Politik und Rat (2)
Sachverständige Läuse
Zur Politkritik am Sachverständigenrat

Als schon im Jahre 1956 der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vorschlug, eine besondere Institution zur Beratung über die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lage einzurichten, und zwar als eine mit Ökonomieprofessoren zu bestückende, unabhängige Institution, da lehnte ihm das der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer rundweg ab. „Erhard, woll’n Sie sich ’ne Laus in den Pelz setzen?“ fragte er (NEUMANN 1998). Nach guter Kanzlermanier gab Adenauer aber schließlich nach, allerdings erst sieben Jahre später. So erleben wir seit nunmehr 50 Jahren jedes Jahr das gleiche Schauspiel. Stolze Professoren überreichen vor TV-Kameras ein schwergewichtiges Gutachten, es wird mehr oder minder huldvoll entgegengenommen, am folgenden Tag werden die Reaktionen der Medien unter den Ministerialen besprochen, und anschließend wird das Gutachten entsorgt. Immerhin, mitunter soll es vorkommen, dass viele Jahre später eine schräge Idee der Professoren, nachdem sie mehrmals von Berufenen wie Unberufenen hin- und hergewendet worden ist, umgesetzt wird.

Nicht immer geht es so ab, insbesondere dann nicht, wenn die Professoren es sich einfallen lassen, die Bundesregierung deutlich konturiert zu kritisieren und überdies ihre gesamtwirtschaftlichen Prognosen herunter zu korrigieren. So ist es diesmal. Die Sachverständigen haben ihre Konjunkturprognose drastisch um mehr als ein Drittel gekappt, von 1,9 auf nur noch 1,2 Prozent für dieses Jahr und auf noch weniger für 2015 (1,0 Prozent). Und an der einseitig sozialpolitisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik der Großen Koalition – Rente mit 63, Mütterrente, Mindestlohn – lassen sie zu Recht kein gutes Haar. Andrea Nahles‘ flächendeckender Mindestlohn nehme dem Arbeitsmarkt die Anpassungsfähigkeit. Und das Renteneintrittsalter müsse nicht gesenkt, sondern, wie inzwischen wohl jeder Bürger weiß, an die steigende Lebenserwartung angepasst werden.

So kann es nicht überraschen, dass gleich drei mächtige Politikerinnen, freilich sehr unterschiedlicher Statur, mit Unverständnis reagierten. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erstaunt zu hören, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro, den es ja noch gar nicht gibt, schon negative Wirkung haben solle. Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi resümierte kurzerhand, das Gutachten sei „sehr plakativ, teils sehr platt“ und enthalte „viel zu wenig ökonomische Fakten“. Anscheinend hatte sie in Windeseile die immerhin 400 Seiten schon mal durchgeblättert. Die stolze Sarah Wagenknecht schließlich hatte es nicht nötig, solchen Eindruck zu erwecken. Sie griff wie üblich zum Holzhammer, hier würden „Konzerninteressen als Wissenschaft“ verkauft.

Am überzeugendsten wirkte noch die Bundeskanzlerin. Ihr spöttischer Einwand, es sei „nicht ganz trivial zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon eine konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann“ wird fraglos von vielen Bürgern geteilt. Man muss nicht wie die Kanzlerin Naturwissenschaftlerin sein, um zu wissen, dass ein Stein keine Welle erzeugen kann, bevor er ins Wasser geworfen worden ist. Die Naturwissenschaftler sind darauf gedrillt, präzis zu beobachten und dann induktiv zu schließen. Sie verstehen die zeitliche Dimension der Kausalität: Zuerst werfen, dann Welle. Aber Ökonomik ist halt schwieriger als Naturwissenschaft. Die Ökonomen versuchen zu berücksichtigen, dass menschliches Handeln erwartungsgeleitet ist. Die Menschen stellen sich auf für die Zukunft erwartete Ereignisse ein, sie berücksichtigen sie, sofern für relevant erachtet, in ihrem heutigen Handeln und nehmen sie insofern vorweg, natürlich nicht vollständig, denn die erwarteten Ereignisse sind unsicher. Wenn ich etwa erwarten würde, dass ein böser Nachbar bei erstbester Gelegenheit einen Felsbrocken in meinen Swimmingpool rollen wird, damit der mein Häuschen unter Wasser setzt, werde ich vielleicht eine Wache aufstellen oder gar das Wasser einfach ablassen.

Wir dürfen annehmen, dass die Sachverständigen das der Kanzlerin beim Abendessen in ausführlichem Diskurs erläutert haben. Unser hohes Ansehen bei höchster Stelle – dies sei zur Beruhigung aller ehrpusseligen Ökonomen versichert – dürfte damit wiederhergestellt sein. Die populistische Kritik seitens der beiden linken Politdamen spielt dagegen keine Rolle. Immerhin lässt sie tief blicken. Wagenknecht ist ganz unverblümt. Sie will „andere“ Wirtschaftsweise, frei nach dem Motto „Wer das Falsche sagt, der fliegt“. Generalsekretärin Fahimi, die zuerst zwei Jahre Elektrotechnik und danach immerhin acht Jahre Chemie studierte und dabei anscheinend gelernt hat, was eine wissenschaftliche Analyse ist und was nicht, wünscht sich das offenbar auch. Wie wär’s nächstens mit einem Rot-Rot-Professorenticket für den Sachverständigenrat? Und hat Fahimi etwa nicht Recht? Denn was ist von Sachverständigen zu halten, deren Analyse „wissenschaftlichen Anforderungen nicht gerecht“ wird, weil sie in ihrer ganzen Methodik „nicht mehr auf der Höhe der Zeit“ ist?

Lausige Sachverständige, wer will denn die? Sachverständige Läuse wären da schon besser. Nur lassen die sich immer wieder einfallen, zu zwicken und zu zwacken. Deshalb will die im Grunde wohl auch keiner, jedenfalls nicht im linken Damen-Spektrum der Politik.

Literatur

NEUMANN, M.J.M. (1998), Läuse im Pelz der Politik, FAZ v. 10. Januar.

Weitere Blog-Beiträge zu Kritik der Politik am SVR-Gutachten

Ulrich van Suntum: Chemie oder Alchemie? Politiker zum Sachverständigenratsgutachten

2 Antworten auf „Politik und Rat (2)
Sachverständige Läuse
Zur Politkritik am Sachverständigenrat

  1. Das ist sehr mutig von Professor Neumann, seine Kollgen vom SVR gegenueber der Politik zu verteidigen. Ob er auch so mutig ist, die geldpolitische Analyse des SVR einmal aus monetaristischer Sicht kritisch zu durchleuchten? Waere bestimmt spannend!

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