Die Zentralbanken pumpen Geld in die Wirtschaftskreisläufe wie nie zuvor. Einer der Gründe, erklärt der in gesamtwirtschaftlichen Fragen exzellent bewanderte Marko seinem Freund Mirko, sei die Gefahr einer Deflation, die die betroffenen Volkswirtschaften vollends in eine tiefe Depression stürzen würden. Mit Schaudern zeigt Marko auf Japan, wo es seit mehr als zehn Jahren nicht gelingen will, trotz massiver Geldvermehrung und extremer Staatsverschuldung aus der deflationären Stagnation herauszufinden. Und mit noch mehr Schaudern erinnert er an die „Große Depression“ des vorigen Jahrhunderts. Zwischen 1929 und 1933 gingen in den USA die Preise um 24 % zurück, in Deutschland um 23 %. Die Arbeitslosigkeit stieg damals dort wie hier auf historische Rekordstände.
Das Statistische Bundesamt meldet für Juli 2009 erstmals seit über 20 Jahren sinkende Verbraucherpreise in Deutschland, wobei der Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat auf voraussichtlich 0,6 % geschätzt wird. Dabei ist Deutschland kein Einzelfall. Deutliche Deflationstendenzen gibt es derzeit in Spanien und Irland, wo für 2009 und 2010 zusammengenommen Preisrückgänge von rund 2 % prognostiziert werden. Auch für Italien und Luxemburg werden durchaus nennenswerte Preisrückgänge erwartet. Für den Euroraum insgesamt wird mit leicht sinkenden Verbraucherpreisen in diesem und im kommenden Jahr gerechnet. „Ist es wieder soweit?“, fragt Mirko mit bangem Blick.
Doch Marko gibt sich alle Mühe, Mirkos aufkommende Assoziationen zur Großen Depression zu zerstreuen, da die aktuellen Tendenzen vor allem die im Jahresvergleich stark rückläufigen Preise für Heizöl und Kraftstoffe widerspiegeln würden. Darüber hinaus betont er, wie vorbildlich die Zentralbanken durch ihre üppige Geldversorgung alle nachhaltigen Deflationsansätze im Keim erstickt hätten. Segensreich sei auch die Fiskalpolitik gewesen, die allerorten entschlossen und kräftig von der Konsolidierung auf das „deficit spending“ umgeschaltet hätte. Mirko ist zunächst einmal beruhigt, aber er hat nicht recht verstanden, was denn eigentlich das Schauderhafte an einer allgemeinen Deflation sein soll und ob ihre Bekämpfung tatsächlich ein derart aufgeblähtes Geldangebot und derart ausufernde Staatsausgaben rechtfertigt.
In mitleidsvollem Ton wird Mirko darüber belehrt, dass eine Deflation zu einer allgemeinen Kaufzurückhaltung führen würde, da die Konsumenten auf noch weiter sinkende Preise warten würden, weil sie später mehr für ihr Geld bekommen könnten. Gleiches gelte für Unternehmen, die ihre Investitionsgüter lieber später billig als heute teuer einkaufen würden.
Verwundert reibt sich der eher auf einzelwirtschaftliche Fragestellungen spezialisierte Mirko die Augen. Er ist es durchaus gewohnt, in detaillierten Preisstatistiken für einzelne Warengruppen über negative Vorzeichen zu stolpern. Er hätte nie geahnt, welch dramatische Absatzeinbrüche und Investitionskrisen sich dahinter verbergen könnten. Die gesamte Warengruppe der langlebigen Verbrauchsgüter beispielsweise wird seit Jahren immer preiswerter – von 2005 bis heute ergibt sich hier ein Preisverfall von 2,3 %. Geht es Arcandor mit seinen auf diese Güter spezialisierten Bereichen Karstadt und Quelle deshalb so schlecht? Mirko hatte die Ursachen für die dortige Krise bisher eher im Management-Bereich und weniger bei einer allgemeinen Konsumzurückhaltung vermutet.
Noch schlechter müsste es der Deutschen Telekom AG gehen, denn die Preise für Telefondienstleistungen sind seit 2005 um 8,7 % und die Preise für die Nachrichtenübermittlung sogar um 10,2 % gesunken. Auch die Finanzkrise erscheint Mirko jetzt in neuem Licht, denn Finanzdienstleistungen haben sich seit 2005 ebenfalls verbilligt. Und erst der Bildungsnotstand: Die Preise für „Dienstleistungen der Bildungseinrichtungen des Elementar- und Primarbereichs“ sind seit August 2005 bis heute kontinuierlich gesunken, und zwar um stattliche 8,3 %. Wer mag sich da noch wundern, wenn Schüler mit den Investitionen in ihr Humankapital zunächst einmal abwarten, ob die Preise dafür nicht noch günstiger werden.
Mirko kommt gar nicht mehr dazu, sich über die schauderhaften Konsequenzen der Preisrückgänge bei Spielen und Spielzeugen, bei Sport- und Campinggeräten oder bei Gartengeräten auszulassen. Denn Marko fühlt sich unerklärlicherweise von seinem Freund nicht genügend ernst genommen. Außerdem hat er ohnehin keine Zeit mehr, die Diskussion fortzusetzen, da er in den turbulenten Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise ein vielbeschäftigter Sachverständiger ist.
So bleibt Mirko allein zurück mit seiner Frage, weshalb die Erwartung sinkender Preise auf Einzelmärkten offenkundig unproblematisch ist, auf aggregiertem Niveau dagegen zu einer dramatischen Konsumzurückhaltung führen soll. Ist es vielleicht gar nicht Mirko, sondern Marko, der etwas nicht verstanden hat?
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Quellenangabe zu den Preisberechnungen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 17, Reihe 7, Wiesbaden, Juni 2009.
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Erster (aber leider nicht so fundiert):
Dass stetig sinkende Preise zu steigender und nicht sinkender Nachfrage führen, lässt sich dagegen auf dem Markt für Unterhaltungselektronik beobachten. Kostete etwa ein großer Flachbildschirm vor 10 Jahren 10.000 € oder mehr, ist er heute für unter 1.000 € zu haben. Trotzdem hat der Absatz von Flachbildschirmen sukzessive mit sinkenden Preisen zugenommen. Die Nachfrage ist nicht irgendwann zusammen gebrochen, weil alle Konsumenten weltweit einig Konsumverzicht geübt haben, in der Hoffnung im nächsten Jahr wären die Dinger noch billiger zu haben.
Was zu beweisen war. Deflation ist ein Phantom. Wenn man allerdings hört, dass die Federal Reserve Bank aus Angst vor diesem Gespenst ihre Geldpolitik betreibt, dann wird einem klar, dass das nur schiefgehen kann. Denn die Inflationsgefahr ist real. Auch wenn sie in der heutigen Welt nur noch asymmetrisch auftritt, Blasen bildet, die irgendwann platzen und mit dem überschüssigen Geld jede Menge Vermögen vernichten.
http://fdog.wordpress.com/2009/08/12/die-illusion-der-deflation/
Bleibt die Frage, warum es in Japan nach dem Platzen der Bubble Economy zur Deflation kam. Hier ein makroökonomischer Erklärungsversuch mit folgenden Annahmen: Es gibt nur 2 Länder (Japan und die USA), deren Kapitalmärkte integriert sind (was realistisch ist). Die USA sind das große und Japan das kleine Land. Der Wechselkurs zwischen beiden Ländern wird als konstant angenommen. Liegt beispielsweise in den USA der Nominalzins bei 5% und die Inflation bei 2%, dann ergibt das einen Realzins von 3%. In integretieren Kapitalmärkten muss der Realzins in Japan ebenso bei 3% liegen. Senkt die Bank of Japan den Zins auf Null, dann liegt der Realzins nur bei 3%, wenn die Preise um 3% fallen. In Japan herrscht Deflation.
Wir befinden uns derezeit in einer Depression, auch wenn wir davon noch nichts aus politischen Kreisen gehört haben. Aber ich glaube nicht an die Ente der Politik, das es Konjunktur mäßig Bergauf gehen wird. Im Gegenteil ich denke die Abwärtsbewegung wird stärker.
Ein wirklich sehr interessanter Artikel. Ich habe mich jüngst mit demselben Thema beschäftig. Es stellte sich mir die Frage ob eine hohe Inflation (Hyperinflation) oder eine Deflation schlimmer ist. Betrachtet man die Inflation, so wird man schnell feststellen, dass ein gewisses Maß für die Wirtschaft gesund ist. Steigt diese jedoch über eine gewisse Höhe (Hyperinflation) so ist sie immens bedrohlich. In einer gesunden Wirtschaft wird es immer Konjunkturzyklen geben. Je nach Zyklus herrscht entweder eine Inflation oder Deflation vor. Erst der Eingriff seitens der Staaten / Zentralbanken mithilfe der Geldpolitik führt zum ausufern beider Seiten. Die Ursache für eine hohe Inflation (Hyperinflation) wird immer in der Geldpolitik gelegt. Eine normale und gesunde Deflationsphase (Wirtschaftsabschwung) wird in der Regel nicht zugelassen. Die Zentralbanken versuchen diese Phase mit der Geldpolitik zu umgehen. Die daraus resultierende expansive Geldpolitik stellt die Grundlage für eine Hyperinflation dar. Einer sehr hohen Inflationsphase geht somit meist eine Deflationsphase voraus, auch wenn diese durch die expansive Geldpolitik oftmals nicht zu sehen ist. Ob eine jetzt Deflationsphase oder eine hohe Inflationsphase schlimmer ist, kann meiner Meinung nicht eindeutig beantwortet werden. Bei einer Hyperinflation kann ein Neustart (in der Regel ein Währungsneustart) schneller vonstattengehen. Die Auswirkungen finden hierbei in einem sehr kurzen Zeitfenster statt. Das Endergebnis einer Deflation ist meist nichts anderes … jedoch wird der Crash in der Regel nach hinten verschoben …