Deutschland braucht Reformen und niemand will es wissen
Das ist gefährlich

Die Stimmung in Deutschland ist schlecht. Nachdem im Frühjahr 2023 Kanzler Olaf Scholz noch ein grünes Wirtschaftswunder versprochen hatte, ist die Realität ernüchternd. Das Statistische Bundesamt meldet, dass das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2024 um 0,1 % gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken ist. Der Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt schon seit 2018 im Trend klar nach unten.

The Pioneer titelt „Deutschland stellt das Wachstum ein“. Die Schweizer NZZ kommentiert, dass Deutschland an seiner Abschaffung als Wirtschaftsnation arbeite. Der britische Economist hat schon vor einigen Monaten wieder von Deutschland als krankem Mann Europas gesprochen.

Die Regierung ist hingegen mit anderen Themen beschäftigt. Kanzler Olaf Scholz ringt gerade mit Friedrich Merz um die Migrationspolitik. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck wartet mit neuen Ideen für seine grüne Transformation auf. Finanzminister Linder hat alle Mühe mit der Verteidigung der Schuldenbremse.

Doch was ist der richtige Weg, damit es wieder aufwärts geht? Nachdem seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen gesenkt und viele Staatsanleihen gekauft hat, konnte der deutsche Staat seine Ausgaben stark ausweiten und die Regulierung konnte wachsen. Braucht es jetzt Reformen, weil die Zinsen höher liegen und die EZB keine Staatsanleihen mehr kauft? Oder soll es so weiter gehen, weil die ambitionierte rot-grüne Transformationsagenda einfach noch nicht ihre Wirkung entfalten konnte?

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass konsequente Reformen erfolgreich sind (Mayer und Schnabl 2022). Für mehr Wachstum und Wohlstand muss sich der Staat aus der Wirtschaft zurückziehen, damit die Unternehmen wieder mehr Freiraum für Effizienzgewinne und Innovationen haben. Nur wenn die Staatsausgaben sinken, kann die Zentralbank die Preisstabilität garantieren, die für private Investitionen so wichtig ist.

Das Problem sind jedoch die Einschnitte, die mit Reformen verbunden sind. Wie eine bittere Medizin schmerzen sie, bevor es besser wird. In Argentinien hat die Aufhebung von Preiskontrollen durch den reformeifrigen Javier Milei Kaufkraftverluste gebracht. Drastische Einsparungen haben vielen Menschen ihre sichere Anstellung beim Staat gekostet, weshalb sie Widerstand leisten (Kleinheyer und Schnabl 2024).

Das dürfte der Grund dafür sein, dass in den meisten Industrieländern wenig Reformeifer zu erkennen ist. In den USA setzen beide Präsidentschaftskandidaten weiterhin auf schuldenfinanzierte Wachstumsimpulse. Italien ist seit Jahren von einer Konsolidierung seiner hohen Staatsschulden weit entfernt. Frankreich widersetzt sich seit Jahren erfolgreich der Schuldenkontrolle der EU. Japan ist hoffnungslos.

Die Angst vor Reformen scheint auch für die etablierten Parteien in Deutschland zu gelten. Obwohl die Sozialausgaben bereits bei über 1.200 Milliarden Euro liegen, setzt die SPD weiter auf immer noch mehr Sozialausgaben. Die Grünen treiben trotz peinlicher Schlappen die Transformation unseres Wirtschaftssystems einfach weiter voran. Der „Wirtschaftspolitische Weckruf“ der FDP aus dem April dieses Jahres scheint schon wieder verhallt. CDU und CSU konzentrieren sich lieber auf andere Themen, während Die Linke in Sachsen Gregor Gysi zusammen mit einer Büste von Karl Marx plakatiert.

Währenddessen deutet die sinkende Zustimmung für die etablierten Parteien darauf hin, dass sich die Wählerinnen und Wähler Veränderungen wünschen. Inflation und Kaufkraftverlust bereiten ihnen große Sorgen. Da die Wirtschaftskenntnis in der Bevölkerung jedoch gering ist, dürfte es keine Einigkeit über das richtige Rezept geben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mehrheit die Rettung in noch mehr Staat, Umverteilung, Preiskontrollen und Planwirtschaft sieht.

Und selbst wenn eine Regierung Reformen wollte, dürften diese in der EU schwer durchzusetzen sein, da die Interessen der zahlreichen Mitgliedsländer vielfältig sind. Justizminister Marco Buschmann will die Bürokratie reduzieren, aber Regulierungen werden heute überwiegend in Brüssel gemacht. Die Taxonomie der EU sieht vor, in Zukunft alle Unternehmen nach Umwelt- und Klimakriterien zu klassifizieren und danach Kredite zu verteilen. Das wirkt wie Planwirtschaft.

Die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank werden von allen Vertretern der Mitgliedsländer getroffen, wobei bei Abstimmungen die Deutsche Bundesbank das gleiche Gewicht wie die Zentralbank von Malta hat. Viele hoch verschuldete Euroländer dürften eine hohe Inflation präferieren.

Und selbst wenn Deutschland einen Weg findet, seine Schuldenbremse zu umgehen, steht es vor einem Dilemma. Zwar dürften mehr staatliche Zuwendungen und Investitionen vielen willkommen sein. Und Sparen lohnt nicht, wenn die Schulden in Zukunft in der Währungsunion vergemeinschaft werden. Bei Inflation ist der Sparsame der Dumme. Doch wenn sich Deutschland mehr verschuldet, bleibt der Reformdruck aus und der letzte Stabilitätsanker in der Währungsunion geht verloren.

Vieles deutet darauf hin, dass sich wenig verändern kann. Aber auch die Zeit, in der in Folge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise zentralbankfinanzierte Staatsausgaben mehr Beschäftigung geschaffen haben, ist passé. Stattdessen höhlen überbordende öffentliche Ausgabenverpflichtungen den Wohlstand aus (Schnabl 2024).

Es könnte sein, dass das Rezept für die Sicherung des Wohlstands den politischen Entscheidungsträgern zwar bekannt ist. Vielleicht wollen sie davon aber nichts wissen, weil es schwer durchsetzbar ist.

Das ist gefährlich, weil die Verlierer der schleichenden Wirtschaftskrise an die politischen Ränder driften. Deshalb lohnt der Blick auf die westdeutsche Wirtschafts- und Währungsreform des Jahres 1948. Trotz großer Skepsis und Widerstands bewirkte Ludwig Erhard damals mit viel Mut ein Wirtschaftswunder, von dem die Menschen in West- und Ostdeutschland bis heute noch profitieren.

Literatur:

Kleinheyer, Marius / Schnabl, Gunther 2024: Argentinien: Die Reformagenda von Javier Milei aus theoretischer und politischer Sicht. Flossbach von Storch Research Institute, 3.6.2024.

Schnabl, Gunther / Mayer, Thomas 2022: How to Escape from the Debt Trap: Lessons from the Past. The World Economy 46,4, 873-1160.

Schnabl, Gunther 2024: Deutschlands fette Jahre sind vorbei. Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können. FinanzBuch Verlag, München.

2 Antworten auf „Deutschland braucht Reformen und niemand will es wissen
Das ist gefährlich

  1. Zum durchschnittlichen jährlichen realen Wirtschaftswachstum in Deutschland im Zeitraum von 2011 bis 2021 in diesem Kontext:

    Der Durchschnitt der jährlichen realen Wachstumsraten lag in dem oben genannten Zeitraum von 2011 bis 2021 bei (sehr) beängstigenden bzw. extrem schwachen 1,0 Prozent (!) laut Pressemitteilung Nr. 020, vom 13. Januar 2023, des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden:

    https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_020_811.html

  2. Zudem sehr zu empfehlen:

    Hans-Werner Sinn (2024), „Deutschland richtet die Industrie zugrunde“, Interview mit Hans-Werner Sinn, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Mittwoch, 4. September 2024, S. 19

    Nur eine Frage und eine Antwort aus dem ganzseitigen NZZ-Interview mit Herrn Hans-Werner Sinn:

    „Die deutsche Energiewende gilt als völlig verkorkst. Kann man jetzt noch etwas tun, um die Entwicklung zu korrigieren?“

    „Das Verbrennerverbot ist sofort zu kippen und möglichst durch ein internationales Emissionshandelssystem zu ersetzen, an dem alle grossen Verbraucherländer der Welt beteiligt sind.

    Der eigene Kohleabbau sollte stattdessen unilateral zurückgefahren werden. Technisch müssen wir zurück zur Kernkraft, damit wir wieder niedrigere Strompreise bekommen. Man könnte einige der stillgelegten Reaktoren mit überschaubaren Kosten wieder in Betrieb nehmen.

    Zu erwägen sind auch die neuen Flüssigsalzreaktoren. Diese Anlagen sind inhärent sicher und klein. Sie werden zurzeit von einem halben Dutzend Startup-Unternehmen weltweit vorbereitet.

    Man sollte auch die einseitige Ausrichtung auf Wind- und Sonnenstrom hinterfragen, denn dieser Strom ist flatterhaft und nicht regulierbar.

    Zur Abdeckung der vielen Dunkelflauten und zur Bedienung einer ebenfalls unsteten Stromnachfrage braucht man genauso viele konventionelle Kraftwerke wie bisher.

    Es entstehen also doppelte Fixkosten. Die machen den Strom sehr teuer.“

    Die Fragen im NZZ-Interview an Hans-Werner Sinn stellen Michael Rasch und Michael Ferber.

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