Kirch, Bosman und Abramowitsch

Vielen Menschen in Europa würde etwas fehlen, gäbe es keine Fußball-Nationalmannschaften mehr. Sie sind stolz auf ihre Nationalkicker, wie sie es auf die Flagge ihrer Nation oder ihre Nationalhymne sind. Auch bei den Europameisterschaften 2008 in Österreich und der Schweiz wird der Dreiklang aus Team, Flagge und Hymne wieder zu sehen und hören sein. Diese heile Welt ist allerdings für viele in Gefahr. Schuld daran sei der Kommerz. Vereine würden zu reinen Unternehmen der Unterhaltungsindustrie, Nationalmannschaften seien vom Aussterben bedroht. Kurz und gut: Die europäische Fußball-Kultur stehe auf der Kippe.

„Heile Welt“ des Fußballs

Das war nicht immer so. Lange Zeit schlief der Fußball einen Dornröschenschlaf. Romantik dominierte das Geschäft. Die Märkte, auf denen die Vereine agierten, waren abgeschottet. Vereine konnten Kicker lange nur auf heimischen Spielermärkten verpflichten. Strenge Ausländerquoten bremsten die Mobilität. Die Clubs waren eingetragene Vereine, keine Unternehmen. Kapitalmärkte wurden kaum genutzt, Eigenfinanzierung dominierte. Auch die Spielemärkte waren abgeschottet. Noch heute beherrschen nationale Monopolligen die Szene. Europäische Wettbewerbe öffnen sie bisher nur einen Spalt weit.

Über die Stärke der Vereine bestimmten nationale Faktoren. Die Größe des nationalen Absatzmarktes war die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs. Ein mehr oder zumeist weniger gutes Management trennte die Spreu vom Weizen. Sportlich erfolgreich waren vor allem die Vereine, die bewusst in eigenen Nachwuchs investierte. Der Erfolg der Vereine schlug sich in der Stärke der nationalen Ligen nieder. Starke Ligen hatten auch eine erfolgreiche Nationalmannschaft. Kleine Länder konnten nicht mithalten. Ihnen fehlten trotz aller Tüchtigkeit die großen Absatzmärkte. Vereine, Ligen und nationale Verbände lebten fast in Harmonie. Interessenkonflikte spielten eine geringe Rolle.

Kirch und die Champions League

Der Anfang vom Ende dieser „heilen“ Fußballwelt der 60er und 70er Jahre war eine technologische Revolution. Größere Reichweiten des Fernsehens schufen ab Mitte der 80er Jahre einen wachsenden Markt für Fußballspiele. Die Einnahmen der Vereine aus Übertragungsrechten explodierten, die märchenhafte Ära Kirch brach an. Merchandising und Sponsoring wurden für die Vereine zu weiteren wichtigen finanziellen Standbeinen. Der „moderne Fußball“ wurde professioneller betrieben. Kosten und Erträge spielten nun eine größere Rolle. Fußball entwickelte sich nach Meinung vieler Fans zu einem „Geschäft mit kaltem Herzen“.

Der Ruf des Geldes wurde lauter. Eine Reform der europäischen Wettbewerbe folgte. Mit der Saison 1992/93 wurde die „Champions League“ installiert. Die Aussicht auf einen Geldregen lies sie expandieren. Neben nationalen Meistern können weitere Spitzenteams teilnehmen. Nationale Monopolligen in Europa wurden ein wenig geöffnet. Die Spielemärkte wurden größer, die Aussichten der Vereine auf weitere Erträge stiegen. Allerdings verzerrt die Champions League den Wettbewerb in den nationalen Ligen und zwar um so mehr, je höher die Einnahmen in diesem europäischen Wettbewerb ausfallen. Die finanziellen und sportlichen Ungleichheiten in nationalen Ligen werden größer, die Gefahr der sportlichen Langeweile nimmt zu.

Bosman und der EuGH

Die Aussicht auf höhere Erträge verschärfte den Wettbewerb der Vereine auf den Absatz- und erhöhte den Druck auf den Beschaffungsmärkten. Wer auf Spielermärkten günstiger einkauft, hat Vorteile. Mit dem legendären Bosman-Urteil des EuGH im Jahre 1995 wurden die Spielermärkte geöffnet, zunächst in der EU, später in der UEFA, heute faktisch weltweit. Offene Spielermärkte verändern die „make-or-buy“-Entscheidung der Vereine. Um national und international wettbewerbsfähiger zu werden, müssen sie nicht mehr unbedingt in eigenen Nachwuchs investieren. Sie können bessere und/oder billigere Spieler auch aus dem Ausland importieren.

Das hat Konsequenzen für die Nationalmannschaften. Eine starke Liga garantiert nicht mehr ein wettbewerbsfähiges Nationalteam. Darunter leiden vor allem „große“ Länder. Ihre Vereine sind stark, ihre Ligen auch, ihre Nationalmannschaft nicht unbedingt. Ohne erfolgreiche Investitionen in heimischen Nachwuchs geraten ihre Nationalteams auf die schiefe Bahn. Umgekehrt ist es bei den „Kleinen“. Dort leiden Vereine und Ligen, zumindest kurzfristig unter der Öffnung der Spielermärkte. Die Nationalmannschaften werden allerdings stärker, weil die meisten Nationalspieler in den besten europäischen Ligen an Qualität gewinnen.

Abramowitsch und die Vereine

Der schärfere Wettbewerb auf den Spielemärkten verändert auch die Eigentumsstrukturen der Vereine. Die britischen Fußballclubs haben die Zeichen der Zeit als erste erkannt. Dort gibt es die meisten börsennotierten Fußballclubs, nicht alle mit professionellem Management. Dennoch gilt: Die Eigenkapitalbasis wird gestärkt, eine Grundlage für sportliche und finanzielle Erfolge auf den Absatzmärkten gelegt. Trotzdem sind die Abramowitschs und Glazers bei vielen Fans und den meisten Verbänden nicht gerade beliebt. Ausländische, renditeorientierte Investoren, die sich nationale „Heiligtümer“ unter den Nagel reißen, vertragen sich nur schwer mit der „heilen“ Welt des Fußballs.

Die Ligen öffnen sich Kapitalmärkten unterschiedlich schnell, wie die „Sperrmehrheit“ (50+1-Regel) eingetragener deutscher Vereine zeigt. Kapital fließt aber eher in Ligen, die für Anleger offen sind. Das stärkt die besten europäischen Ligen und vergrößert finanzielle und sportliche Ungleichheiten. Diese Ligen wirken auf die weltweit besten Spieler wie Magnete. Heimische Spieler haben nur eine Chance, wenn sie billiger oder besser sind. Darunter leiden kurzfristig die Nationalmannschaften starker Ligen, längerfristig eher nicht. Der Konflikt zwischen Vereinen und nationalen Verbänden verschärft sich. Deren Bereitschaft ist gering, Kapitaleignern auch Entscheidungsrechte einzuräumen. Die Furcht der Verbände ist groß, dass die Nationalmannschaft verliert und ihr Einfluss schwindet.

Die Zukunft des Fußballs

Das gegenwärtige wettbewerbspolitische Design der europäischen Ligen hat keine Zukunft. Die selektive Öffnung der nationalen Monopolligen durch die europäischen Wettbewerbe verzerrt den Wettbewerb in den nationalen Ligen. Der finanziellen Unausgeglichenheit wird über kurz oder lang die sportliche folgen. Weder regulierende Eingriffe auf den Spielermärkten, wie etwa Gehaltsobergrenzen, noch finanzielle Umverteilung auf den Spielemärkten sorgen für eine wirksame Korrektur. Gegen eine zu große finanzielle und sportliche Unausgeglichenheit gibt es nur ein probates Mittel: eine Öffnung der europäischen Spielemärkte.

Die Öffnung kann Schritt für Schritt oder mit einem „big bang“ erfolgen. Horizontale Kooperationen öffnen nationale Ligen sukzessive. Die UEFA müsste überregionale Ligavereinigungen zulassen, wie etwa eine Benelux-Liga. Eine vertikale Abspaltung wäre der sportliche Urknall. Über die nationalen europäischen Topligen würde eine eigenständige Europaliga angesiedelt. Die Vereine dieser Liga spielten exklusiv in Europa, die Champions League würde abgeschafft. Die Vereine der Europaliga orientierten sich an der Logik des Marktes. Sie wären professionell geführte Kapitalgesellschaften der Unterhaltungsindustrie. Von Fußballromantik keine Spur.

Fazit

Der Blick von der Angebotsseite ist klar: Expandierende Fußballmärkte sprechen für eine eigenständige Europaliga. Dabei haben aber die Anbieter möglicherweise die Rechnung ohne die Nachfrager gemacht. Nur wenn die Fans ihre fußballerischen Präferenzen europäisieren, rechnet sich eine Europaliga für die Vereine. Der Ausgang für die Nationalmannschaft ist unklar. Wie Großbritannien zeigt, können auch in einer Nation mehrere Nationalmannschaften überleben. Es ist aber auch denkbar, dass Europa sportlich zur Nation wird mit einer Topliga und einer Auswahlmannschaft. Das wäre tatsächlich das Ende der alten und der Beginn einer neuen europäischen Fußball-Kultur.

2 Antworten auf „Kirch, Bosman und Abramowitsch“

  1. Sehr geehrter Herr Berthold,

    als Fan eines Vereins, der vermutlich nicht für die Europaliga gesetzt wäre, hoffe ich natürlich grundsätzlich, dass es nie zu einer geschlossenen Europaliga kommen wird. Dass es in absehbarer Zeit m.E. auch nicht dazu kommt, liegt an den von Ihnen im Fazit erwähnten Nachfragern. Da das Fußballinteresse zu einem sehr großen Teil primär vereinsgebunden ist, lässt sich die Gesamtnachfrage am besten durch nationale Ligen mit zusätzlichen europäischen Superwettbewerben (Champions League, UEFA-Cup) befriedigen/abschöpfen. Würde man eine eigenständige, geschlossene Europaliga einführen, hätte man zwei fußballerische Parallelwelten. Die geschlossene, abgeschottete Europaliga auf der einen Seite, die nationalen Ligen mit Auf- und Abstiegen auf der anderen Seite. Meine feste Überzeugung ist, dass viele der Fans, deren Vereine nicht in der Europaliga spielen, die Lust am Fußball verlieren würden, weil ihre Vereine nur noch zweitklassig sind und mangels Aufstiegsmöglichkeiten in die Champions League auch immer bleiben würden. Viele würden dem Fußball den Rücken kehren und wären als Nachfrager verloren.

    Dies gilt zumindest für den Fall des „big bang“. Vollzieht sich eine solche Entwicklung in kleinen Schritten, könnte am Ende tatsächlich die Europaliga stehen. Die Erfahrung zeigt, dass Fans sehr leidensfähig sind, wenn man ihnen nur genug Zeit gibt, sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Ein Beispiel ist die Einführung der Champions League, die wegen der Gruppenspiele und wegen der Verwässerung des Wettbewerbs – auch Vizemeister durften nun teilnehmen – anfänglich auf heftigen Widerstand gestoßen ist, heute aber von den Fans voll akzeptiert wird. Ich habe gerade nochmal in zwei älteren UFA Sports Marktforschungsstudien nachgeschlagen: 1998 interessierten sich lediglich 49% der generell Fußballinteressierten für die Champions League – weit weniger als für die Bundesliga (70%). 2004 lag der Wert für die Champions League schon bei 69% (Bundesliga: 80%). Letztlich also ein erfolgreiches Reformprojekt.

    Insofern vermute ich, dass die alte Fußball-Kultur von der neuen Fußball-Kultur wie in der Vergangenheit in kleinen Schritten abgelöst wird. Ob am Ende die vollständig kommerzialisierte Europaliga stehen wird, bleibt mit Spannung abzuwarten.

  2. Lieber Herr Quitzau,

    die Marktwirtschaft ist eine Monarchie: Der Kunde ist König. Das gilt auch für den Fußball. Dort entscheidet der Fan, welche Spieler er mag, welchen Vereine er seine Gunst schenkt, welche Spiele er sehen will und welche nicht. Er hat auch das letzte Wort bei der Antwort auf die Frage, wie die Ligen künftig organisiert werden. Darüber entscheidet er mit Augen und Füßen, daheim vor dem Fernseher und außer Haus in den Stadien. Letztlich entscheiden die Fans (Nachfrager), wie die Fußballligen in Europa aussehen werden.

    Aus dem Blickwinkel der Vereine (Anbieter) spricht die Logik des Marktes für eine Europaliga. Der Absatzmarkt ist größer, die Ertragsaussichten sind besser, sportlich und finanziell. Kein Wunder, dass die großen Vereine trotz schärferer sportlicher Konkurrenz immer wieder mit einer Europaliga sympathisieren. Das muss aus der Sicht der Fans (Nachfrager) nicht so sein. Nur wenn sich die Präferenzen der Nachfrager europäisieren, hat eine Europaliga überhaupt eine Chance. Sicher ist das nicht, schon gar nicht kurzfristig.

    Noch immer haben die Fans einen „home bias“. Sie hängen an ihrer nationalen Topliga und ihrer Nationalmannschaft. Mit einer Europaliga wird auch die fußballerische Peripherie größer, da nur wenige nationale Vereine in der obersten europäischen Liga spielen können. Regionale „Fußballwüsten“ ohne europäische Topvereine breiten sich aus. Der Identifikation der Fans mit einer Europaliga tut das nicht gut. Möglicherweise entfernt sich der Fußball von der Basis. Kurzum: Bleiben die Präferenzen der Fans national, ist eine Europaliga für die Fans nicht lohnend.

    Wie sich die Fans entscheiden, hängt also von vielem ab, auch davon, wie eine Europaliga http://www.vwl.uni-wuerzburg.de/fileadmin/12010400/zwischenruf/OZ_077_Handelsblatt_05_06.pdf ist. Die potentiellen Anbieter haben eine relativ klare Vorstellung. Die großen Vereine wollen eine geschlossene Liga nach amerikanischem Vorbild. Das ist nicht meine Vorstellung. Ich plädiere für eine offene Liga. Sie sollte „europäisch“, nicht „amerikanisch“ organisiert werden. Das europäische Wettbewerbsmodell vertraut auf die Marktkräfte. Es setzt auf offene Ligen mit Auf- und Abstieg. Das sollte auch für eine Europaliga gelten. Die Spielermärkte sollten weiter offen bleiben. Sie sollten durch einen gemeinsamen europäischen Absatzmarkt (Spielemarkt) ergänzt werden.

    Das amerikanische Monopolmodell setzt auf geschlossene Ligen. Die Franchise-Modelle der „major leagues“ misstrauen dem marktlichen Mechanismus im Teamsport. Auf den Absatzmärkten herrscht ein Monopol. Die Spielermärkte sind durch eine Flut von Eingriffen („rookie drafts“, „option clause“, „revenue sharing“, „salary caps“ etc.) stark reguliert. Es herrscht „sportlicher Sozialismus“. Das ist nicht meine Vorstellung, wie eine künftige Europaliga organisiert sein sollte. Es mag sein, dass der Wettbewerb um den Markt in Amerika intensiver ist. Der Wettbewerb im Markt ist zweifellos in Europa schärfer. Deshalb spricht vieles für eine offene Europaliga, immer vorausgesetzt die Fans wollen sie.

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