Chefvolkswirt
Schweizer Franken – Euro: Was ist der „faire“ Wechselkurs?

Die Schweizerische Nationalbank hat im Zuge der starken Aufwertung des Frankens 2011 eine Wechselkursuntergrenze von 1,20 zum Euro festgesetzt. Alternative Schätzverfahren zur Ermittlung der Kaufkraftparität kommen zum Schluss, dass der „faire“ Wechselkurs irgendwo zwischen 1,30 und 1,80 Franken zum Euro zu liegen scheint. Damit ist der Franken bei einem Kurs von rund 1,20 gegenüber dem Euro klar überbewertet. Die Wechselkursuntergrenze stellt entsprechend kein Währungsdumping dar.

1. Einleitung

Die Frage, ob eine Währung unter- oder überbewertet ist, beschäftigt Ökonomen seit langem. Die größte praktische Relevanz hat die Frage vor allem in den Monaten und Quartalen bevor eine Währung an eine andere Währung fixiert oder ein Beitritt zu einer Währungsunion vollzogen wird. In jüngerer Zeit hat vor allem das Austauschverhältnis zwischen dem US-Dollar und dem chinesischen Renminbi für Diskussionsstoff gesorgt. Aufgrund der Analysen, die auf eine starke Unterbewertung der chinesischen Währung hindeuteten, tauchte der Vorwurf auf, dass China ein Währungsmanipulator sei (vgl. u.a. Subramanian, 2010). Aufgrund der stark expansiven Geldpolitik etlicher Industrieländer wird in jüngster Zeit von einem Abwertungswettlauf gesprochen, der in einen Währungskrieg zu münden droht. Auch die Schweiz steht im Fokus. Als Folge der Unsicherheit im Euro-Raum wertete sich der Schweizer Franken im Jahr 2011 dramatisch auf, bis er im Sommer beinahe Parität zum Euro erreichte. Die Schweizerische Nationalbank hatte zu diesem Zeitpunkt das klassische geldpolitische Arsenal (Zinssenkungen, Liquiditätserhöhung) allerdings schon weitgehend ausgeschöpft. Die Aufwertung vollzog sich innerhalb so kurzer Zeit, dass sie die Anpassungsmöglichkeiten der Industrie bei weitem überstieg und auch die Preisstabilität bedrohte. Schließlich reagierte die Nationalbank und fixierte eine Wechselkursuntergrenze von 1,20 Franken pro Euro. Kommentare im Ausland, welche die Schweiz als Währungsmanipulator brandmarkten, ließen nicht lange auf sich warten. Ist dieser Vorwurf berechtigt? Der folgende Beitrag geht der Frage nach, welcher Wechselkurs Franken-Euro als „fair“ gilt und zeigt auf, warum der Franken nach wie vor als überbewertet bezeichnet werden kann.

2. Alternativen zur Bestimmung der Kaufkraftparität

Lange Zeit war das Konzept der Kaufkraftparität in großen Teilen der Bevölkerung unbekannt, obwohl im Alltag viele ökonomischen Entscheidungen – beispielsweise die Wahl des Ferienortes oder der Kauf eines Produktes von den internationalen Preisrelationen stark beeinflusst werden. Erstmals machte der Economist durch die Veröffentlichung des Big Mac-Index im Jahre 1986 das Konzept der Kaufkraftparität einer breiteren Bevölkerungsschicht bekannt. Der Index misst, wie teuer ein Big Mac die Endkonsumenten in verschiedenen Ländern zu stehen kommt. Aus dem Preis für einen Big Mac errechnet sich der implizite Wechselkurs, bei dem der Burger in einem Land zu einem anderen Referenzland gleich teuer wäre. Dieser implizierte Wechselkurs stellt somit eine Schätzung für die Kaufkraftparität dar (ein Überblick findet sich in Pakko/Pollard, 2003). Diese simple Version der Kaufkraftparität hat den entscheidenden Vorteil, dass sie einfach verständlich und durch die Wahl des Produktes auch illustrativ ist. Trotz dieser Vorzüge weist diese Burgernomics starke Limitationen auf, welche verschiedentlich auch in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert wurden. Es lohnt sich, kurz auf diese Vorbehalte einzugehen , weil sie prinzipiell auch bei komplizierteren Konzepten zur Ermittlung der Kaufkraftparität auftauchen.

Ein erster Grund, wieso der Big Mac-Preis ein unzureichendes Mittel zur Bestimmung der Kaufkraftparität darstellt, besteht in den Handelsbarrieren, die den Import und Export der einzelnen Zutaten erschweren. So variieren die Transportkosten selbst bei einem quasi homogenen Gut wie einem Burger erheblich zwischen den Ländern. Zudem erschweren Handelsrestriktionen, Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse den Austausch von Agrargütern besonders stark. So betragen die durchschnittlichen Importzölle für Agrarprodukte in der Schweiz 43,5 Prozent und in der EU 13,9 Prozent (vgl. WTO ITC UNCTAD, 2012). Bei Rindfleisch sind die Differenzen noch größer. Neben den Zollsätzen variieren auch die Steuersätze zwischen den Ländern.

Ein zweiter Grund für wesentliche Abweichungen von der Kaufkraftparität besteht darin, dass ein großer Teil der Wertschöpfung nicht gehandelt werden kann. Die Servicedienstleistung wird vor Ort erbracht und kann nicht durch Importe substituiert werden. Standortgebundene Kosten wie Mieten oder lokale Dienstleistungen wie Reparaturen erhöhen die Preisunterschiede zusätzlich. Balassa (1964) und Samuelson (1964) haben zudem auf einen wichtigen Begleitumstand hingewiesen: Die Exportsektoren verschiedener Länder sind unterschiedlich produktiv. In einem Land mit einem hoch produktiven Exportsektor werden auch hohe Löhne bezahlt. Nun wollen die Personen, welche im Exportsektor beschäftigt sind, auch nicht-handelbare Güter und Dienstleistungen konsumieren. Damit sich genügend Personen finden, diese zu produzieren und anzubieten, steigen in einem solchen Land die Löhne im Binnensektor entsprechend. Bezogen auf den Big Mac bedeutet dies, dass in Restaurants – auch wenn keine Minimallöhne es vorschreiben – die Saläre der Angestellten in einem Land mit einem produktiven Exportsektor hoch sind, was die Produktion entsprechend verteuert. Die Schätzungen von Eurostat-OECD illustrieren diesen Zusammenhang eindrücklich. Abb. 1 zeigt, dass das Preisniveau mit zunehmender Wirtschaftsleistung (Pro-Kopf der Bevölkerung) ansteigt. Ein Ausreißer stellt Luxemburg dar, welches aufgrund seiner Kleinheit und der vollständigen Integration in den EU-Binnenmarkt nur ein leicht höheres Preisniveau als seine Nachbarländer aufweist.

Preisniveau vs. BIP pro Kopf
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Ein dritter Grund erschwert den Preisvergleich: Je nach Land wird ein Big Mac als preiswerter Fastfood oder als Lifestyle-Produkt wahrgenommen. Mit anderen Worten ist das Gut, selbst wenn es mit identischen Zutaten und auf eine identische Weise zubereitet wäre, nicht homogen.

Viele der genannten Gründe für Abweichungen von der Kaufkraftparität sorgen dafür, dass die Preisdifferenzen zwischen den Ländern permanent sein können. Der Big-Mac-Index liefert also eine beschränkte Aussage darüber, ob der Franken-Euro-Kurs der Kaufkraftparität entspricht oder nicht. Gemäß Big Mac-Index wäre der Franken bei einem Kurs von 1,21 gegenüber dem Euro um fast 50 Prozent überbewertet.

Doch auch Kaufkraftparitäts-Berechnungen, die mit einer großen Zahl von Produkten und Dienstleistungen operieren, können die Messproblematik nicht lösen. Die oben genannten drei Gründe (Handelsbarrieren, nicht-handelbare Güter und Repräsentativität) erschweren eine exakte Ermittlung erheblich. Tab. 1 informiert über die aktuellen Schätzwerte der Kaufkraftparität. Eurostat-OECD gehen davon aus, dass das Preisniveau in der Schweiz fast 50 Prozent höher liegt als im Durchschnitt der EU-15. Die Kaufkraftparität wird entsprechend – ähnlich der groben Schätzung des Big Mac-Index – mit 1,80 angegeben, was einer Überbewertung des Frankens gegenüber dem Euro von rund 50 Prozent entspricht.

Offensichtlich hängt die ausgewiesene Überbewertung des Frankens mit dem hohen Schweizer Preisniveau zusammen. Der Economist gibt aus diesem Grund die Überbewertung einer Währung auch alternativ in einer Variante an, welche den Big Mac-Preis um das allgemeine Preisniveau korrigiert. Dieser adjustierte Index errechnet sich durch eine einfache Trendschätzung, wobei der Burgerpreis durch das BIP-pro-Kopf der Bevölkerung erklärt wird. Wenn der Big-Mac-Preis in einem Land höher (tiefer) liegt als der so geschätzte Preis, dann ist dies ein Hinweis dafür, dass die Währung über-(unter-)bewertet ist. Dieselbe Vorgehensweise kann mit Hilfe der Daten in Abb. 1 vorgenommen werden: Die geschätzte Überbewertung des Frankens beträgt im Falle des Big Mac-Index preisniveaukorrigiert 2,2 Prozent, im Falle der Eurostat-OECD-Daten 10,2 Prozent. Diese Resultate zeigen, dass die geschätzte Überbewertung stark davon abhängt, welche Länder in die Schätzgleichung einfließen. So sind im Sample des Big-Mac-Index 57 Länder enthalten, bei Eurostat-OECD sind es lediglich 30. Mit anderen Worten: Preisniveaus und Pro-Kopf-Einkommen aus Drittstaaten sind für die Kaufkraftparitätsschätzung zwischen der Eurozone und der Schweiz mitbestimmend.

Hinweis

Den vollständigen Artikel finden Sie in der Septemberausgabe der WiSt (Heft 9, 2013).

3 Antworten auf „Chefvolkswirt
Schweizer Franken – Euro: Was ist der „faire“ Wechselkurs?“

  1. Die Diskussion der KKP ist albern. U.U. könnte man sich mit Einkommen vor Steuern und Abgaben, Bruttoeinkommen, ranschleichen.

    Greenspan sagte:“Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben.“ Genauso ist es. Mit dem harten Euro kommen die Pleiteländer nicht aus dem Schlamassel und mit einem Weicheuro saufen die „Nordstaaten“ ab.

    Wie viele BigMac’s könnte sich ein durchschnittlicher Eidgenosse von einem Nettomonatseinkommen kaufen ? Wie viele BigMac’s ein deutscher Arbeitnehmer mit Medianeinkommen 1200 € netto? In den anderen Euroländern sähe das anders aus. Neben der Tatsache, dass Kulturvölker das amerikanische Frittenbrötchen wahrscheinlich als eklig wahrnähmen. Man kann die Währungen nicht einfach so vergleichen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmig sind.

    Man kann es aber versuchen, indem man lange Zeitreihen bis auf frühere Goldstandards zurückführt und in „Altwährung“, z.B. echter Dollar, echtes Pfund, echter CHF oder echte Mark rechnet. Der CHF ist vor allem nicht sehr bedeutend. Die Betrachtung des US-Dollars schiene interessanter. Aber erst zu Obamas Abgesang.

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