Chinas Subventionen
Hinnehmen oder abwehren?

China subventioniert – Europa debattiert. Sollen wir die aggressiven industriepolitischen Aktivitäten der chinesischen Regierung tatenlos hinnehmen, oder ist es an der Zeit, mit gleichen Waffen zurückzuschlagen? Braucht es eine Marie-Agnes Strack-Zimmermann der europäischen Handels- und Industriepolitik?

Tatächlich greift die chinesische Regierung mit massiven Subventionen in die chinesische Wirtschaft und die internationalen Handelsströme ein. Nach einer aktuellen Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft „beliefen sich die Industriesubventionen in China im Jahr 2019 auf rund 221 Mrd. Euro oder 1,73 Prozent des chinesischen BIP“ (Bickenbach F., Dohse D., Langhammer R.J.,  Liu W-H: Foul Play? On the Scale and Scope of Industrial Subsidies in China. Kiel Policy Brief # 173, April 2024). Die Autoren weisen darauf hin, dass die chinesischen Unternehmen von weiteren Unterstützungsmaßnahmen profitieren. Dazu zählen sie subventionierte Vorleistungen, der bevorzugte Zugang zu kritischen Rohstoffen, ein teils erzwungener Technologietransfer und die Vorzugsbehandlung einheimischer Unternehmen in öffentlichen Vergabe- und Verwaltungsverfahren. Bemerkung am Rande: Einer anderen Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft zufolge erreichen die staatlichen Subventionen in Deutschland ein Niveau von 8,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Laaser C.-F., Rosenschon, A.: Kieler Subventionsbericht 2023: Subventionen des Bundes in Zeiten von Ukrainekrieg und Energiekrise. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik # 44, Oktober 2023) (hier).

In der öffentlichen Debatte herrscht die Sorge, dass China, wenn es erst einmal seine gesamte Exportwirtschaft massiv subventioniert, alle Weltmärkte mit seinen Produkten fluten werde. Der europäischen Wirtschaft blieben dann nur noch jene Branchen übrig, deren Produkte nicht international handelbar sind (non-tradeables). Die Arbeitskräfte in Europa würden dadurch ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten im industriellen Kern beraubt und sich gleichsam nur noch als Zahnärzte, Pizzabäcker und Friseure entfalten können.

Bevor zur handelspolitischen Gegenoffensive geblasen wird, könnte es allerdings hilfreich sein, sich ein wenig mit der ökonomischen Theorie der internationalen Handels- und Subventionspolitik zu beschäftigen.

Ein Gedankenexperiment

 Nehmen wir an, China würde seine gesamte Exportindustrie mit 20 Prozent subventionieren. Würden dann chinesische Produkte auf den Weltmärkten um 20  Prozent billiger? Und die Produkte aller anderen Länder würden komplett vom Markt verdrängt? Natürlich nicht, denn der daraus erwachsende gigantische Handelsüberschuss würde einen ebenso gigantischen Aufwertungsdruck auf den Wechselkurs des Yuan ausüben. Nachdem die Anpassungen an den internationalen Devisenmärkten vollzogen wären, läge die preisliche Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Exporteure genau wieder dort, wo sie vor Beginn der Subventionspolitik gelegen hatte.

Erstes Zwischenfazit: Die nationale Subventionspolitik kann niemals die gesamte Exportwirtschaft eines Landes begünstigen. Vielmehr kommt es auf die Branchenstruktur der Subventionen an. Wird eine Branche explizit begünstigt, werden alle anderen Branchen implizit benachteiligt. Anders ausgedrückt: Wer einer Branche etwas gibt, nimmt allen anderen etwas weg. Und wer allen etwas gibt, nimmt im Gegenzug allen etwas weg. Bei einer sektoral nicht differenzierten Subventionspolitik ginge also das Feuer mit dem Rauch auf. Das absolute Niveau der Subventionen in China ist irrelevant dafür, wie sich die Marktpositionen der Exportnationen verschieben. Worauf es ankommt, ist ihre sektorale Struktur. Es erscheint deshalb wenig zielführend, mit aufgeregtem Flügelschlagen das hohe Gesamtniveau der chinesischen Subventionen zu beklagen.

Subventionsstruktur und Terms of Trade

Nehmen wir in einem zweiten Gedankenexperiment an,  China hätte seine komparativen Vorteile ausschließlich bei standardisierten, arbeitsintensiven Gütern, und Europa hätte seine komparativen Vorteile ausschließlich bei technologisch hochwertigen, humankapitalintensiven Gütern. Wenn die chinesische Regierung nun gezielt die standardisierten Industrien subventionieren würde, dann würden diese Güter auf den Weltmärkten relativ billiger und technologieintensive Güter dementsprechend relativ teurer. Europa könnte dann jene Güter, bei denen es ohnehin nicht wettbewerbsfähig ist, billiger importieren als zuvor. Mit anderen Worten: Seine Terms of Trade würden sich verbessern, und der Wohlstand in Europa würde steigen.

Würde China dagegen in diesem Gedankenexperiment jene inländischen Industrien subventionieren, die technologisch hochwertige Güter herstellen, dann würden die relativen Weltmarktpreise dieser Güter sinken und diejenigen der standardisierten Güter steigen. Da Europa unter den hier getroffenen Annahmen Nettoexporteur von technologieintensiven und Nettoimporteur von standardisierten Gütern ist, würden sich seine Terms of Trade also verschlechtern und unser Wohlstand würde sinken.

Zweites Zwischenfazit: Ob wir uns gegen Subventionen aus dem Ausland zur Wehr setzen sollten, hängt entscheidend davon ab, welche Branchenstruktur sie aufweisen. Ausländische Subventionen für Branchen, in denen wir komparative Nachteile haben, erhöhen unsere Wohlfahrt. Ausländische Subventionen für Branchen, in denen wir komparative Vorteile haben, vermindern unsere Wohlfahrt. Es kommt also nicht auf das Gesamtniveau der Subventionen im Ausland an, sondern auf ihre Auswirkungen auf die Terms of Trade.

Was tun?

Wenn die Welt so beschaffen wäre, wie wir es in den beiden Gedankenexperimenten skizziert haben, wäre die politische Handlungsempfehlung einfach und klar.  Europa sollte sich unter diesen Annahmen über chinesische Subventionen für standardisierte Güter freuen und sich nur gegen solche Subventionen wehren, die unsere Terms of Trade bedrohen.

Doch die Welt ist nicht so einfach. Welche Güter technologieintensiv sind und welche nicht, ist oftmals nicht leicht zu beurteilen. Fragt man die Unternehmen aus den jeweiligen Branchen, bekommt man von fast allen die Antwort, ihre Branche sei eindeutig technologieintensiv (und damit subventionswürdig). Intensiv diskutiert wird gegenwärtig beispielsweise der Fall der Solarindustrie: Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass diese Branche in ihren Anfangszeiten sehr technologieintensiv war. Doch gilt das auch noch heute? Stellt die Fertigung von Solarpanelen immer noch hohe innovative Anforderungen, oder ist die Technik mittlerweile so ausgereift, dass sich diese Branche auf dem Weg zu den standardisierten Industrien befindet? Ähnlich kontrovers wird die Lage in der Automobilindustrie beurteilt. Europa (und insbesondere Deutschland) weist sicherlich komparative Vorteile beim Bau herkömmlicher Automobile auf. Doch gilt das auch für Elektroautos?

Zur sektoralen Heterogenität kommt die regionale Heterogenität hinzu: Weder die chinesische noch die europäische Wirtschaft sind homogen strukturiert. Der technologische Entwicklungsstand im chinesischen Pearl River Delta beispielsweise dürfte deutlich höher sein als der entsprechende Entwicklungsstand in manchen (wenn auch nicht allen) EU-Ländern. Andererseits sind der chinesische  Westen und Nordwesten deutlich weniger entwickelt als der Osten und Südosten. Hier trifft die Annahme der chinesischen Spezialisierungsvorteile bei standardisierten Gütern auch heute noch weitgehend zu.

Grosso modo erscheint das pauschalierende Gesamturteil gerechtfertigt, dass Chinas komparative Vorteile vorwiegend bei standardisierten und Europas komparative Vorteile vorwiegend  bei technologieintensiven Gütern liegen. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, Abwehrmaßnahmen gegen die chinesische Subventionspolitik auf technologieintensive Branchen zu fokussieren.

Doch die Welt befindet sich im Wandel, wobei sich China eher rasch wandelt und Europa eher auf der Stelle tritt. Wo die komparativen Vorteile von morgen liegen, ist schwer zu sagen. Sinnvoller als protektionistische Abwehrmaßnahmen gegen China könnte es sein, die politischen und wirtschaftlichen Kräfte in Europa darauf zu konzentrieren, wie unser komparativer Vorteil bei technologisch anspruchsvollen Gütern gesichert und möglichst noch ausgebaut werden können. Hier sind weniger die Subventions- und Handelspolitik und mehr die  Bildungs- und Innovationspolitik gefragt.

Henning Klodt

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