Die Lohn- und Tarifpolitik folgt seit langem einem festen Ritual. Das ist auch dieses Mal nicht anders. IG Metall und IG BCE wollen zwischen 4,8 und 5,5 % mehr Lohn. Verdi verlangt ganz unbescheiden zwischen 5,5 und 11 %. Nach der „goldenen“ Lohnformel liegt der geschätzte Verteilungsspielraum in diesem Jahr bei etwa 3 %. Nun sind Lohnforderungen und Abschlüsse zwar zwei Paar Schuhe. Die relativ gute Lage am Arbeitsmarkt spricht allerdings dafür, dass der Tarifabschluss in diesem Jahr jenseits dieser ökonomischen „Vernunftgrenze“ liegen wird.
Dietrich Creutzburg vertritt in der FAZ die Meinung, dass der Verteilungsspielraum von 3 % längst verfrühstückt ist. Mit der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro sei er bereits ausgeschöpft. Es gebe nichts mehr zu verteilen. Der Topf sei leer. Seine Forderung lautet deshalb: Lasst die übliche Tarifrunde in diesem Jahr ausfallen. Dann richten die Tarifpartner wenigstens keinen weiteren beschäftigungspolitischen Schaden an. Die Verluste an Arbeitsplätzen, den der gesetzliche Mindestlohn anrichtet, sind schon groß genug.
Völlig richtig ist: Auch politisch verordnete Löhne, wie die flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhne, sind keine distributive Wunderwaffe ohne Risiken und Nebenwirkungen. Sie erweitern den Verteilungsspielraum der Lohn- und Tarifpolitik nicht, sie engen ihn ein. Jeder erwirtschaftete Euro kann nur einmal verteilt werden. Er wird für viele Geringqualifizierte schon mehr als ausgeschöpft. Die Lohnstückkosten werden spürbar steigen. In Kürze werden wir die negativen beschäftigungspolitischen Folgen dieser politischen Fehlentscheidung besichtigen können.
Richtig ist aber auch: Die traditionelle Lohnformel taugt schon lange nicht mehr. Sie ist ein Relikt aus einer längst versunkenen Welt. In Zeiten relativ homogener wirtschaftlicher Entwicklung mag sie als grobe Faustformel der Lohn- und Tarifpolitik brauchbar gewesen sein. Heute führt sie allerdings in die Irre. Sektoren, Unternehmen in den Sektoren und Arbeitnehmer in den Unternehmen sind heterogener geworden. Es macht keinen Sinn, sie lohn- und tarifpolitisch über einen Kamm zu scheren. Mehr Vielfalt in der Lohn- und Tarifpolitik ist angesagt.
Eine dezentrale Lohn- und Tarifpolitik, die auf die heterogenen Interessen der Arbeitnehmer in den Betrieben mehr Rücksicht nimmt, ist das Gebot der Stunde. Die Löhne müssen stärker an die Ertragskraft einzelner Unternehmen und die individuelle Produktivität der Arbeitnehmer gekoppelt werden. Die Produktivität steigt, die Beschäftigung wird stabilisiert. Mehr Ertrags- und Gewinnbeteiligungen der Mitarbeiter sind der nächste logische Schritt. Das ist dann das Ende des archaischen Rituals der traditionellen Tarifverhandlungen. Die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften von heute werden morgen überflüssig.
Ein weiterer Blog-Beitrag zum Thema:
Norbert Berthold: Lohn- und Tarifpolitik nach der Finanzkrise. Werden Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften überflüssig?
- Pakt für Industrie
Korporatismus oder Angebotspolitik? - 27. Oktober 2024 - De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
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So was kommt von sowas
Unternehmer, Lobbyisten und Subventionen - 17. August 2024
„Die Verluste an Arbeitsplätzen, den der gesetzliche Mindestlohn anrichtet, sind schon groß genug.“
Ja, der Mindestlohn hat schon schlimme Folgen am Arbeitsmarkt gehabt, sagte 2019 zumindest das IAB:
„Fünf Jahre nach Einführung des Mindestlohns stehe fest, dass er deutlich positive Effekte auf die Löhne der betroffenen Beschäftigten gehabt habe, erklären die Nürnberger Arbeitsmarktforscher.
Die befürchteten Arbeitsplatzverluste seien sehr gering ausgefallen. Sie konzentrierten sich auf den Bereich der Minijobs. Etwa die Hälfte der Minijobs, die zum Jahreswechsel 2014/2015 entfallen sind, wurde in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Dagegen hätte sich nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Personen arbeitslos gemeldet, so die Forscher. Zugleich betonen sie: Im Zuge einer Rezession oder bei deutlichen Mindestlohnerhöhungen könnten negative Beschäftigungseffekte allerdings nicht ausgeschlossen werden.“ https://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb2419.aspx