Was sollte eine schwarz-gelbe Bundesregierung tun?
Eine kleine Handreichung für die Koalitionsverhandlungen

Zugegeben, niemand in diesem Blog ist größenwahnsinnig genug um zu glauben, daß unsere bescheidenen Beiträge wirklich einen Einfluß auf die große Politik haben. Aber man wird ja mal träumen dürfen. Was würde man sich aus ökonomischer Sicht von einer neuen Bundesregierung wünschen, was würde man ihr empfehlen, was sollte sie lassen? Hier sind einige Stichpunkte.

Die Ausgangslage: Deutschland im Defizit

Als Folge der Finanzkrise, der durch sie verursachten Steuerausfälle und der als Reaktion auf die Krise beschlossenen aktiven Konjunkturpolitik stieg die Neuverschuldung des Bundes drastisch an. Für die Nettokreditaufnahme des Bundes im aktuellen Jahr geht das Finanzministerium nicht mehr von den ursprünglich geplanten 11,5 Milliarden, sondern von 49,1 Milliarden Euro aus. Die noch von der großen Koalition geerbte mittelfristige Finanzplanung sieht für 2010 eine Nettokreditaufnahme des Bundes von 86,1 Milliarden vor, die dann bis 2013 schrittweise auf 45,9 Milliarden abschmelzen soll. Hielte sich die schwarz-gelbe Regierung an die großkoalitionäre Finanzplanung, dann würde sie in der kommenden Legislaturperiode den Schuldenstand des Bundes um etwa 260 Milliarden ansteigen lassen.

Wenn, worauf begründete Hoffnung besteht, die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise schneller bewältigt werden als erwartet, dann sollte es gelingen, den Bundeshaushalt schneller zu sanieren als geplant. Dazu würde es immerhin schon reichen, auf die hoffentlich schneller als erwartet wieder ansteigenden Steuereinnahmen nicht unmittelbar mit zusätzlicher Freigiebigkeit auf der Ausgabenseite des Budgets zu reagieren. Aber können wir einen solchen fiskalischen Konservatismus wirklich erwarten? Im Jahr 2016 wird mit der gesamtstaatlichen Schuldenbremse eine neue Restriktion von Verfassungsrang den Verschuldungsspielraum des Bundes drastisch einschränken. Eine langfristig orientierte schwarz-gelbe Finanzpolitik sollte daher schon vorher an der Konsolidierung des Bundeshaushaltes arbeiten. Tut sie es nicht, dann sendet sie damit zwei mögliche Signale: Entweder nimmt sie die Schuldenbremse nicht ernst und ist zuversichtlich, im Ernstfall Umgehungsmöglichkeiten zu finden. Oder sie rechnet damit, die Wahl im Jahr 2013 zu verlieren und möchte ihren rot-rot-grünen Nachfolgern noch ein fiskalisches Kuckucksei hinterlassen.

Steuersenkungen?

Gehen wir einmal davon aus, daß die neue Regierung das Grundgesetz als bindende Restriktion ehrt und daß sie mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit mit ihrer Wiederwahl rechnet. Dann ist der Spielraum für echte Steuersenkungen denkbar gering. Das spricht allerdings nicht unbedingt gegen Steuerreformen. Für das bewährte Rezept des Senkens von Steuersätzen bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gibt es in Deutschland durchaus noch Spielräume. In der Einkommensteuer finden sich immer noch anachronistische Ausnahmetatbestände wie die 1934 von den Nationalsozialisten eingeführte Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Solche und andere Steuerbefreiungen können abgeschafft werden, wenn im Gegenzug der Tarif abgesenkt, oder etwa der notorische Mittelstandsbuckel abgeflacht wird.

Sofern ihre Bundesratsmehrheit lange genug vorhält, wird sich die neue Regierung vielleicht auch zur Abschaffung der Erbschaftsteuer durchringen, die in der vergangenen Legislaturperiode schwer deformiert wurde. Sie hat ein verhältnismäßig geringes Steueraufkommen; der Arbeitskreis Steuerschätzungen beim Bundesfinanzministerium rechnete im Mai diesen Jahres für 2009 mit einem Aufkommen von knapp 4,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Dies entspricht weniger als drei Prozent des erwarteten Einkommensteueraufkommens und sogar die Tabaksteuer bringt mehr als dreimal soviel ein. Angesichts des geringen Steueraufkommens stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Verzerrungen, die diese Steuer verursacht, in einem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Ertrag stehen. Wenn eine Revitalisierung politisch nicht durchsetzbar ist, dann ist die Abschaffung naheliegend.

Ausgabenkürzungen?

Zweifellos könnte, wenn die Wirren der Krise erst einmal überstanden sind, auf der Ausgabenseite des Budgets einiges passieren. Von Kürzungen im Sozialsystem, etwa beim Arbeitslosengeld II, sollte man dabei wohl eher absehen. Zwar gab es in der jüngeren Vergangenheit den einen oder anderen Versuch zu berechnen, wie weit man den Regelsatz noch kürzen könnte, ohne daß dies bei den Betroffenen zu körperlichen Mangelerscheinungen führt. Da es bei der Sicherung des Existenzminimums aber vor allem um Menschenwürde geht, kann dies kaum der relevante Maßstab sein. Neben diesem grundsätzlichen Argument kann auch ein politisch-pragmatisches eine Rolle spielen: Es lohnt sich nicht, wie eine zugegeben sehr krude Überschlagsrechnung zeigt. Wer fünf Millionen Transferempfängern den Regelsatz um 20 Euro im Monat kürzt, verursacht bei diesen erhebliche Härten, entlastet das Budget aber um gerade 1,2 Milliarden. Dem stünden aber auch erhebliche politische Kosten gegenüber – man kann sich das politische Klima leicht ausmalen, das in der Folge einer solchen Entscheidung entstünde.

Solche und noch viel ergiebigere Einsparungen könnte man auch einfacher haben, wie ein Blick in den regelmäßig aktualisierten Subventionsbericht des IfW Kiel zeigt – der übrigens zu einem guten Teil auch wieder die oben angesprochene Möglichkeit von Steuerreformen betrifft. Der Bericht ist ein Steinbruch für eine ambitionierte Reformpolitik, nicht nur, aber auch mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung. Man mag natürlich daran zweifeln, ob ein Land, das gerade erst seine Automobilindustrie mit einer irrsinnigen Abwrackprämie subventioniert hat, politisch dazu bereit ist. Die Konstellation ist jedenfalls günstig wie noch nie, angesichts der klaren Vorgaben der Schuldenbremse und einer Regierungskoalition, in der ein starkes Gewicht einer zumindest nominell liberalen Partei zufällt – zu diesem Problem hat Rainer Hank in seinem jüngsten Beitrag in diesem Blog alles Nötige gesagt.

Liberalisierungen!

Angesichts klammer Kassen wäre es für die neue Regierung naheliegend, dort aktiv zu werden, wo es sie nichts kostet – jedenfalls nicht unmittelbar. Wenn man die Ökonomie von einer schumpeterianischen Perspektive aus betrachtet, dann wird klar, daß Anpassungen an permanente oder auch nur vorübergehende Veränderungen (Schocks) eine zentrale Voraussetzung für Wirtschaftswachstum sind. Arbeitsmarktregulierungen behindern und verlangsamen solche effizienten Anpassungsprozesse. Auch der gesetzliche Kündigungsschutz wirkt zwar zunächst auf der mikroökonomischen Ebene, bindet einzelne Arbeitnehmer an relativ ineffiziente Tätigkeiten, aber das hat makroökonomische Effekte, wie Ricardo Cabellero berichtet: Moving from the 20th to the 80th percentile in job security cuts the annual speed of adjustment to shocks by a third. By impairing worker movements from less to more productive units, effective labour protection reduces aggregate output and slows down economic growth. We estimated that moving from the 20th to the 80th percentile of job security lowers annual productivity growth by as much as 1.7 per cent. Gerade Deutschland, das sich im internationalen Vergleich trotz aller Reformrhetorik der vergangenen Jahrzehnte immer noch eine extrem engmaschige Arbeitsmarktregulierung leistet, könnte hier von einer Liberalisierung stark profitieren.

Aber natürlich geht es nicht nur um den Arbeitsmarkt. Eine der skurrilsten Ideen der vergangenen Regierung war der Gesundheitsfonds und die damit verbundene Vorstellung, man könne durch das Unterbinden von Preiswettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen deren Effizienz steigern. Welches Verständnis die Politik hierzulande ganz allgemein von im Wettbewerb hervorgebrachter kreativer Zerstörung hat, kann man an einem Beispiel aus dem Regierungsprogramm der Union illustrieren. Dort steht, daß man eine Modellregion für Elektromobilität einrichten möchte, eine Region also, in der der Betrieb von Elektroautos besonders gefördert wird. Während in den USA eine kleine, neu gegründete Firma schöne, schnelle Elekroroadster baut und damit am Markt sehr erfolgreich ist, sieht die Politik in Deutschland Innovation immer noch als eine obrigkeitsstaatliche Aufgabe – nachdem sie zuvor einen eher langweiligen Autohersteller vorläufig vor der Insolvenz rettete.

Fazit

Man sollte von einer Regierung nur verlangen, was sie tatsächlich zu leisten imstande ist. Deutliche Steuersenkungen gehören in diesen Zeiten definitiv nicht dazu. Es wäre aber falsch, deshalb nichts von der neuen Koalition zu erwarten. Sie hat nämlich alle Möglichkeiten, in den nächsten Jahren dafür zu sorgen, daß auf wichtigen Märkten die Entscheidungen der Individuen wieder im Wettbewerb koordiniert werden und nicht, wie derzeit, durch bürokratische Intervention. Ob sie diese Möglichkeiten nutzt, ist eine andere Frage. Sie sollte jedenfalls nicht den Fehler früherer konservativ-liberaler Regierungen wiederholen, deren Reformeifer meistens erst dann besonders virulent wurde, wenn die Opposition bereits den Bundesrat kontrollierte und echte Resultate ohnehin nicht mehr zu erwarten waren.

5 Antworten auf „Was sollte eine schwarz-gelbe Bundesregierung tun?
Eine kleine Handreichung für die Koalitionsverhandlungen

  1. Leider sind auch in diesem Blog zu oft liberale Ideen und Klientelpolitik für die Oberschicht verquickt.

    Es ist richtig, das Steuersystem zu vereinfachen und durch Verbreiterung der Bemessungsgrenzen (Subventionen) eine Absenkung des allgemeinen Steuerniveaus zu erreichen. Als Beispiele fallen dann aber dem Autor wiederum nur Maßnahmen ein, die einseitig die Bezieher geringer Einkommen benachteiligen (Abschaffung Erbschaftssteuer, Abschaffung der Steuerfreiheit für Nacht- und Feiertagszuschläge).

    Eine Steuersenkung müsste Geringverdienende entlasten. Sie hätte auch eine Chance, über die Konsumnachfrage Konjunkturimpulse senden. Steuersenkungen für Gutverdienende gehen im Zweifel in Investitionen, deren reale Rentabilität ohne stabile Nachfrage in Frage gestellt ist.

  2. Eine Linearisierung des Mittelstandsbuckels im Einkommensteuertarif, mit der Abschaffung von Ausnahmetatbeständen wie den steuerfreien Zuschlägen finanziert, würde die Geringverdienenden und die Mittelschichten entlasten.

    Natürlich würden diejenigen auf der Verliererseite einer solchen Reform sein, die jetzt ganz konkret von der Steuerfreiheit dieser Zuschläge profitieren. D.h. die Tarifabsenkung würde den Verlust ihres Steuerprivilegs wahrscheinlich nicht kompensieren. Aber bei diesen Menschen handelt es sich nicht um „die Geringverdiener“ oder „die Mittelschicht“, sondern um eine klar abgegrenzte Gruppe steuerlich privilegierter Bürger. Es ist absurd, so zu tun, als sei diese Steuerfreiheit etwas für „die Geringverdiener“. Diese würden, als umfassende Gruppe, vielmehr von einer Tarifabflachung im unteren Bereich profitieren.

  3. > Es ist absurd, so zu tun, als sei diese Steuerfreiheit etwas
    > für “die Geringverdiener“. Diese würden, als umfassende
    > Gruppe, vielmehr von einer Tarifabflachung im unteren Bereich
    > profitieren.

    Das ist doch …! Es ist doch geradezu eine …, so zu tun, als ob Geringverdiener irgendwelche nennenswerten Steuern zahlen müssten! 24000 Euro Arbeitgeberbrutto im Jahr führen in Steuerklasse I zu etwas über 2000 Euro Steuern, aber zu fast 5000 Euro Abgaben! Genau diese ABGABEN müssen die Leute allerdings schon zahlen, und zwar richtig tüchtig hohe Abgaben, vom ersten Euro an. Mit denen müssen gerade junge Arbeitnehmer in erster Linie die durch die älteren Generationen verursachten systemimmanenten Schulden der Sozialsysteme überproportional abbezahlen.

    Wissen Sie, was ein politisch machbarer Weg wäre, diese älteren Generationen, die schlicht und einfach nicht genug vorgesorgt haben, dafür in die Haftung zu nehmen, ohne ihnen zu sehr weh zu tun? Dies ginge, indem man sie endlich mal da in die Verantwortung nimmt, wo dies ginge, nämlich bei der Erbschaftssteuer. Die sollte richtig tüchtig erhöht werden, um die jungen Arbeitnehmer von den demographisch entstandenen Schulden der Sozialsysteme zu entlasten.

    Aber nö, Sie fordern da stattdessen fröhlich deren vollkommen verfehlte Abschaffung. Während ich mit 34 Jahren jetzt ca. 150000 Euro ins Sozialsystem reinbuttern musste (daraus erwachsender Anspruch: Knapp 340 Euro Rente mit 67), und selbstverständlich Grunderwerbssteuer zahlen musste, als ich angefangen habe, mir eine Wohnung zu finanzieren.

    Lieber Jan Schnellenbach, denken Sie doch bitte einmal grundsätzlich nach! Was für eine Gesellschaft wollen Sie eigentlich haben? Eine, in der jemand wie ich sich mit Leistung einen Platz erarbeiten kann, ohne dass ihm unnötig Steine in den Weg gelegt werden? Oder lieber eine Mittelmeergesellschaft, in der es Leuten wie mir schwer gemacht wird, weil ein geschützter Geldadel im Prinzip einmal zu einfacheren Konditionen erworbenes Vermögen steuer- und abgabenfrei weitervererben darf, die täglichen anfallenden Kosten aber von den Leuten erbracht werden, die für ihr Geld arbeiten müssen?

  4. Eigentlich dachte ich, daß es mit dem oben verlinkten Artikel (http://wirtschaftlichefreiheit.de/?p=647) aus dem Kontext hinreichend klar wird, daß ich eine gut gemachte Erbschaftsteuer präferieren würde. Die hat allerdings derzeit niemand auf der politischen Agenda. Wenn ich allerdings realistischerweise nur die Wahl habe zwischen keiner Erbschaftsteuer und einer, die bei geringem Steueraufkommen hohe gesamtwirtschaftliche Kosten verursachen kann, dann ist mir keine Erbschaftsteuer lieber.

  5. „Gehen wir einmal davon aus, daß die neue Regierung das Grundgesetz als bindende Restriktion ehrt und daß sie mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit mit ihrer Wiederwahl rechnet. Dann ist der Spielraum für echte Steuersenkungen denkbar gering.“

    Warum? Wenn es doch mehr als 120 Mrd an Subventionen gibt?

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