Die einen sind gegen Freihandel, die anderen wollen, dass sich Deutschland stärker abschottet. Die Gegner von TTIP und die Anhänger der AfD könnten kaum unterschiedlicher sein und haben trotzdem viele Gemeinsamkeiten.
Am 10. und 11. September war in Berlin einiges los: Am Samstag demonstrierten dort (und in weiteren sechs deutschen Städten) Hunderttausende gegen das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Und am Sonntag wurde der Berliner Senat gewählt. Die Vereinfacher von der Alternative für Deutschland (AfD) feierten wieder einen Wahlerfolg. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen?
In Deutschland wenden sich – folgt man den Vertretern der Anti-TIPP Kampagnenorganisationen – immer mehr Menschen gegen TTIP. Ihre Argumente sind: fehlende Transparenz, die Sorge vor einer Flächenerosion des Verbraucherschutzes und die Furcht vor Investitionsschutz. Keines dieser Argumente ist im Augenblick ernsthaft stichhaltig, denn erstens berichtet die Europäische Kommission sehr ausführlich über die Verhandlungen.
Zweitens ist es keineswegs gesichert, dass europäische Standards höher sind als amerikanische; man denke an Standards in Sofia (Bulgarien, EU) und vergleiche sie mit solchen in New York (USA)! Geplant ist eine Fachdiskussion über gegenseitige Anerkennung mit Kennzeichnungspflichten, wobei bestimmte Güter (genmanipulierte Organismen) und Dienste (der sogenannten öffentlichen Daseinsvorsorge und Kultur) von vornherein ausgenommen wurden.
Die Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen hätten später per Gesetz sogar einen Platz in den Fachgremien über regulatorische Kooperation. Sie könnten intervenieren und vor allem Gesagtes und Beschlossenes nach außen tragen.
Drittens hat die Europäische Kommission längst einen Vorschlag unterbreitet, der die – völlig zu Recht aufgebrachte – Problematik privater Schiedsgerichte aufgreift und einer brauchbaren, wenngleich nicht perfekten Lösung zuführt. Insofern gehen die Verhandlungsführer recht umfassend auf die Kritik ein. Dennoch muss man die Versuche, sogenannte Mega-Regionals zu begründen, nicht mögen. Allerdings wäre es für eine Versachlichung der Diskussion und die Zukunft der Demokratie geboten, auf Argumente einzugehen, wie es die Europäische Kommission praktiziert, und auf Metaphern wie „TTIP tötet“ zu verzichten.
Das wiederum ficht die TTIP-Gegner nicht an, die sich wenig beindruckt in Fundamentalopposition üben. Sie behaupten weiterhin, es ändere sich nichts. Wie eine Studie vom European Centre for Political Economy (ECIPE) zeigt, wurde und wird der Protest gegen TTIP von einem breiten linken (von grün bis kommunistisch) Bündnis orchestriert. Ihre Argumente sind in aller Regel nicht evidenzbasiert, weshalb man sie auch als einen impliziten Angriff auf die Errungenschaften der Aufklärung verstehen muss.
Der Europa-Abgeordnete Sven Giegold ist den Daten zufolge eine Leitfigur in den Kampagnen gegen TTIP und nach außen hin offenbar unversöhnlich mit einer Regelung des Welthandels (im persönlichen Gespräch geht er übrigens auf Argumente ein). Die Studie, die auf einem einzigartigen Datensatz basiert, zeigt recht klar, dass die Anti-TTIP-Front gerade keine Bürgerbewegung ist, sondern von Kadern das grünen und linken Milieus in Deutschland gesteuert wird; eine wahrhaft meisterliche Organisation steht dahinter.
Die Befürworter von TTIP aus der Wirtschaft und den bürgerlichen Parteien sind indessen untergetaucht. Für viele Unternehmen – egal ob klein oder groß – scheint es aufgrund der emotional extrem aufgeladenen Debatte um TTIP heute offenbar aus Angst vor einem Reputationsverlust ökonomisch rational, den Mund zu halten und nicht für offene Märkte einzutreten.
Globalisierungs- und USA-Gegner, Putinfreunde, Totalitarismusliebhaber
Was diese überengagierten Kampagnen-Manager treibt, ist dabei nicht ganz klar. Eines wird aber deutlich: Große Teile der Bewegung waren schon immer gegen Globalisierung. Andere mögen Amerika nicht. Dritte lieben Putin und den Totalitarismus. In der öffentlichen Debatte spielen vor allem bei den Grünen, aber auch bei der SPD, wahltaktische Überlegungen die gewichtigste Rolle: Mit streng antikapitalistischer Meinungsmache können heute – so das Kalkül – Wähler aus allen Parteilagern, vor allem der Linken, gewonnen werden.
Diese Rechnung geht aber nur bedingt auf. Bei den letzten Wahlen haben SPD, Linke und Grüne kräftig verloren. Nach landläufiger Meinung war es vor allem die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, die die Wähler zur AfD treibt. Dies mag als Motiv eine wichtige Rolle spielen.
Zugleich kommt allerdings die Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft hinzu. Die TTIP-Gegner schaffen es selbst bei gebildeten Leuten, eine Urangst vor dem Fremden und Neuen zu erzeugen, die gerade nicht dazu führt, der – definitionsgemäß offenen – Zukunft mit Mut entgegenzutreten. Ohne Mut kann eine tief in die moderne globale Arbeitsteilung integrierte Volkswirtschaft im Wettbewerb mit aufstrebenden Nationen nicht bestehen. Die TTIP-Gegner bieten aber keine Lösungen, sie schüren nur Hass.
Das zeigt sich auch daran, wie aggressiv auf TTIP-Befürworter in der Debatte reagiert wird. Insgesamt aber tragen die mit Millionen Euro geführten Anti-TTIP-Kampagnen zu einer Radikalisierung innerhalb unserer Gesellschaft bei – eine Radikalisierung, die die Protestbündnisse durch den Einsatz von vielen Hunderttausend Euro offenbar bewusst und systematisch in andere europäische Länder tragen wollen.
Als Ergebnis dieser Radikalisierung werden auch diejenigen Parteien stärker, die mit gleichermaßen radikalen Thesen um Wählerstimmen werben. Dazu gehört traditionsgemäß die Linkspartei, wenigstens in den Teilen, die Demokratie und Marktwirtschaft ablehnen (so Mitglieder des Marxistischen Forums der Linken, das die Anti-TTIP-Demonstration in Berlin im Oktober 2015 federführend organisierte), weniger die Grünen. Aber vor allem gehört die AfD neben ihren deutlich weiter rechts stehenden Freunden dazu.
Ihre Thesen sind extrem platt, ihre Versprechungen utopisch, aber wohlfeil. Sie kann von der Radikalisierung der allgemeinen politischen Diskussion bisher am meisten profitieren.
Das sollten sich all diejenigen TTIP-Gegner, die willentlich die Ängste der Menschen schüren, schon einmal bewusst machen, zumindest diejenigen, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nahestehen (was ja bei weitem nicht alle Beteiligten tun). Herr Giegold möchte die Demokratie sicher nicht abschaffen.
Aber mit undifferenzierter und von der Wahrheit im Sinne empirischer Evidenz weitgehend losgelöster Hetze gegen den globalen Kapitalismus trägt er zum Wahlerfolg der Vereinfacher – in diesem Fall der AfD – maßgeblich bei. Die Grünen werden davon nicht profitieren. Vielleicht bewegt ihn ja wenigstens das dazu, zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren.
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