Vor vier Jahren verzeichneten CDU und CSU mit 35,2 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1949. Aus der Politischen Ökonomie ist bekannt, dass Parteien nach einer schweren Niederlage in der Regel nicht nur ihr Führungspersonal auswechseln, sondern auch ihr Programm drastisch anpassen. Denn die Niederlage ist Information: sie zeigt, dass die Partei entweder zu schwache Kandidaten aufgestellt hat oder programmatisch ins Abseits geraten ist oder – was das Wahrscheinlichste ist – beide Fehler gleichzeitig begangen hat.
In der amerikanischen Public-Choice-Literatur gilt die Niederlage der Republikanischen Partei von 1964 als Paradebeispiel. Hatte sich ihr Kandidat Barry Goldwater noch für den Einsatz von Atomwaffen im Vietnam-Krieg eingesetzt, leiteten Richard Nixon und Henry Kissinger 1968 den Abzug aus Vietnam ein. Auch im Umweltschutz versuchte Nixon die Demokratische Partei zu überholen.
Das Paradebeispiel aus der deutschen Nachkriegsgeschichte ist zweifellos das Godesberger Programm der SPD von 1959. Denn in der Bundestagswahl von 1957 hatten CDU und CSU zum ersten (und letzten) Mal die absolute Mehrheit errungen. In Godesberg nahm die SPD auf Anraten Herbert Wehners Abschied von ihrem Verstaatlichungsprogramm und bekannte sich zur Bundeswehr. Für die Bundestagswahl von 1961 nominierte sie nicht noch einmal ihren Vorsitzenden Erich Ollenhauer, sondern Willy Brandt.
Entsprechend hätte man erwartet, dass die Union nach ihrer schweren Niederlage von 2005 ihr Führungspersonal auswechseln würde. Der Grund, weshalb es nicht dazu kam, war die unversöhnliche Spaltung im Lager der linken Mehrheit. Wie die Ereignisse in Hessen später jedermann vor Augen führten, würde die SPD zerbrechen, wenn ihre Führung versuchen würde, auch im Westen eine Koalition oder Allianz mit der Linkspartei – der Bundes-PDS – einzugehen. Da sich die Unionsführung also im Sattel halten konnte und mit Angela Merkel sogar die Bundeskanzlerin stellte, war klar, dass sie die Wahlniederlage nicht den Personen, sondern allein dem Programm anlasten würde. Die ohnehin zu erwartende programmatische Anpassung musste also besonders drastisch ausfallen. Das ist der Hauptgrund für das Super-Godesberg der Union.
Wenn CDU und CSU in der jetzt anstehenden Bundestagswahl ihr Wahlergebnis deutlich verbessern, werden sie es als Bestätigung ihres neuen Kurses interpretieren.
Lieber Herr Vaubel,
ich glaube, dass die Public-Choice-Theorie bei der CDU versagt. Diese Partei benötigt eine eigene Theorie. Die englischen Konservativen hatten Margreit Thatcher aus dem Amt abgelöst, weil Thatcher verbraucht war und den Konservativen eine Wahlniederlage drohte (genauso hatte es Labour mit Tony Blair gemacht). Vergleichen wir das mit der CDU: nach 16 Jahren Kanzlerschaft ist die Partei noch einmal mit Helmut Kohl in den Wahlkampf gezogen. Selbst nach der Wahlniederlage 1998 hielten sich die Führungsleute in der CDU zurück, Kohl zum Verzicht auf den Parteivorsitz zu bewegen – nur Sie hatte die Kraft. Deswegen glaube ich, dass wir Angela Merkel noch lange an der Spitze sehen werden. Wir müssen einen Loyalitätsparameter berücksichtigen, der im Falle der CDU seinen Maximalwert annimmt.
Sorry, ich wollte Ihnen nicht die gute Laute verderben.
Andererseits könnte eine moderierende Kanzlerin an der Spitze einer „bürgerlichen“ Koalition weitaus besser sein als heute. Ich enthalte mich einer Prognose.