder Verschärfung eines Defizitverfahrens eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Dem Vorschlag der Kommission zufolge sollte künftig die Kommissionsentscheidung automatisch in Kraft treten, wenn die Mitgliedstaaten nicht innerhalb von 10 Tagen mit Zweidrittelmehrheit dagegen Einspruch erheben.
Die bisherigen Erfahrungen im vergangenen Jahrzehnt mit der tatsächlichen Handhabung des Stabilitätspaktes, aber auch die bereits begangenen Verstöße gegen Buchstaben und Geist der Maastrichter Grundlagen der EWWU im Fall der Griechenland-Krise (de-facto-Verletzung der no-bail-out-Klausel, „Euro-Rettungsschirm“ EFSF, faktische Staatsfinanzierung Griechenlands durch die EZB) haben bei Ökonomen sofort erhebliche Zweifel geweckt, ob die – im Kern durchaus sinnvollen – Vorschläge der Kommission auch nur den Hauch einer Chance haben würden, in den nachfolgenden Brüsseler Auseinandersetzungen in ihrer Substanz erhalten zu bleiben. Die seither vergangenen Ereignisse haben diese Skepsis eindrucksvoll bestätigt: Vor allem ist ein zentraler Punkt, nämlich die im Kommissionspaket vorgesehene Umkehrung der Entscheidungen (mit der Verlagerung der maßgeblichen Kompetenzen vom Ministerrat zur Kommission), die auf ein quasi-automatisches Sanktionsverfahren hinausgelaufen wäre, in der für die Reform des SWP eingesetzten „Van-Rompuy-Gruppe“ von den EU-Finanzministern am 17. Oktober 2010 bereits beerdigt worden. Es darf mehr als bezweifelt werden, ob die von einigen kleineren EU-Staaten sowie auch von Vertretern des Europäischen Parlaments geäußerte Kritik an diesem – maßgeblich von Deutschland und Frankreich bestimmten – unrühmlichen „Kompromiss“ noch etwas zu ändern vermag. Eher ist zu erwarten, dass es vor allem von Seiten aktueller und/oder potentieller „Defizitsünder“-Länder weitere Widerstände gegen schärfere Regeln im SWP geben wird. Aus politökonomischer Sicht ist wahrscheinlich, dass man sich die mögliche Zustimmung dieser Länder mit zusätzlichen Zugeständnissen – etwa mit einer Verlängerung der 2013 eigentlich auslaufenden „Rettungsschirme“ – wird erkaufen müssen. Der mit dem Griechenland-Fall bereits beschrittene Weg in eine europäische Transferunion würde damit weiter fortgesetzt. Dem sollte Deutschland aufgrund seiner Interessenlage als größter Nettozahler der EU und als größter Finanzier der Rettungsschirme sich eigentlich energisch widersetzen. Angesichts des jüngsten Einknickens der Bundeskanzlerin gegenüber der französischen Seite in den Verhandlungen über den Automatismus im SWP scheint es allerdings wenig realistisch, in diesem Punkt auf eine größere Konsequenz in der Wahrnehmung deutscher Interessenpositionen zu setzen.
Im Hinblick auf die Diskussionen über eine „Europäischen Wirtschaftsregierung“ erscheint darüber hinaus gleichermaßen bemerkenswert wie bedenklich, dass das im Kommissionsvorschlag vom 19. September 2010 ebenfalls vorgesehene neue Instrument eines „Ungleichgewichtsverfahrens“ bei makroökonomischen Ungleichgewichten offenbar weiter auf der Tagesordnung steht. Zwar soll sich ein derartiges Verfahren zunächst primär an die Staaten mit Schwächen in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit richten. Der Kommissionsvorschlag birgt jedoch durchaus die Gefahr, dass auch notorische Überschussländer an den Pranger gestellt und mit einem Sanktionsverfahren konfrontiert werden könnten, um ihre Überschussposition zwangsweise ,abzubauen“˜. Das könnte auch gegen den Willen des betreffenden Landes geschehen, weil dafür keine Einstimmigkeit im Ministerrat erforderlich wäre.
Wirtschaftsregierung und Budgetkompetenzen der EU
Hinter den unterschiedlichen begrifflichen Interpretationen einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ stehen letztlich fundamentale Divergenzen über wirtschaftspolitische Zielprioritäten, aber auch über das Selbstverständnis bezüglich der Rolle der Politik. Hierbei stehen sich insbesondere die französische Tradition des Staatsinterventionismus einerseits und die eher marktwirtschaftliche Tradition in Deutschland diametral gegenüber. Letztlich geht es um die Ablehnung oder Bejahung des internationalen Systemwettbewerbs in der EU.
Die Forderung nach einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ suggeriert, dass die momentanen Turbulenzen im Euroraum die Folge einer mangelhaften Koordinierung von Wirtschafts-, Lohn- und Finanzpolitik seien. Die Ursachen der aktuellen Probleme liegen jedoch in der undisziplinierten Politik verschiedener Mitgliedstaaten in der Vergangenheit (zu starke Lohnerhöhungen bei schwacher Produktivitätsentwicklung). Hiergegen helfen keine zentralistische Lösungen, sondern nur konsequente Änderungen in den nationalen Politiken, die am ehesten in einem Umfeld des Systemwettbewerbs zu erwarten sind.
Eine „Europäische Wirtschaftsregierung“ dürfte in jedem Fall mit einem Zuwachs an wirtschaftspolitischen Kompetenzen für die Unionsebene einhergehen. Dieser ist durch den Lissabon-Vertrag ohnehin bereits die Aufgabe zugewiesen worden, Grundzüge der Wirtschaftspolitik nicht nur „auszuarbeiten“, sondern auch „ihre Einhaltung zu überwachen“. Neben der Frage der Vereinbarkeit dieser Kompetenz mit dem Subsidiaritätsprinzip ergibt sich im Falle einer „Wirtschaftsregierung“ zusätzlich das Problem der demokratischen Legitimation einer solchen Institution.
Zu dem – politökonomisch durchaus erklärlichen – Streben der EU-Ebene nach mehr Kompetenzen passt auch die aktuell wieder aufgeflammte Diskussion um erweiterte Budgetkompetenzen der EU. Diese Forderungen sind zwar nicht neu, haben aber durch die 2011/2012 anstehenden Beratungen über die nächste EU-Haushaltsperiode (2014-2020) erhöhtes Gewicht erhalten. So hat der EU-Budgetkommissar Janusz Lewandowski angekündigt, bald Vorschläge für die Einführung einer EU-Steuer vorlegen zu wollen. Ergänzend hat Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Einführung von EU-Anleihen zur Finanzierung großer Infrastrukturprojekte gefordert. Beide Schritte zielen in die gleiche Richtung, nämlich eine erleichterte Finanzierung zusätzlicher EU-Ausgaben, ohne – wie bislang im EU-Finanzsystem bestimmt – die Mitgliedstaaten für eine Ausweitung des Finanzspielraums gewinnen zu müssen. Dass die von Lewandowski und anderen Befürwortern (v.a. diversen Europa-Abgeordneten) vorgebrachten Argumente für eine eigene EU-Steuerhoheit (mehr Transparenz für die EU-Bürger, mehr Effizienz bei den EU-Budgetentscheidungen, Beendigung der „Nettozahler-Debatte“, Entlastung der nationalen Budgets) nicht zu überzeugen vermögen, ist in der Literatur hinreichend dargelegt worden (vgl. z.B. R. Caesar: An EU Tax? – Not a Good Idea, Intereconomics, 2001) . Auf jeden Fall aber würden den Bürgern der EU durch eine EU-Steuer wie auch durch ein EU-Verschuldungsrecht zusätzliche Belastungen drohen. Zumindest hiergegen sollte die Bundesregierung energischen Widerstand leisten. Die Forderungen nach einer EU-Steuer wie auch einer EU-Verschuldungskompetenz gehören daher schnellstens in die unterste Schublade der europapolitischen Agenda.
Betrachtet man zusammenfassend die kontroversen Diskussionen um eine „Europäische Wirtschaftsregierung“, so bergen sie das Risiko, dass die aufgezeigten Meinungsverschiedenheiten im Wege von Formelkompromissen eher verschleiert als geklärt werden. Damit könnte neuer europapolitischer Sprengstoff entstehen. „Gut gemeint“ ist oft das Gegenteil von „gut“ – diese These könnte auch für eine „Wirtschaftsregierung in Europa“ gelten.
ich denke, eine gemeinsame Wirtschaftsregierung würde nicht genügend auf nationale Gegebenheiten Rücksicht nehmen können.
Hallo Rolf,
Danke für Deine Arbeit, die mir mal wieder vor Augen führt, wie komplex
die Entscheidungen zwischen EU-Recht und deutschem Recht sind.
Überigens ist die Kanzlerin nicht eingeknickt; sie hat nur einen kleinen Knicks vor den Realitäten gemacht. Man kann eben nicht alles bekommen.
Lieben Gruß, Karl-Heinz Berg