schwatzgelb.de: Als Volkswirt beschäftigen Sie sich mit aktuellen Fragen der Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik. Dennoch finden sich unter Ihren Veröffentlichungen zahlreiche Beiträge rund um den bezahlten Fußball. Wie passt das zusammen?
Berthold: Der Fußball ist ein Sektor der Volkswirtschaft wie jeder andere, es gelten die gleichen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten wie überall sonst. Es liegt daher nahe, sich auch mit diesem Sektor auseinanderzusetzen und einen Versuch zu unternehmen, die Erkenntnisse aus anderen Sektoren auf den Fußball zu übertragen.
In der Vorstellung vieler Fans gibt es kaum etwas Schlimmeres als Wissenschaftler, die in fünf Sätzen den ganzen Sport erklären können und nie ein Stadion von innen gesehen haben.
Zunächst einmal geht es nur darum bestimmte Zusammenhänge zu analysieren, die man aus zahlreichen anderen Anwendungsgebieten kennt. Man muss kein Stadion von innen gesehen haben, um verstehen zu können, wie der Fußball organisiert ist oder warum bestimmte Mannschaften, Ligen oder Nationalmannschaften besser abschneiden als andere. Dennoch kann es gerade im Fußball sinnvoll sein, sich im Vorfeld mit dem Geschehen auseinanderzusetzen – und damit meine ich ausdrücklich nicht die nüchtern-ökonomischen Fakten, sondern besonders die emotionale Komponente. Um die verstehen zu können, muss man schon einige Spiele gesehen haben, nicht zuletzt das ein oder andere Derby.
Hat der Fußball eigene Gesetze, die man als Außenstehender nicht verstehen kann?
Das behaupten zumindest die Fußballer immer, genauso wie die Maschinenbauer und alle anderen Sektoren, die etwas auf sich halten. Jeder behauptet für sich, dass bei ihm alles ganz anders laufe – ökonomisch betrachtet ist genau das eben nicht der Fall.
Was muss man beachten, wenn man Fußball aus ökonomischer Sicht verstehen will?
Man muss sich darüber klar werden, nach welchen Gesetzmäßigkeiten Ökonomie abläuft und ob diese Regeln auch im Sektor Fußball Gültigkeit besitzen. Ist das der Fall, kann man die Rahmenbedingungen betrachten und den Vergleich zu anderen Bereichen ziehen.
An welcher Stelle setzen Ihre Überlegungen an?
Mich interessiert vor allem die Frage, wie der Wettbewerb als konstituierendes Element der Ökonomie im Fußball aussieht: Warum bestehen bestimmte Spieler und Vereine im Wettbewerb besser als andere? Wo liegen die Bestimmungsgründe für Qualitätsunterschiede zwischen nationalen Ligen? Was sind die Determinanten und Treiber des Erfolgs von Nationalmannschaften?
Und welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
In der Ökonomie spricht man oft von der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften, was angesichts der vielen Einzelakteure und Gesellschaftsgruppen eigentlich Quatsch ist – im Fußball hingegen gibt es mit der Nationalmannschaft einen Kollektivakteur oberhalb der Vereinsstrukturen. Als das Bosman-Urteil die vollständige Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt für Profi-Fußballer bewirkt hatte, konnten wir die gleichen Ergebnisse und Wohlfahrtswirkungen wie auf jedem anderen Arbeitsmarkt in Europa konstatieren – bis auf den Unterschied, dass wir einen direkten Zusammenhang zwischen der Öffnung des Spielermärkte, der spielerischen Qualität und der Wettbewerbsfähigkeit von Nationalmannschaften herstellen konnten.
Sie betrachten die Nationalmannschaft als Platzhalter der deutschen Volkswirtschaft?
So könnte man das ausdrücken. Die Volkswirtschaft steht für die Summe der produzierten Güter aller wirtschaftlichen Akteure – sie ist aber kein Akteur, der selbstständig handeln oder den Wettbewerb suchen kann. Nationalmannschaften bilden die Summe der produktivsten Arbeitnehmer einer Branche, besitzen jedoch eine eigenständige Akteursqualität. Die Vereine der etablierten Fußballligen verpflichten dank Bosman die besten Spieler und gewinnen damit an Wettbewerbsfähigkeit, während gleichzeitig die Qualität der Nationalmannschaften in Mitleidenschaft gezogen wird, weil ausländische Spieler den inländischen Nachwuchs verdrängen. Interessanterweise spricht kaum jemand über die Kehrseite der Medaille: Spieler aus Ländern, die vor wenigen Jahren gar nicht auf der Fußballlandkarte existierten, verdienen ihr Geld heute in den besten Ligen und nehmen diese Erfahrung mit in ihre Nationalmannschaften, die zunehmend an spielerischer Qualität gewinnen können.
Die Empirie spricht eine andere Sprache. Die Top-15 der Weltrangliste besteht fast ausschließlich aus etablierten Fußballnationen, Welt- und Europameister wurden nach 1995 mit einer Ausnahme die gleichen Nationen wie zuvor und in diesem Jahr konnte Deutschland gleich in drei Nachwuchswettbewerben den erstmaligen Titelgewinn feiern.
Wenn man die Titelgewinne betrachtet, mag das stimmen. Vergleicht man aber die Situation vor Bosman mit der danach, stellt man sehr wohl einen Unterschied fest – vorher spielten die Großen die KO-Runden unter sich aus, nachher schmissen immer öfter die Außenseiter die Favoriten aus dem Turnier und landeten an ihrer Stelle in den Finalrunden.
Man könnte auch schlussfolgern, dass inländische Spieler den Wettbewerb angenommen haben und ihrerseits besser geworden sind. Sie können sich heute nicht mehr auf mittelmäßigen Leistungen ausruhen, sondern werden ins kalte Wasser geschmissen und müssen sich von Anfang an gegen internationale Topspieler durchsetzen.
Diese Feststellung ist vollkommen richtig: Wettbewerbsfähig wird man nur im Wettbewerb. Man vergisst gerne, dass nicht nur ausländische Spieler profitieren, die plötzlich in den besten Ligen spielen, sondern auch inländische Spieler, die mit den guten oder sehr guten Spielern aus dem Ausland zusammen spielen können – den Zustrom ausländischer Spieler in die Ligen zu bremsen und mittelmäßigen inländischen Spielern Protektionsschutz zu gewähren, schadet letztlich allen Beteiligten. Natürlich kann es passieren, dass der inländische Nachwuchs so schwach ist, dass er sich nicht gegen ausländische Spieler durchsetzen kann – das ist aber eine Frage der Zeit, wie wir unter anderem bei der deutschen Nationalmannschaft gesehen haben.
Nachdem Jugendarbeit zwischenzeitlich aus der Mode gekommen war, setzen die Vereine heute verstärkt auf professionelle und kostenintensive Nachwuchsförderung. Wie lässt sich dieser Stimmungswechsel erklären?
Die Öffnung der Spielermärkte führte zu einem großen Angebot guter und sehr guter Spieler, weshalb ein großer Druck auf die Spielerpreise entstand. Etablierte Vereine der großen Ligen konnten sich kostengünstig mit hervorragenden Spielern eindecken und profitierten enorm vom zusätzlichen Arbeitsangebot. Getrieben von Handgeldern und Nebenabsprachen setzte sich jedoch ein Prozess in Gang, der die Preise für Spitzenspieler ansteigen ließ – es lohnte sich plötzlich wieder in die Ausbildung eigener Spieler zu investieren. Der Fußball unterscheidet sich hier in keinster Weise von der restlichen Ökonomie, in der immer die Entscheidung „make or buy“ getroffen werden muss. Es ist immer eine Frage der relativen Preise, ob ich eine Leistung selbst erstellen oder lieber einkaufen möchte.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass alle Nationen von der Öffnung des Arbeitsmarkts profitiert haben – die Großen konnten genauso dazu gewinnen wie die Kleinen, letztere jedoch den Abstand zu den Großen verringern.
Da würde ich sofort zustimmen. Und auch die ökonomische Theorie sagt diesen Verlauf voraus, den wir schließlich aus vielen anderen Feldern kennen: Das Niveau insgesamt steigt an, die Relationen zwischen groß und klein verändern sich aber. Das Konstrukt der Nationalmannschaften bietet uns eine Möglichkeit, die Wirkung von Grenzöffnungen nachzuvollziehen und auf Volkswirtschaften zu übertragen.
Dabei bildet immer die Attraktivität eines Gutes die Grundlage von Kaufentscheidungen: Nur wenn Fußballspiele attraktiv erscheinen, lassen sich Menschen zum Kauf von Eintrittskarten oder Fanartikeln bewegen. Wie lässt sich diese Attraktivität messen?
Die Attraktivität hängt sicherlich vom Erfolg und der Menge an Stars innerhalb einer Mannschaft ab. Nicht umsonst kaufen Vereine Spieler, die ihren Zenit längst überschritten haben, deren wohlklingende Namen aber positiv auf die Vereine ausstrahlen und Zuschauer anlocken. Dabei entscheidet sich die Nachfrage grundsätzlich in Abhängigkeit von Preis und gebotener Qualität – es mag sein, dass die Qualitätskomponente im Fußball eine größere Rolle spielt als der Preis, die Entwicklung der Premier League zeigt aber deutlich, dass der Preis selbst bei höchster Qualität von wesentlicher Bedeutung ist: Steigt der Preis, geht die Nachfrage zurück.
Dafür fliegen englische Fußballfans zum Stadionbesuch nach Deutschland, weil sie ein Wochenende mit Flug und Übernachtung kaum mehr kostet als ein normales Ligaspiel zuhause.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten im Fußball genauso gelten wie überall sonst auch: Stimmt die gebotene Leistung nicht mehr, bricht die Nachfrage ein und sucht sich neue Wege.
Der VfL Wolfsburg zeigte in der vergangenen Saison temporeichen Offensivfußball und wurde mit einem beeindruckenden Saisonfinale deutscher Meister – drei Monate später begleiten gerade einmal 500 Fans ihre Mannschaft zum Auswärtsspiel nach Köln. Nur an Preis und Qualität kann es doch kaum liegen.
Nachfrage entsteht nicht über Nacht sondern baut sich sukzessive auf. Lassen Sie Wolfsburg noch zehn Jahre auf diesem Niveau spielen und dann wieder in Köln antreten – dann wollen wir doch mal sehen, ob nicht vielleicht ein paar mehr Fans mitfahren werden. Man kann nicht erwarten, dass einer von vielen Fans jahrelang für nicht bundesligatauglich gehaltenen grauen Maus die Herzen zufliegen, nur weil sie mal einen Blumentopf gewonnen hat. Ob Wolfsburg wirklich nicht über ausreichendes Fanpotenzial verfügt, werden Sie erst sehen können, wenn Sie die Entwicklung über einige Jahre hinweg betrachten.
Bielefeld, Bochum, Hannover oder Cottbus – die grauesten Mäuse finden Anklang, selbst wenn es nur um einen Platz im Niemandsland der Tabelle geht.
Mit Verlaub, aber vergleichen Sie doch mal die Tradition dieser Vereine mit der des VfL Wolfsburg. Diese Vereine haben weder Erfolg noch spielerische Qualität, verfügen aber über eine bewegte Geschichte und lange Tradition. Eine Beziehung zwischen Vereinen und Fans baut sich über einen Zeitraum von vielen Jahren und Jahrzehnten auf. Wenn Sie so wollen, ist Tradition im Fußball ein wesentliches Merkmal des Faktors Qualität. Das ist auch der Grund, warum Vereine wie der FC Bayern gehasst und gleichzeitig geliebt werden – sie mobilisieren ihre Fans, spielen immer vor vollen Rängen und bieten dazu noch guten Fußball mit vielen bekannten Spielern.
Fans sehen den Unterschied darin, dass man Unternehmen einfach nicht lieben könne. Spieler und Funktionäre würden so sehr auf Stromlinienform getrimmt, dass Reibungsflächen verloren gingen und Clubs immer austauschbarer würden.
Im Maschinen- und Anlagenbau gibt es zahlreiche Unternehmen, die sich durch eine sehr hohe Identifikationswirkung auszeichnen – das beginnt bei den Eigentümern und setzt sich über die Manager bis hin zu den Arbeitnehmern fort. Die Aussage, man könne Unternehmen nicht lieben, ist empirisch gesehen falsch. Auch die Zuschauerzahlen sprechen eine deutliche Sprache: Professionelles Management hat Erfolg, die Stromlinienform kommt gut an. Wenn Sie unterstellen, dass die Zuschauer klar bei Sinnen sind, wenn sie ihre Entscheidung über den Besuch eines Fußballspiels treffen: Was soll an dieser Stromlinienform falsch sein?
Sie führt zu einer deutlichen Veränderung der Zusammensetzung von Zuschauer- und Fangruppen.
Der entscheidende Faktor in der Gesamtökonomie sind immer die Nachfrager – niemand hat das Recht denen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Es ist leider ein grundsätzliches Dilemma der Ökonomie, dass Außenstehende besser zu wissen glauben, was gut und was schlecht sei. Dabei kommt es nur auf die Nachfrager an: Wenn sie etwas haben wollen, sollen sie es bekommen – wenn sie es nicht haben wollen, bleiben sie zuhause und zwingen die Anbieter zum Nachdenken.
Derzeit kursieren zahlreiche Vorschläge zur Umgestaltung der Bundesliga, die fast immer das Ziel haben, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Mehr Geld und unternehmerische Führung, so die Hoffnung der Vereine, bringt größeren Erfolg. Ist dieses Argument aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu halten?
Der alte Spruch „Geld schießt keine Tore“ resultiert aus der Vorstellung, dass im Fußball relativ wenige Tore fallen und der Zufall eine größere Rolle spielt als in Sportarten wie Basketball oder Handball. So teuer Ihre Spieler auch sein mögen, so schwer ist es ein Spiel zu gewinnen, wenn Sie sich ein blödes Gegentor einfangen. Längerfristig gesehen haben reiche Vereine jedoch deutlich mehr Erfolg als arme Vereine – die Bundesligatabelle bildet zumindest bei grober Betrachtung auch eine Rangfolge der Budgets ab. Der Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit von Geld und Erfolg ist – vielleicht leider – positiv und in jedem Fall gegeben.
Sie sprechen vom Faktor Zufall, der neben Einsatzbereitschaft, Tagesform und der Unterstützung durch das Publikum auch eine Glückskomponente beinhaltet. Nimmt man dem Fußball nicht seinen Reiz, wenn man einen Videobeweis einführt, der ausdrücklich den Glücksfaktor außer Kraft setzen soll?
Wenn ich im Zusammenhang mit Fußball von Glück spreche, meine ich nicht die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter – ich denke da eher an den Lattenschuss, der auf der einen Seite ins Tor prallt und auf der anderen Seite eben nicht. Die Einführung technischer Hilfsmittel halte ich insofern für sinnvoll, als Ungerechtigkeiten zu einer gewissen Willkür in der Auslegung von Regeln führen und für ein Spiel nicht positiv sein können. Glück und Verlässlichkeit von Entscheidungen sind da kein Widerspruch, sondern passen im Gegenteil ganz gut zusammen.
Dabei sind Fehlentscheidungen oft die spannendsten Elemente eines Fußballspiels. Alleine um den Verlust des Stammtischthemas wettzumachen, müsste man sich eine ganze Menge Neuerungen einfallen lassen.
Es gibt natürlich gegenläufige Effekte, da haben Sie völlig Recht. Nehmen die Fehlentscheidungen auf der einen Seite zu, steigt der Missmut der Fans und führt – isoliert betrachtet – zu negativen Effekten. Auf der anderen Seite nimmt die Identifikation der Fans mit ihren Vereinen zu, wenn vermeintliche oder tatsächliche Fehlentscheidungen eine ganze Woche lang bei der Arbeit oder an den Stammtischen diskutiert werden können. Welcher der beiden Effekte überwiegt, ist unklar.
Gibt es andere Bereiche des Fußballs, die besser erforscht sind?
Es gibt eine Vielzahl sportökonomischer Untersuchungen, bei denen der Einfluss von Gehaltsstrukturen auf den Erfolg der Vereine untersucht wurde. Die Erkenntnisse stimmen im Wesentlichen mit denen aus Industrieunternehmen überein: Wird die Einkommensverteilung innerhalb der Mannschaften zu ungleich, wirkt sich das negativ auf den Erfolg aus. Andere Arbeiten zeigen, dass Trainerwechsel im Abstiegskampf keinen Einfluss auf den Erfolg einer Mannschaft haben. Leider muss ich aber zugeben, dass uns die Amerikaner weit voraus sind – im Gegensatz zu ihnen verfügen wir nur über rudimentäre Informationen aus unseren Ligen und können viele interessante Fragen gar nicht untersuchen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen, die ich demnächst angehen möchte: Zum einen würde mich brennend interessieren, wie sich die Unterschiede in der TV-Vermarktung der europäischen Ligen auf die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Vereine in den europäischen Wettbewerben auswirken. Zum anderen würde ich gerne wissen, wie sich die an die TV-Vermarktung anschließenden Finanzausgleichssysteme auf die Qualität der Ligen sowie deren internationale Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Auch hier sucht man vergeblich nach empirischen Untersuchungen.
Im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit werden den Fans Opfer abverlangt, die sie nicht immer bringen möchten. Ein unschöner Höhepunkt war die Übernahme Austria Salzburgs durch Red Bull – mit einem Handstrich wurden die Vereinsfarben durch Firmeninsignien ersetzt, die Vereinsgründung auf 2005 umdatiert und widerstrebende Fans vor die Tür gesetzt. Müssen wir uns an diese Entwicklung gewöhnen?
Diese Ereignisse sind Tatsachen, die man nicht bestreiten kann – ob sie die Regel sind oder sein werden, wage ich aber in starkem Maße zu bezweifeln. Ich betrachte diese Situation einmal ganz nüchtern und fernab von der emotionalen, moralischen oder romantischen Schiene: Wer in einen Fußballverein investiert, will sportlichen Erfolg haben und – sofern er nicht von Sinnen ist – eine vernünftige Rendite erwirtschaften. Da kein Unternehmen Erfolg gegen seine Nachfrager haben kann, kommt den Fans eine zentrale Rolle zu – sie alleine können das Unternehmen zu einer Neuausrichtung zwingen, indem sie das Produkt nicht mehr kaufen. Ich habe zwar keine Zahlen, kann mir aber vorstellen, dass Red Bull aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen Fehler begangen hat.
Aus diesen Fehlern scheint man in Hoffenheim und Leipzig gelernt zu haben. Statt sich direkt mit den Fans der Traditionsvereine anzulegen, wurden unbekannte Clubs aus dem Fußballniemandsland ausgewählt. Zumindest dort konnte man erst mal keinem auf die Füße treten.
Wieder einmal haben wir es mit einem typisch ökonomischen Problem zu tun: Sobald Sie etwas regulieren, wird es Akteure geben, die die gesetzten Regeln umgehen wollen. Ohne die 50+1-Regel müssten wir uns gar nicht über Konstrukte wie Hoffenheim oder RB Leipzig unterhalten – diese Vorgänge wären in vielen Vereinen normal und das ganze Tohuwabohu wäre nicht vorhanden. Lassen Sie mich auch diesen Aspekt einmal nüchtern betrachten: Die Fans wollen, dass ihre Vereine national und international Erfolg haben. Dieser Erfolg ist teuer, da Geld über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum eben doch Tore schießt. Für die Vereine stellt sich da genauso wie für Unternehmen aus anderen Sektoren die Frage, wie man möglichst günstig an Kapital kommt – es wird fast zwangsläufig passieren, dass die 50+1-Regel geändert werden muss und geändert werden wird. Ihre Abschaffung muss nicht einmal gegen die Interessen der Fans gerichtet sein: Sportlicher Erfolg setzt zumindest teilweise finanziellen Erfolg voraus, der sich nur einstellen kann, wenn die Fans das Produkt nachfragen.
Vor wenigen Tagen antwortete Uli Hoeneß auf den neuesten Vorstoß des Hannover-96-Präsidenten Martin Kind, die Abschaffung der 50+1-Regel mache aus Hannover 96 auch keine bessere Marke.
Uli Hoeneß ist ein guter Manager, seine Meinungen sind aber oft volatiler als die Börsenkurse – was er heute sagt, kann morgen schon nicht mehr von Belang sein. Wenn Bayern über Jahre hinweg nicht entsprechend gewirtschaftet und viel Geld von außen bekommen hätte, würden Spieler wie Toni und Ribery heute nicht in München spielen. Die Aussage, Hannover würde mit mehr Geld auf keinen grünen Zweig kommen, halte ich schlichtweg für falsch – Bayern hat es doch vorgemacht!
Haben Vereinsfunktionäre nicht eine völlig falsche Vorstellung davon, wie viel ihnen eine Unternehmensbeteiligung bringen könnte?
Zumindest eines ist klar: Das Ende der 50+1-Regel würde die heutigen Strukturen völlig auf den Kopf stellen. Viele von denen, die heute was zu sagen haben, würden später nicht mehr mit am Tisch sitzen – die Funktionäre müssten verrückt sein, wenn sie diesen Status Quo aufgeben würden, von dem sie selbst am meisten profitieren. Die gegenwärtigen Bestrebungen resultieren aber weniger aus dem freien Willen der Funktionäre, als aus dem steigenden Wettbewerbsdruck. Die Premier League hat es vorgemacht und zwingt andere Ligen zu diesen Schritten, selbst wenn sie diese aus eigener Kraft gar nicht gehen wollten.
Jetzt könnte man einwenden, dass die großen Vereine weiterhin mehr Geld bekämen als die kleinen und doch alles beim Alten bliebe – bis auf den Unterschied, dass jeder ein mittelgroßes bis riesiges Opfer bringen müsste.
Es ist richtig, dass die Top-Clubs weiterhin mehr Geld bekommen werden als die Abstiegskandidaten, aber trotzdem nur die halbe Wahrheit. Denken Sie an die Frage zurück, ob das Bosman-Urteil zu einer Qualitätserhöhung der Spieler und Mannschaften beigetragen hat – alle beteiligten Ligen und Nationalmannschaften haben profitiert, wenn auch nicht gleich stark. Bezogen auf die Wohlfahrtswirkung ist es völlig egal, ob ich den Arbeitsmarkt, den Kapitalmarkt oder den Gütermarkt öffne – alle drei Öffnungsvorgänge sind bezogen auf die Allokation der Ressourcen positiv. Sie haben zwar eine unterschiedliche Verteilungswirkung, ein Nullsummenspiel müssen Sie aber auf keinen Fall befürchten.
Sie vertreten die Auffassung, dass sich Fußballvereine – zum Beispiel im Rahmen einer Europaliga – zunehmend in Richtung der Fernsehunterhaltungsindustrie bewegen werden. Bekommt der Fußball nicht langfristig das Problem, ein substituierbares Gut zu werden? Immerhin kann ich dann genauso gut ins Kino gehen oder meine Freundin zum Essen einladen.
Dieses Problem sehe ich genauso. Ich teile Ihre Skepsis allerdings noch aus einem weiteren Grund: Wenn man möglichst viele Nachfrager haben will, muss diese Nachfrage regional entstehen und wachsen – es bringt nichts, wenn Sie in Passau im Sessel sitzen und die Spiele in Hamburg stattfinden. Bewegt sich der Fußball nun in Richtung TV-Unterhaltung, werden bestimmte Regionen faktisch von der Teilhabe ausgeschlossen. Eine Europaliga würde dazu führen, dass hochklassiger Fußball in ganzen Regionen nicht mehr physisch stattfinden könnte. Veröden jedoch ganze Landstriche, zerfällt die Basis des Fußballs und damit der Nachfrager.
Haben Vereine und Verbände diese Gefahr erkannt?
Ich glaube nicht, dass die etablierten Vereine in Deutschland dieses Problem erkannt haben. Die kommen alle aus Zentren, in denen Fußball geballt stattfindet – selbst Hoffenheim hat mit Frankfurt, Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart ein sehr großes Einzugsgebiet. Doch wird sich der FC Bayern mit den Fragen auseinandersetzen, was gerade in Dresden passiert oder ob Rostock den Aufstieg schafft? Die beschäftigen sich lieber mit Gegnern wie Chelsea oder Lyon, als sich Gedanken über ihre regionale Verwurzelung zu machen. Dabei ist es kein Zufall, dass auch im Fußball regionale Konzentrationen stattfinden.
Dennoch beschweren sich die Fans über fehlende Spannung. War es vor zehn Jahren noch der Höhepunkt eines Fanlebens, einmal Manchester, Mailand oder Madrid gesehen zu haben, spielen diese Clubs heute im Zweiwochenrhythmus gegeneinander – und wenn nicht diese Saison, dann aber ganz sicher wieder in der nächsten. Immer öfter muss die UEFA mit Modifikationen nachhelfen, um das fehlende Kribbeln zurück zu gewinnen.
Der Fußball ist im Gegensatz zu den 1980-er oder 1990-er Jahren nur noch ein Produkt unter vielen. Er steht in viel stärkerer Konkurrenz zu anderen Produkten, welche die Nachfrager nachfragen können und auch nachfragen wollen. Wenn die Nachfrage weiter anhalten soll, entsteht für den Fußball der Druck, jedes Jahr besser und attraktiver zu werden und ständig neue und immer spannendere Ereignisse zu produzieren. Diese neuen Spannungselemente können auf Dauer nur erreicht werden, wenn man auf neue Ebenen geht. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass früher Spiele auf lokaler Ebene die Zuschauer elektrisiert haben – in Zukunft wird man sich vielleicht gar nicht mehr vorstellen können, dass Spiele wie Dortmund gegen Schalke mal jemanden interessiert haben.
Ist die Luft raus aus der Bundesliga?
Sagen wir es mal so: Ein Teil der Fußballromantik ist verschwunden und einer nüchternen Betrachtungsweise gewichen. Die Fans rennen den Vereinen nicht mehr die Türen ein, sondern wägen kritisch ab – das Angebot ist so groß geworden, dass sie nicht mehr jeden Blödsinn mitmachen müssen. Dafür haben andere Variablen in den Präferenzfunktionen zu sehr an Gewicht gewonnen.
Widmen wir uns gegen Ende wieder einem Kernpunkt der Volkswirtschaft, der Gegenüberstellung von Gewinnern und Verlieren von Umverteilungsmaßnahmen. Wer hätte den größten Nutzen und wer das Nachsehen, wenn man …
… die Zentralvermarktung abschaffen würde?
Zunächst einmal könnte man vermuten, es würde sich der klassische Zielkonflikt zwischen Allokation und Verteilung einstellen: Die Einnahmen der gesamten Liga würden sich erhöhen, die Qualität der Liga und ihrer Vereine zunehmen – gewinnen würden die ohnehin reichen Vereine, verlieren die armen. Bei genauer Betrachtung glaube ich aber nicht, dass diese Entwicklung in ihrer schwarz-weiß-Form eintreten würde: Der Erfolg der Einzelvermarktung hängt entscheidend von der Fähigkeit des Managements ab, vorhandenes Potenzial zu nutzen – während das Kartell der Zentralvermarktung keine Anreize zum Beschreiten neuer Wege schafft, entstehen Innovationen immer dann, wenn möglichst viele unterschiedliche Wege eingeschlagen werden und kleine Akteure die Trägheit der großen ausnutzen. Lässt sich die Erfahrung der Globalisierung, dass arme Länder relativ gesehen zu den reichen viel stärker gewinnen, auf den Fußball übertragen, könnten sich komplett neue Verhältnisse einstellen und die armen Vereine möglicherweise stärker profitieren als die reichen.
… die 50+1-Regel außer Kraft setzen würde?
Wie schon bei der Zentralvermarktung würden Liga und Vereine absolut gewinnen, während es relativ gesehen zu Ungleichverteilungen kommen würde. Absolute Verlierer wären, wenn überhaupt, die Fußballromantiker.
… Gehaltsobergrenzen für die Spieler einführen würde?
Die Vereine müssen den Spielern weniger Gehalt zahlen, als diese möglicherweise am Markt durchsetzen könnten – in den amerikanischen Major Leagues sieht man sehr schön, dass die Clubbesitzer Gehaltsobergrenzen einsetzen, um ihren Anteil am Kuchen zu vergrößern. Außerdem werden die Starspieler durch Handgelder und Seitenzahlungen auch weiterhin deutlich mehr verdienen, während der Spielraum für mittelmäßige und schlechtere Spieler bei fixer Gehaltsobergrenze kleiner wird. Ökonomisch gesprochen haben wir es mit zwei perversen Umverteilungseffekten zu tun: einmal von Arbeitnehmern zu Kapitaleignern und einmal von geringqualifizierten zu hochqualifizierten Arbeitnehmern. Das ist das genaue Gegenteil dessen, was man mit Gehaltsobergrenzen eigentlich erreichen will! Dazu kommt das Problem, dass bei Teamsportarten alle Arbeitnehmer bei der Erstellung des Produktes mitwirken müssen: Haben die benachteiligten Wasserträger keine Lust mehr, können die Starspieler die für das Produkt notwendige Qualität nicht mehr erreichen.
… eine Europaliga oberhalb der Bundesliga einführen würde?
Sollte es eine solche Liga geben, wären die Verlierer vor allem diejenigen, die nicht mit von der Partie wären – die attraktiven Clubs würden nicht mehr auf nationaler Ebene spielen und die Bundesliga würde deutlich verlieren. Das Gefälle zwischen den Clubs, die heute in der Champions League spielen und denen, die nicht in der Champions League spielen, würde noch einmal drastisch zunehmen.
Angenommen, Reinhard Rauball würde Sie nach diesem Interview anrufen und um Rat fragen, wie sich die DFL zukünftig positionieren solle – welche Empfehlung würden Sie ihm geben?
Die Bundesliga lebt vom erfolgreichen Abschneiden ihrer Vereine auf internationaler Ebene. Man muss also etwas unternehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das bedeutet, dass auf der Einnahmeseite der Übergang von Zentralvermarktung zu Einzelvermarktung und auf der Kapitalseite das Ende der 50+1-Regel angestrebt werden müssten. Zudem müsste viel stärker auf die europaweite Öffnung der Absatzmärkte gedrängt werden, was durch einen Ausbau der Champions League oder eine Europaliga erreicht werden könnte. Sinnvoll ist das alles aber nur, wenn die Fans als Nachfrager diese Entwicklung auch wünschen. Auf der anderen Seite stehen all diese Reformen in völligem Gegensatz zu dem, was wir unter Solidarität verstehen: Wir verbessern die Allokation und steigern die Gesamtwohlfahrt, vernachlässigen aber den Aspekt der Verteilung. Man wird nicht umhin kommen, einen Mittelweg zu finden und eben diesen Verteilungsaspekten Rechnung zu tragen. Letztlich wird man das Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität etwas anders als bisher austarieren, irgendeine Form des Finanzausgleichs aber beibehalten müssen.
Das Interview erschien zuerst am 2. und 4. September 2009 in schwatzgelb.de. Wir danken für die freundliche Genehmigung, das Interview auch hier veröffentlichen zu dürfen.
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Über Gehaltsobergrenzen, 50+1, Europaliga und mehr“