Es ist eine der großen Tragödien der aktuellen Krise der Europäischen Union: Im vergangenen Jahr waren 7,5 Millionen junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in der EU weder berufstätig noch absolvierten sie eine schulische oder berufliche Ausbildung. Laut einer Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen gehen den europäischen Staaten derzeit über 150 Milliarden Euro jedes Jahr verloren, weil es nicht gelingt, diese jugendlichen Menschen nach der Schule in eine Ausbildung oder Beschäftigung zu führen. Betroffen sind vor allem die Länder Südeuropas. Spanien bildet mit Griechenland das Schlusslicht der traurigen Tabelle der Chancen der Jugendlichen: In beiden Ländern sind fast 50% der Jugendlichen ohne Beschäftigung. In Griechenland stieg die Quote in den vergangenen Jahren rasant von 25,7% (im Jahr 2009) auf 49,3% (im Jahr 2011) an. Deutschland mit seinem rigiden, gesetzlich genauestens geregelten Ausbildungsmarkt ist hingegen in Europa an der Spitze, was die Beschäftigungschance junger Menschen angeht. Der deutsche Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt bietet der Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 24 Jahren vergleichsweise die besten Chancen auf eine Beschäftigung. Im letzten Quartal 2011 hat Deutschland (laut den Daten von Eurostat) die Niederlande mit der niedrigsten Jugendarbeitslosenquote (von 8,3%) abgelöst.
Nicht nur in Südeuropa ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit für die jungen, arbeitslosen Menschen ein persönliches Drama. Denn sie findet in einer Lebensphase statt, in der die jungen Menschen ihre Ersterfahrung mit dem Arbeitsmarkt machen. Es ist nachweisbar, dass Arbeitslosigkeitserfahrungen psychische Narben hinterlassen – für Jugendarbeitslosigkeit wird dies insbesondere gelten. Die im Arbeitsprozess für ihre spätere Karriere notwendigen Erfahrungen, Kenntnisse und Qualifikationen können zudem nicht angesammelt werden. Dies entfällt nun bei den meisten und wird durch ein Gefühl der Perspektivlosigkeit ersetzt, dass die Jugendlichen psychisch belastet und zugleich enormen sozialen Sprengstoff bietet.
In Deutschland betrifft das Problem von Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit jedoch nur wenige junge Menschen. Doch woran liegt das? Ist Deutschland wirklich besser dran in puncto Beschäftigung seines beruflichen Nachwuchses? Oder haben wir geschummelt?
Drei Gründe lassen sich anführen für das deutsche Jugendbeschäftigungswunder:
Duales System. Wer in Deutschland, Österreich oder der Schweiz nach dem Schulabschluss eine Ausbildung absolvieren will, wird in einem durchorganisierten dualen Ausbildungssystem aufgenommen. Während der für jeden Beruf vorgeschriebenen Ausbildungszeit durchläuft der Azubi zum einen die Berufsschule zwecks der Vermittlung von Theorie. Ergänzt wird dies zum anderen durch das aktive Mitwirken im Ausbildungsbetrieb zur Schulung seiner praktischen Fähigkeiten. Der Ausbildungsplatz ist gesetzlich abgesichert, die Weiterbeschäftigung in der Ausbildungsphase somit auch in Krisenzeiten garantiert. Doch auch die Unternehmen profitieren vom dualen System. Da die Ausbildungsvergütung tariflich geregelt ist und sie die Auszubildenden aktiv am operativen Geschäft mitwirken lassen können, kann auf anderweitige günstige Aushilfsarbeitskräfte in vielen Bereichen verzichtet werden. Azubis dienen somit dem betriebswirtschaftlichen Kostenminimierungskalkül und sorgen für einen kontinuierlichen Fachkräftenachwuchs, so dass die jährlichen Einstellungswellen der Unternehmen nicht abebben.
Demografischer Wandel. Ausnahmsweise spielt der Demografische Wandel den Statistikern bei der Berechnung der Jugendarbeitslosigkeit in die Hände. Die Anzahl der Schulabgänger von Haupt- und Realschule ist von 630.202 (im Jahr 2003) auf 508.359 (im Jahr 2011) gesunken. In den neuen Bundesländern ist dieser Abwärtstrend besonders stark ausgeprägt. Durch die fatale Kombination von Landflucht und starkem Geburtenrückgang fiel zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern die Anzahl der Haupt- und Realschulabsolventen von 17.460 (Jahr 2003) auf 4.825 (Jahr 2011). gesunken. Wenn aber weniger Schulabgänger auf den Ausbildungsmarkt strömen, geht damit eine womöglich geringere Jugendarbeitslosenquote einher.
Schattenarbeitslosigkeit. Bei der Berechnung der Jugendarbeitslosenquote werden nicht alle zu berücksichtigende Personen unter 25 Jahren erfasst. Wer am Ende der Schullaufbahn ohne Ausbildungsplatz da steht, findet sich nämlich zwangsläufig in einer der Fördermaßnahmen wieder, welche der Integration in die Berufslausbildung dienen sollen. Die Integrierte Ausbildungsberichterstattung bietet seit Neuestem hier einen guten Überblick an: Fast 300.000 junge Menschen sind auch 2011 wieder in Fördermaßnahmen oder berufsschulische Klassen eingetreten, die der Integration in den Ausbildungsmarkt dienen. Manche dieser Klassen, hervorgehoben seien hier die genauso genannten „Schulklassen für Schülerinnen und Schüler ohne Ausbildungsverhältnis“, dienen eigentlich nur der Aufbewahrung der Jugendlichen und nicht ihrer Weiterbildung. Das Zielpublikum dieser Klassen ist heterogen, auch Schulabgänger mit Realschulabschluss sind reichlich vertreten.
Gemäß Sozialgesetzbuch sind diese Jugendlichen nicht als arbeitslos registriert, können nicht durch die Agentur für Arbeit vermittelt werden. Sie sind nicht in der Statistik zu finden. Man kann hier von einer „Schattenarbeitslosigkeit“ sprechen. Würde man diese Jugendlichen in die tatsächliche Quote miteinbeziehen, käme man im Ergebnis auf eine fast doppelt so hohe Arbeitslosenquote Jugendlicher in Deutschland.
Was aber ist zu tun, um den deutschen Jugendlichen zu helfen, die nicht in eine Ausbildungsstelle kommen? Üblicherweise wird hier auf Mängel in ihrer schulischen Vorbildung verwiesen, die Jugendlichen werden als nicht ausbildungsreif abgestempelt. Doch dies ist nur ein Teil der Wahrheit, warum sie sich schwer tun mit dem Einstieg in eine Berufsausbildung. Vor allem für viele Realschulabsolventen, aber auch für zahlreiche Hauptschulabsolventen ist es nicht die alleinige Ursache für ihre Schwierigkeiten an der Schwelle zum Ausbildungsmarkt. Denn es gilt auf jedem Markt: Ist die Qualität des Angebots weniger gut, muss der Preis niedriger sein. Dies gilt auch für Schulabgänger beim Einstieg in die Ausbildung: Wer weniger gut geeignet ist, sollte die Möglichkeit haben, zum Ausgleich dafür weniger zu kosten.
Hier sind die Tarifpartner gefragt: Derzeit dominieren hinsichtlich der Ausbildungsvergütung Tarifabschlüsse, die sich nach Branche und nach Region unterscheiden. Eine nach der tatsächlichen Qualifikation der Jugendlichen differenzierte Ausbildungsvergütung ist nicht vorgesehen. Die „Einstiegsqualifizierung Jugendlicher“, ein Programm der Bundesagentur für Arbeit, zeigt mit ihren Evaluationsergebnissen, dass bei verringerten Vergütungskosten und mehr Flexibilität gerade beim Einstieg in die Ausbildung mehr Unternehmen motiviert werden können, auch leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu geben.
Quellen
Neumann, Michael, 2012, Das deutsche Jugendbeschäftigungswunder, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Band 13, Heft 3, 239-250
Bundesinstitut für Berufsbildung, Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2011, S. 378, Bonn
Statistisches Amt der Europäischen Union, 2012 http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Unemployment_statistics [Stand: 2012-11-26]
Statistisches Bundesamt 2012, Bildung und Kultur. Allgemein Bildende Schulen. Schuljahr 2011/2012, Fachserie 11, Reihe 1, S. 276, Wiesbaden
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