Gastbeitrag:
Nicht nur Außenhandel und ökonomische Geografie – Wirtschafts-Nobelpreis für US-Forscher Krugman

Die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften hat am 13. Oktober 2008 entschieden, den „Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2008“ an den 55-jährigen Paul Krugman, Princeton University, NJ, USA, für seine Analyse der Außenhandelsmuster und Ansiedlung der wirtschaftlichen Aktivität zu vergeben. Krugman gilt dabei als der Begründer der Neuen Ökonomischen Geographie. Unvergessen sind aber auch seine Beiträge zu vielen anderen ökonomischen Themenbereichen wie beispielsweise der Theorie von Währungskrisen und der Hysterese (Zeitpfadabhängigkeit) im Außenhandel und von Wechselkursentwicklungen.

Der Preis geht damit an einen großen Theoretiker, zugleich aber auch – und das wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA  – an einen scharfen Kritiker der von ihm als neo-konservativ bezeichneten Wirtschaftspolitik der US-Regierung unter Präsident George W. Bush. Auch als Berater und Redner war Krugman gefragt – 1999 unter anderem bei dem späteren Skandalkonzern Enron. Für drei Tage Arbeit lässt er sich 37 000 Dollar bezahlen. Konservative unterzogen ihn dafür später massiver Kritik.

Zugegeben: mit derart lukrativen Nebentätigkeiten war es ab dem Jahr 2000 erst einmal vorbei. Die „New York Times“ beschäftigte ihn als Kolumnisten; wegen der Ethikrichtlinien dieser Zeitung musste er die meisten seiner Beraterverträge aufgeben. Es handelt sich um den ersten Nobelpreis für einen ausgewiesenen Blogger. Krugmans Blog in der „New York Times“ hat ihn zu einer öffentlichen Institution gemacht, und zwar so sehr, dass ein bedeutender Teil der US-amerikanischen Wirtschaftselite sein Urteil über Bushs Rettungspaket erst dann fällen wollte, als er es in seinem Blog rezensierte und einem Check unterzog. Viele sprechen dabei schon von einer „zweiten Karriere“ Krugmans.

Krugmans neuestes Buch ist mit dem Titel „The Conscience of a Liberal“ versehen – wobei „liberal“ in den USA eher linksliberale oder sozialdemokratische Positionen impliziert. Auf Deutsch übersetzt trägt sein neuestes Buch den nach Marketinggesichtspunkten gewählten Titel „Nach Bush: Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“. In diesem Opus streitet er vehement für die Überwindung der wachsenden Ungleichheit in der US-amerikanischen Gesellschaft. Der seit dem Jahr 1969 an zweiundsechzig Preisträger verliehene Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaftler galt bisher als ausgeprägte Domäne marktwirtschaftlich orientierter Ökonomen, die sich tendenziell eher gegen staatliche Eingriffe positionieren.

Die Vergabe des Nobelpreises an Krugman hat nach allgemeiner Einschätzung weder mit seinen Op Ed-Kolumnen noch mit der gegenwärtigen Finanzkrise zu tun und wäre ihm wohl selbst dann gewährt worden, wenn er keine Kolumne verfasst hätte. Die Vergabe orientierte sich an seinen wissenschaftlichen Leistungen und nicht an seiner Performance in der politischen Arena. Deshalb erscheint es am allerwichtigsten, zusammenzufassen und zu klären, was denn seine bedeutenden wissenschaftlichen Errungenschaften sind. Für das tiefere Verständnis der Aufregung um den Nobelpreisträger Krugman könnte die folgende Herausarbeitung von Punkten, die weniger seine nobelpreisrelevanten Arbeiten als seine zweite politischere Karriere prägen, aber ebenso wichtig sein.

Paul Krugman und der Monetarismus

Im letzten Jahr hat Paul Krugman mit seiner unverbrämten Kritik an dem Ende 2006 verstorbenen Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman neue Schlagzeilen produziert. Friedman habe einen ideologischen Kreuzzug gegen John Maynard Keynes und den Keynesianismus geführt, formulierte Krugman in einem intensiv und heftig diskutierten Essay für den „New York Review of Books“. In dem Aufsatz warf Krugman dem Nobelpreisträger von 1976 intellektuelle Unredlichkeit, Engstirnigkeit und überzogene Marktgläubigkeit vor. Der von Friedman begründete Monetarismus sei wissenschaftlich überholt. Was die Welt jetzt dringend und mehr denn je benötige, sei eine Art Gegen-Gegenreformation zum „Friedmanismus“.

Bei seinem Einsatz für die freie Marktwirtschaft habe Friedman deutlich überzogen und sich dabei von einem Wissenschaftler zu einem reinen Ideologen gewandelt. Grundsätzlich treffe seine Einschätzung, die Interaktion von Angebot und Nachfrage führe zu optimalen Resultaten, in vielen Fällen zwar zu. Friedman sei aber geradezu abgeglitten in Behauptungen, dass der Markt immer funktioniere und dass nur der Markt funktioniere, moniert Paul Krugman. Mit seiner Verabsolutierung des Laisser-faire habe er ein geistiges Klima gestiftet, in dem der unverrückbare Glaube an den Markt und die Verachtung von Regierungen häufig den Fakten widersprachen.

Dies habe schwere wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen provoziert – zum Beispiel bei der Einschätzung, wie schnell sich Entwicklungsländer dem internationalen Kapitalmarkt öffnen sollten. Besonders in Bezug auf Lateinamerika sei die Bilanz der von Friedman auf dem Schild vor sich her getragene angebotsorientierten Wirtschaftspolitik verheerend. Auch in Industrieländern sei es, in bedeutendem Umfang auch von Friedman inspiriert, zu überzogener und fehlgeleiteter Deregulierung und Privatisierung gekommen. Dieser Vorwurf greift zu kurz: gegenwärtig befasst sich die in Journals erfolgreiche Literatur im Gegensatz hierzu mit der Politökonomie des Zurückbleibens des Ausmaßes von Privatisierung und Deregulierung hinter dem Optimum in Industrieländern. Das wesentliche Ergebnis lautet: Regierungen verzögern Reformprozesse aus Eigeninteresse, da unter anderem Versorgungsposten für verdiente Beamte und/oder Politiker, die teilweise für Aufsichtsratstätigkeiten deutlich weniger qualifiziert sind, oder Melkkühe für eigene finanzielle Zwecke wegfallen (wie in Deutschland die öffentlichen Banken).

Neben der öffentlichen Rolle Friedmans lässt Krugman auch an dessen geldpolitischen Vorstellungen  kaum ein gutes Haar. Der Monetarismus sei in der ökonomischen Debatte lange eine starke Partei gewesen, heute aber präsentiere er sich als ein Schatten seiner selbst. Diese Aussage ist richtig. Die abnehmende Bedeutung der Geldmengenorientierung im Rahmen der geldpolitischen Strategie der Europäischen Zentralbank beispielsweise vermittelt einem tatsächlich den Eindruck, dass dem so ist. Die Kräfteverhältnisse in der politischen Realität scheinen sich tatsächlich zuungunsten des Monetarismus verschoben zu haben. Paradoxerweise erst recht seit Beginn der Finanzkrise, da Politiker den Menschen suggerieren, die marktradikale Sichtweise von Monetaristen, „die Dinge laufen zu lassen“, hätten entscheidend zur Krise beigetragen. Unterschlagen wird dabei, dass eine konsequentere Orientierung der Geldpolitik an Entwicklungen der Geldmengen- und Kreditvolumina und eventuell eine Orientierung an Friedmans „k-percent rule“ das Entstehen der Subprime-Krise in den USA wohl verhindert hätte. Lassen Sie uns nun Krugmans Aussagen zum Monetarismus weiter verfolgen.

Die Notenbanken seien bei ihren Versuchen, monetaristische Konzepte anzuwenden, deutlich gescheitert. Anders als von Friedman antizipiert habe zum Beispiel stetiges Geldmengenwachstum nicht zur Abwesenheit von Rezessionen geführt. Seit Mitte der achtziger Jahre habe sich die Fed wieder auf die von Friedman vehement abgelehnte „diskretionären Feinsteuerung“ monetärer Größen festgelegt und damit nachhaltige Erfolge in Form niedriger Inflationsraten und stetigen Wachstums erzielt.

Dieser Gedankengang Krugmans verdient allerdings prinzipiellen Widerspruch. Wie „erfolgreich“ und „nachhaltig“ diese Geldpolitik tatsächlich war, lässt sich aber daran bemessen, wie stark die gegenwärtige Finanzkrise durch eine im Vorfeld dauerhaft zu laxe Geldpolitik befördert wurde. Gerade in den letzten Wochen, in denen der Schattenpreis für Liquidität, zum Beispiel der Tagesgeldzins und dessen Spread gegenüber dem Leitzins, verzerrt, nicht aussagekräftig und teilweise sogar ganz ausgefallen (sic!) war, zeigt sich einmal mehr die hohe Bedeutung der Analyse von Kredit- und Geldmengenaggregaten. Der aktuelle Guru der Geldtheorie und -politik Woodford wurde durch die Finanzkrise eigentlich eines Besseren belehrt. Woran sonst, wenn nicht an der Entwicklung von Geld- und Kreditvolumina – sollte sich die Geldpolitik denn gegenwärtig ausrichten? Etwa im Rahmen einer Taylor-Regel an der Abweichung des gegenwärtigen Leitzinses vom Realzins, der ohnehin schwierig zu ermitteln ist und zudem durch die Finanzkrise einen deutlichen Strukturbruch erfahren hat? Oder an stark verzerrten Zinssätzen am Tagesgeldmarkt? Der Zins kann gegenwärtig in der Finanzkrise nicht die dominierende Steuerungs- und Orientierungsgröße der Geldpolitik sein! Darüber hinaus wird die empirische Evidenz immer überzeugender, dass die Vorteile einer Geldmengensteuerung besonders dann zu Tage treten, wenn Vermögenspreisentwicklungen mit berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund reagierten Weggefährten und Anhänger von Friedman wohl zu Recht empört und betroffen auf Krugmans Kritik. Er sei zwar ein zu respektierender Außenhandelstheoretiker, auf dem Gebiet der Geldtheorie und -politik fehle es ihm aber eindeutig an wissenschaftlicher Expertise, schrieb Anna J. Schwartz in einer gemeinsam mit Edward Nelson von der Federal Reserve Bank of St. Louis verfassten Replik. Zur Erinnerung: sie war im Jahr 1963 gemeinsam mit Milton Friedman Autorin des epochalen Werks „A Monetary History of the United States“. Sein wissenschaftlicher Hintergrund qualifiziere ihn nicht als Autorität zur Beurteilung der Arbeiten Friedmans. Krugman habe deshalb kein Recht, über Friedman abschließend zu urteilen. Friedmans Reputation sei gerade wegen der Nützlichkeit monetaristischer ansätze zur Erklärung des Entstehens der Finanzkrise nach wie vor intakt – trotz Krugmans kläglicher Versuche, ihn und seine Leistungen zu verunglimpfen.

Paul Krugman und die Bush-Regierung – Bush als „Lügner und Versager“?

Paul Krugman hat sich spätestens seit dem 11. September 2001 zu einem der schärfsten Kritiker des amerikanischen Präsidenten George W. Bush aufgeschwungen. Etwa sechshundert seiner seit dem Jahr 2000 erschienenen achthundert Beiträge enthalten den Namen des US-Präsidenten. Sollte McCain Präsident werden, werde sogar alles noch schlimmer, so Krugman. Mit seinen Hasstiraden auf den Noch-US-Präsidenten erreicht Krugman innerhalb kürzester Zeit den Status eines Popstars. Die Medien formulieren Passagen wie „Wann immer der Professor den elitären Campus der Universität Princeton verlässt, um in Europa über die verheerende politische Lage in den USA zu philosophieren, stehen die Medien Schlange. Detailliert und mit vielen Zahlen unterlegt zeichnet Krugman nach, wie Amerika sich verändert hat, seitdem neokonservative Ideologen das Ruder übernommen haben“. Es ist ein düsteres und bedrohliches Bild, das er zeichnet. „Die Finanzkrise“, so sagte er zum Beispiel vor wenigen Tagen, „ist nicht allein die Schuld dieser Administration. Aber sie ist die Frucht der Philosophie dieser Regierung“.

Als Krugman vor einigen Monaten auf Einladung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI)  in der Essener Philharmonie über sein neues Buch „The Conscience of a Liberal“ diskutierte, lenkte er anhand eines mittlerweile zum Standard gewordenen Slogans die Aufmerksamkeit auf das Entstehen neuer sozialer Ungerechtigkeit. Erziehung und Ausbildung entschieden über die Chancen eines Individuums in der Gesellschaft. Gute Ausbildung garantiere in der Wirklichkeit heutzutage aber gar nichts mehr, außer die Option, nicht zur untersten Unterschicht zuzählen. Hierzu passe, dass der bestbezahlte Hedge Fund-Manager der USA innerhalb eines Jahres etwa soviel verdiene wie die Gesamtheit der Lehrer des Bundesstaates New York innerhalb von drei Jahren.

George W. Bush sei nicht nur unlegitimiert Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Gehe in den USA die Schere zwischen Arm und Reich auf (so wie in vielen anderen Ländern der Welt auch, aber weniger in Europa), finde dies vor allem in der desaströsen Wirtschaftspolitik des George W. Bush seine Begründung. Beschließe die US-Regierung (wie gegenwärtig viele andere im Gefolge der Finanzkrise auch) milliardenschwere Staatsausgaben zur Stützung der Konjunktur, sei dies – obwohl er sich anderenorts als Keynesianer outet – als armseliger Schwachsinn (sic!) einzustufen. Reduziere die Bush-Regierung die Steuerlast, dann einzig und allein deshalb, um die Superreichen der USA noch zu belohnen.

Der Präsident, der die USA regiere, sei einer der unfähigsten, die Amerika jemals hatte. Und dabei belässt er es nicht: die US-Regierung habe sich in die Hände von religiös-reaktionären Politikern begeben, die die Vereinigten Staaten radikalisierten, die Ungleichheit drastisch verschärften und dem Ansehen der USA in der Welt immens schadeten. Nichts weniger als Täuschung der Öffentlichkeit, unsolide Haushaltspolitik, Verschwendung öffentlicher Gelder in bislang nicht gekanntem Ausmaß, Vetternwirtschaft, Korruption und brutalen Missbrauch der Macht zur Einschüchterung der Kritiker warf Krugman in Essen wie auch in seinen zahlreichen Kolumnen der Bush-Administration vor.

Seit Jahren liefert Krugman daher – so auch in Essen – Plädoyers für einen Politikwechsel nach links, für den er in seinem Buch „Nach Bush: Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“ zahlreiche Gründe anführt. Darin strebt er ein sozial ausgeglicheneres Amerika an, angelehnt an die Epoche des New Deal unter Franklin D. Roosevelt. Anzustreben sei durchaus jene soziale Marktwirtschaft, die in Deutschland unter den vom Bush-Amerika übernommenen Neoliberalismus-Theorien verschüttet zu werden drohe. Die einzigartige ökonomische Verfallsbilanz der Mittelschichten in den Vereinigten Staaten sei gewiss härter als die sozialen Einbußen hierzulande. Auch sei nicht in Zweifel zu ziehen, dass die Ungleichheit in den USA noch deutlich größer ausfalle als in Deutschland. Aber – so Paul Krugman und ein Großteil seiner Essener Zuhörer -  Indikationen für ein kräftiges Aufholen Deutschlands in Richtung Abgrund seien bereits sichtbar. Die ökonomische Bedrohung der Mittelschichten und der noch gefährdetere ökonomische Aufstieg der unteren Schichten seien unbestritten das große Thema unserer nächsten Jahre.

Paul Krugman zeichnete dann in Fallstudien nach, wie die Bush-Regierung öffentliche Gelder in die „Taschen von Günstlingen“ (um)leite. Im Oktober 2001 trat das Konjunkturförderungsgesetz rechtlich in Kraft. Der Zuschnitt sei dergestalt gewesen, dass davon wegen der inkludierten Steuererleichterungen in erster Linie die Unternehmen Chevron-Texaco, Enron, Philips Petroleum, IMC Global und CMS Energy profitierten. Und was sei der gemeinsame Hintergrund dieser Unternehmen? Sie gehören sämtlichst zu den größten Wahlkampfspendern der Republikanischen Partei von George Bush. Die Summe dieses  Steuergeschenks an keineswegs notleidende Konzerne habe 25 Milliarden Dollar betragen. Hier ist seine polit-ökonomische Analyse der Lobbyismus-bedingten Umlenkungs- und Versickerungseffekte stimmig, wenngleich wenig überraschend und typisch für die meisten staatlichen Programme zur Konjunkturförderung in aller Welt. Darüber hinaus sei zugegeben: Parallelen zum Westeuropa Sarkozys (und neuerdings auch der deutschen Großen Koalition?) erscheinen nicht allzu weit hergeholt.

Darüber hinaus sei die ruinöse Haushaltslage der USA verheerend für das Wachstum. Derartige Konjunkturstützung unterlasse, wer auch nur ein Quäntchen Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft der amerikanischen Nation besitze. Krugman weiter: “Vielleicht sind die Zeiten vorbei, in denen offen Bestechungsgelder gezahlt wurden, dafür sind die Zeiten der extrem wertvollen Geschenke an die Unternehmen angebrochen.“ Wunderbar und treffend charakterisiert; aber dies spricht nicht für mehr Konjunkturprogramme, sondern weniger! Dies zeigen nicht nur die Studien zu ideologie- und wiederwahlmotivierten politischen Konjunkturzyklen in der Fiskalpolitik, sondern auch der Forschungsstrang Public Choice zu Genüge.

Welche Alternativen zur aktivistischen Makropolitik Bushs bietet Krugman denn an? Die Antwort lautet etwas widersprüchlich: ebenfalls staatlichen Aktionismus! Der Kolumnist Krugman outet sich hier durchweg als Keynesianer: “Können wir die Steuereinnahmen steigern? Die Antwort lautet: das ist überhaupt kein Problem. Besonders, weil die Reichen die niedrigsten Steuersätze haben seit Herbert Hoover Präsident gewesen ist.“ Sodann müsse die Ankurbelung der US-Wirtschaft à la Roosevelt beginnen: staatliche Investitionsprogramme sollen die inländische Konsumnachfrage stärken. Dies wiederum stimuliere wie gehabt über den Akzelerator die Nachfrage nach Investitionsgütern. Die Arbeitslosenhilfe solle ebenfalls erhöht werden. Die Bundesstaaten der USA sollen aus Washington signifikante Finanzspritzen erhalten. Schließlich seien die einfachen Leute steuerlich zu entlasten.

Leider sind die Lücken im Gegenprogramm des Paul Krugman nicht zu übersehen. Diese betreffen nicht nur die unverzeihliche Vernachlässigung der Spuren im Staatsbudget und im Niveau der Staatsverschuldung mit den damit verbundenen Erwartungen zukünftig höherer Steuern- und Zinsbelastungen (Ricardianisches Äquivalenztheorem, „Contractionary Fiscal Expansion“-Effekt). Nein: Unternehmer sind heutzutagebeileibe  nicht mehr auf Gedeih und Verderb auf die inländischen Arbeitskräfte angewiesen. Sie können die Produktion nach Belieben überallhin in die Welt auslagern. Und wie will Krugman denn verhindern, dass die Reichen ihr Vermögen im Falle höherer Besteuerung auf Offshore-Plätze wie die Cayman-Inseln ausgelagern werden? Beschließt die US-Regierung (wie viele andere Regierungen gegenwärtig auch) milliardenschwere Staatsausgaben zur Stützung der Konjunktur, wird dies vom „Liberal-Keynesianer“ Paul Krugman, der für die USA selber massive staatliche Investitionsprogramme fordert, als armseliger Schwachsinn eingestuft. Senkt die Bush-Regierung die Steuerlast, dann nach Krugman einzig und allein, um die Superreichen der USA zu belohnen.

Vor diesem Hintergrund hat die zweite „politische“ Karriere der Forschungsproduktivität sowie auch der intellektuellen Eindeutigkeit Krugmans nicht sonderlich gut getan. Sein Kollege aus Princeton, Avinash Dixit, hatte das bereits 1991 vorhergesehen. „Wir müssten ihn auf Lebenszeit als Übersetzer von ökonomischen Fachzeitschriften in normale Sprache anstellen“, äußerte er in einer Laudatio auf Krugman, „aber dafür ist seine eigene Forschung viel zu wertvoll.“ Interessanterweise beklagt sich Paul Krugman selber noch im Jahr 2001 darüber, dass der Nobelpreis für Ökonomie „ends up going to people who are not only long past their productive research years but even past the mentoring stage.“ Dies deutet darauf hin, dass die Ereignisse um den 11. September 2001 einen schweren Strukturbruch im Denken und Wirken Paul Krugmans und seinen Sprung von der ersten (wissenschaftlichen) in die zweite (politische) Karriere bewirkt haben muss.

Ist Bush-Kritik nobelpreiswürdig?

Drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl in den USA bedeutete die Entscheidung des Preiskomitees für den Kandidaten der Demokraten, Barack Obama, faktisch eine unerwartete Wahlkampfhilfe. Denn Paul Krugman ist bekennender Anhänger der Demokraten und mischt sich wie kaum ein anderer Ökonom in die politische Debatte ein. Einen politischen Zusammenhang mit der Wahl wies der schwedische Juror Mats Persson jedoch zurück: „Das ist reiner Zufall.“ Das Nobelkomitee könne seine Entscheidungen nicht von solchen Ereignissen abhängig machen.

Kommentatoren wie der Essener Politologe Leggewie (KWI) argumentieren hingegen, sie verstünden die politische Funktion von Nobelpreisverleihungen richtig. Es gelte als sicher, dass das Komitee mit der verdienten Auszeichnung Krugmans auch eine politische Aussage getroffen habe. Man habe eben nicht nur brav die wirtschaftswissenschaftlichen Papiere und Bücher Krugmans studiert, sondern seine Rolle als Kritiker seiner Disziplin und Antagonist der Bush-Administration zur Kenntnis genommen, also auch seine Kolumnen und Blogs, und diese mit ausgezeichnet. Der Nobelpreis für Krugman in dieser Situation sei auf jeden Fall ein politisches Signal.

Man tue Krugman Unrecht, wenn man seine Rolle als politischer Ökonom verschweige, der er erklärtermaßen sei. In Verkennung der beachtenswerten Forschungsleistungen der Bereiche Public Choice und Politische Ökonomie fügt Leggewie hinzu: anders als der Mainstream der Wirtschaftswissenschaft hebe Krugman die politische Einflussnahme auf Markt- und Investitionsentscheidungen hervor. Dass er nun den Wirtschafts-Nobelpreis bekommen habe, sei – nach dem Medizin-, und dem Literatur-Nobelpreis – der dritte Schlag gegen Bushs Amerika. „Schlechte Moral, schlechte Ökonomie“, habe er lakonisch in einem aktuellen Kommentar vermerkt.

Ob das Verdikt Leggewies zutrifft, wird im Folgenden noch zu analysieren sein. Zweifellos aber ist die diesjährige Vergabe des Nobelpreises an Krugman von den Demokraten in der Endphase des Wahlkampfs bereits dankbar aufgegriffen worden.

Paul Krugman als Antiliberaler und Sozialist?

Wirtschaftspolitisch ist Krugman eindeutig links von der ehemaligen Mitte angekommen. Im pluralistischen Spektrum der in der „New York Times“ vertretenen Meinungen spielt Krugman in Gemeinschaft mit der mit viel Sprachwitz ausgestatteten und bissigen Maureen Dowd und dem eher nüchternen und ernsten Sozialkritiker Bob Herbert auf der im heutigen Amerika als eher links einzustufenden Klaviatur. Dies muss nicht zwingend nur mit Krugmans Selbstverortung zu tun haben, denn der politische Mainstream in den USA selbst hat sich deutlich nach rechts – hier neben der politischen Ausrichtung verstanden als Protektionismus und eine starke fiskalpolitische Rolle des Staates auf der (Rüstungs-) Ausgabenseite – verschoben. Und Krugman, ein Verfechter des freien Marktes, der einst vom Verbraucheranwalt Ralph Nader sogar als Rechter beschimpft wurde, könnte streng genommen seine inhaltliche Position sogar gehalten haben. Vieles spricht sogar dafür. Er ist eher vordergründig zu einem Ökonomen wider das Establishment geworden, wettert gegen eine übermäßige Marktgläubigkeit und macht sich im Rahmen seiner Monetarismus-Kritik für die Rehabilitation von John Maynard Keynes stark.

Krugman widerspricht in der Tat in seinen Kolumnen sämtlichen Binsenweisheiten der so genannten Mainstream-Ökonomen. Zu viel Markt, zu wenig Staat – schon Ende der 80er Jahre macht dies Krugmans Mantra aus. Seine Schärfe und Bissigkeit sollten ihn schnell bekannt machen. Ätzend bemerkt er, bei der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik handele es sich „eher um Kult als eine wissenschaftliche Denkschule“. Wenn die Supply side Economics nicht die Vorurteile der Reichen bedient hätte, wäre sie weniger einflussreich gewesen. Allerdings geht Krugman regelmäßig auch mit den Linken kritisch ins Gericht. Die Argumente der Globalisierungskritiker seien bloß „intellektuelles junk food“. Auch hieran zeigt sich einmal mehr die Ambivalenz in Krugmans Selbstverortung.

Paul Krugman ist, um jeglichem Missverständnis vorzubeugen, alles andere als ein Antiliberaler, und alles andere als ein Sozialist oder Außenseiter. Vielmehr ist er Angehöriger jener Elite, die in den reichen Ivy League-Privatuniversitäten studiert und die Schlüsselpositionen der USA weitgehend unter sich aufgeteilt hat. Krugman graduierte ebenso wie sein bevorzugtes Feindbild George W. Bush an der Yale-Universität und begann seine Forscherkarriere dann am Massachussetts Instititute of Technology (MIT). Gegenwärtig lehrt er als Professor in Princeton und ist zudem Mitglied im Council on Foreign Relations. Er ist also ein Mahner, der nicht aus einer Außenseiterposition wider das Establishment kämpft, sondern selber direkt aus dem Establishment kommt. Bezeichnend ist, dass Krugman auch alle Clinton-Ökonomen bis auf Finanzminister Robert Rubin “zweitrangig“ fand – also auch Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der heute zu den prominentesten Kritikern des Internationalen Währungsfonds gehört. Auch hier: Ambivalenz!

Um den Nobelpreisträger Paul Krugman ist jüngst eine Kontroverse zweier Ruhrgebietswissenschaftler entbrannt. Dass der „politische Ökonom“ den Nobelpreis für Wirtschaft bekomme, sei eine verdiente Ohrfeige für die etablierte Wirtschaftswissenschaft, argumentierte kürzlich der  Politologe Claus Leggewie, der Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Die Lehrstuhl-Ökonomie sei durch die aktuelle Banken- und Börsenkatastrophe ebenso blamiert wie all die Banker und Börsianer, die uns diesen Schlamassel eingebrockt haben und als TV-Experten auftreten, als hätten sie nicht vor wenigen Wochen auf jenen Staat geschimpft, den sie nun als Krisenmanager rufen.

Wer Paul Krugman vor kurzem in Essen erlebt hat – das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) hatte ihn gemeinsam mit der WAZ zur Diskussion seines neuen Buches in die Philharmonie eingeladen, Klaus Leggewie moderierte – sah aber keinen schroffen Anti-Kapitalisten. Leggewie selbst drückte seine Eindrücke wie folgt aus: „Es sprach ironisch und gelassen als Wirtschaftskenner, der registrierte, wie Wall Street und der Bush-Administration das Ruder aus den Händen geglitten war.“ Das bedeutete nicht, dass Krugman den Staat über alles pries. Im Gegenteil müsse die Wirtschaft sich selbst heilen. Dazu benötige man eine realitätsnahe Wirtschaftswissenschaft und eine an den Menschen orientierte Ökonomie. Hierzu allerdings Leggewie: „Hoffen wir mit Krugman, dass die Herolde des freien, alleskönnerischen Marktes einmal so lange, pardon: den Schnabel halten, bis sich alternative Wirtschaftskonzepte wieder Gehör verschaffen.“  Der Chef des Essener RWI, Christoph Schmidt, konterte postwendend auf diese Ökonomen-Schelte. Wer leugne, dass der Nobelpreis für wissenschaftliche Hochleistung vergeben werde  und von „einer Ohrfeige für die etablierte Wirtschaftswissenschaft“ spreche, wisse nicht, wovon er rede, fasele und werde der modernen Ökonomik und erst recht Krugman nicht gerecht.

In Fortsetzung der Kontroverse über Nobelpreisträger Krugman wunderte sich der Politologe Leggewie dann im Gegenzug über das ungebrochene Selbstbewusstsein der Ökonomen angesichts der Finanzkrise und stellte die Frage nach der Selbstkritik der Ökonomen. Diese Gegen-Gegenattacke kann nicht ganz überzeugen, denn Leggewie übersieht bei seiner Argumentation geflissentlich, dass gerade liberale Ökonomen schon lange vor den Gefahren einer zu laxen Geldpolitik für das Platzen der Immobilienblase gewarnt hatten, die ursächlich für die gegenwärtige verheerende Finanzkrise ist. Was die Verehrer Krugmans darüber hinaus ebenfalls gerne verdrängen, ist der Umstand, dass Krugman nicht nur ein glühender Verfechter von mehr Redistribution durch den Staat, sondern in bester liberaler Tradition in seinen von der Nobelpreiskommission ausgezeichneten Schriften vor allem ein ganz großer Anhänger des Freihandels war. In richtungsweisenden Aufsätzen erweiterte Krugman die Theorie komparativer Kostenvorteile David Ricardos, wonach sich intensiver Außenhandel für alle Beteiligten von Zusatznutzen sei. Krugman entmythifizierte hiermit die populäre und schon wieder weit verbreitete These, wonach der freie Welthandel einen Verdrängungswettbewerb initiiere, der zu Arbeitsplatzverlusten vor allem in den Hochlohnländern führe. Befürchtungen negativer Konsequenzen der Globalisierung negiert Krugman mit dem Argument, dass mit der globalen Vernetzung der Lebensstandard in aller Welt gewachsen sei. Die Gründe für konjunkturelle Einbrüche hingegen seien häufig im Inland zu suchen. In bester liberaler Manier argumentiert er, dass vor allem exzessive Regulierungen sowie strukturelle Rigiditäten das Wirtschaftswachstum einschränken. Warum dann aber der spätere Vorwurf an Friedman, er habe überzogene Privatisierung und Deregulierung gepredigt?

Mit seiner kritischen Haltung gegenüber George W. Bush und dem Anprangern der ausgeprägten ökonomischen Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft spricht Paul Krugman dennoch vielen akademischen Ökonomen gerade heterodoxer Provenienz aus der Seele. Nur, und hier hat der RWI-Präsident Schmidt recht: gerade die Ungleichheit der Einkommensverteilung ist nicht das Problem Kontinentaleuropas. Ein europäischer Ökonom, der zum publizistischen Format Krugmans aufschließen wollte, müsste europäische „Skandale“ beleuchten, etwa dass seit der ersten Ölpreiskrise Millionen von Erwerbspersonen durch die Tarifpolitik aus der Beschäftigung ausgegrenzt werden (Insider-Outsider Problem) oder dass die Privatisierung staatlicher Unternehmen nicht zuletzt deshalb suboptimal ausfällt, da hiermit Versorgungsposten für verdiente Beamte und/oder Politiker wegfallen würden (Politökonomie der Privatisierung).

Interessant für Autoren wie Leggewie dürfte sein, dass Krugman selbst schon häufiger den „Revierschutz amerikanischer Gewerkschaften gegen globalisierte Reservearmeen“ kritisierte. In einem mit viel Beschimpfungen überzogenen Artikel in Slate vom März 1997 lobpreiste Krugman zudem die Existenz von Billigjobs in Drittweltländern nach dem Motto: schlechtbezahlte Jobs sind besser als gar keine Jobs. Krugman abstrahierte dabei zur Empörung der Linken  sogar davon, dass diese Arbeitsplätze meistens eher die örtliche Infrastruktur zerstören anstatt den Anfang einer besseren Infrastruktur darzustellen.

Fazit: Die Hauptaussagen der Schriften, für die Krugman ausgezeichnet wurde, rechtfertigen in keiner Weise das Verdikt Leggewies, dass die Preisverleihung eine Ohrfeige für die liberale Ökonomie bedeutet. Inwieweit die Aktivitäten des Bush-Banging und die Beschimpfung des Monetarismus vom Nobelpreiskomitee bei der in die heiße US-Wahlkampfphase fallende Preisvergabe ebenfalls berücksichtigt wurden, ist interessante Spekulation. Leggewie ist zuzustimmen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Preisvergabe auch durch Krugmans zweite politische Karriere getrieben worden ist. Es wäre zur Klärung dieser Frage wohl an der Zeit, eine seriöse polit-ökonomische Analyse der Determinanten der Nobelpreisvergabe durchzuführen. Denn die unvermeidbare Subjektivität und Willkürlichkeit bei der Auswahl bietet prinzipiell hinreichend Spielraum auch für nicht streng publikationsorientierte Faktoren. Schon gar nicht hat das Komitee ausschließlich auf quantitative Indikatoren wie die Zahl der Nominierungen oder die Häufigkeit der Zitationen abgestellt. Dies zeigt schon die Zahl an Preisträgern, die wenige Nominierungen inne hatten und die auch im Publikationsranking weiter hinten lagen. Prominente Beispiele sind Kantorovich, Stone, Haavelmo, Allais, Meade und Ohlin (obwohl in der Literatur sehr häufig auf das Heckscher-Ohlin Bezug genommen wurde). Einseitig begünstigende Faktoren wurden von verschiedener Seite schon häufiger genannt: die FAZ beispielsweise betont (und kritisiert) regelmäßig im Oktober eines jeden Jahres die Verwendung formal – mathematischer oder ökonometrischer Methoden, Ökonominnen immer wieder  männliches Geschlecht der Kandidaten (!) und die Presse das Wohlwollen Assar Lindbecks, der lange Jahre das Komitee dominierte, als Kandidaten für erstere.

Der arrivierte Status des Nobelpreises hat aller Wahrscheinlichkeit nach das Timing und die Auswahl der Preisträger beeinflusst. Das Preiskomitee – bestehend aus fünf Akademiemitgliedern, ursprünglich alles Schweden – hat sich traditionell bemüht, Skandalen jeglicher Art aus dem Weg zu gehen. Das Komitee vermied es beispielsweise, Milton Friedman den Preis bereits in den frühen 70er Jahren zu verleihen, als seine Sichtweisen noch deutlich weniger populär waren. Dieses implizite Prinzip deckt sich angesichts des Ausmaßes der gegenwärtigen Finanzkrise, dem schrumpfenden subjektiven Vertrauen der Bevölkerung in liberale Ökonomie und der extremen Unpopularität der Bush-Regierung in der US-Wahlkampfphase voll mit der Preisverleihung an Krugman.

Nervosität bezüglich potenzieller PR-Desaster machte letztlich auch die Chancen Joan Robinsons, der einzigen jemals in die Nähe des Preises gelangte Frau, den Nobelreis vor ihrem Tod 1983 zu erhalten, zunichte. Assar Lindbeck, der das Preiskomitee bis vor Kurzem dominierte, berichtete einem Nobelpreisträger, dass Ms. Robinson, eine Schülerin von John Maynard Keynes und später eine große Bewunderin Maos, nicht zu Zuge gekommen sei, da er befürchtete, dass sie ihn entweder ablehnen würde oder, noch schlimmer, die Strahlkraft des Nobelpreises dazu nutzen könnte, die Mainstream-Ökonomie substanziell zu attackieren. Eine ähnliche Kontroverse gab es 1994, als die Preisvergabe an John Forbes Nash Jr., John C. Harsanyi und Reinhard Selten von der Akademie mit Blick auf John Nashs Geisteskrankheit um ein Haar abgelehnt wurde.

Durch all diese Diskussionen aufgeschreckt, öffnete die Akademie das Entscheidungsgremium wie auch den Kreis der  potenziellen Empfänger des Preises auch für andere Sozialwissenschaftler, deren Werk einen Effekt auf die Wirtschaftswissenschaft hatte. Zu den wachsenden Spannungen in der Akademie trugen einige Jahre bei, in denen “Free-market champions“, einschließlich einer (zu?) großen Zahl von der University of Chicago, anscheinend eine Garantie auf den Preis hatten. 1998 jedoch ging der Preis an Amartya Sen, was die Wellen wieder ein wenig glättete. Sen wurde nämlich zum Teil explizit für seine Betonung der ethischen Dimension ökonomischer Entscheidungen einschließlich Armut, Ungleichheit und Menschenrechte geehrt. Die Vergabe an Krugman passt voll in dieses Schema – ein Preis an einen „Marktrelativierer“ war einfach mal wieder dran. Zumal der Nobelpreis wichtiger und begehrter denn je ist. „The media make heroes every day of pop artists, politicians, sports figures,“ äußerte Lindbeck kürzlich einmal mehr, „I think it’s important that one day every year the mass media celebrates someone who has been awarded a prize for intellectual achievement.“ Krugman erfüllt angesichts seiner medialen Wirksamkeit in seiner zweiten Karriere auch dieses Profil perfekt.

Daher ist offen, ob das Nobelpreiskomitee bei der diesjährigen Nobelpreisvergabe an Paul Krugman Kriterien zugrunde gelegt hat, die über die reine wissenschaftliche Publikationsleistung Krugmans hinaus gehen. Es steht also 1,5 zu 0,5 für Schmidt gegen Leggewie.

Abschließende Würdigung

Paul Krugman ist jemand, der es genießt, Teil des Establishments in der akademischen ökonomischen Profession zu sein und gleichzeitig seit Jahrzehnten das Fach wegen seiner vermeintlichen Engstirnigkeit kritisiert. Er ist ein Ökonom, der mit derben Tiraden den übermäßigen Glauben an die freien Märkte einer heftigen Kritik unterzieht, aber gleichzeitig doch ein überzeugter Anhänger marktwirtschaftlicher Prinzipien ist – ein nicht selten cholerischer Querdenker mit – gottseidank – ausgeprägtem Hang zur Selbstironie.

Krugman als Kolumnist nimmt eindeutige Positionen ein, die ihm Bewunderung oder Hass eintragen. Seine zeitungslesenden Anhänger waren und sind noch hoch erfreut über die Nobelpreisvergabe 2008; seine Widersacher reagierten geschockt und bestürzt. Beide liegen falsch! Krugmans politische Positionen sind nämlich – ganz anders als seine theoretische Forschung, für die er den Nobelpreis wirklich verdient hat – insgesamt ambivalent, man könnte sie treffend als „Freihandels-Keynesianismus“ bezeichnen.

Zugegeben: manchmal ist es nicht einfach, Krugmans recht polemischen und aggressiven Stil in den Kolumnen zu ertragen, obgleich viele mit der Substanz seiner Kritik vor allem an den Allokations- und Verteilungswirkungen der gigantischen US-Konjunkturprogramme unter Bush einverstanden sein dürften. Aber die Hochachtung der Profession vor den wissenschaftlichen Errungenschaften dieses großen Ökonomen über die letzten drei Jahrzehnte ist überall spürbar groß. Krugmans wohl wichtigste Botschaft einer zweiten Karriere lautet bei aller inhaltlichen Ambivalenz aber, und dies kommt i nder gegenwärtigen Debatte viel zu kurz: Ökonomen, bitte nicht im Elfenbeinturm verharren!

2 Antworten auf „Gastbeitrag:
Nicht nur Außenhandel und ökonomische Geografie – Wirtschafts-Nobelpreis für US-Forscher Krugman“

  1. Interessante und ausgewogene, wenn auch für einen Blog etwas lange Darstellung – danke dafür!

    Mir fällt positiv auf, dass mit Krugman auch wieder ein sehr interdisziplinär arbeitender Wirtschaftswissenschaftler ausgezeichnet wird. Persönlich empfinde ich es immer noch als beschämend, dass viele Ökonomen heute weit hinter die evolutionären und z.B. auch demografische, ja religionsevolutorische Überlegungen einbeziehende Perspektiven von Friedrich August von Hayek zurück gefallen sind.

    Ökonomen hätten jene sein können, die der Öffentlichkeit vergeleichend vermitteln, wie sich erfolgreiche Strukturen in verschiedensten Lebensbereichen aus Vielfalt und Wettbewerb herausbilden – und warum also durch einen Rahmen abgesicherte Freiheit dem Leben dient. Stattdessen werden sie oft als realitätsferne Ideologen wahrgenommen, die verquaste Geheimsprachen sprechen und hinter Homo Oeconomicus und anderen (schon naturwissenschaftlich und evolutionsbiologisch völlig falsifizierten) „Modellen“ v.a. eigene wirtschaftliche Interessen und Selbstüberschätzung verbergen. Klar, dass ein erratischer Rebell wie Krugman aus der Masse grauer Mainstream-Yuppies leicht herausragt…

    Ich mag hoffen, dass die Ökonomie – m.E. (und ich bin Religionswissenschaftler!) eine der wichtigsten Wissenschaften unseres Planeten – noch eine große Zukunft jenseits der Neoklassik und anderer rationalistischer Anmaßungen vor sich hat…

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