Ordnungsruf:
Krise am Finanzmarkt – Krise auch im Elfenbeinturm?

Reflektiert die aktuelle Finanzkrise eine Krise der Ökonomik? Selbstverständlich tut sie das, wie zuletzt der „Economist“ anhand des gegenwärtigen Zustands der Makroökonomik dargelegt hat. Der „Methodenstreit“, den sich die deutsche Ökonomenzunft gerade wieder gegönnt hat, hat dazu beigetragen, einen Aspekt dieser Krise zu beleuchten: Ökonomen vernachlässigen nach wie vor die institutionellen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens. Die Finanzkrise wirft nun ein grelles Licht auf mindestens ein weiteres Defizit ökonomischer Theoriebildung: Ökonomen vernachlässigen die Determinanten und die Rationalität realen menschlichen Verhaltens.

Gegen diesen kühlen Krisenbefund regt sich jedoch temperamentvoller Widerstand. Jan Schnellenbach hat im „Visier“ der Juni-Ausgabe von „WiSt“, aber ausführlicher bereits im Mai in diesem Blog die These vertreten, die aktuelle Finanzkrise sei „keine Krise der Ökonomik“. Denn weder hätten die Ökonomen als Prognostiker versagt noch hätten ihre früheren „Politikempfehlungen“ zum Entstehen der Krise beigetragen. Die in diese beiden Richtungen zielende „populäre Kritik“ basiere auf „falschen Voraussetzungen“.

Diese These ist, wie ich zeigen möchte, verkürzt. Sie beruht, zweitens, auf einer fragwürdigen Immunisierungsstrategie. Drittens ist sie potentiell kontraproduktiv für den wissenschaftlichen Fortschritt innerhalb der Ökonomik.

(1.) Warum verkürzt? Schnellenbach schreibt erstens, eine „Reihe von Ökonomen“ (z.B. Shiller, 2005) hätten schon früh auf „eine Preisblase auf den Vermögensmärkten als Folge einer expansiven Geldpolitik in den USA“ hingewiesen. Abgesehen davon, dass dies nur eine winzige Minderheit von Ökonomen betrifft, belegt diese Beobachtung exakt, was Schnellenbach eigentlich widerlegen möchte. Die Möglichkeit eines Beinahe-Kollaps des Finanzsystems wurde nicht in Erwägung gezogen, und der Fokus wurde einseitig auf monetäre Ursachen gelegt. Eine Wissenschaft wie die Ökonomik, die sich mit komplexen Phänomenen beschäftigt, gerät bei ihren Versuchen, die Realität vereinfachend abzubilden, natürlich stets in die Gefahr, versehentlich solche Aspekte auszublenden, die sich ex post als wesentlich herausstellen. Hier war es der enge Fokus auf die Geldpolitik als Verursacher krisenhafter Entwicklungen, vermutlich zurückzuführen (u.a.) auf den prägenden Einfluss, den Milton Friedmans Beiträge auf die „herrschende Meinung“ über die Ursachen der Großen Depression der späten 1920er und frühen 1930er Jahre hatten. Die mikroökonomischen Faktoren, insbesondere die Fehlanreize durch missgestaltete „Spielregeln“ in der Finanzbranche gerieten dabei offenbar nicht hinreichend ins Blickfeld. Sie tun dies nach wie vor nicht, was man daran erkennen kann, dass in der US-amerikanischen Diskussion um Auswege aus der Krise der Schwerpunkt klar auf geld- und fiskalpolitischen Instrumenten liegt, nicht auf der (natürlich ungleich anspruchsvolleren) Neujustierung des institutionellen Rahmens. Dank der soliden ordnungspolitischen Ausbildung der meisten deutschen Ökonomen stellt sich dieses Problem hierzulande nicht in gleichem Maße. Ob neben der „institutionellen Blindheit“ auch eine „verhaltenswissenschaftliche Blindheit“ die Qualität der makroökonomischen Theoriebildung getrübt hat, diese also von einer falschen Vorstellung „rationalen“ Verhaltens am Kapitalmarkt ausgegangen ist, wie etwa Akerlof und Shiller (2009) und Gigerenzer argumentieren, sei dahingestellt. Es bleibt zu hoffen, dass die Ökonomen bis zum Ausbruch der nächsten Finanzkrise rasch genug dazulernen.

Schnellenbach schreibt zweitens, Ökonomenrufe nach Deregulierung seien nicht mitverantwortlich für die Krise gewesen, denn es sei gerade nicht die „Abwesenheit des Staates“ gewesen, die zur Krise führte. Dieses Argument übersieht, dass sich (nach heutigem Erkenntnisstand) unter der Vielzahl kausaler Faktoren auch eine Reihe von deregulierenden Maßnahmen finden, die zur Verschärfung der Finanzkrise in den USA beigetragen haben. Zu nennen wären etwa der Commodities Futures Modernization Act (2000), der auf eine Nichtregulierung von sogenannten „credit default swaps“ hinauslief, der Sarbanes Oxley Act (2002), der u.a. die effektiv prozyklisch wirkenden „fair value“-Regeln einführte sowie die Entscheidung der US-Börsenaufsicht SEC aus dem Jahre 2004, im Gegenzug für eine (letztlich recht zahnlose) Aufsicht die Eigenkapital-Richtlinien für die größten US-Investmentbanken zu lockern.

Aber sind Ökonomen angesichts der bekannten Beratungsresistenz eigennütziger Politiker für derlei Fehlentwicklungen „verantwortlich“? Sie sind es nur ganz ausnahmsweise direkt, insofern sie nämlich an obengenannten Regulierungen als politische Entscheidungsträger unmittelbar beteiligt waren. Sie sind es hingegen stets indirekt, nämlich in dem Sinne, dass sie die Wahrnehmung ökonomischer Probleme und Problemlösungen in Prozessen der öffentlichen Meinungsbildung und v.a. in jenen Zirkeln prägen, die über die Ausrichtung der Politik entscheiden. Die Bedeutung subjektiver „beliefs“ im politischen Prozess ist mittlerweile anerkannt. Es ist dieser Einflusskanal, auf den John M. Keynes anspielte, als er in seiner “General Theory“ (1935: Kap. 24) schrieb: „Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist“. Noch einmal anders ausgedrückt: Wenn eigennützige Politik gute Ökonomen-Ideen nicht umsetzen, hat die Politik den schwarzen Peter. Aber wenn die Ideen selbst nicht gut waren, dann müssen die Ökonomen sich der Kritik stellen.

(2.) Warum „Immunisierungsstrategie“? Schnellenbach macht zunächst einen Unterschied zwischen der seiner Ansicht nach illegitimen „populären Kritik“ seitens ökonomischer „Laien“ („Die Ökonomen haben doch alle versagt“) und der „legitimen“ Kritik innerhalb der Zunft. Kritik sollte jedoch nicht anhand des Bildungsgrades des Absenders, sondern strikt inhaltlich beurteilt werden. Wenn sich dem interessierten Laien am Stammtisch der Eindruck aufdrängt, dass makroökonomische Modelle (um Paul Krugman zu zitieren) „spectacularly useless at best, and positively harmful at worst“ gewesen seien, konvergiert dies offenbar mit Kritik, die innerhalb der Zunft geäußert wird. Manches mag zugespitzt sein, aber das heißt noch lange nicht, dass auf der Basis „falscher Voraussetzungen“ argumentiert wird. Wenn Laien darüber hinaus die Abwesenheit perfekt informierter wohlwollender Despoten beklagen, die die Krise „hätten verhindern können“, reflektiert das ja nicht ein Unbehagen an der ökonomischen Theoriebildung, sondern gewisse vordemokratische Ideale politischer Organisation.

Schnellenbach immunisiert die Ökonomik aber vor jeder Kritik, wenn er als Indikatoren für das Vorliegen einer Krise nur (a) die Nicht-Existenz einigermaßen korrekter Prognosen sowie (b) den direkten Einfluss defizitärer „Politikempfehlungen“ auf die politische Praxis akzeptiert. Weder (a) noch (b) werden wir jemals beobachten können – das liegt an der üblichen Varianz ökonomischer Prognosen und an den allseits bekannten Mechanismen des politischen Prozesses. Wir sollten stattdessen dann die Courage haben, eine Krise einzuräumen, wenn sich eine erhebliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ökonomischer Theorieangebote auftut. Und das ist gegenwärtig offenkundig der Fall.

(3.) Warum ist es schließlich sogar kontraproduktiv, eine „Krise der Ökonomik“ rundheraus abzustreiten? Es ist gefährlich, da es zu einer selbstzufriedenen Haltung führen kann. Es kann Studierende der VWL von notwendigen kritischen Fragen abhalten. Die aktuelle Finanzkrise mit ihren komplexen Ursachen und desaströsen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sollte Ökonomen gerade zum umgekehrten Schluss verleiten: Die Ökonomik kann sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht dadurch entledigen, dass sie auf die Komplexität ihres Untersuchungsobjekts und die Beratungsresistenz der Politik verweist; und sie ist niemals „fertig“, steckt in diesem Sinne immer in der „Krise“, und sollte das konstruktiv, nämlich als Ansporn verstehen, mit dem Lernen nie aufzuhören – oder, wie es ein bekannter Dichter ausdrückt: „Indem wir die Irrtümer unserer Vorfahren einsehen lernen, so hat die Zeit schon wieder neue Irrtümer erzeugt, die uns unbemerkt umstricken“.

4 Antworten auf „Ordnungsruf:
Krise am Finanzmarkt – Krise auch im Elfenbeinturm?“

  1. Sehr geehrter Herr Schubert,

    die von Ihnen genannten Deregulierungen lassen sich nicht trennscharf von Regulierungen unterscheiden und können einzeln genommen nur im Kontext der Gesamtheit der Rahmenbedingungen als kausale Faktoren für die Finanzkrise herangezogen werden. Viele der heute als Regulierungsversäumnisse beklagten Probleme traten in diesem Ausmaß nur auf, weil staatliche Interventionen im Rahmen der amerikanischen Wohneigentumspolitik, der Zinspolitik und des staatlich forcierten mangelnden Wettbewerb in der Rating-Branche erst den Rahmen dafür boten. Zudem haben Basel I und II für eine regulative Absegnung institutioneller Sorglosigkeit gesorgt. Also ist es eher problematisch die Deregulierung des Finanzsektors als den kausalen Einfluss schlechthin zu präsentieren. Hier war die Ökonomenzunft schlichtweg überfordert alle interdependenten Wirkungen antizipieren zu können. Der Interventionismus in den vorab genannten Bereichen wurde einzeln durchaus von Ökonomen kritisiert, wenn auch nicht mit der nötigen Vehemenz, da die systemische Wirkung so schwer zu durchschauen war. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre hierzu ist das aktuelle Sonderheft der Zeitschrift Critical Review (21,2-3, 2009), in dem beispielsweise eine durchaus kontroverse Debatte über die kausale Rolle der Credit Default Swaps und deren Regulierung geführt wird. Die Einführung der „fair value“-Regeln sollte man ohnehin nicht als Deregulierung, sonders als Regulierung bezeichnen, da sie bereits verpflichtend im Jahr 1994 für alle amerikanischen Unternehmen, inklusive Banken eingeführt wurde, wobei bereits lange bekannt ist, dass sie Abschreibungen von Verlusten zementiert, die eigentlich nur temporärer Natur aufgrund von Preisschwankungen der Vermögenstitel sind.

    Mit besten Grüßen

    Steffen Hentrich

  2. Sehr geehrter Herr Hentrich,

    vielen Dank für den Hinweis auf die „Critical Review“. Für das Thema meines Beitrags interessant ist dort vielleicht weniger das Hickhack um die Regulierung von CSD (dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen) als vielmehr der Beitrag von Colander et al. über das „systemic failure of the economics profession“.
    Bitte beachten Sie, daß ich im Text weit davon entfernt bin, die deregulierenden Maßnahmen als „den kausalen Einfluss schlechthin“ zu „präsentieren“. Es gab eine Vielzahl kausaler Faktoren, und der Einfluß institutioneller Änderungen läßt sich stets nur im gesamten institutionellen Kontext erfassen. Das muß für die ordnungsökonomischen Leser dieses Blogs nicht jedesmal gesondert betont werden.
    Ob Wettbewerb ausgerechnet in der Rating-Branche die dortigen Probleme (Fehleinschätzungen von Risiken) verhindert hätte? Doch wohl kaum ohne eine Lösung der gravierenden Prinzipal-Agent-Probleme in den Geschäftsmodellen der Agenturen.
    Beste Grüße,
    C.Schubert

  3. Christian,

    Du schreibst:

    „Die Ökonomik kann sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht dadurch entledigen, dass sie auf die Komplexität ihres Untersuchungsobjekts und die Beratungsresistenz der Politik verweist; und sie ist niemals „fertig“, steckt in diesem Sinne immer in der „Krise“, …“

    Wahrscheinlich können wir unsere Meinungsverschiedenheit an diesem Punkt festmachen. Klar, wenn die Ökonomik immer in der Krise steckt, dann natürlich auch jetzt.

    Unter uns kritischen Rationalisten können wir uns natürlich problemlos darauf einigen, daß ökonomische Theorien mit empirischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Nur folgt daraus eben für mich keine Krise der Ökonomik als Wissenschaft insgesamt. Im Gegenteil. Kapitel 6 in Gebhard Kirchgässners Homo Oeconomicus ist da immer wieder eine lohnende Lektüre: Empirische Schwierigkeiten von Theorien konstituieren noch keine Krise, sie sind der wissenschaftliche Normalfall. Auch darauf sollten wir uns eigentlich einigen können.

    Was ich in meinem Blogbeitrag im Mai meinte, war aber genau dies: Es ging darum, das normale wissenschaftliche Arbeiten, wie es in der Ökonomik genauso wie in allen anderen empirischen Wissenschaften vor sich geht, gegen naive Kritik von außen zu verteidigen. Deren Vertreter stellen ja gerade nicht in Rechnung, daß alle Wissenschaften — in Deinem Sinne — permanent „in der Krise“ sind.

    Es geht hier auch ausdrücklich nicht um inner-disziplinäre Kontroversen, z.B. im Sinne von Neoklassik versus Evolutionsökonomik, sondern darum, daß ein paar fachfremde Kritiker so weit über das Ziel legitimer Kritik hinaus schießen, daß man sich fragen muß, ob sie ganz generell verstanden haben, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. Um das zu verdeutlichen, habe ich im Mai-Blogbeitrag schließlich die Anspielungen auf andere Disziplinen und deren Probleme untergebracht.

    Vielleicht kam das im Blogbeitrag nicht deutlich genug heraus. Dieser sollte kein panglossianisches Argument liefern, im Sinn von: Die aktuelle Ökonomik ist die beste vorstellbare Ökonomik. Deshalb ja auch der ausdrückliche Hinweis im ursprünglichen Beitrag, daß dieser sich auf die groben Vorwürfe bezog, die zu dieser Zeit reihenweise von außerhalb der Disziplin kamen.

    Viele Grüße,
    Jan

  4. Ein paar nicht notwendigerweise zusammenhängende Anmerkungen.

    1. Es wird heute so getan, als hätten wir zu Beginn der Krise in einer generellen „Bubble-Ökonomie“ gelebt, die (und deren Folgen) doch vorhersehbar gewesen sein müsse. Ich bestreite das.

    Abgesehen davon, dass systematisch erfolgreiche Prognosen an einigermaßen effizienten Märkten eh nicht möglich sind: Wie sah es denn im Sommer 2007 an den großen Finanzmärkten aus?

    – Die Aktienmärkte waren im historischen Maßstab teuer, aber nicht exzessiv hoch bewertet, wenn man den für solche Fälle üblichen Maßstab, das Verhältnis von Kursniveau zu (erwarteten) Unternehmensgewinnen, sprich das KGV, anlegte. Selbst bei einem Dax von 8000 war der deutsche Aktienmarkt im Sommer 2007 erheblich billiger als beim Stand von 8000 Punkten rund zehn Jahre zuvor, weil die Gewinnschätzungen viel höher waren.
    – An den Anleihemärkten war trotz historisch niedriger Nominalrenditen von einem Bubble ebenfalls nichts zu sehen. Die Inflationsraten waren niedrig, Inflationswartungen kaum existent, die Staaten hatten in den Vorjahren ihre Neuverschuldung heruntergefahren und aus den Schwellenländern strömte das Kapital.
    – Die Devisenmärkte warfen auch keine großen Probleme auf. Zwar gab es umfangreiche „Carry-Trades“, bei denen man sich in Niedrigzinswährungen wie dem Yen verschuldete und in höher verzinslichen Währungen wie dem Neuseeland- und dem Australien-Dollar verzinste, aber das fand eher an der Peripherie statt.
    – An den Geldmärkten gab es keine Spannungen. Es existierte ein hohes Angebot an Geldmarktpapieren, etwa Commercial Paper von Unternehmen, aber auch eine hohe Nachfrage der Geldmarktfonds.
    – Bewegung gab es an Rohstoffmärkten, wo das Interesse von Finanzinvestoren zunahm, die nach Alternativen suchten. Aber dort gab es auch eine „Wachstumsstory“: Gerade in den rasch wachsenden Schwellenländern würde die Rohstoffnachfrage langfristig zunehmen. Das war ja auch nicht unplausibel.
    – Die Immobilienmärkte befanden sich NICHT generell in einem Bubble. Es gab starke Preissteigerungen an TEILEN des amerikanischen Immobilienmarktes, aber nicht am gesamten amerikanischen Immobilienmarkt. Es gab starke Preissteigerungen in EINZELNEN europäischen Märkten wie Spanien, Großbritannien und Irland, aber nicht an ALLEN europäischen Immobilienmärkten.
    – Es gab – ex-post betrachtet – Übertreibungen bei einigen, nicht ALLEN, Märkten für strukturierte Wertpapiere und für Kreditderivate. Diese Märkte waren total unreguliert, für Außenstehende (und wie man heute weiß, auch für nicht wenige Marktteilnehmer) intransparent, extrem komplex und es waren ganz überwiegend Profis aus derFinanzbranche an ihnen tätig.
    – Das Leverage und das Pricing von Private-Equity-Deals war extrem. Aber Private-Equity war nur ein kleiner Teil des gesamten Finanzmarkts.

    Noch einmal: Von einem generellen Bubble konnte keine Rede sein.

    2. Natürlich haben Marktprofis gesehen, dass es an einzelnen Märkten zu Exzessen gekommen war und das wurde in der Presse auch in den Monaten vor dem Ausbruch der Krise beschrieben. Aber aus der Sicht dieser Profis war ein Crash nicht zwingend (ansonsten hätten sie sich doch gegen ihn abgesichert, was an modernen Märkten leicht möglich gewesen wäre). Man hielt eine allmähliche, eher sanfte Korrektur für wahrscheinlich.

    3. In der Regulierungsdebatte kann ich nur anregen, jegliche ideologische Scheuklappen abzulegen. Dafür ist die Materie zu komplex und die Sache zu ernst. Aus meiner Sicht lassen sich aber zwei Feststellungen treffen:

    – Natürlich wehte in der Fachwelt ein liberaler Zeitgeist. Finanzmärkte galten als (ziemlich) effizient. Das hatte zweierlei zur Folge: Neue Märkte wie jene für strukturierte Papiere und Kreditderivate sollten nicht reguliert werden. Hedge-Fonds müssen nicht einmal Transparenz schaffen. Hier ist es vor allem in den USA und in GB der Finanzbranche gelungen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Und in der Mainstream-Makroökonomik spielten Finanzmärkte keine Rolle, denn die funktionierten ja sowieso einwandfrei. Von deutschen Ordnungsökonomen habe ich vor der Krise wenig über Finanzmärkte gelesen, aber ich liege wohl nicht ganz falsch, dass sie den Chicago-Ansatz eher präferiert hätten als Forderungen nach mehr Regulierungen. Insofern macht dieser obskure „Methodenstreit“ gerade angesichts der Finanzkrise aus meiner Sicht wenig Sinn. Da geht es doch eher um die Besetzung frei werdender Professuren, und wohin die Reise geht, ist ja offensichtlich.

    – Gleichzeitig existierten an anderen Finanzmärkten vielfältige Regulierungen, und wie wir gelernt haben, waren da einige nicht sehr effizient. Auch über die Arbeit und die Kompetenzen von Aufsichtsbehörden muss man nachdenken und das wird ja auch getan. Ein Hinweis an einen Diskutanten: Die USA haben Basel II nie übernommen.

    Meine Schlussfolgerung ist: Wir brauchen keine ideologischen Debatten über mehr oder weniger Regulierung. Es muss gelingen, auch angesichts eines notwendigerweise unvollkommenen Wissens, ein notwendiges Maß möglichst effizienter Regulierungen zu finden. Das ist aber schwierig und erfordert viele Detailkenntnisse. Da Finanzmärkte sehr innovativ dynamisch sind, wird es auch immer wieder notwendig sein, über Adjustierungen des Regulierungsgefüges nachzudenken. Dazu habe ich einiges gelesen von Herrn Hellwig und Frau Weder di Mauro, von Herrn Brunnermeier, von Herrn Sinn, und die Herren Issing und Krahnen haben in einer Regierungskomission gearbeitet. Falls deutsche Ordnungsökonomen hierzu konkrete Arbeiten geliefert haben sollten, wäre ich für einen Hinweis dankbar.

    4. In modernen Arbeiten zur Krise wird eine Interpretation deutlich, die auch für die Geschehnisse nach 1929 gilt: Es gab nicht EINE Krise, es gab ZWEI.

    – Die erste Krise war die Subprime-Immobilienkrise. Die war bedeutend, in ihrem Ausmaß im historischen Vergleich aber keineswegs einmalig. Sie wirkte in das internationale Finanzsystem hinein, hätte es aber alleine ebensowenig an den Rand den Zusammenbruchs führen müssen wie die Sparbanken-Krise in den USA oder die japanische Immobilienkrise, die Immobilienkrisen vergleichbarer Größe waren. Damals drohte kein Systemkrach.

    – Die Immobilienkrise löste aber innerhalb des Finanzsystems eine zweite Krise aus, die viel mit der unendlichen Komplexität und der dank moderner Informationstechnologie extremen inneren Verwobenheit des Finanzsystems zu tun hatte. Ein externer Schock an einem Gütermarkt braucht Zeit, bis er sich ausbreitet. Ein Schock an einem Segment des Finanzmarktes kann innerhalb weniger Minuten andere Segmente des Finanzmarkts erschüttern, und genau das haben wir gesehen. Wenn dann noch die „animal spirits“ sich melden, und die extreme Komplexität des Finanzsystems trägt dazu bei, dass sie sich melden, weil keiner mehr das ganze System und seine Produkte versteht, und das verstärkt die Unsicherheit und den Herdentrieb.

    Wenn die These der zwei Krisen richtig ist, verbieten sich alle simplistischen Interpretationen nach dem Motto: Die Geldpolitik war an allem schuld. Dann sind Ordnungsökonomen und Makroökonomen zunächst einmal gleichermaßen nackt wie der Kaiser im Märchen. Die historische Evidenz zeigt zudem, dass es auch in den angeblich güldenen Zeiten der Goldwährung Finanzkrisen gegeben hat, und wer für 100-Prozen-Mindestreserven optiert, wird sich auch mit den Unvollkommenheiten dieses Modells auseinandersetzen müssen. Auch da sind Finanzkrisen möglich. Erst recht aber wird man von keinem Ökonomen verlagen dürfen, die Zukunft zu prognostizieren. Denn, um einen alten Spruch anzubringen, wenn der Ökonom die Zukunft kennte, wäre er reich. (Für Journalisten gilt das natürlich auch.)

    Den größten Nutzen könnten Ökonomen stiften, wenn sie die Krise als ein (höchst spannendes und offenes) Forschungsprogramm verstehen würden anstelle der Gelegenheit, einfach alte Weisheiten zu propagieren. Auf das Ergebnis dieser Forschungen werden viele Menschen mit Interesse warten.

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