Die Währungskrisen in den Schwellenländern sind zurück! Argentinien, Türkei, Russland, Indien und Brasilen sind in vorderster Front vom Absturz ihrer Währungen betroffen. Die geplante geldpolitische Straffung in den USA bringt die Zentralbanken der aufstrebenden Welt unter Druck. Zwei Modellgenerationen von Währungskrisen helfen die jüngsten Entwicklungen zu verstehen.
Die Krise in Argentinien geht mit der ersten Generation von Währungskrisenmodellen konform, die mit Blick auf Lateinamerika in den 1970er Jahren geschaffen wurde (z.B. Krugman 1979). Bei festen Wechselkursen werden zu hohe Staatsausgaben über die Notenbank finanziert. Steigender Inflationsdruck unterminiert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Spekulation antizipiert den Zusammenbruch des Festkurses und beschleunigt den Weg in die Währungs- und Staatsschuldenkrise.
In Argentinien bekämpften wechselnde Regierungen die Krise seit dem Jahr 2002 mit zusätzlichen Ausgaben, die mit der Geldpresse finanziert wurden. Den resultierenden Inflations- und Abwertungsdruck versuchte man mit Preiskontrollen und Barrieren gegen Kapitalflucht einzudämmen. Dies ließ den offiziellen und den Schwarzmarktkurs des Dollars auseinanderdriften. Jüngst konnte die Regierung dem spekulativen Abwertungsdruck auf den Peso nicht mehr standhalten und lockerte die Kapitalverkehrskontrollen. Abwertung, Inflation und Krise nehmen ihren Lauf. Die Schockwellen, die von Argentinien ausgehen, dürften jedoch gering bleiben, da das Land seit 2002 weitgehend von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten ist.
Anders eine große Gruppe von aufstrebenden Volkswirtschaften, die seit 2002 – mit einer Zäsur um das Jahr 2008 – Ziel hoher Kapitalzuflüsse war. Getrieben von den Niedrigzinspolitiken in den großen Industrieländern wurden – weitgehend unabhängig vom Wechselkursregime – große Devisenreserven angehäuft, die Geldbasis ausgeweitet und das Kreditwachstum beschleunigt. Die Zielländer der Kapitalströme glänzten mit hohen Wachstumsraten. Für die Nachhaltigkeit von Kapitalzuflüssen ist es jedoch entscheidend, ob mit den internationalen Krediten renditeträchtige Investitionen oder Konsum und Spekulation finanziert werden.
In Folge der Asienkrise wurde durch die dritte Modellgeneration von Währungskrisen das Entstehen von nicht-nachhaltigen Investitionen vor dem Hintergrund unterentwickelter Finanzmärkte nachgebildet (Corsetti / Pensenti / Roubini 1999). Spekulative Kapitalzuflüsse in die südostasiatischen Wunderstaaten hatten nicht nur Investitionen, Export und Wachstum genährt. Es waren auch zunehmend Investitionsprojekte mit niedrigen erwarteten Renditen (Überinvestition) sowie Spekulation auf den Aktien- und Immobilienmärkten finanziert worden. Da die Kapitalmärkte in aufstrebenden Volkswirtschaften unterentwickelt sind, wurden langfristige Investitionen, die Renditen in inländischer Währung generierten, mit kurzfristigen, fremdwährungsdenominierten Krediten finanziert, In den Bilanzen der Geschäftsbanken waren damit wachsende Währungs- und Laufzeitungleichgewichte entstanden (McKinnon und Schnabl 2004).
Mit dem Platzen der Überinvestitions- und Spekulationsblasen drehten sich die internationalen Kapitalflüsse. Die Währungen werteten stark ab und die ausländische Verschuldung gerechnet in Inlandswährung wurde dramatisch aufgeblasen. Die Bankensektoren der südostasiatischen Staaten wurden in den Kollaps gestürzt. Das Wirtschaftswunder fand sein jähes Ende. Krisen nach dem Muster der dritten Modellgeneration drohen nun in den Ländern, die seit 2001 der aus der rasanten Anhäufung von Devisenreserven resultierenden Ausweitung der Geldbasis nicht ausreichend entgegengewirkt haben.
Die Abbildung zeigt für zwei Ländergruppen die Auswirkungen des geldpolitischen Managements der Kapitalzuflüsse auf die durchschnittlichen Leistungsbilanzen (als Anteil am BIP). Die Krisenstaaten der Asienkrise – Thailand, Südkorea, Philippinen und Malaysia – haben aus alten Fehlern gelernt. Sie haben bei rasanter Ausweitung der Devisenreserven und Geldbasis durch umfangreiche Sterilisierungsmaßnahmen die Kreditvergabe der Geschäftsbanken eingeschränkt. In der Praxis wurden insbesondere die Mindestreserveanforderungen deutlich erhöht oder Zentralbankbonds verkauft. Inflationärer Druck auf Güter- und Finanzmärkten wurde reduziert, sodass die Leistungsbilanzsalden zu Überschüssen tendierten und sogar Nettoauslandsvermögen gebildet wurde.
Im Gegensatz dazu wurde in Indien, Brasilien, Türkei und Südafrika weniger sterilisiert. Der Preisdruck auf den Güter- und Finanzmärkten war stärker, so dass sich strukturelle Leistungsbilanzdefizite gebildet haben. Dadurch stieg die in Fremdwährung denominierte Auslandsverschuldung, was die Länder heute verwundbar für Abwertungsdruck macht.
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Das führt zu Frage nach den wirtschaftspolitischen Fehlern. Die These des IWF in Folge der Asienkrise, dass flexible Wechselkurse die südostasiatischen Staaten aufgrund der höheren Wechselkursunsicherheit vor spekulativen Kapitalzuflüssen hätten schützen können, dürfte inzwischen widerlegt sein. Viele der jetzt von Währungskrisen bedrohten Staaten haben vergleichsweise flexible Wechselkurse verfolgt. Doch wie Hélène Rey (2013) deutlich macht, ist in einer Welt sehr expansiver Geldpolitiken in den großen Industrieländern die geldpolitische Autonomie in den aufstrebenden Volkswirtschaften unabhängig vom Wechselkursregime eine Illusion. Denn sehr schmerzhafter Aufwertungsdruck zwingt die Zentralbanken in Dollarkäufe und/oder Zinssenkungen. Die Ankündigung flexibler Wechselkurse kann sogar als Einladung zu risikoloser Spekulation auf Aufwertung gesehen werden, wie dies auch die Schweiz erleben musste. Somit kann heute nur noch durch Kapitalverkehrskontrollen geldpolitische Freiheit schaffen werden. China hat dies vorgemacht.
Weiten sich die Krisen in der Aufstrebenden Welt aus, wird man deshalb wohl bald auf zu expansive Geldpolitiken und zu hohes Kreditwachstum in den Bankensektoren der Krisenländer verweisen. Zudem dürfte argumentiert werden, dass engmaschigere Kapitalverkehrskontrollen ratsam gewesen wären. Doch vielleicht lohnt sich auch der Blick nach Washington, wo der Schlüssel für die finanzmarktgetriebenen Boom-und-Krisen-Zyklen in den aufstrebenden Volkswirtschaften liegt. Denn ohne drastische Zinssenkungen gegen Null und mehrere Runden quantitativer Lockerung wäre der Nährboden für die heutigen Krisen in der aufstrebenden Welt erst gar nicht geschaffen worden.
In den jüngsten Stellungnahmen zur geldpolitischen Straffung haben die Verantwortlichen der Federal Reserve Bank vorsorglich die aufstrebenden Volkswirtschaften ausgeklammert. Es wird sich zeigen, ob sich die Federal Reserve von den möglichen Krisen in der aufstrebenden Welt wirklich isolieren kann. Denn bringt eine Krise in der aufstrebenden Welt kreditgebende US-Finanzinstitute in die Klemme, könnte der geplante geldpolitische Ausstieg der Federal Reserve schnell auf die Füße fallen.
Literatur:
- Corsetti, Giancarlo / Pesenti, Paolo / Roubini, Nouriel 1999: Paper Tigers? A Model of the Asian Crisis. European Economic Review 43, 1211-1236.
- Krugman, Paul 1979: A Model of Balance-of-Payments Crises. Journal of Money, Credit, and Banking 11, 3, 311-325.
- McKinnon, Ronald / Schnabl, Gunther 2004: The East Asian Dollar Standard, Fear of Floating, and Original Sin. Review of Development Economics 8, 3, 331-360.
- Rey, Hélène 2013: Dilemma or Trilemma: The Global Financial Cycle and Monetary Policy Independence. Voxeu 31.8.2013.