Piraten, Produkte und Patente

Piraten haben Konjunktur. Der „Schrecken der Karibik“ ist vor Somalia in weniger amüsanter Form als im Film und zur Überraschung der meisten von uns wieder aufgetaucht. Dass im einundzwanzigsten Jahrhundert Kriegsschiffe auslaufen müssen, um Schifffahrtswege zu schützen, hätte noch vor zehn Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Aber vielleicht müssen wir uns generell auf mehr Piratentum einstellen, als wir das gewöhnt sind.

In Deutschland tritt inzwischen auch eine Piratenpartei an, wie sie etwa in Schweden bei der Europawahl Erfolge verzeichnen konnte. Gruppen, die am vollständigen Schutz von Urheber-, Patent- und verwandten Rechten interessiert sind, bauen derweil mit geduldiger Lobbyarbeit eine politisch und rechtlich wirksame Gegenmacht zu den bisherigen Bewahrern des „geistigen Eigentums“ auf. Google kämpft mit Verlagen, die mit großem Einsatz ihre Urheberrechte verteidigen, während viele von uns ähnlich wie die Musikhörer vom Zugang zu Informationen profitieren, die Google und andere Websites bereitstellen.

Was die einen Piraterie nennen, erscheint den anderen als ein Segen und häufig auch als natürliches Nutzungsrecht. Die Auseinandersetzung ist in vollem Gange. Es wäre schön, wenn wir das ganze als eine Art sportlichen Wettkampf, der uns nichts angeht, betrachten dürften. Leider ist dem aber nicht so. In einer mehr und mehr wissenszentrierten Welt, hängt die Wahrung unserer eigenen Interessen grundlegend davon ab, ob es gelingt, Eigentum und fundamentale Regeln wie die des „Erstrechts des Finders“ im richtigen und das heißt keineswegs im maximalen Umfang zu schützen. Vielleicht ist es ganz richtig, den Schutz des sogenannten geistigen Eigentums in vielen Bereichen abzubauen. Wir dürfen nicht vergessen, dass zwar das Stück Kuchen, das der eine isst, nicht mehr von seinem Nachbarn konsumiert werden kann, dass aber das Musikstück, das ich höre, von meinem Nebenmann ebenso gehört werden kann (und manchmal auch muss) wie von mir. Wir sind keine Rivalen im Konsum der Musik. Anders als im Fall der Gemeindewiese, die nur zu leicht überweidet werden kann, wenn das eine Schaf dem anderen das Gras wegbeißt, wird der Konsum von Information (im umfassenden Sinne des Begriffs) durch den einen nicht vom Konsum des anderen geschmälert. Zugleich wird die Informationsverbreitung immer preiswerter. Maximal geschützte Eigentumssphären mit staatlichen Mitteln zu schaffen, ist keineswegs eine ökonomisch oder moralisch selbstverständliche Zielsetzung, wie uns die Gegner der Piraterie nahelegen wollen.

Trade offs

Wie man sich leicht überlegt, ist der Umfang des optimalen Schutzes von im weiteren Sinne geistigem Eigentum von verschiedenen Faktoren abhängig. Denkt man etwa an das Patentrecht, so wird man auf der einen Seite einen Anreiz schaffen wollen, in die Entwicklung patentierbarer Entdeckungen zu investieren. Dieser Anreiz wird um so höher sein, desto länger und besser durchgesetzt das Patent ist. Andererseits wird der Nutzen aus der Patentinformation, sobald diese existiert, um so größer sein, desto verbreiteter und desto eher sie genutzt werden kann. Das zeitlich begrenzte Monopol, die Nutzung des Patentes zu gewähren, wird zu einer geringeren als optimalen Verwendung bereits existenter Information führen; aber zugleich würde das Fehlen eines vorübergehenden Monopols in vielen Fällen nur eine suboptimalen Investition in die Informationsgewinnung beinhalten. Das Optimum liegt offenkundig dort, wo die Summe aus dem Nutzen, der uns entgeht, weil keine Information generiert wurde, und dem Nutzen, der uns entgeht, weil man eine bereits geschaffene Information nicht allgemein verwenden darf, minimal wird.

In einer Zeit, in der es insbesondere durch die Präsenz des Internets immer preiswerter wird, existente Information jedermann praktisch zu Grenzkosten von null zur Verfügung zu stellen, verschiebt sich das Minimum aus den beiden Nutzensummenkurven zunächst zu ungunsten des Schutzes bestehender Informationen. Auf der anderen Seite wird allerdings auch der voraussichtliche Zusatznutzen einer Information dadurch größer, dass man sie, sobald existent, beliebig mit vernachlässigbaren Grenzkosten verbreiten kann.

Eine besonders interessante Frage ist es, ob man Anreize für die Schaffung von Informationen bieten kann, ohne dass man Exklusivrechte für die Nutzung der Information einrichten muss. Das Beispiel der Wissenschaft zeigt, dass dies möglich sein kann. Die institutionelle Regel der Wissenschaft, Anerkennung und Ruhm demjenigen zuteil werden zu lassen, der eine Information als erster der Allgemeinheit zugänglich machte (und nicht dem, der de facto der erste Entdecker war), ist sehr wirksam, gerade weil sie so radikal und auch manchmal „ungerecht“ ist. Derjenige, mit dessen Namen die Entdeckung verbunden wird, behält den Ruhm „auf ewig“; zugleich hat er den höchsten Anreiz, so schnell wir möglich zu veröffentlichen. Denn nur die erste Veröffentlichung kann den Anspruch auf Ruhm etablieren. Die Information kann optimal – nämlich möglichst breit – genutzt werden. Es ist eine Frage von großer Bedeutung, ob auch in anderen als den wissenschaftlichen Bereichen, auf Exklusivrechte für die Nutzung von Informationen verzichtet werden kann, ohne die Anreize zur Schaffung von Informationen zu unterminieren.

Anreize ohne Monopol

Zwar gibt es auch in den Wissenschaften Plagiate und Fälschungen. Es gibt Zitierkartelle und Bestrebungen die Statushierarchien zu manipulieren. Dennoch funktioniert das System der Wissenschaften nach wie vor überraschend gut. Die Allokation von Wertschätzung als Steuerungsinstrument wirkt offenkundig in einer im großen und ganzen maximal innovationsfördernden Weise. Das ist auch deshalb der Fall, weil Achtung und Anerkennung nicht gekauft, nicht fortgenommen und nicht gehandelt werden können. Zugleich werden aufgrund dieser „unveräußerlichen“ Güter – zu denen natürlich auch Schande für Fälschung und Plagiat gehören – andere materielle Güter etwa durch Berufung auf Lehrstühle etc. zugeteilt.

Ruhm und Achtung für die Entwicklung eines besseren Dosenöffners, besserer Schrauben, besserer Schlösser für Haustüren oder einer genaueren Suchroutine für das Internet sind demgegenüber eingeschränkt. Das neue Musikstück würde vielleicht nicht komponiert, der neue Kriminalroman nicht geschrieben, der neue Motor nicht entwickelt, wenn es nicht staatlich und multinational durchgesetzte Patente und andere Schutzinstitutionen gäbe. Der von der Rechtsordnung errichtete künstliche Ausschluss vom Gebrauch bestimmter Informationen ist womöglich unverzichtbar, wenn man nicht auf diese verzichten will.

Die These, dass ohne staatliche und sogar multinationale Kartellisierung der Ausschlussrechte in gleichem Maße technische Innovation und Produktdifferenzierung möglich sei, wie das heute der Fall ist, scheint zwar einigen libertär gesonnenen Theoretikern lieb und teuer zu sein; doch erscheint sie prima facie als sehr unplausibel. Plausibler ist es, die These zu vertreten, dass das Ausmaß der Innovationstätigkeit zwar zurückgehen würde, doch nach wie vor hinreichend sein könnte, um die wesentlichen Innovationen anzutreiben, die dann sogleich und in vollem Umfang von jedermann genutzt werden könnten.

Trotzdem ist auch die schwächere libertäre These kaum plausibel. Projekte wie Open source software und Wikipedia scheinen zwar anzuzeigen, dass Information auch ohne Ausschlussrechte auf offenen Plattformen bereitgestellt werden kann. Dennoch bleibt festzustellen, dass diese Systeme durchaus mit vielfältigen Mängeln behaftet sind und kaum universell geeignet, um in jedem Kontext und für alle Aufgaben geeignet zu sein.

Die Moral von der Geschicht’?

Der größte Fehler, den wir in den vorangehend behandelten Fragen wohl begehen könnten, besteht darin, alle Arten von Information und Innovation über einen Leisten zu schlagen. Wissenschaftliche Werke und ähnliches würden auch ohne Copyright weiter geschaffen werden. Für Werke der Kunst sind ebenfalls Publikationsformen denkbar, die auf anderen Finanzierungsmodellen als den jetzigen beruhen, aber sie würden womöglich ebenso wie bestimmte technische Informationen nur bei einem gewissen Schutz geschaffen. Doch auch dieser Schutz könnte gewiss ohne große Nachteile in vielen Fällen zeitlich auf einen viel engeren Zeitraum begrenzt werden. Andererseits müssten wir erwägen, in der Arzneimittelforschung in die Gegenrichtung zu gehen und längere Patente (für echte Innovationen) einzurichten. Wir müssten auch gegen Arzneimittel-Piraterie in Entwicklungsländern vorgehen. Das gilt jedenfalls soweit wir Re-Importe aus diesen Ländern nicht verhindern könnten. Aber wären wir bereit dazu?

Wie in anderen Fällen dieser Art müssten wir auch hier die langfristigen von den kurzfristigen Interessen trennen. Nachhaltige Informations- und Technikentwicklung verlangen aller Voraussicht nach Patent- und ähnliche Schutzmechanismen. Nur so werden wir die positiven externen Effekte von Gütern, die im Konsum nicht rivalisierend sind in vollem Umfang später realisieren können. Manchmal wird aber auch ein viel geringerer Schutz hinreichend sein. In keinem Falle dürfen wir uns von einem starren und schematischen Modell des geistigen Eigentums leiten lassen, sondern sollten Institutionen auf die spezifischen Eigenschaften des zu regelnden Feldes zuschneiden. Sieht man von den echten Piraten der Geschichte und heute vor Somalia ab (mit denen ich mich in einem eigenen Beitrag befasset habe), die nur ihr eigenes gemeinsames Wohl im Sinne haben, können die nur als Piraten bezeichneten Informationsverbreiter zumindest teilweise unser aller Gemeinwohl fördern bzw. Reformen anstoßen, die letztlich dem Gemeinwohl dienen.

Literatur

Ostrom, Elinor: Governing the commons. Cambridge: Cambridge University Press.

Tietzel, Manfred (1995): Literaturökonomik. Tübingen: Mohr.

Hartmut Kliemt
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