Die Europäische Zentralbank stört die Verwertung des Wissens in Europa

Die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi hat jüngst beschlossen, ihre Niedrig-, Null- und Negativzinsen beizubehalten und ihre Ankaufprogramme für Staatsanleihen weiter fortzusetzen. Im Gegensatz zu den USA, wo man sich dem Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik zugewendet hat, werden in Europa weiterhin mit aller Gewalt die Zinsen manipuliert. Friedrich August von Hayek hat bereits 1945 in seinem Aufsatz „Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft“ verdeutlicht, warum der Wohlstand sinkt, wenn der Staat die Preise verzerrt.

Hayeks Grundthese war, dass das Wissen einer Gesellschaft über diese verteilt ist. Niemand besitzt alle Informationen. Über Preise und Wettbewerb wird das verstreute Wissen sichtbar gemacht und die Pläne der einzelnen Individuen koordiniert. Die Effizienz steigt, weil die Ressourcen gemäß den Präferenzen der Individuen eingesetzt werden. Es herrscht Konsumtensouverenität, weil die Menschen über die Produktionsstruktur entscheiden. Der Schlüssel liegt in der Informationsfunktion von Preisen, die Knappheiten anzeigen und über Anreize Angebot und Nachfrage ausgleichen.

Preisveränderungen bewirken die Anpassung der Wirtschaftsstruktur an veränderte Gegebenheiten und Präferenzen, wie Hayek an einem Beispiel deutlich machte: Wenn irgendwo auf der Welt die Nachfrage nach einem Rohstoff steigt (oder das Angebot sinkt), müssen Unternehmen nicht Heerscharen von Detektiven aussenden, um davon zu erfahren. Es genügt ein Blick auf den Preis. Steigende Kosten signalisieren den Unternehmen, den Rohstoff sparsamer zu verwenden, oder ein Substitut zu finden.

Hayek (1945) spricht von einem Wunder, wenn er „das Preissystem als eine Art von Maschinerie zur Registrierung von Veränderungen bezeichnet […], von denen Unternehmer nie mehr zu wissen brauchen, als sich in der Preisbewegung widerspiegelt.“ Aber dieses Wunder ist fragil. Wenn Preise starr sind oder vom Staat manipuliert werden, verlieren sie ihre Informationsfunktion. Es entstehen strukturelle Verzerrungen, die das Wachstum hemmen, weil dann der Staat statt den Konsumenten die Wirtschaftsstruktur bestimmt.

Aus dieser Sicht stört die Europäischen Zentralbank die effiziente Allokation von Ressourcen, weil sie der schleichenden europäischen Finanz- und Schuldenkrise mit immer größeren geldpolitischen „Bazookas“ (Originalton Mario Draghi) begegnet. Über die gemeinsame Zentralbank werden Ressourcen in die Krisenstaaten gelenkt, damit der Euro überlebt. Doch das verhindert den Restrukturierungsprozess in Südeuropa, der für eine nachhaltige Lösung der Krise notwendig ist. Durch die immensen Staatsanleihekäufe hält die Europäische Zentralbank Zombiebanken und Zombieunternehmen am Leben, die wie ein Mühlstein am Hals der Krisenstaaten hängen. Ressourcen bleiben in ineffizienten Teilen der Wirtschaften gebunden. Sie können nicht hin zu neuen, renditeträchtigeren Investitionen verlagert werden (siehe Schnabl 2016).

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Hayek würde wohl auch erkennen, dass die als Krisentherapie gedachte Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik derzeit eine Blase auf den deutschen Aktien- und Immobilienmärkten treibt, indem sie die Preise auf den Kapitalmärkten verzerrt. Da der gemeinsame Leitzins für die gute deutsche Konjunktur viel zu niedrig ist (und die Menschen den Wertverlust des Geldes fürchten), treibt Mario Draghi viele Menschen in den Immobilienkauf. Die Immobilienpreise in den Ballungszentren steigen rasant.

Weil das billige Geld zudem den Euro schwächt, werden zusätzliche Kapazitäten im Exportsektor aufgebaut, die ohne die versteckten Subventionen so nicht entstanden wären. Die Abbildung vergleicht die jüngste Entwicklung der deutschen Aktienpreise (DAX) mit der japanischen Blase der zweiten Hälfte der 1980er Jahre (Nikkei 225) (deren Platzen Japan in bisher 26 Jahre Krise gestürzt hat). Seit Beginn der geldpolitischen Krisentherapie im Jahr 2008 ist der DAX dramatisch angestiegen. Man beachte die unterschiedliche Skalierung der Achsen! Platzt die deutsche Blase eines Tages, dann wird wohl auch Deutschland tief in den Sumpf der europäischen Finanz- und Schuldenkrise hineingezogen.

Die geldpolitische Krisenpolitik schafft damit nicht mehr als die Illusion, dass unser Wohlstand auch ohne das ständige Streben jedes Einzelnen nach Effizienz möglich ist. Die Realität ist eine andere. Da die Produktivitätsgewinne und das Wachstum in Europa wegen der Flut des billigen Geldes inzwischen gegen null konvergieren, fühlen sich immer mehr Menschen abhängt. Sie wenden sich von den etablierten Parteien ab. Dieser Prozess geht mit einem wachsenden Misstrauen gegenüber dem europäischen Integrationsprozess einher, der einst mit der Freiheit für die Bewegung von Gütern, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital die Grundlage für den Wohlstand in Europa geschaffen hat. Wir können nur hoffen, dass sich Mario Draghi bald auf Hayeks Werke besinnen wird.

Literatur  

Hayek, Friedrich August (1945): The Use of Knowledge in the Society. American Economic Review 35, 4, 519-530.

Schnabl, Gunther (2016): The Central Banking and Crisis Management from the Perspective of Austrian Business Cycle Theory. CESifo Working Paper 6179.

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2885839

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