„Not a V, not a U. But an X. … The X marks a brand new track — a new economy.“ (Robert Reich)
Das Tal der weltweit größten Rezession der Nachkriegszeit ist wohl durchschritten. Der Abschwung scheint seinen Boden zu finden. Die Wirtschaft wächst wieder, in Europa und den USA. Schon träumen auch hierzulande die ersten von Vollbeschäftigung, spätestens 2020. Die Börsen verbreiten bereits seit längerem Optimismus. Allerdings erinnern Skeptiker an die letzten Rezessionen zu Beginn der 90er und Anfang dieses Jahrhunderts. Damals begann zwar die Weltwirtschaft wieder zu wachsen, Erfolge auf den Arbeitsmärkten wollten sich aber zunächst nicht einstellen. Die Arbeitslosigkeit verharrte noch geraume Zeit auf dem hohen Niveau der Rezession. Erst spät schlug die wirtschaftliche Erholung auf die Arbeitsmärkte durch. Erleben wir möglicherweise erneut eine Phase des Aufschwungs ohne Arbeit?
Empirischer Befund
In den 70er und 80er Jahren war die Welt des konjunkturellen „Auf und Ab“Â noch in Ordnung. Zumeist dominierte das „V“, ansonsten herrschte das „U“. Brach die Produktion ein, ging auch die Beschäftigung relativ zügig in den Keller. Ebenso schnell ging es am Arbeitsmarkt wieder aufwärts, wenn die Unternehmen mehr produzierten. Das „Gesetz von Okun“ stammt aus dieser Zeit. Obwohl Wachstum, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zeitlich parallel liefen, wurde der schwankende Output nicht Eins zu Eins auf die Arbeitsmärkte übertragen. Wuchs das reale BIP um 1 %, verringerte sich die Arbeitslosenquote um weniger als 1 % und umgekehrt. Die Werte unterschieden sich von Land zu Land, teilweise beträchtlich. Unternehmen „enthorteten“ Arbeitnehmer im Aufschwung, erhöhten die Stundenzahl, die Arbeitsproduktivität stieg und mit ihr die Beschäftigung.
Das änderte sich mit den beiden Rezessionen 1991 und 2001. Alles begann in den USA. Mit den wirtschaftlichen Aufschwüngen 1992 und 2002 erholten sich dort die Arbeitsmärkte nicht mehr unmittelbar. Obwohl der Output stieg, erhöhte sich die Arbeitslosigkeit im Jahr 2002 weiter. Diese Entwicklung hielt bis Juni 2003 an. Erst danach zog auch die Beschäftigung wieder an. Dasselbe Phänomen war zeitverzögert auch in Deutschland zu beobachten. Trotz eines real steigenden BIP ab 2004 erholten sich die Arbeitsmärkte bis Mitte 2006 kaum. Diese beiden Perioden wirtschaftlicher Aufschwünge lösten eine heftige Diskussion über das Phänomen des „jobless recovery“ aus. Das „Gesetz von Okun“ galt nicht mehr, die Arbeitsmärkte koppelten sich zumindest zeitweilig von der Entwicklung der Produktion ab. Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären?
Diagnose
Das wirtschaftliche „Auf und Ab“ hat neben einer zyklischen fast immer auch eine strukturelle Komponente. Dominiert der zyklische Aspekt, folgt die Beschäftigung im Aufschwung dem Wachstum des BIP relativ schnell. Die Gefahr eines „jobless recovery“ ist gering. Hat der wirtschaftliche Abschwung vorwiegend konjunkturelle Gründe, werden Arbeitnehmer vor allem temporär entlassen. Sobald es wirtschaftlich wieder aufwärts geht, werden sie zumeist von den Unternehmen derselben Branche, in denen sie vorher beschäftigt waren, wieder eingestellt. Ganz neue Qualifikationen, die Abwanderung in andere Sektoren und der Umzug in neue Regionen spielen eine nur untergeordnete Rolle. Diese Konstellation scheint in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts dominiert zu haben. Aufschwünge ohne Arbeit waren noch weitgehend unbekannt.
Das scheint sich in den 90er Jahren geändert zu haben. Ein Teil der Arbeitslosen wurde dauerhaft entlassen, die strukturelle Komponente dominierte die zyklische. Der strukturelle Wandel nahm Fahrt auf. Das Gewicht der Branchen veränderte sich, die wirtschaftliche Heterogenität der Unternehmen in den Sektoren nahm zu. Qualifikationen der Arbeitnehmer wurden neu bewertet. Gleichzeitig ging die Nachfrage nach Geringqualifizierten zurück, besser Qualifizierte waren stärker gefragt. Die Anpassungslasten auf den Arbeitsmärkten stiegen sprunghaft. Der Aufschwung ging an einem Teil der Arbeitnehmer vorbei, teilweise nur temporär, immer öfter aber auch dauerhaft. Arbeitnehmer brauchten neue Qualifikationen, mussten den Sektor und oft auch die Region wechseln, um einen Arbeitsplatz zu ergattern. Die Langzeitarbeitslosigkeit nahm sprunghaft zu. Kein Wunder, dass bei wenig mobilen Arbeitnehmern die Beschäftigung dem wirtschaftlichen Wachstum nur zögerlich folgte.
Therapie
Eine Antwort auf die Frage, wie es heute aussieht, ist schwierig. Unbestritten hat die zyklische Komponente zu Beginn der Krise eine Rolle gespielt, vor allem nach dem Fall von Lehman. Die Unsicherheit über den Fortbestand des Systems und die Wertverluste von Banken und Haushalten lösten einen Nachfrageschock auf breiter Front aus. Allerdings war die staatlich verabreichte Medizin nur teilweise adäquat. Richtig war es, den Bankensektor zu stabilisieren. Das war ein Notoperation, um das Systemrisiko zu verringern. Weitere wirksame Schritte blieben aus. Die fiskalische Medizin allerdings, die auf staatliche Ausgaben setzte, hat das Problem vergrößert. Viel sinnvoller wäre es gewesen, die privaten wirtschaftlichen Akteure stärker steuerlich zu entlasten. Das hätte vor allem in den USA geholfen, ausgebombte Bilanzen privater Haushalte teilweise zu reparieren und unternehmerische Risiken zu verringern. Konsumtive und investive Nachfrage wären schneller auf die Beine gekommen, die Beschäftigung weniger stark gefallen.
Der zyklische Schock dieser Krise ist höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich gleicht die wirtschaftliche Entwicklung weniger einem „U „als einem „X“. Strukturelle Faktoren spielen die größere Rolle. Die sektoralen Strukturen in den USA und Europa sind verzerrt. Auto-, Bau- und Finanzsektor sind zu groß. Ein Indikator ist der Anteil der unfreiwilligen an der gesamten Teilzeitarbeit. Die ist in den USA so hoch, wie in keiner Rezession seit den 70ern. Man sollte sich deshalb kein „strukturelles X für ein konjunkturelles U“ vormachen lassen. Notwendig ist ein sektoraler Neustart, um anhaltendes „jobless growth“ zu vermeiden. Das ist mit keynesianischer Nachfragepolitik nicht zu schaffen, im Gegenteil. Staatliche Ausgabenpolitiken zementieren überkommene sektorale Strukturen. Nur ein rascher Strukturwandel kann helfen. Notwendig ist mehr Wettbewerb überall, auf Güter-, Dienstleistungs-, Arbeits- und Kapitalmärkten. Wir brauchen eine wettbewerbspolitische „Agenda 2020“, um möglichst schnell die überkommenen Strukturen aufzubrechen.
Fazit
Die Angst vor einem Aufschwung ohne Arbeit ist nicht von der Hand zu weisen. Auch in dieser Krise dominieren strukturelle Faktoren die zyklischen. Der Anpassungsbedarf ist groß, die Anpassungskapazität gering. Wer mehr Wohlstand für alle und weniger Arbeitslosigkeit will, darf nicht auf keynesianische Ausgabenprogramme, korporatistische Bündnisse für Arbeit und industriepolitische Deutschland-Pläne setzen. Er sollte vielmehr alles tun, den Strukturwandel zu erleichtern. Besser qualifizierte und räumlich und sektoral mobilere Arbeitnehmer, aber auch freie Fahrt für freie Unternehmer sind das Gebot der Stunde. Damit würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand würden steigen, es würden zügig mehr Arbeitsplätze geschaffen. Das Gespenst der massenhaften Arbeitslosigkeit würde sofort nachhaltig verscheucht, nicht erst nach 2020.
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„Aufschwung ohne Arbeit“
Das trifft es genau. Ein Kommentator schrieb hier einst, wir wären an einem Punkt angekommen an dem die staatliche Expansion von Krediten nicht mehr funktionieren würde. Irrtum, wir sind zwar an diesem Punkt angelangt, aber es geht immer weiter – in Preisen – und zwar zu höheren Inflationsraten, die Arbeitsplätze vernichten ( und nur nebenbei ist das genau der Weg zur hyperinflation… ). Und die Politik, so kläglich sie auch sein mag, wird genau diesen Wegfall von Arbeitsplätzen WIEDER dem scheitern des Kapitalismus zu ordnen und nochmals MEHR Kredit in Umlauf bringen was wieder zu höheren Preise ( und auch Zinsen ! ) führt. Es ist eigentlich der perfekte Kreislauf zum zerstören einer Volkswirtschaft.
Nehmen wir das Beispiel Automobilindustrie: Jeder weiss, dass dieser Markt übersättigt ist. Warum belügt man sich dann selber in dem man sagt wir produzieren mehr als gebraucht wird ? Ja, ich finde es schlimm, dass diese Arbeitsplätze wegfallen, aber in einer „normalen“ Ökonomie hat man auch pent-up demand, sodass nach, ich weiss nicht wie langer Zeit, automatisch auf realer Basis wieder Nachfrage erzeugt wird. Das ist doch so plausibel.
Das kapitalistische System besteht nicht nur aus der Zentralbank. Es besteht aus der juristischen Trennung zwischen dieser und den empfangenden privaten Instituten. Diese, am Gewinn und erhalt des „Kapitals“ interessierten, unabhängigen Einheiten haben nichts von Inflation. Im Gegenteil: definiert man Inflation als Erhöhung der Geldmenge ( durch die staatliche Druckerpresse, well understood – und nicht wie an unseren Universitäten vorgeschrieben durch die Erhöhung von Preisen ) so verlieren die untergeordneten Einheiten, weil Sie nun, im prozentualen, weniger Kaufkraft zur Verfügung haben. Aber das habe ich ja nun schon of genug geschrieben und ist auch jedem bekannt.
Interessanterweise sind es genau diejenigen Personen, die uns die Krise beschert haben, die jetzt nach noch mehr Interventionismus rufen. Aber wahrscheinlich kommen sie auch dieses mal wieder damit durch.
Warum wäre es besser, bei der Fiskalpolitik auf steuerliche Entlastung zu setzen? Grundsätzlich sind permanente Steuersenkungen verbunden mit Subventionsabbau (o.ä.) zwar durchaus wünschenswert, aber in Zeiten der Krise gilt doch immer noch, dass der Steuermultiplikator kleiner ist als der Staatsausgabenmultiplikator.
Wenn die Regierung angesichts einer Rezession die Steuern senkt, dann haben die Leute zwar mehr in der Tasche, aber es ist nicht bei weitem nicht klar, in wie weit sie dieses „zusätzliche“ Einkommen ausgeben, um die Wirtschaft wieder anzukrubeln (ein Teil des zusätzlichen Einkommens wird gespart für die kommenden schlechten Zeiten). Langfristig kann und soll jeder mit seinem Einkommen machen was er will (und sparen bleibt hier eine Tugend), aber in der Krise ist zusätzliche Nachfrage notwendig und die kann der Staat über eigenen Investitionen (Infrastrukturprojekte, Schul- und Uni-Sanierung, usw.) direkt leisten.
Sicherlich wird es dabei auch zu einiger Verschwendungen kommen (Bürokratie, sinnlose Projekte, usw.) und ein Teil der notwendigen Strukturanpassungen wird zeitlich nach hinten verlagert. Aber ich denke, dass dies die kleineren Übel sind, angesichts der Schärfe (und deshalb auch potentiellen Dauer) der Krise. Die Alternative wäre ein weltweites Japan-Szenario mit einer über lange Zeit stagnierenden Welt-Wirtschaft.
Knut, Du solltest in die USA gehe, dort gibt es viele Deiner Keynes´schen Anhänger. Auf das Deine Währung gegen 0 geht 😉
Du scheinst das wirklich nicht zu verstehen. Der Staat hat kein Geld ! Woher denkst Du nimmt er es denn ? Wenn Du schreibst er solle Investitionen einsetzen um etwas anzukurbeln muss er sich das Geld entweder borgen, oder seine Bürger besteuern oder drucken. Aber wenn der private Sektor nichts mehr hat wo soll er es dann herholen ? Das ist genau das Problem. Der Staat ist in der Hierarchie eigentlich sekundär, primär ist der Souverän, die Bevölkerung. Diese versorgt ihn und nicht anderes herum. Wenn es so wäre, und Gott sei Dank ist es noch nicht so, dann wären wir wieder in der Diktatur. Und wie dies endet, weisst Du sicherlich. Nein, die Analyse man bräuchte jetzt mehr Stimuli ist genau falsch. Es ist wie mit einem Übergewichtigen der seinen Freunden erzählt er werde nächste Woche abnehmen. Ja warum nicht gleich ? Dann könnte er vielleicht in einer Woche auch wieder von seiner Couch aufstehen…
Und noch mal zu diesen Infrastruktuprojekten. Es hat zwar nicht viel damit zu tun weil es sicherlich in keinster Weise damit zu vergleichen ist, aber Hitler hat auch Infrastrukturprojekte forciert – genützt hat es nur ihm.
Wenn unsere Bauämter damit fertig sind und jeder mit diesen Projekten beschäftigt war, wie sollen Sie sich danach ernähren ? Was ich damit sagen will ist, dass Infrastrukturprojekte keine Kapitalbasis im Sinne von wieder reproduzierbaren Gütern schaffen und ergo auch keinen Kapitalstock errichten. Sie sind einfach nur Beschäftigungstherapie weil die Regierung keine Ahnung hat was sie eigentlich machen soll. Und da wären wir wieder am Anfang: die Regierung kann nichts, Sie wird von den Bürgern befähigt ihre Interessen zu exekutieren, nichts anderes.
Um das Kapitel Japan mal abzuschliessen: Ja, Japan hat eine sehr hohe Staatsquote, da gehe ich mit, aber Sie sind auch 2. größter Kapitalgeber in der Welt, das federt alles andere ab.
Sehr geehrte Herr Berthold,
das Problem mit dem Ausgabenmultiplikator beginnt dann, wenn debt-to-gdp so groß wird, dass die damit verbundenen Zinszahlungen auf Staatsseite kein GDP Wachstum mehr zulassen. Dann erdückt jedwede neuere Ausgabe reales Wachstum. Das zeigt sich dann auch im Bankensektor, weil die Banken wissen, dass der Staat alles verbockt hat.
In den USA haben wir wirklich ein Phänomen des Kapitalfaschismus. Ich muss es wirklich so drastisch sagen, weil die US-Administration, und damit verbunden natürlich auch unsere, die Lage vollkommen falsch wiedergibt und uns belügt.
1978 begann China mit seiner open-door policy. 1977 wurde der CRA eingeführt ( Community Reinvestment Act ) auf dem sich dann das ganze Gerüst entfaltet hat, dass vor 2 Jahren implodierte. Wir hatten also global einen immensen Shift weg von der westlichen Welt hin zu asiatischen ( die Asiaten wurden Produzenten wir die armen Konsumenten ). Deshalb ist es ein Problem der Regierung, denn Sie hätte ohne weiteres sagen können, wir stoppen das. Die Krise ist ja nicht nur durch supbrime ( und wer ist denn dafür verantwortlich ? Es ist der Regulator … ) ausgelöst worden. Davor gab es schon etliche andere ( Savings and Loans, Mexican default, LTCM, NASDAQ um nur die größten zu nennen ), die durch ein wiederbefüllen der monetären Löcher durch die Zentralbank oder die FDIC von statten ging. Nun ist wirklich alles „liquide“ und man schiebt wieder alles auf die Banken. In Deutschland ist dies nicht viel anderes, da wir politisch natürlich miteinander verzahnt sind.
Ich sage es wird keine „Recovery“ geben. Im Gegenteil, wir werden weiter abdriften ( real, nicht in Preisen ), eben weil die Regierungen immer weiter in die Schuld gehen. Nun kann man darüber diskutieren ob wir eine deflationäre Depression erleben oder eine inflationäre. Wenn Sie sich die Artikel von Herrn Bernanke ( und auch die Gesetzesvorschläge in den Aussschüssen ) ansehen, dann wissen Sie, dass es inflationär wird. Ich meine ich hoffe es nicht, aber auf hoffen kann man nichts aufbauen.
Um das alles noch genauer zu erklären, müsste man wirklich ausführlicher schreiben, ich glaube das geht hier kaum. Ich empfehle jedoch jedem sich diese 8 Videos anzusehen. Es fasst die globale Situation eigentlich enorm gut zusammen.
http://www.youtube.com/results?search_query=marc+faber+slovenia&search_type=&aq=f
@ Knut
Die traditionelle Vorstellung in den Lehrbüchern, dass der Ausgabenmuliplikator größer als der Steuermultiplikator ist, gerät zunehmend in die Kritik der Empirie. Einen Überblick über einige neuere Untersuchungen gibt Sylvain Leduc in: Economic Letter, 2009-20; June 19, 2009. Zu einem ähnlich kritischen Ergebnis für den Ausgabenmultiplikator kommen Cogan, Cwik, Taylor und Wieland.
Mark Thoma hat in seinem BLOG noch auf einen anderen Zusammenhang hingewiesen. Der Rückgang der Konsumnachfrage in den USA beruht auch darauf, dass die Haushalte im Zuge der Krise gewisse Vermögensverluste erlitten haben. Sie werden seiner Meinung nach erst wieder tatkräftig konsumieren, wenn sie diese Verluste ausgeglichen haben. Steuererleichterungen könnten ihnen möglicherweise viel schneller als staatliche Ausgabenprogramme helfen, diese Vermögensverluste zu kompensieren.
Ein weiteres Arbeitspapier aus der NYFED (Eggertsson, 2008: Can a tax cut deepen the recession?) kommt sogar zu dem Schluss, dass ein „Tax Cut“ in Situationen mit sehr niedrigen nominal Zinsen negative Auswirkungen haben kann:
Abstract:
This paper shows that at zero short-term nominal interest rate tax cuts reduce output in a standard New Keynesian model. They do so because they increase deflationary pressures. Policies aimed at stimulating aggregate demand work better. These policies include (i) a temporary increase in government spending and (ii) a commitment to inflate. The multiplier of tax cuts goes from positive at positive interest rates to negative once the interest rate hits zero, while the multiplier of government spending not only stays positive but becomes many times larger at the zero bound. The model suggests policy today should not be based on empirical studies that use post WWII data because that period is characterized by positive interest rates.
http://www.newyorkfed.org/research/economists/eggertsson/ContractionaryTaxes.pdf
Fazit aus dem Economist (24.09.2009): Much ado about multipliers
„… all this together and the truth is that economists are flying blind. They can make relative judgments with some confidence. … But policymakers looking for precise estimates are deluding themselves.“
http://www.economist.com/businessfinance/economicsfocus/displaystory.cfm?story_id=14505361
@ Arne
Zunächst mal glaube ich, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks sowohl Anhänger von Keynes, als auch Anhänger des „Tresury view“ gibt (leider). Ich denke auch, dass ich deine Argumentation korrekt verstanden habe: Deine Vorstellung einer Ökonomie entspricht dem Kreislauf-Diagramm des nachfolgenden Videos.
http://www.youtube.com/watch?v=VoxDyC7y7PM
Aus gegebenen Anlass prallten die gleichen Argumentationsketten in der amerikanischen Blog-Sphäre aufeinander, sodass DeLong & Krugman bereits passende Antworten verfasst haben (polemisch wie immer, jedoch nicht weniger informativ):
http://delong.typepad.com/sdj/2009/01/time-to-bang-my-head-against-the-wall-some-more-pre-elementary-monetary-economics-department.html
http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/01/27/a-dark-age-of-macroeconomics-wonkish/
Zu dem Hitler-Argument fällt mir wenig ein. Ich erinnere mich jedoch an eine hitzige Diskussion während meiner Schulzeit mit einem Rechtsradikalen: Er argumentierte, dass die Nazis toll waren, weil sie die Arbeitslosigkeit abgeschafft hatten, in dem sie die Arbeiter Autobahn bauen lies …
@ Prof. Berthold
Vielen Dank für den FRBSF-Link. Auch dieses Thema wird ja in den USA heiß diskutiert – Wie stark wirkt die Fiskalpolitik überhaupt?
Ich hab nur eine ,Zusammenfassung’ des von ihnen genannten Artikels von Cogan et al. kritisieren den Romer/Bernstein-Multiplikator von 1,6 als zu hoch. Ihren Berechnungen zufolge müsste der Effekt sehr viel geringer ausfallen und sich auf nur 1/6 des R/B-Multiplikators belaufen. Zentrale Annahme dabei: Die Wirtschaftssubjekte beziehen in ihr Verhalten mit ein, dass Steuererhöhungen in der Zukunft aufgrund der Ausgaben während der Krise unausweichlich sind (das sollte man mal Frau Merkel und Herrn Westerwelle erklären – Steinbrück hat es zumindest begriffen).
http://www.voxeu.org/index.php?q=node/3949
Der Aufsatz von Eichbaum et al. kommen dagegen zu dem Ergebnis, dass unter bestimmten Umstanden der Multiplikator sehr viel großer ausfällt. Wenn sich die Wirtschaft in einer Liquiditätskrise befindet, ist die Wirkung der Fiskalpolitik größer …
http://faculty.wcas.northwestern.edu/~yona/research/Multiplier-version12.pdf
Fazit aus dem FRBSF-Artikel:
“In other words, the effects of fiscal policy on real GDP are quite sensitive to underlying modeling assumptions regarding the behavior of households, firms, and monetary policy. …“
Dazu auch Mankiw und Krugman (verlinkt DeLong):
http://gregmankiw.blogspot.com/2009/07/modern-macro-even-paul-krugman-will.html
http://krugman.blogs.nytimes.com/2009/07/14/multiplier-muddles-wonkish/
Lieber Knut,
das es überall Keynes´sche Verfechter gibt, ist natürlich klar. Was ich nur immens kritisiere ist, dass es kein „Gleichgewichtsmaß“ im Sinne der Resourcenverteilung gibt. Eine gerechte Resourcenverteilung kommt nur dann zu Stande, wenn man die Bevölkerung darüber entscheiden lässt und nicht durch politische Einheiten. Denn diese entscheiden dann zwar im „Sinne“ der Bürger, jedoch befragen Sie nicht die Bürger ob dies dann auch wirklich gewollt ist … wenn wir aber jetzt mit solchen Diskussionen anfangen, geht das wohl am Thema vorbei.
Ich bin natürlich prinzipiell immer offen für akademische Diskussionen, jedoch sollte man den Realitätsbezug nie verlieren. Ich gebe Dir ein Beispiel:
In den USA wird derzeit ( nicht nur von Krugmann inspiriert, auch von anderen Professoren von Princeton wie Blinder – übrigens halte ich nicht viel von der IVY League, aber das sollte bei meinen Kommentaren ja nun klar sein 🙂 ) versucht den Häusermarkt wieder anzuschieben. Das Problem, was aber diesen Markt angeht ist, dass auch er nur ein Sachgut darstellt, ergo auch nur einen Zeitwert hat. Man ging aber davon aus, dass die Häuserpreise auf Grund von staatlicher Kreditexpanision ( Federal Housing Agency ) immer zu steigen würden. Ja, ich gebe zu, Preise können immer steigen, wenn man das Zahlungsmittel erhöht ( wenn ich statt 100 Bananenwährungen plötzlich 1000 ausgebe, klar dass dann bilanztechnisch der „Wert“ steigt ). Was jedoch vergessen wurde ist, dass der Zeitwert ( wie bei einer Option ) am Ende immer schneller fällt bis er gegen 0 geht. Was versuche ich damit zu sagen ? Nun, ich kann künstlich den Preis des Hauses konstant halten in dem ich das Zahlungsmittel manipuliere, aber irgendwann geht auch das nicht mehr, weil das Haus als Gut so verschrammelt ist, dass niemand es mehr freiwillig kaufen würde. Hinzu kam nun, dass die amerikanischen Bürger dies genutzt haben und auf einen globalen shopping Zug zu gehen ( Extraktion von Home Equity Lines, siehe HELOC von der FED ). Aber auch Dir sollte bewusst sein, dass Konsum nicht Reichtum erschafft. Wenn dies so sein sollte, warum wollen die BRIC Staaten dann ein anderes Zahlungsmittel als den USD ? Warum schmiert der USD-Index Tag für Tag ab ? Die US-Ökonomie besteht zu 75 % aus Konsum ( je nachdem welche Zahlen man sich da heranzieht ).
Jurisdiktionen ( ich sage bewusst nicht Nationen, weil das britische Pfund lange Zeit auch nicht nur in seiner Jurisdiktion geführt wurde ) sind dann reich geworden wenn Sie sehr viel capital expenditure ausgeführt haben. Das ist ein Faktum, das denke ich mir nicht einfach so aus.
Ich versuche später noch einmal ausführlicher zu schreiben. Viel Spass bei der Wahl.
@Knut
Wie hoch Multiplikatoren sind, hängt von vielem ab. In einer Welt keynesianischer Arbeitslosigkeit sind sie größer als im Falle klassischer Arbeitslosigkeit. In meinem Beitrag wies ich darauf hin, dass einiges dafür spricht, dass sich in den beiden Abschwüngen der 90er Jahre und Anfang des neuen Jahrhunderts die strukturelle (klassische) Komponente verstärkt hat. In einem solchen Fall fallen die Multiplikatoren eher gering aus.
Die eigentlich spannende Frage ist deshalb, ob es in der gegenwärtigen Krise wieder ist wie vor 1990. Dagegen spricht einiges: Die Finanzkrise hat strukturelle Ungleichgewichte offengelegt. Knappe Ressourcen wurden in ineffiziente Verwendungsarten gelenkt. In einer solchen Konstellation sind die Multiplikatoren gering. Es ist letztlich eine empirische Frage, wie groß diese strukturellen Faktoren in der gegenwärtigen Krise sind.