Die Wahlperiode verlängern?!

Die Politische Klasse in Deutschland diskutiert schon seit Jahren die Frage, ob die Wahlperiode des Bundestages verlängert werden soll: von vier auf zum Beispiel fünf Jahre. Zugleich wird mancherorts argumentiert, die Zustimmung zu einer solchen Verlängerung müsse geknüpft werden an die Einführung zusätzlicher plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz. Was ist davon zu halten? Erkenntnisse aus der Verfassungsökonomie – also dem Spektrum der ökonomischen Wissenschaft, das sich mit den wirtschaftlichen Anreizen und Folgen institutioneller Arrangements beschäftigt – zeigen, daß hier prinzipiell in die richtige Richtung gedacht wird.

Der primäre Grund für eine Verlängerung der Wahlperiode ist, die Zeitspanne zwischen zwei Wahlterminen auszudehnen, die den Regierenden für die Durchsetzung von Politikaktivitäten zur Verfügung steht, die nicht ständig einem allzu kurzfristig orientierten Wiederwahlkalkül unterliegen, also längerfristig ausgerichtet sein sollten. Die Koalitionsparteien in der gegenwärtige Regierungskoalition zeigen ja in dramatischer Weise ihre populistische Kurzfristorientierung der Wiederwahl, indem sie das Füllhorn immer neuer Wohltaten beständig über das Wahlvolk ausschütten. Die Gegenwartpräferenz für politischen Aktionismus dominiert die Zukunftspräferenz für ordnungspolitische Orientierung. Deshalb plädiert die Verfassungsökonomie prinzipiell für längere Wahlperioden, die die ordnungspolitisch unerläßliche Langfristorientierung politischer Programme befördern soll.

Aber es gibt darüber hinaus noch mindestens einen weiteren Grund, der in der politischen und öffentlichen Diskussion bisher keine Rolle spielt und deshalb auch nicht genannt wird, der aber wichtig ist, weil er dem bedrohlichen Zustand der hohen und immer noch steigenden Staatsverschuldung in Deutschland prinzipiell entgegenwirken könnte.

Aus der Verfassungsökonomie lassen sich nämlich einige empirische Befunde ableiten, die man kurz wie folgt zusammenfassen kann: Je kürzer die Zeit ist, die eine Regierung amtieren kann, desto höher ist deren Neigung, sich zu verschulden. Und: Je wahrscheinlicher die Abwahl einer Regierung ist, desto höhere Haushaltsschulden produziert sie. Beide stilisierten empirischen Fakten sagen aus, daß eine (zu) kurze Wahlperiode, die zudem durch unpopuläre Politikentscheidungen die Wahrscheinlichkeit der Regierungsabwahl erhöht, die Staatsverschuldung in die Höhe treibt.

Darüber hinaus zeigt die Verfassungsökonomie, daß Regierungen in stärker direkt-demokratisch verfassten Staaten im Durchschnitt geringere Staatsschulden produzieren als repräsentative Demokratien.

Wie lässt sich zunächst der negative Zusammenhang zwischen Länge der Wahlperiode und Höhe der Staatsverschuldung erklären? Das ist nicht zu schwierig: Die Kreditfinanzierung öffentlicher Leistungen kann als der Versuch einer zeitlichen Verschiebung der Budgetbeschränkung in die Zukunft betrachtet werden, derer sich die Regierungen gern bedienen, um zum Zwecke der Machterhaltung die merklichen Wohltaten für die Bürger durch quasi unmerkliche Einnahmen (Kredite) zu finanzieren. Dies ist die wahltaktisch motivierte Strategie einer intergenerativen Lastenverschiebung der Staatsfinanzierung. Er gelingt besonders in Ländern mit einer – wie in Deutschland – alternden Bevölkerungsstruktur, in der ein zunehmender Anteil der Wähler darauf baut, daß die Zins- und Tilgungslasten heutiger Staatsverschuldung außerhalb ihrer eigenen ökonomischen Lebensphase liegt.

Auch gibt es die Erklärung im Rahmen strategischer Spiele zwischen Regierung und Opposition: Steigt die Wahrscheinlichkeit des Machtverlustes, so kann die Regierung durch Kreditaufnahme den Finanzierungsspielraum der potentiellen Nachfolgeregierung im vorhinein einzuengen versuchen. Damit macht sie sich heute bei den Wählern beliebt, während der zukünftige höhere Kapitaldienst, den die Wähler dann tragen müssen, den oppositionellen Nachfolgern angelastet wird. Diese wiederum verspüren denselben Hang zur wahltaktischen Zweckentfremdung der Staatsverschuldung mit der Folge erneuter Defizitfinanzierung.

Was ist nun der Grund dafür, daß direkt-demokratische Verfassungselemente die Staatsverschuldung weniger stark hochtreiben? Eine der wesentlichen Erklärungen ist, daß die Bürger in Direktdemokratien während der Legislaturperioden, wenn es um bestimmte Staatsprojekte geht, auch über deren Finanzierung mitbefragt werden. Staatsausgaben und Steuern – als deren von den Bürgern für die Staatsleistungen zu zahlende „Preise“ – werden dann eher als Äquivalente betrachtet, deren zeitliche Entkoppelung über eine staatliche Schuldenfinanzierung bei den Wählern durchschaubar wird und dementsprechend geringere Akzeptanz findet. Die Folge ist – wie uns zum Beispiel die Schweiz lehrt – eine gegenüber Deutschland durchaus augenfällige Ausgabendisziplin.

Einige weitere verfassungsökonomische Befunde sind in diesem Kontext interessant: Staatsschulden sind im Durchschnitt um so höher, je größer die Zahl der Koalitionspartner ist und je heterogener die politischen Programme der Koalitionspartner sind. Daraus folgt dann auch, daß die Staatsverschuldung in Ländern mit reinem Mehrheitswahlrecht, die also keinen Koalitionszwängen unterliegen, im Durchschnitt niedriger ist als in Staaten mit Verhältniswahlrecht. Da in Deutschland zukünftig mit einem Fünfparteiensystem zu rechnen ist und Koalitionen nicht selten von mehr als zwei Parteien wahrscheinlicher werden, deren Programme sich zudem heterogener gebärden, wird die Staatsverschuldung in Deutschland eher in die Höhe getrieben denn abgesenkt werden.

Auch hierfür gibt es plausible Erklärungen. Einleuchtend ist wohl, daß Koalitionspartner, die sich die Macht teilen, ähnliche Strategiespiele betreiben, wie sie zwischen Regierung und Opposition stattfinden: Jeder Koalitionspartner will merkliche Wohltaten, die ihm direkt positiv zugerechnet werden sollen, an die Wähler verteilen, ohne daß er für die merklichen Finanzierungslasten direkt verantwortlich gemacht werden will. Eine kooperative Strategie der Budgetkürzung innerhalb der Regierung kann dann nicht gelingen. Anstelle dessen praktizieren die Koalitionäre das Gegenteil, nämlich eine nicht-kooperative Strategie der zeitlichen Verschiebung der merklichen Finanzierungslasten ihrer jeweiligen Ministerbudgets in die Zukunft. Und dies geschieht um so mehr, je heterogener und polarisierter die Koalitionsprogramme und je höher mithin die Kompromisskosten innerhalb der Koalitionäre sind. So ist ein beachtlicher Teil der Staatsverschuldung den heterogenitätsbedingten Kompromisskosten von Koalitionen geschuldet.

Die gegenwärtig regierende Große Koalition scheint den aufgezeigten verfassungsökonomisch erklärbaren Verhaltensmustern von Mehrparteienregierungen ziemlich genau zu entsprechen: Die nicht-kooperativen Strategiespiele intensivieren sich, je näher die Wahl rückt, je kürzer also die noch verbleibende Legislaturperiode ist. Die Staatsausgaben sinken folglich nicht, sondern werden im Gegenteil durch expansive Ressortprogramme für das nächste (Wahl-) Jahr munter erhöht, der Ausgleich des Staatshaushalts wird ebenso wie der Stopp der Neuverschuldung immer weiter in die Zukunft verschoben.

Deshalb ist es nicht glaubwürdig, daß im Rahmen des heutigen institutionellen Arrangements die Staatsverschuldung in den nächsten Jahren signifikant zurückgefahren wird. Auch die Vorgängerregierung der Großkoalitionäre hat ihre diesbezüglichen eigenen Ankündigungen nicht eingehalten – ganz im Einklang mit der verfassungsökonomischen Evidenz.

Mithin erscheint es wichtig, die politische Einsicht zu schärfen, daß die in der Diskussion stehende Verlängerung der Legislaturperiode einer Verfassungsreform entspräche, die der endogenen Expansion der Staatsverschuldung im auch zukünftig koalitionsregierten Deutschland wenigstens tendenziell entgegenwirkte. Eine solche Verlängerung ist nach allem Gesagten um so dringender, je knapper die Mehrheitsverhältnisse sich zukünftig ausprägen, je polarisierter die Parteienlandschaft wird, je stärker die Gegenwartspräferenz einer alternden Bevölkerung, deren Wähleranteil in Deutschland steigt, zunimmt und je stärker die Zukunftspräferenz der Jungen sich erhöht, deren Wähleranteil sinkt.

Verstärkt würde der positive Effekt einer Wahlperiodenverlängerung, wenn man sie durch eine Hinwendung zu direkt-demokratischen Verfassungselementen ergänzte. Dadurch würde für die Wähler die Äquivalenzbeziehung zwischen Staatsleistungen und deren Finanzierung hervorgehoben, die dann eine Art verfassungsmäßiger Schuldenbremse generieren könnte. Und schließlich würde aus der empirischen Erfahrung heraus die Hinwendung zum Mehrheitswahlrecht oder wenigstens eine stärkere Pointierung von Elementen des Mehrheits- zulasten des Verhältniswahlrechts die Staatsverschuldung eher eindämmen denn stimulieren.

Es gilt mithin, die „Unsichtbare Hand“ in ihrem Wirken zu stärken, das Eigennutzstreben der Politiker nach zeitlicher Ausdehnung wahlunabhängiger Aktionsspielräume in den Gemeinnutz einer damit verbundenen staatlichen Verschuldungsbremse zu transformieren. Selbstverständlich gilt, daß es zudem und vor allem weiterer einschneidender konstitutioneller Arrangements bedarf, um auf direktem Wege die Staatverschuldung in Deutschland signifikant abzusenken.

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