Gastbeitrag
Europäische Zentralbank nicht überfordern!

Seit Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise spielt die EZB eine zentrale Rolle in der Krisenbewältigung. Im Rahmen ihrer unkonventionellen Geldpolitik hat sie Banken aus der Eurozone unbegrenzt Refinanzierungskredite gewährt und dabei die Anforderungen an die zu hinterlegenden Sicherheiten gesenkt. Sie hat zudem Programme aufgelegt, um Staatsanleihen von kriselnden Eurostaaten auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen. Mit diesen Maßnahmen wandert die EZB auf einem sehr schmalen Grat zwischen Geld- und Fiskalpolitik.

Mit der geplanten Europäisierung wichtiger Teile der Bankenaufsicht und der makroprudentiellen Überwachung, d. h. der Überwachung der Stabilität des Finanzsystems, werden der EZB Aufgaben übertragen, die weit über die Geldpolitik hinausgehen. Dabei könnte die Unabhängigkeit der Zentralbank in Gefahr geraten.

Viele Notenbanken erhielten ihre Unabhängigkeit mit dem Auftrag, für Preisniveaustabilität zu sorgen, als Reaktion auf die hohen Inflationsraten in den 1970er Jahren. Zuvor war die Verlockung für die Politik groß, fiskalische Probleme monetär zu lösen. Die Unabhängigkeit der Zentralbank soll die Geldpolitik vor dem Einfluss der Politik schützen und klar von der Fiskalpolitik trennen. Im Verlauf der Finanz- und der europäischen Staatsschuldenkrise hat die EZB eine ganze Reihe unkonventioneller Maßnahmen ergriffen und damit ihr Mandat weit interpretiert und gedehnt. Dies ist mit erheblichen Risiken verbunden:

Die ultraleichte Geldpolitik der EZB mit historisch niedrigen Zinsen, die unbegrenzte Bereitstellung von Liquidität für Geschäftsbanken und der Kauf von Staatsanleihen   haben   zwar   dazu  beigetragen, dass die Finanzmärkte kurzfristig immer wieder beruhigt werden konnten. Mittel- bis langfristig bergen diese Maßnahmen aber Gefahren. Bei niedrigen Zinsen nimmt die Risikoneigung der Marktakteure zu, was sich negativ auf die Finanzmarktstabilität auswirken kann. Auch besteht bei niedrigen Zinsen weniger Druck für Regierungen, die Staatsverschuldung zu senken. Langfristig können Gefahren für die Preisniveaustabilität auftreten, wenn es der EZB nicht gelingt, die Zinsen bei sich besserer Konjunktur rechtzeitig wieder anzuheben. Auf die EZB könnte ein hoher politischer Druck zukommen, wenn für die Eurozone insgesamt höhere Zinsen erforderlich werden, in einzelnen Krisenstaaten die Arbeitslosigkeit aber noch hoch ist.

Im Verlauf der Krise hat sich teilweise auch die Anschauung über den Sinn und Zweck von Geldpolitik geändert. So wird von einigen nicht nur die Geldschöpfung zugunsten des Staates durchaus als „neue Normalität“ der Geldpolitik verstanden, sondern häufiger als zuvor vorgeschlagen, Wachstum und Beschäftigung ins Pflichtenheft der Notenbanken aufzunehmen. Eine Finanzierung staatlicher Aufgaben durch Zentralbanken würde jedoch zu einer Politisierung der Geldpolitik führen und ihre Unabhängigkeit in Frage stellen. Die Vorgabe realwirtschaftlicher Ziele könnte ihre Unabhängigkeit ebenfalls schwächen, da die Zentralbanken von der Politik stärker in die Verantwortung für gesamtwirtschaftliche Entwicklungen genommen würden. Zudem ist die Geldpolitik nicht dafür geeignet, strukturelle Probleme, wie zum Beispiel eine hohe Arbeitslosigkeit, zu bekämpfen. Dazu sind vor allem Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt notwendig.

Auslöser für die vielen Rettungsmaßnahmen in der Finanz- und Staatsschuldenkrise waren Sorgen um die Stabilität des Finanzsystems. Solche systemische Risiken sollen durch die sogenannte makroprudentielle Politik vermieden oder zumindest begrenzt werden. Finanzstabilität zu gewährleisten, ist eine sehr komplexe und auch nur schwer definierbare Aufgabe, die diskretionäre Eingriffe z. B. bei Banken oder privaten Haushalten erfordert. So gehören einkommensabhängige Kreditlimits für Immobilien genauso zum potentiellen Instrumentenkasten der makroprudentiellen Politik wie Obergrenzen für Bankkredite oder spezifische Risikogewichte für Ausleihungen an bestimmte Sektoren. Da einzelne Maßnahmen Auswirkungen auf unterschiedliche Betroffene haben, ist mit Entscheidungs- und Interessenskonflikten zu rechnen.

Interessenskonflikte sind auch bei einer europäischen Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB nicht auszuschließen. So sprechen zwar eine Reihe von Gründen für eine europaweite Bankenaufsicht, doch wird es schwierig sein, die Geldpolitik und die Bankenaufsicht innerhalb der EZB durch eine „chinesische Mauer“ zu trennen. Hinzu kommt, dass bei Aufsichtsentscheidungen, die zur Abwicklung einer Bank führen können, stets auch die Frage nach den Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte beantwortet werden muss.

Mit der Übertragung neuer, komplexer Aufgaben auf die EZB besteht die Gefahr, diese zu überfordern. Daher sollte man zurückhaltend mit der Übertragung neuer komplexer Aufgaben an die EZB sein. Wenn dies für einen wichtigen Teil der Bankenaufsicht jetzt gleichwohl geschieht, sollte schon jetzt nach Wegen gesucht werden, wie die europäische Bankenaufsicht zu gegebener Zeit wieder aus der EZB herausgelöst und einer eigenen Behörde übertragen werden kann. Zugleich müssen aber auch andere Stellen einen Beitrag zur Finanzstabilität leisten. Dazu gehört, dass die öffentliche Verschuldung deutlich reduziert und das Finanzsystem durch eine höhere Eigenkapitalausstattung von Finanzinstituten stabiler gemacht wird – und zwar auch für Kredite an Staaten.

 

Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Zen­tralbanken in der Krise: Überforderung statt Langeweile?“ mit Prof. Dr. Hermann Remsperger (Goethe-Universität Frankfurt und Stiftung Geld und Währung) in Berlin.

 

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