Die Schweiz soll zum Versuchslabor umfunktioniert werden: Eine Volksinitiative verlangt, dass es den Banken künftig verboten wird, Geld zu schöpfen. Zwar könnten sie noch Kredite vergeben, jedoch nur im gleichen Umfang, wie sie Spareinlagen von Bürgerinnen und Bürgern in ihren Büchern ausweisen können. Das Vollgeld wiederum soll ausschliesslich von der Schweizerischen Nationalbank in Verkehr gebracht werden.
Es ist bereits in diesen einleitenden Sätzen klar darauf hinzuweisen, dass das geforderte Vollgeld nicht eine Variante des Chicago-Plans darstellt und keinesfalls mit einem System einer hundertprozentigen Mindestreservepflicht verwechselt werden darf. Die Schweiz würde vollkommen unbekanntes Neuland betreten, denn das Vollgeldsystem wurde in der Geschichte noch nie umgesetzt. Die Initiative möchte, dass erstens die Banken das Vollgeld in der Form eines zinslosen Geldkontos ausserhalb der Bankenbilanz führen, welches ähnlich eines Depotkontos, in dem Aktien, Obligationen oder andere Vermögenswerte verwahrt werden, bei einem allfälligen Bankenkonkurs nicht gefährdet wäre. Zweitens soll Vollgeld regelmässig schuldfrei an Bevölkerung oder Staat ausgegeben werden. Dadurch würde die Bevölkerung direkt von den Meriten der Geldschöpfung profitieren. Vom radikalen Umbau erhoffen sich die Initianten eine höhere Sicherheit des Finanzmarktsystems und dass Bevölkerung und Staat von hohen Ausschüttungen der Nationalbank profitieren würden.
Zur Sicherheit: Tatsächlich liessen sich Bank Runs mit einem Vollgeldsystem beseitigen. Weil das Geld ausserhalb der Bilanz geführt wird, könnten alle Kunden der Bank gleichzeitig das Geld abheben, ohne dass die Bank in Zahlungsschwierigkeiten geraten würde. Damit wäre auch die Too-big-to-fail-Problematik gelöst, zumindest müsste eine Bank nicht mehr gerettet werden, um eine Ansteckung des gesamten Finanzsystems zu vermeiden. Bankenpleiten wären aber nach wie vor möglich, da die Banken Kredite auf Sparguthaben vergeben. Entsprechend könnte wohl auch nicht auf eine Einlagenversicherung verzichtet werden.
Zur schuldfreien Geldschöpfung: Die Initianten wollen, dass die Nationalbank grosszügig Geld an Bevölkerung und den Staat verteilt. Die folgenden zwei stilisierten Bilanzen zeigen, wie die Transaktionen stattfinden würden. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) schafft in diesem Beispiel Buchgeld von 10 Milliarden Franken in Form eines Vorratskontos bei gleichzeitiger Erhöhung des Eigenkapitals. Die Vorräte werden nun aus der Bilanz ausgebucht (Erhöhung Buchgeldumlauf um 10 Milliarden) und an die Bevölkerung verteilt. Gleichzeitig reduziert sich das Eigenkapital der SNB wiederum um 10 Milliarden.
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Während im heutigen Geldsystem die Notenbank Geld schafft, indem sie Wertschriften wie Staatsobligationen oder Aktien erwirbt, wird Geld im Vollgeldsystem an die Bevölkerung oder den Staat verschenkt. Nach der Transaktion verbleiben somit keine Vermögenswerte auf der Aktivseite der Bilanz. Demgegenüber wird im heutigen System lediglich die Zinsseigniorage – also der Ertrag auf den Vermögenswerten – ausgeschüttet. Die Vermögen verbleiben in der Bilanz. So kann die Notenbank die geschöpfte Geldmenge durch Vermögensverkäufe nötigenfalls rückgängig machen. Damit sind wir bei einem ganz wichtigen Punkt angelangt: Im Vollgeldsystem wird Vollgeld aus dem Nichts als Vermögenswert definiert. Die Transaktion kann entsprechend auch nicht rückgängig gemacht werden – es sei denn, die Nationalbank könnte die Rückgabe des geschenkten Betrages erzwingen.
Gefahren des radikalen Umbaus hin zum Vollgeldsystem
Die Einführung von Vollgeld wäre ein volkswirtschaftliches Experiment, das zu gravierenden Schäden führen könnte:
- Es ist unsicher, ob der Übergang ohne massive volkswirtschaftliche Verwerfungen gelingen kann. Ein Inflationsschub oder eine deflationäre Entwicklung ist genauso möglich wie eine Kreditverknappung.
- Die Geldpolitik der Nationalbank wird bei einer konsequenten Umstellung auf Vollgeld stark eingeengt. Sollte sich die Geldnachfrage zum Beispiel durch technologische Entwicklungen wie Internetzahlungsmittel à la Bitcoin reduzieren, könnte die Notenbank die Geldmenge nicht mehr durch Vermögensverkäufe reduzieren. Kurzfristig könnte sie sich noch mit Darlehen behelfen, langfristig müsste sie eine «Vollgeldsteuer» erheben, um die Geldmenge auf das erforderliche Mass zu reduzieren.
- Da das Vollgeldkonto nicht zur Kreditvergabe verwendet werden darf, wird die Kontoführung aller Voraussicht nach teurer. Gerade für Kunden mit kleinen Vermögen könnte das Halten eines Vollgeldkontos unverhältnismässig teuer werden. Die Schuld dafür würde wohl auf die Banken geschoben und die Politik könnte leicht dazu motiviert werden, mit weiteren Vorschriften wie Preisobergrenzen einzugreifen.
- Um das Ausweichen auf verzinste Sparguthaben mit Rückzugsmöglichkeiten – wie sie heute weit verbreitet sind – zu verhindern, müssten Mindesthaltefristen vorgeschrieben werden. Die Initianten haben dies auch explizit im neuen Verfassungsartikel vorgesehen. Die Bürgerinnen und Bürger würden so gezwungen, im Vergleich zu heute grössere Beträge auf dem Vollgeldkonto zu belassen, um auch im Falle unvorhergesehener Ereignisse – z.B. einem Autounfall mit teuren Reparaturkosten – liquide zu sein.
- Aufgrund der Nachteile des Vollgeldkontos könnte die Bevölkerung schliesslich auf alternative Währungen ausweichen oder ihr Geld auf kostengünstigere Frankenkonten im Ausland transferieren. Entsprechend könnte sogar ein Frankenkreislauf mit Kreditvergabe in Franken im Ausland entstehen oder eine ausländische Währung wie der Euro würde den Franken in der Schweiz als Zahlungsmittel verdrängen. Würde dies in einem grösseren Umfang geschehen, verlöre die Nationalbank die Kontrolle über das inländische Preisniveau. Verbote bis hin zu Devisenkontrollen müssten eingesetzt werden, um ein Ausweichen auf Alternativen zu verhindern.
Es werde Vollgeld – Geldpolitik im Dienste der Finanzpolitik
Besonders problematisch ist die Forderung der Initianten, Vollgeld jährlich an die Bevölkerung und an den Staat zu verschenken. Schon im heutigen System budgetieren Bund und Kantone die erwartete Höhe der Gewinnausschüttung. Mit dem Verschenken von vermeintlichem Gratisgeld würde die Anspruchshaltung rasch steigen, und die Geldpolitik könnte so leicht zur Finanzierung von Staatsaufgaben instrumentalisiert werden. Die Geschichte der letzten zweihundert Jahre lehrt uns deutlich, dass instabile Währungen und Hyperinflationen dann entstanden sind, wenn die Geldpolitik die Finanzierung von Staatsausgaben übernehmen musste.
Vollgeld – Ein antiliberaler Ansatz
Die Initianten behaupten, ihre Forderung sei liberal. Das Gegenteil ist der Fall. Werfen wir kurz einen Blick zurück auf die Entstehung unseres heutigen Geldsystems. Der Staat respektive der König monopolisierte das Münzwesen, um Münzen herausgeben zu können, deren innerer Wert nicht dem äusseren Wert entsprach. Den durch diese Differenz entstehende Gewinn – die Seigniorage – konnte der Inhaber des Münzregals auf Kosten der Bevölkerung für eigene Zwecke verwenden. Â Mit dem Aufkommen der Banknoten folgte in vielen Ländern eine kurze Periode mit einer dezentralen und relativ marktwirtschaftlichen Geldschöpfung: Die Banken gaben in Konkurrenz zueinander Banknoten heraus. Diese fanden im Publikum immer mehr Anklang. In der Schweiz wurde dies den Banken erst 1907 verboten und das Recht der Nationalbank übertragen. Die Vollgeldinitiative würde demnach einen weiteren Schritt Richtung Zentralisierung der Geldschöpfung unternehmen und die private Geldschöpfung komplett verbieten. Zentralisierung und ein staatliches Monopol sind vieles, aber sicher nicht liberal.
Hinweis: Eine ausführliche Argumentation finden Sie unter: http://www.economiesuisse.ch/de/dossiers/die-leeren-versprechen-der-vollgeld-initiative
Der Autor meint, Vollgeld sei nicht liberal. Das Gegenteil ist der Fall: Staatliche Subventionierung bestimmter Unternehmen ist das Gegenteil von freier Marktwirtschaft. Bisher profitierten Banken, vor allem Investmentbanken, am Privilig der Geldschöpfung. Diese staatliche Bevorteilung gegenüber anderen Finanzunternehmen (z.B. Versicherungen, Investmentfonds, etc.) will die Bankenbranche nicht freiwillig hergeben. Diese Interessenlage wird natürlich nicht offen geäussert, sondern es werden fadenscheinige Argumente gegen Vollgeld vorgebracht.
In diesem Beitrag und der ausführlicheren Stellungnahme von economiesuisse wird die Vollgeld-Initiative inhaltlich teilweise falsch dargestellt (die Zentralbank wird durch die Vollgeldreform nicht zu einer bestimmten Geldpolitik gezwungen, sondern bekommt lediglich mehr wirkungsvolle Instrumente). Ausserdem wird verschwiegen, dass es Vollgeld (das heisst echtes Geld der Zentralbank) schon immer gab. Auch der neueste Stand der wissenschaftlichen Forschung wird ignoriert (siehe z.B. Metastudie von KPMG „Money Issuance“).
Detailliert stellt dies die Vollgeld-Initiative hier dar:
http://www.vollgeld-initiative.ch/stellungnahmen/#c3606
Der Autor unterstellt, dass „die Initianten wollen, dass die Nationalbank grosszügig Geld an Bevölkerung und den Staat verteilt“. Dast stimmt nicht. Aber selbst wenn dem so wäre: Warum sollte es besser sein, wenn die Nationalbank weiterhin grosszügig Geld an Credit Suisse und UBS verteilt, während gleichzeitig der Rest der Bevölkerung unter Null- und Negativzinsen leidet?
Der Autor kann auch nicht schlüssig darlegen, warum Geldschöpfung durch eine demokratisch kontrollierte, am realen Wirtschaftswachstum orientierte Zentralbank für Normalbürger und KMU riskanter sein soll als die heutige ungehemmte Gelddruckerei des Grossbanken-SNB-Kartells.
Man beachte auch die internationale Diskussion zu diesem Thema. Island z.B. hat nicht nur Bankster der wohlverdienten Haftstrafe zugeführt, sondern überlegt ebenfalls die Einführung von Vollgeld. Ein paar Links hier: http://martin-ebner.net/topics/money/vollgeld/
Peter Bernholz schrieb in der NZZ vom 14. April 2014 zur Vollgeldinitiative:
„Eine Vollgeldlösung, in der alle Girokonten direkte Forderungen gegenüber der SNB darstellen und damit zu gesetzlichen Zahlungsmitteln würden, hätte sicherlich eine geringere Anfälligkeit des Finanzsystems für Krisen zur Folge. Ausserdem würde es Vorschlägen wie dem des Bundesrats, keine Bargeldzahlungen von über 100 000 Franken mehr zuzulassen, den Systemwiderspruch nehmen, dass eine solche Regelung unverantwortlich ist, solange nur Banknoten gesetzliches Zahlungsmittel sind und daher Giroeinlagen von grösseren Beträgen einem schwer ausweichbaren Risiko unterliegen. Doch die Formulierung der Vollgeldinitiative weist erhebliche Mängel und ungelöste Probleme auf, so dass eine Annahme in dieser Form nicht empfohlen werden kann.“