Seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Frühjahr 2010 hat die Europäische Zentralbank mit einer Reihe unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen reagiert, wie die Durchführung zweier Dreijahrestendergeschäfte, das „Securities Markets Programme“ (SMP), die Senkung des Mindestreservesatzes und die Ankündigung, im Rahmen des OMT-Programms bei Bedarf unbegrenzt Staatsschuldtitel aus den Programmländern anzukaufen. Der letzte Schritt waren im Sommer 2013 der Einstieg in eine Politik der „forward guidance“ und die Ankündigung Mario Draghis, die EZB-Leitzinsen für längere Zeit nicht wieder anzuheben.
Eine neue geldpolitische Sondermaßnahme?
Trotz dieser geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen ist die Kreditvergabe der monetären Finanzinstitute (MFIs) an die Nichtbanken im Euro-Währungsraum inzwischen rückläufig. Tabelle 1 zeigt Bestand (in v.H. des Gesamtwerts) und Jahreswachstumsraten der Buchkredite von Geschäftsbanken und sonstigen monetären Finanzinstituten an den privaten Sektor seit dem vierten Quartal 2012. Danach ist die Kreditgewährung durch die MFIs seit Mitte 2013 durch Nettotilgungen geprägt, wobei vor allem die Kreditvergabe an die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in den Peripherieländern gesunken ist. Dies weckt Ängste vor Auftreten einer Kreditklemme, weil im Euroraum erfahrungsgemäß eine verlangsamte Kreditvergabe der Konjunkturabschwächung voraus läuft.
Grund für das verlangsamte Kreditwachstum ist das Anlageverhalten der Geschäftsbanken, die in der Vergangenheit vom Eurosystem zu niedrigen Zinsen erhaltene Liquidität vor allem zum Ankauf von höher verzinsten Staatsschuldtiteln benutzt haben, anstatt zusätzliche Kredite an Unternehmen zu vergeben (Draghi, 2013). Solche carry trades sind attraktiv, weil die Rückzahlung von Staatsanleihen durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM garantiert wird. Damit ist die quantitative und qualitative Lockerung bislang vor allem den öffentlichen Schuldnern zugute gekommen, weil Banken keine Anreize hatten, ihre Kreditvergabe an private Schuldner auszuweiten.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Angesichts dieses Befunds wird derzeit spekuliert, die EZB könnte auf die schleppende Kreditvergabe mit neuen geldpolitischen Sondermaßnahmen reagieren und – dem Vorbild der Bank of England folgend – die Liquiditätsversorgung ihrer Geschäftspartner künftig an Auflagen knüpfen. Ähnliche Gerüchte gab es bereits im vergangenen Herbst in Bezug auf negative Einlagenzinsen, die die EZB zwar bislang nicht eingeführt, inzwischen jedoch zumindest im EZB-Rat diskutiert hat. Als neues Instrument wäre denkbar, von einer Geschäftsbank einen Nachweis zu fordern, dass die von der Zentralbank erhaltende Liquidität für zusätzliche Ausleihungen z. B. an kleine und mittelständische Unternehmen verwendet wird, um die Kreditvergabe an den privaten Sektor zu fördern.
Darauf angesprochen, ob die EZB beispielsweise ein neues langfristiges Refinanzierungsgeschäft (LTRO) an Auflagen knüpfen könnte, hat Mario Draghi während der Pressekonferenz im Dezember 2013 geantwortet: „So, if we are to do an operation similar to the LTRO, we will want to make sure that this is being used for the economy. And we will want to make sure that this operation is not going to be used for subsidising capital formation by the banking system under these carry trade operations“ (Draghi, 2013). Ein Dementi klingt anders.
Was beinhaltet das englische „Funding for Lending“ Programm?
Als Vorbild für zweckgebundenen Notenbankkredite dient das „Funding for Lending Scheme“ (FLS), das die Bank of England (BoE) seit August 2012 betreibt (zum Folgenden siehe Churm et al., 2012). Zugang zu dem Programm haben Geschäftsbanken und Bausparkassen, die bereits bei der „Discount Window Facility“ der BoE registriert sind. Ihnen gewährt die Bank of England längerfristige Liquiditätshilfen zu unterhalb des Marktzinses liegenden Konditionen, wobei sowohl die Konditionen als auch das Volumen der Kredite am Kreditvergabeverhalten der Geschäftsbanken gebunden sind. Im Rahmen dieser Liquiditätshilfen vergibt die Bank of England nicht selber Kredite, sondern erhält Schatzanweisungen vom Schatzamt und „verleiht“ diese gegen Gebühr und gegen Sicherheiten an die teilnehmenden Geschäftsbanken und Bausparkassen. Diese können die Schatzanweisungen dann ihrerseits verwenden, um am Interbankenmarkt oder von der BoE besicherte Liquidität zu günstigen Zinsen aufzunehmen. Damit beinhaltet das FLS letztlich einen „bloßen“ Austausch von Sicherheiten durch die BoE, bei dem Geschäftsbanken und Bausparkassen schlechte Sicherheiten durch gute Sicherheiten ersetzen, die sie dann zur kostengünstigeren Liquiditätsbeschaffung einsetzen können.
Die Bank of England hat für die teilnehmenden Institute den Bestand an ausgereichten Nettokrediten an private Haushalte und nichtfinanzielle Unternehmen zum Stichtag Ende Juni 2012 und die Nettokreditvergabe während einer Referenzperiode ermittelt, die ursprünglich zum 31. Dezember 2013 endete (und inzwischen auf Ende Januar 2015 verlängert wurde). Jedes teilnehmende Institut hat Zugang zu einer verbilligten Liquiditätshilfe in Höhe von 5% der Nettokreditausleihungen zum Stichtag. Institute, deren Nettokreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen zudem während der Referenzperiode angestiegen ist, erhalten in demselben Volumen verbilligte Liquiditätshilfen aus dem Programm für eine Laufzeit von vier Jahren. Damit erhält beispielsweise eine Bank mit einem Kreditvolumen von 100 Mrd. GBP zum Stichtag, das während der Referenzperiode um 7 Mrd. GBP angestiegen ist, verbilligte Liquiditätshilfen in Höhe von insgesamt 12 Mrd. GBP.
Neben dem Volumen sind auch die Konditionen für die Liquiditätshilfen vom Kreditvergabeverhalten der Geschäftsbanken und Bausparkassen abhängig. Institute, die ihr Nettokreditvolumen ausweiten, zahlen die niedrigsten Gebühren; solche, die ihr Nettokreditvolumen um weniger als 5% reduzieren, zahlen höhere Gebühren, die umso größer sind, je mehr Kredite während der Referenzperiode netto getilgt wurden. Institute, die ihr Volumen um mehr als 5% abbauen, zahlen die höchsten Gebühren für die im Rahmen des FLS gewährten Liquiditätshilfen. Die BoE erhofft sich durch das FLS einen Rückgang der Refinanzierungskosten von Geschäftsbanken und Bausparkassen, den diese an ihre Kunden weitergeben, um so die Kreditvergabe anzuregen.
Ob dies erreicht wird, ist bislang offen. Zwar sind die Zinssätze für Konsumentenkredite gesunken, die Zinsen für Unternehmenskredite – vor allem an kleinere und mittlere Unternehmen – jedoch nur wenig, und die Nettokreditvergabe an diese Unternehmensgruppe ist seit dem Start des Programms sogar gesunken (Bank of England, 2013). Diese bescheidenen Ergebnisse sind darauf zurückzuführen, dass bei den derzeit niedrigen Marktzinsen der Kostenvorteil bei Inanspruchnahme des Programms eher gering ist, weil die Gesamtkosten einer FLS-Finanzierung kaum unter denen liegen, die Geschäftsbanken derzeit für Einlagen und ungesicherte Interbankenkredite zu zahlen haben. Hinzu kommt eine eher verhaltende Kreditnachfrage, die kaum auf Zinssenkungen reagiert.
Ein FLS für die Eurozone?
Da die Zinssätze auch in der Eurozone niedrig sind, dürften auch die Erfolgsaussichten eines ähnlichen Programms der EZB eher gering sein. Zudem erfordert die Umsetzung solch eines Programms einen erheblichen Verwaltungsaufwand, denn die Notenbank muss kontrollieren, an wen eine Geschäftsbank Kredite vergibt. Schließlich müsste das Eurosystem bei konditionierten Liquiditätshilfen seinen bisherigen Grundsatz der Wettbewerbsneutralität aufgeben, wonach es geldpolitische Geschäfte mit einem weiteren Kreis von mindestreservepflichtigen Instituten betreibt. Anders als beispielsweise die BoE, die ihre geldpolitischen Geschäfte vornehmlich mit wenigen geldmarktaktiven Banken abwickelt, versucht das Eurosystem die Gleichbehandlung von Instituten im gesamten Euro-Währungsraum zu gewährleisten. Dieser Grundsatz wäre in Gefahr, wenn geldpolitische Geschäfte an Auflagen gebunden werden, die einige Banken wegen ihres Geschäftsfelds nicht erfüllen können.
Hinzu kommt, dass das FLS nicht zwangsläufig imstande ist, eine Kreditklemme zu beheben. Kern des Programms ist der Austausch schlechter gegen gute Kreditsicherheiten für jene Geschäftsbanken, die ihre Nettokreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen erhöhen (bzw. zumindest nicht drastisch senken). Insofern unterscheidet sich das FLS von normalen Hauptrefinanzierungsgeschäften, die die Verwendung der Liquiditätszufuhr nicht konditionieren. Damit hilft ein Sicherheiten-Swap vor allem jenen Geschäftsbanken, die wegen zu hoher Kontrahenten-Risiken den Zugang zum Interbankenmarkt verloren haben. Er hilft aber nicht solchen Banken, die wegen zu geringem Eigenkapitals keine Kredite vergeben können. Sie benötigen eine Eigenkapitalzufuhr.
Gefahren einer Zweckbindung
Schließlich schaffen konditionierte Finanzhilfen Fehlanreize für die kreditnehmenden Geschäftsbanken und regen sie an, in risikoreichere Projekte zu investieren oder Kredite zu prolongieren, anstatt sie abzuschreiben. Solche Fehlanreize resultieren beispielsweise daraus, dass Banken wegen der Konditionierung in ähnliche Kreditportfolios mit hohen Risiken investieren. Sie wissen, dass die Regulierungsbehörden wegen dieser Klumpenbildung gezwungen sein werden, die Banken bei Kreditausfall zu retten, wenn „zu viele“ Banken „zu ähnliche“ Projekte finanziert haben („too many to fail“). Dies kann das Risiko einer neuen Bankenkrise begründen.
Dies belegen japanische Erfahrungen aus den frühen 2000er Jahren. Damals hatte die japanische Bankenaufsicht eine umfassende Rekapitalisierung des Bankensektors eingeleitet, und dies an die Bedingung geknüpft, dass die begünstigten Institute zukünftig mehr Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen vergeben. Die Konsequenz war nicht der erhoffte  Anstieg in der gesamtwirtschaftlichen Aktivität, sondern ein Wiederauftreten der (bereits in der 1990er Jahren aufgetretenen) Bankenkrise infolge einer wachsenden Anzahl an Kreditausfällen. Deshalb resümieren Kashyap & Hoshi (2010, S. 413): “Targeting total lending or lending to specific sectors can be counterproductive. …the nature of the non-performing loan problem changed in the early 2000s, and the loans to small and medium enterprises, which the government required the recapitalized banks to increase, became the central problem…“
Ein letzter Punkt noch: Was als Mittel zur Behebung von Funktionsstörungen am Interbankenmarkt gedacht ist, kann schnell zu einem Instrument der Investitionslenkung durch die Notenbank werden. Schon deshalb ist Vorsicht geboten.
Literatur
Bank of England (2013): News Release: Bank of England and HM Treasury Funding for Lending Scheme – Usage and Lending Data – 2013 Q3, London, 02 December 2013.
Churm, R., Radia, A., Leake, J., Srinivasan, S., Whisker, R. (2012): The Funding for Lending Scheme, in: Bank of England Quarterly Bulletin, Vol. 52(4), S. 306-320.
Draghi, M. (2013): Introductory Statement to the Press Conference (with Q & A), Frankfurt am Main, 5. Dezember 2013.
Europäische Zentralbank (2014): Wirtschaftliche und monetäre Entwicklungen, in: Monatsbericht, 16. Jg., Januar, S. 9-58.
Hoshi, T., Kashyap, A. (2010): Will the US Recapitalization Succeed? Eight Lessons from Japan, in: Journal of Financial Economics, Vol. 97(3), S. 398-417.
- Ist die Unabhängigkeit der US Fed in Gefahr? - 15. August 2024
- Zurück auf Anfang?
Zur Neuausrichtung des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems - 27. Mai 2024 - Wie sinnvoll ist der digitale Euro? - 16. Januar 2024
Eine Antwort auf „Zweckgebundene Zentralbankkredite durch das Eurosystem?“