Nach Liechtenstein:
Ein Requiem für das Bankgeheimnis?

Liechtenstein und kein Ende. Die Pressionen aus dem politischen Deutschland gegenüber Liechtenstein, der Schweiz und anderen sogenannten Steueroasen nehmen zu. Der deutsche Botschafter in Bern artikulierte jüngst, das schweizerische Bankgeheimnis sei nicht mehr zeitgemäß. Das Bankgeheimnis der Eidgenossenschaft steht schon länger in vielfältiger Kritik, die vor allem von Ländern außerhalb der Schweiz geübt wird. Jenseits aller Diskussionen um die Steuerzahlermoral der Privaten, die im übrigen die Steuereinziehungsmoral des Staates stets ausblendet, zeigt diese Kritik, dass die Implikationen von Globalisierung und Systemwettbewerb nur unzureichend verstanden werden.

Die bekannten Einlassungen beziehen sich auf die Steuerausfälle in Ländern außerhalb der Schweiz (im folgenden sei Liechtenstein inkorporiert), die internationale Kapitaldisponenten durch Kapitalexporte in „Steueroasen“ sowie die Inanspruchnahme derer Bankdienstleistungen verursachen. Von „unfairem“ und „schädlichem“ Steuerwettbewerb wird ebenso gesprochen wie von Trittbrettfahrern und „unkooperativem“ Verhalten. Dies ist die Argumentationsbasis der EU und der OECD, die bekanntlich auf eine Harmonisierung der Kapitalertragsbesteuerung und, wenn möglich, auch spezifischer Bankdienstleistungen mindestens innerhalb Europas dringen. Das schweizerische Bankgeheimnis steht dabei im verschärften Fokus. Prinzipiell gewünscht wird, dass die Schweiz dieses besondere Arrangement abschafft, um in Europa „faire“ Wettbewerbsbedingungen bei Bankdienstleistungen herzustellen.

Das Bankgeheimnis der Schweiz stammt aus dem liberalen Wirtschaftsdenken des 19. Jahrhunderts, das – heute vielfach verglichen mit der Verschwiegenheitspflicht des Arztes oder Rechtsanwalts – dem Schutz des individuellen Kunden gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit dienen sollte, weshalb man es eigentlich als Bankkundengeheimnis bezeichnen müßte. Es ist die Inkarnation der Begrenzung staatlicher Macht gegenüber der Individualsphäre des einzelnen Bürgers. Dieser liberale Gedanke der staatlichen Machtbegrenzung ist vor allem dann wichtig, wenn Bürger in geschlossenen Nationalstaaten leben, aus denen ein Entweichen nicht oder nur mit hohen Austrittskosten möglich ist.

In einer offenen Welt der Globalisierung, wie wir sie heute erleben, steht dieses liberale Denken allerdings ebenfalls mehr denn je auf der Agenda. Denn Globalisierung ist ein Prozeß weltweiter Absenkung der Kosten der Überwindung von Nationalgrenzen mit der Folge zunehmender globaler Vernetzung von Märkten. Insofern ist Globalisierung ein weltweites Programm zur Mehrung von Exit-Optionen, also von Ausweichmöglichkeiten für die Privaten: Diese können in andere Regulierungsgebiete außerhalb ihrer Wohnsitzgrenzen physisch oder auch nur funktional abwandern, wenn ihnen die Standortbedingungen dort besser als zuhause gefallen.

Es herrscht also Standort- bzw. Systemwettbewerb, in dem die immobilen Standortfaktoren eines Landes – zum Beispiel die Banken – um die mobilen Ressourcen dieser Welt – zum Beispiel um mobiles Finanzkapital – konkurrieren. Dieser Systemwettbewerb ist ein weltweiter Wettbewerb der komparativen Vorteile, die die Standorte den international mobilen Ressourcen anbieten und die Ausdruck unterschiedlicher länderspezifischer Ausstattungen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Präferenzen der Bürger sind. Entsprechend unterschiedlich müssen die internationalen Spezialisierungsmuster für die Länder ausfallen. In diesem Wettbewerb steht es jedem Land prinzipiell frei, sein Portfolio spezifischer Wettbewerbsvorteile selbst zu gestalten, also eigene komparative Regulierungsvorteile zu erzeugen und anzubieten, um sich international attraktiv zu positionieren.

Gegen einen solchen Wettbewerb der Bankenregulierungen wird oft eingewandt, er verursache grenzüberschreitende negative externe Effekte dadurch, dass zum Beispiel die Schweiz durch ihr spezifisches Bankgeheimnis manche Steuerbemessungsgrundlage aus der EU abziehe und sich dadurch einen ungerechtfertigten Steuervorteil verschaffe. Zudem sei es nicht tolerabel, dass die Schweiz den Tatbestand der einfachen Steuerhinterziehung – anders als in den Ländern der EU – nicht als Straftatbestand behandle. Auch gehe es nicht an, dass in der Schweiz eine Quellen- bzw. Zahlstellensteuer bestehe, während innerhalb der EU ein striktes System von Kontrollmitteilungen gehandhabt werde. Der Steuerwettbewerb zwischen der Schweiz und der EU sei deshalb verzerrt, was die Forderung nach internationaler Harmonisierung der institutionellen Bedingungen für Bankdienstleistungen wohl begründe.

Zunächst ist hier die bekannte Tatsache herauszustellen, dass das schweizerische Bankgeheimnis niemanden schützt, der in international als Straftaten klassifizierten Aktivitäten wie Geldwäsche, Rauschgifthandel, Korruption usw. involviert ist. Auch sollte das Bankgeheimnis nicht mit anonymen Nummernkonten verwechselt werden, denn „to know your customer“ ist ein zentraler Grundsatz eidgenössischer Banken. Aus diesen Tatbeständen lässt sich die These vom verzerrten Steuerwettbewerb deshalb nicht begründen. Zudem ist dem Argument des verzerrten Steuerwettbewerbs zugunsten der Schweiz entgegenzuhalten, dass bei der Besteuerung von Auslandseinkommen fast alle Staaten „Steueroasen“ für Nicht-Gebietsansässige sind. Denn auch manche traditionellen Hochsteuerländer verlangen nur geringe Quellensteuern auf die Einkommen der Nicht-Gebietsansässigen. Damit wollen sich die Hochsteuerländer für international mobiles Kapital attraktiv machen, dessen Besteuerungselastizität bekanntlich höher ist als die der immobilen Faktoren.

Zudem bieten Hochsteuerländer gebietsfremden Kapitaldisponenten nicht selten attraktivere Zinsen als die traditionell als Steueroasen bezeichneten Staaten mit attraktivem Bankgeheimnis. So gesehen bilden Bankgeheimnis, Kapitalerträge und deren Besteuerung insgesamt ein Attraktivitätsportfolio, dessen Mix die Wettbewerbsfähigkeit der immobilen Faktoren eines Standorts aus Sicht der mobilen Faktoren bestimmt. So kann man Deutschland durchaus als eine Steueroase für manche Kapitaldisponenten aus der Schweiz oder aus Luxemburg ansehen, denn sonst gäbe es ja die bekannten internationalen „Über-Kreuz-Anlagen“ nicht. Da im Besteuerungsverfahren Bankgeheimnis, Kapitalertrag und Besteuerung wohl grundsätzlich im substitutionalen Verhältnis zueinander stehen, bedeutet dies, dass eine Abschaffung des Bankgeheimnisses notwendigerweise dazu führen müsste, die Verzinsung der Kapitalimporte zu erhöhen und/oder die Besteuerung zu reduzieren, um den Standort wettbewerbsfähig zu halten.

Das erwähnte Harmonisierungsverlangen entspringt nun der Vorstellung, dass man ein „level playing field“ schaffen müsse, also ein Wettbewerbsfeld eingeebneter, gleicher institutioneller Bedingungen, die solche Wettbewerbsverzerrungen beseitigten. Dahinter stehen meist die Forderungen von Ländern mit komparativen Wettbewerbsnachteilen, die diese Nachteile nicht durch die Verbesserung ihrer eigenen Attraktivität, sondern durch die Verschlechterung derjenigen der Wettbewerber beseitigen wollen: „To raise the rivals´ costs“ heißt dieses wettbewerbsfeindliche Harmonisierungsprogramm. Damit stellt sich die prinzipielle Frage: Wenn schon Harmonisierung, dann auf welchem Niveau? Welche überzeugende inhaltliche Begründung gibt es dafür, dass es die EU-Bedingungen und nicht etwa die eidgenössischen institutionellen Arrangements sind, die den Maßstab für das einzuebnende Wettbewerbsfeld bilden? Überspitzt gefragt: Warum sollte die Schweiz ihr liberales Bankgeheimnis abschaffen, wenn doch andere Länder es übernehmen könnten, aber nicht bereit sind, dies zu tun?

Hinter dieser Fragestellung steht ein tieferes Problem, das sich wohl auf unterschiedliche Staatsauffassungen zurückführen lässt. Das traditionelle Verständnis im Verhältnis zwischen Bürger und Staat basiert in den meisten Ländern auf der organischen Staatsauffassung, der zufolge der Staat als eine hierarchisch über den Privaten stehende Institution mit Entscheidungs- und Durchsetzungsmonopol gegenüber den Privaten begriffen wird. Dem gegenüber steht die vertragstheoretische Staatsauffassung der Verfassungsökonomik, in der der Staat als ein freiwilliger Zusammenschluß von Bürgern aufgefasst wird, durch den sie gemeinsame Vorteile generieren wollen. Während beim organischen Staat der Zwang in der Beziehung zwischen Bürger und Staat eine dominierende Rolle spielt, kennzeichnen Freiwilligkeit und Äquivalenz den verfassungsökonomischen Staat in seinem Verhältnis zu den Bürgern.

Da der Systemwettbewerb der komparativen Regulierungsvorteile die Exit-Optionen für die Privaten international verbreitert, ist äquivalenzloser einseitiger Zwang gegenüber den Privaten, wie er im organischen Staatsverständnis mit seinem Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung inkorporiert ist, um so weniger durchsetzbar, je mehr Ausweichoptionen diesen offen stehen. Denn Ausweichmöglichkeiten offerieren den Privaten das Unterlaufen des staatlichen Zwangs und die Hinwendung zu Äquivalenzbeziehungen in Form des freiwilligen Tauschs außerhalb der nationalen Grenzen. Die Regierungen werden damit in ihrer Regulierungsmacht, die die Bürger eines Landes mit Zwangsabgaben ohne äquivalente staatliche Gegenleistungen konfrontiert, zunehmend begrenzt. Globalisierung und Systemwettbewerb verändern mithin die Bedingungen, unter denen die Steuer- und Abgabensysteme traditionellen Zuschnitts für mehr oder minder abgeschlossene Staaten konzipiert worden sind.

Deshalb steht im grundsätzlichen Gegensatz zum Zwang des traditionellen äquivalenzlosen Leistungsfähigkeitsprinzips der Besteuerung das Äquivalenzprinzip der Abgabenerhebung, dem das freiheitliche Tauschparadigma zugrunde liegt: Die Bürger zahlen Abgaben im wesentlichen als Äquivalent für die vom Staat an sie erbrachten Leistungen. Dabei kommt das Bild von Steuer-Leistungs-Paketen ins Spiel. Die Disponenten über international mobile Ressourcen engagieren sich in denjenigen Standorten, die ihnen das in ihrem individuellen Urteil relativ beste Preis-Leistungsverhältnis zwischen Abgaben und staatlichen Gegenleistungen anbieten. In diesem abwägenden Kalkül der komparativen Vorteile spielt selbstverständlich das Bankgeheimnis als Element des Besteuerungsverfahrens und mithin als eine spezifische Komponente des Preis-Leistungs-Pakets, das in der Schweiz und in anderen Standorten angeboten wird, eine wichtige Rolle.

Daraus folgt zum Beispiel, dass das eidgenössische Bankgeheimnis von internationalen Kapitaldisponenten vermutlich als ein um so größerer komparativer Vorteil angesehen wird, je mehr andere Staaten das traditionelle Leistungsfähigkeitsprinzip durch eine besondere Schärfe der progressiven Besteuerung betonen, die ja dem Äquivalenzprinzip zuwider läuft. Wird die Progression der Besteuerung zudem noch als Ausdruck gesellschaftlicher Gerechtigkeitsvorstellungen herausgestellt – obwohl sie zumeist wohl eher den wiederwahlorientierten Umverteilungsintentionen der Regierenden entspricht – , so wird deutlich, dass kollektiv verordnete Gerechtigkeitspostulate in offenen Jurisdiktionen nicht mehr bedingungslos akzeptiert, sondern dass sie auf den Prüfstand der individuellen Akzeptanz durch die mobilen Faktoren gestellt werden und sich also im internationalen Wettbewerb bewähren müssen.

Standortspezifische Vorstellungen von Umverteilung und Gerechtigkeit müssen international wettbewerbsfähig sein, damit mobile Faktoren sie in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül zu finanzieren oder mitzufinanzieren bereit sind. Jedenfalls lassen sich die verschiedentlich auf Gerechtigkeitsargumenten basierenden ethischen Begründungen für eine Abschaffung des eidgenössischen Bankgeheimnisses aus dieser Sicht nicht rechtfertigen. Denn im Systemwettbewerb ist Gerechtigkeit immer relativ.

Regierungen außerhalb der Schweiz führen bekanntlich Klage darüber, dass einzelne Wirtschaftsbürger sowie international operierende Unternehmen nicht zuletzt aufgrund des eidgenössischen Bankgeheimnisses durch Verlagerung ihrer Hauptniederlassungssitze in die Schweiz sich ihrer inländischen Besteuerungspflicht entziehen, obwohl sie weiterhin die staatlichen Leistungen im Inland nutzen. Dies ist das bekannte Trittbrettfahrer-Argument. Wenn sie diesen Tatbestand dann als schädliche Wirkung der Globalisierung und des Steuerwettbewerbs beschreiben, die man regulatorisch unterbinden müsse, dann ist zu fragen, wo denn das eigentliche Problem liegt.

Ist die Globalisierung der Schurke im Stück, weil sie das traditionelle Besteuerungsparadigma der staatlichen Einnahmebeschaffung nach der Leistungsfähigkeit bedroht? Oder ist es gerade dieses äquivalenzlose Leistungsfähigkeitsparadigma, das mit der Globalisierung immer weniger kompatibel geworden ist und zunehmend an seine Grenzen geführt wird? Ist das schweizerische Bankgeheimnis der Hauptschurke im Stück, weil es Steuerzahler von Staaten außerhalb der Schweiz zur Steuerhinterziehung verleitet? Oder sind es die Staaten, denen die Steuerzahler entwischen, weil diese als opfernde Zensiten das Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung als illiberale sozialpaternalistische Bevormundung empfinden und in einer Welt zunehmender Exit-Optionen immer weniger akzeptieren (müssen)?

Diese Fragen bedürfen der Antworten, deren Zielrichtung eindeutig ist: Da die Globalisierung den wohl irreversiblen Datenkranz in dieser Welt bestimmt, müssen die traditionellen Besteuerungssysteme mit diesem Datenkranz kompatibel gemacht werden. Der umgekehrte Versuch wäre zum Scheitern verurteilt. In einer Welt der Exit-Optionen, des System- und Steuerwettbewerbs bricht sich das Prinzip des freiwilligen Tausches international zunehmend Bahn. Für die Staaten heißt dies, dass sie ihre Einnahmeprinzipien immer stärker auf äquivalenzorientierte Gebühren und Beiträge zulasten opferorientierter Zwangsabgaben ausrichten müssen.

Damit wäre die Richtung gewiesen, im Interesse der Bürger sicherzustellen, dass die Nutznießer von Staatsleistungen auch ihre Finanzierung besorgen und ihr nicht ausweichen können. „Steuern als Preise“ heißt die Devise, und als Steuerpreise sollen sie wie andere Marktpreise auch die Staatsleistungen prinzipiell in das von den Nachfragerpräferenzen bestimmte Portfolio lenken. Steuerhinterziehung und Trittbrettfahren werden minimiert. Steuerpreise befördern den Systemwettbewerb, der als Entdeckungsverfahren einen Suchprozeß nach überlegenen Besteuerungsverfahren auslöst. In diesen Verfahren ist für die Schweiz das Bankgeheimnis ein wesentlicher Preisparameter im Wettbewerb der Besteuerungssysteme. Dieses abzuschaffen wäre das Gegenteil einer Entwicklungsrichtung, die den liberalen Geist eines Staatenwettbewerbs in Europa und darüber hinaus kennzeichnet.

Also: Auch nach Liechtenstein kein Requiem für das Bankgeheimnis!

2 Antworten auf „Nach Liechtenstein:
Ein Requiem für das Bankgeheimnis?“

  1. Die globale Vernetzung der Märkte spiegelt in letzter Konsequenz das wieder, was in der Politikwissenschaft längst angekommen ist: Die Auswirkung des Globalen auf das Regionale, die Region, die regionale Wirtschaft. Meines Erachtens wird zu wenig untersucht, wie verwoben und häufig undurchsichtig da die Zusammenhänge bestehen. Zur Verdeutlichung: Der Wettbewerb innerhalb der globalen Märkte schlägt sich durchaus auf die regionalen Märkte wieder, leider auch im Negativen! Die Freiheit, die sich ein Konkurrent nimmt, um im globalen Maßstab den Wettbewerber „fertig“ zu machen, kann für den Betroffenen zur Folge haben, daß sich regionale Interessen gegen ihn wenden. Und sei es nur in Form unsinniger „Amtshilfeverfahren“ und Gerichtsverhandlungen vor Ort.

    Im konkreten Fall habe ich für einen Artikel recherchiert, der sich nun wie folgt liest:

    Es ist seit Jahren bekannt, dass sich große deutsche Firmen in China oder Russland zu ihrem Leidwesen einer trägen und oft korrupten Bürokratie gegenüber sehen. Investitionen werden verzögert, „Zuwendungen“ werden offen und ungeniert verlangt und häufig dauert es Jahre, bis sich der gewünschte Geschäfterfolg einstellt. Was Global Player mit ihrer Manpower und finanziellen Ressourcen leichter wegstecken mögen, kann für den deutschen Mittelstand katastrophale Folgen mit sich bringen. Es gibt Länder, in denen ein erfolgreicher Markteintritt mit allen Mitteln verhindert werden soll. Konkurrenten kämpfen mit harten Bandagen: Da wird bestochen und betrogen, unverhohlene Drohungen ausgestoßen oder Personal abgeworben, Firmendaten gestohlen und Schmutzkampagnen losgetreten, die nur allzu häufig zum Selbstläufer werden.

    Ein Beispiel dafür ist Indonesien, das im aktuellen Corruption Perceptions Index der renommierten NGO Transparency International Platz 134 von insgesamt 163 Plätzen einnimmt – eine traurige Auszeichnung. Besonders auf dem boomenden Sicherheitsmarkt in Indonesien wird deutlich, dass es für spezielle und aufwendige Technologien nur wenige Anbieter, dafür aber einige Neider gibt, die mit unfairen Methoden versuchen, erfolgreiche Wettbewerber vom Markt zu drängen. Ein beliebter Vorwurf ist hier die angebliche Förderung der Korruption im Lande. Natürlich erscheint es plausibel, gerade in jenen Staaten dies dem Wettbewerber zu unterstellen, in denen sich ohnehin ausländische Investoren mit zweifelhaften Angeboten konfrontiert sehen. Wer unter solchen Bedingungen sauber arbeiten und investieren möchte, hat es oft schwer.

    Die Hamburger Firma Dermalog, ein „Entrepreneur des Jahres 2007“ und Träger diverser anderer Auszeichnungen, kann davon ein Lied singen: Vor einigen Jahren streute ein bis dato völlig unbekanntes und auch heute unauffindbares „Thinktank“ mit dem nichtssagenden Titel „Center for Business and Association Studies (CEBAS)“ diverse Gerüchte, die – in einem Klima politischer Umbrüche und Reformbemühungen – Dermalog mit Korruption in Indonesien in Zusammenhang brachte. Die damaligen spärlichen Pressemeldungen in Indonesien brachten zum Teil völlig identische Behauptungen in Umlauf, deren Ursprung mehr als zweifelhaft ist. Nach der Einschätzung von Fachleuten, z.B. der International Crisis Group, existierten CEBAS und die angeblich dort beschäftigten Personen nicht. Vielmehr geht man davon aus, dass Organisationen wie CEBAS vorsätzlich von Konkurrenten aus dem Boden gestampft werden, um auf diesem Wege den erfolgreichen Konkurrenten – in diesem Fall die deutsche Firma Dermalog – zu diskreditieren.

    Ähnliche Beispiele finden sich immer wieder und in zahlreichen Ländern: Ein unterlegener Konkurrent verbreitet ein Gerücht, um dem erfolgreichen Wettbewerber zu schaden. Es werden vermeintlich „kritische“ Gruppierungen geschaffen und finanziert, die dann den Auftrag erhalten, besonders „kritisch“ gegenüber der konkurrierenden Firma vorzugehen. Eine Taktik, die in Seminaren der in Paris ansässigen „Schule für den Wirtschaftskrieg“ diskutiert wird und in Zeiten von Competitive Intelligence zum Standardrepertoire globaler Konkurrenzkämpfe gehört. Man könnte also diverse betroffene Firmen aus diversen Ländern aufführen. In einigen Fällen werden die Hintergründe bekannt, in manchen leider nicht.

    CEBAS bzw. der dahinter stehende Konkurrent war in diesem Sinne sicher „erfolgreich“, denn bis heute muss sich Dermalog juristisch gegen Behauptungen wehren, die durchweg und zum Teil im genauen Wortlaut von CEBAS übernommen werden. Die Recherche nach CEBAS führt ins Leere, es finden sich auch keine Zeugen bei den seriösen indonesischen NGOs, welche die Existenz oder gar die Ernsthaftigkeit von CEBAS bestätigen könnten. Auch lassen sich keinerlei Studien, Publikationen oder Kontaktadressen finden.

    Bedauerlich ist schließlich, dass auch in Deutschland Journalisten eine Geschichte ungeprüft und ohne Beweise übernehmen, die aus offensichtlichen Gründen in die Welt gesetzt worden ist. Man könnte an dieser Stelle die mangelnde Zeit für saubere Recherche oder das fehlende Geld für Untersuchungen vor Ort anführen, unter dem viele Redaktionen zu leiden haben. Ob dies allerdings bei großen und bekannten deutschen Magazinen ebenfalls so zutrifft, sei dahingestellt.

    In diesem Sinne.
    Carsten Fritsche

  2. Herzlichen Dank für die hervorragende Beschreibung und Argumentation. Ich hoffe, unser Herr Finanzminister hat Berater, die ihn derartig mit Stoff versorgen – alternativ könnte er ja gleich hier mitlesen.

    Noch ein Hinweis respektive eine Frage: Ich verstehe einfach nicht, wie man Steuerhinterziehung und Steuerbetrug auf die gleiche (kriminelle) Ebene heben kann. Wer einen Beleg vergisst oder seine an Weihnachten vom Onkel erhaltene Goldmünze beim Erstellen der (umfangreichen) Steuerunterlagen nicht mehr präsent hat, begeht doch keinen Betrug.

    In der Praxis bedient sich der Staat bei uns eines einfachen Mechanismus: Wenn ich bei einem Thema nichts angebe, teilt mir der Steuerkommissar mit, wer werde mich diesbezüglich einschätzen. Er (oder Sie) signalisiert, dass diese Einschätzung recht hoch ausfallen dürfte – was dazu führt, dass ich mich sehr rasch um Beibringung eines schriftlichen Beleges bemühe.

    Ich werde mir erlauben, von meinem Blog speziell auf diesen Artikel aufmerksam zu machen und hierhin zu verlinken. Herzlichen Dank und beste Grüsse.

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