Wirtschaftspolitische Rhetorik: Vom Marktversagen zur Exit-Strategie

Marktversagen

Von Marktversagen ist seit Monaten viel zu hören und zu lesen. In unangemessener Übertreibung werden von manchen Autoren und Medien – die globale Finanzmarktkrise und die realwirtschaftliche Rezession vor Augen – die Grenzen marktwirtschaftlicher Wirtschafts-ordnungen als offensichtlich und als erreicht angesehen. Kapitalismus ist die negativ belegte Assoziation, seine Kritik ist sehr populär geworden und wenig Widerspruch regt sich. Die Probleme auf den Finanzmärkten, die ihre Spuren in Bankbilanzen und privaten Vermögensaufstellungen hinterlassen haben sowie die gedämpfte gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben in vielen Volkswirtschaften zu weitreichenden staatlichen Maßnahmen geführt. Rettungspakete größeren Ausmaßes für Banken und Finanzinstitute wurden geschnürt, Konjunkturprogramme sind angelaufen. Staatliche Unterstützung in Form von Bürgschaften und Überbrückungszahlungen für einzelne Unternehmen und in manchen Branchen wurden angeboten. Politisch orchestrierte Eigentümerwechsel von Unternehmen haben stattgefunden und Proteste waren nur verhalten zu vernehmen. Bei all diesen Aktivitäten muss auch rückblickend noch erstaunen, wie schnell es völlig normal geworden ist, Staat und Politik eine außerordentlich hohe Lösungskapazität für Problemlagen aller Art zuzutrauen.

Politikvertrauen

Fast könnte man meinen, Staat und Politik sind – wenn auch oberflächlich – vorerst die Gewinner der ernsten Entwicklungen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft. Ihr Aktivitätsniveau hat sich deutlich erhöht, strukturell verändert und die Akzeptanz kurzfristig orientierter wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist bei vielen Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft deutlich angestiegen. Dies, obwohl Politikern vor noch nicht allzu langer Zeit in Umfragen von den Bürgern, auch in Deutschland, ein relativ zu anderen Berufsgruppen geringes und abnehmendes Vertrauen entgegengebracht wurde wie der jährliche GfK-Vertrauensindex nur allzu deutlich zeigt. Zeichnet sich in der Wirtschaftspolitik ein neuer gesellschaftspolitischer Konsens über die Transformation des Ordnungs- in einen Interventionsstaat ab? Oder hat sich dies mit den Ergebnissen der September-Bundestagswahl in Deutschland nun geändert? Noch sind die Einschätzungen und Perspektiven bestenfalls diffus.

Geändertes Mischungsverhältnis

Dabei ist es üblich geworden, wenig zu differenzieren. Marktversagen reicht als wohlfeile und nicht erklärungsbedürftige Kurzform für die Ursachen der Krise, gleichzeitig ein kritisiertes Verhalten von Menschen – vor allem Manager, Unternehmer, Banker und Investoren – signalisierend, das durch die Marktkräfte gefördert, zumindest aber nicht verhindert wird. Dabei sind vielfältige Informationsasymmetrien auf den einzelnen Finanzmarktsegmenten tatsächlich mit Marktversagen verbunden. Wenn auch über Ausgestaltungsdetails diskutiert werden kann, waren die staatlichen Maßnahmen zur Stärkung und Aufrechterhaltung der Systemstabilität der Finanzmärkte notwendig, wenngleich auch hier Marktversagen nicht undifferenziert als Rechtfertigung herangezogen werden kann. Ob sie auch langfristig positive Wirkungen entfalten, wird davon abhängen, welche Maßnahmen der Finanzmarkt- und Bankenregulierung in der näheren Zukunft folgen. Eine Korrektur systemschädigender Anreizstrukturen sowie eine höhere Transparenz sind wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg. Dennoch werden auch in Zukunft, Finanzmarktkrisen nicht ausbleiben. Stärke und Inhalt der schädlichen Wirkungen von vergangenen Finanzmarktkrisen waren immer auch von den Politikreaktionen abhängig.

Abwrackprämie für Konjunkturprogramme


Etwas anders stellt es sich bei den Konjunkturprogrammen, Rettungspaketen für Unternehmen und Branchen dar. Während einzelne Ausgestaltungsvarianten facettenreich diskutiert wurden, galt dies nicht für die Abschätzung ihrer bleibenden Wirkungen. Die Analyse ihrer Notwendigkeit und ihre Rechtfertigung blieben im Hintergrund. Man denke nur an die Abwrackprämie als einem Beispiel. Mit der zeitlichen und inhaltlichen Nähe zu den Finanzmarktproblemen, wurden auch sie meist – wenn überhaupt – mit einem diffusen Marktversagen begründet. Anders als bei den Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung hat sich in der Geschichte der Wirtschaftspolitik gezeigt, dass die Effektivität konjunktur- und strukturpolitischer Ambitionen häufig wenig überzeugend war und diese negative Begleiterscheinungen und Folgewirkungen nach sich zogen. Diese haben sich vor allem im Aufbau von Staatsverschuldung und im späteren Verlust nicht wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze und Unternehmen gezeigt. Dabei gilt immer noch, dass die Wirkungsmechanismen nicht unbedeutend sind. Sollen mit entsprechenden Maßnahmen Unsicherheit abgebaut und Erwartungen beeinflusst werden, sind sie deutlich positiver zu beurteilen als eine mechanistische Nachfragesteuerung alten Stils.

Politikversagen

Obwohl es häufig heißt, dass in dieser Krise alles anders ist als das bisher Dagewesene, sollte neben dem derzeit omnipräsenten Marktversagen als Begründung staatlicher Maßnahmen das Politikversagen nicht vergessen werden, das durch (politische) Interessen und (fehlende) Informationen hervorgerufen wird. Daher ist zu hoffen, dass die Politik selbst, nachdem die Bundestagswahl nun geschlagen ist, ihre wirtschaftspolitischen Problemlösungskapazitäten realistisch einschätzt, den Staat nicht überfordert und sich der Grenzen einer interventionsorientierten Politik bewusst bleibt. Dies gilt vor allem zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem sich die wirtschaftlichen Perspektiven allmählich aufhellen. Die Verletzung geweckter Erwartungen kann zu einem – dann noch rapideren – Vertrauensverlust in die Wirtschaftspolitik führen. Die flächendeckende Übernahme der Verantwortung durch die Politik könnte langfristig zu einer weiteren Erosion der Verantwortungsbereitschaft der Individuen und Unternehmen führen. Verantwortlichkeit für eigenes Handeln und seine Konsequenzen muss jedoch oberstes Prinzip einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung bleiben. Die weitere Verwässerung der marktwirtschaftlichen Orientierung in Deutschland wäre die schädlichste aller Folgen der aktuellen Finanzmarktkrise.

Exit-Strategien

Nun zeichnet sich tatsächlich ein gewisses Umschwenken ab, eine Rücknahme der ambitionierten staatlichen Aktivitäten, eine Bestandsaufnahme der Bank- und Zentralbankbilanzen, des Staatshaushalts und der geschaffenen Liquidität. Nun prägt eine neue Vokabel politische und wirtschaftspolitische Diskussionen, nämlich die Entwicklung von Exit-Strategien: die Rückführung der monetären Liquidität mit einer Normalisierung der Geldpolitik, der Rückzug des Staates aus seinen direkten Aktivitäten im Bankwesen, die Konsolidierung einer sich abzeichnenden hohen Staatsverschuldung. Doch es sind weniger ordnungspolitische Überlegungen, die hinter den beabsichtigten Exit-Strategien stehen als vielmehr die Befürchtung der schädlichen Wirkungen von Staatsverschuldung und Inflation. Es bleibt vorerst nur zu hoffen, dass es sich tatsächlich um Strategien handelt, langfristige Weichenstellungen, die es privaten Unternehmen und Haushalten ermöglichen, Orientierung und Kalkulationssicherheit zu gewinnen und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die „Krise“ bei vielen noch nicht angekommen ist. Dies enthält einige Herausforderungen für die Politik, lassen sich doch die von den Exit-Strategien betroffenen Gruppen unschwer als Gewinner und Verlierer identifizieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich neben den vielen bereits bekannten „Lehren aus der Krise“ eine weitere gewinnen: Klare ordnungspolitische Prinzipien lassen außerordentliche Maßnahmen der Krisenbekämpfung klar als solche erkennen, benötigen keine zweifelhaften ad hoc-Begründungen, um wirksam zu sein und benötigen am Ende auch keine Exit-Strategien.

2 Antworten auf „Wirtschaftspolitische Rhetorik: Vom Marktversagen zur Exit-Strategie“

  1. „Von Marktversagen ist seit Monaten viel zu hören und zu lesen. In unangemessener Übertreibung werden von manchen Autoren und Medien – die globale Finanzmarktkrise und die realwirtschaftliche Rezession vor Augen – die Grenzen marktwirtschaftlicher Wirtschafts-ordnungen als offensichtlich und als erreicht angesehen “

    Das ist imho eine erfundene Behauptung, die man nur deshalb bemüht, damit man Sie flugs darauf bashen kann. Man hört viel über Marktversagen, d’accord, aber meist innerhalb der Frage: „Marktversagen oder Staatsversagen ?“ und genau diese wird nicht von Kapitalismuskritikern gestellt, sondern eher von Liberalen.
    Es ist ohnehin eine Definitionsfrage, was man als Marktversagen bezeichnet oder nicht, denn die „Lehrbuchdefinition“, die da sagt, es liege dann Marktversagen vor, wenn der Ressourcenallokationsprozess nicht pareto-optimal funktioniert, ist wegen problematischen Kriterien wie z.B. Messbarkeit, Anwendbarkeit, etc. umstritten.

    „Bei all diesen Aktivitäten muss auch rückblickend noch erstaunen, wie schnell es völlig normal geworden ist, Staat und Politik eine außerordentlich hohe Lösungskapazität für Problemlagen aller Art zuzutrauen.“

    Das glaube ich ebenfalls nicht und zwar aus mehr als offensichtlichen Gründen – das Maß an Desinteresse, das Misstrauen in die Regierung bzw. den Staat usw. hat Konjunktur, was man mit der gebotenen Vorsicht aus den Statistiken über Wahlbeteiligung bei der BuTa-Wahl oder der Europawahl herauslesen könnte. Man könnte aber auch das SOEP einsehen bzw. eine der 1000 Begleitstudien untersuchen und feststellen, dass die Erwartungshaltungen gegenüber der Politik in breiten Bevölkerungsschichten eher zweiflerischer Natur sind. Ich vermute daher, dass die Mehrheit der Menschen dem Staat gerade nicht eine hohe Problemlösungskompetenz unterstellt. Ich würde sogar sagen, dass sich die allermeisten Leute über diese Kompetenzfrage noch gar keine Gedanken gemacht haben.

    „Fast könnte man meinen, Staat und Politik sind – wenn auch oberflächlich – vorerst die Gewinner der ernsten Entwicklungen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft.“

    Das ist eine sehr gewagte These, gemessen an den Defiziten, die sich der Staat mit den aktuellen Maßnahmen eingehandelt hat…

    „… und die Akzeptanz kurzfristig orientierter wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist bei vielen Gruppen in Wirtschaft und Gesellschaft deutlich angestiegen“

    Begründung ?

    „Anders als bei den Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung hat sich in der Geschichte der Wirtschaftspolitik gezeigt, dass die Effektivität konjunktur- und strukturpolitischer Ambitionen häufig wenig überzeugend war und diese negative Begleiterscheinungen und Folgewirkungen nach sich zogen.“

    Die Geschichte hat vor allem gezeigt, wie sich die Politik auf keinen Fall verhalten sollte, Stichwort Brüningsche Deflationspolitik.

    „Dabei gilt immer noch, dass die Wirkungsmechanismen nicht unbedeutend sind. Sollen mit entsprechenden Maßnahmen Unsicherheit abgebaut und Erwartungen beeinflusst werden, sind sie deutlich positiver zu beurteilen als eine mechanistische Nachfragesteuerung alten Stils.“

    Dann erlaube ich mir hier nachzufragen, wie diesen „entsprechenden Maßnahmen“ zum Abbau von (übertriebenen) Unsicherheiten aussehen, sofern man Nachfragestimulation ausschließt.
    (Nachfragesteuerung ist im übrigen extrem tendenziös)

    „Vokabel politische und wirtschaftspolitische Diskussionen, nämlich die Entwicklung von Exit-Strategien: die Rückführung der monetären Liquidität mit einer Normalisierung der Geldpolitik…“

    Was in Gottes Namen, hat der deutsche Staat mit Geldpolitik am Hut ?

  2. http://blogs.ft.com/maverecon/2009/10/beware-asset-market-credit-booms-bubbles-busts-in-emerging-markets/#more-6321

    Willem Buiter hat in seinem Blog in der FT auf einen Sachverhalt verwiesen, der zwar nicht neu, aber wichtig ist: die Wechselkursbindungen, die man in Asien, aber auch anderswo sieht, und die im Zusammenhang mit den Exit-Strategien in der Geldpolitik eine Rolle spielen.

    Buiter gelangt zu dem verbreiteten Schluss, dass die sehr expansive Geldpolitik in den Industrienationen für sich genommen dort noch (!) kein Problem darstellt. Wir sehen zwar deutliche Zuwächse in der Geldmenge M1, aber keine bedeutenden Zuwächse in den als relevant erachteten breiten Geldmengenaggregaten wie M3. Seine Begründung ist die übliche: Die Banken nutzen die Liquidität nicht, um Kredite an Nichtbanken zu vergeben, sondern parken einen Teil der Liquidität wieder bei den Zentralbanken, und aus der starken Unterauslastung der Kapazitäten in den Industrienationen lässt sich keine unmittelbare Inflationsgefahr ableiten. So weit, so gut.

    Das Problem sieht er darin, dass sich die monetäre Expansion in den Industrienationen indirekt, nämlich über feste Wechselkurse, in Ländern wie China ausbreitet. Die dortige monetäre Expansion schaffe aber Potential für „asset bubbles“. Es läge an Ländern wie China, durch eine Flexibilisierung der Wechselkurse die Grundlage für eine moderatere Geldmengenexpansion dort herbeizuführen, aber offensichtlich besitzt die Wechselkursfixierung in diesen Ländern Priorität.

    Dieser Punkt ist wichtig für die Ursachen der Krise wie für ihre Konsequenzen und er besitzt gleichermaßen eine makroökonomische, finanzmarktökonomische wie ordnungsökonomische Dimension. Wir bräuchten mehr Wechselkursflexibilität in bestimmten Regionen, aber sie lässt sich anderen Ländern, und vor allem mächtigen Ländern wie China, nicht aufzwingen.

    In einer wirtschaftlich globalisierten Welt ist Politikversagen kein nationales Phänomen: Man kann zuhause die schönste Politik betreiben; wenn wichtige Nationen eine problematische Politik betreiben, pflanzen sich ihre Konsequenzen in einer globalisierten Welt fort. Nicht für alle Probleme gibt es eine einfache Lösung.

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