Krise und Ordnung: Vom Markt zum Staat

Unsere Wirtschaftsordnung ist im Wandel. Bestimmten bis in die 1980er Jahre die Gütermärkte die wirtschaftliche Entwicklung, nehmen jetzt die Finanzmärkte eine zentrale Rolle ein. Sie treiben überschwängliche Boomphasen, die in hässliche Krisen münden. Im Verlauf von Krisen übernimmt der Staat das Ruder. Banken werden nationalisiert und durch günstige Liquidität vorm Kollaps gerettet. Im Ergebnis regiert nicht mehr der Markt, sondern der Staat. Die Entscheidungen über das Fortleben von Finanzinstituten und Banken werden von Regierungen und Notenbanken getroffen. Leben wir bereits in einer neuen Wirtschaftsordnung, in der der Staat die zentrale Rolle spielt?

Friedrich August von Hayek liefert mit seiner Theorie der spontanen Ordnung einen Rahmen, um sich den Ursachen von Krisen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaftsordnung zu nähern. Hinter dem Prinzip der spontanen Ordnung versteckt sich Hayeks Verständnis, dass komplexe Systeme nur Ergebnis einer frei gewachsenen, spontanen Ordnung sein können. Organisationsformen wie Gesellschaften, aber auch Volkswirtschaften sind das „Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“ (Hayek 1969).

Als Ordnung begreift Hayek „einen Zustand, in dem wir erfolgreich Erwartungen und Hypothesen über die Zukunft bilden können“ (Hayek 1969). Er unterscheidet zwei Arten, wie diese Ordnung entstehen kann: die geplante und die spontane Ordnung. Die geplante Ordnung entsteht, „indem die Teile nach einem vorgefassten Plan in Beziehung zueinander gebracht werden“ (Hayek 1969). Sie beruht auf einer beabsichtigten Anordnung (mittels Befehl) und ist Ergebnis einer ordnenden Instanz. Ihre Komplexität muss relativ gering sein, damit der Ordnende sie überblicken kann.

Dagegen ist die spontane Ordnung „Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“. Es gibt keine ordnende Instanz. Stattdessen verfolgen die Individuen im Rahmen einer abstrakten Ordnung ihre eigenen Pläne, woraus die spontane Ordnung entsteht. Die abstrakte Ordnung bildet den Rahmen der spontanen Ordnung. Welches Ergebnis sich aus einer abstrakten Ordnung ergibt, ist nur schwer oder gar nicht vorhersehbar.

Die resultierende spontane Ordnung hängt neben den Regeln der abstrakten Ordnung, welche das Handeln der Individuen leiten, von der Ausgangsposition und von all jenen spezifischen Umständen ab, auf die jedes Individuum im Verlauf der Bildung dieser Ordnung reagiert. „Die Ordnung wird immer eine Anpassung an eine große Zahl an Einzeltatsachen sein, die in ihrer Gesamtheit keiner Einzelperson bekannt sind“ (Hayek 1967). Die spontane Ordnung kann komplex sein, weil sie nicht auf die intellektuellen und ordnenden Fähigkeiten einer Einzelperson oder Institution beschränkt ist.

Aus Sicht von Hayeks Ordnungstheorie können Krisen als Ergebnis einer Veränderung der abstrakten Ordnung gesehen werden. Zur Stabilisierung von Volkswirtschaften kommt es im Verlauf von Krisen zu staatlichen Eingriffen. Diese verändern den Ordnungsrahmen (abstrakte Ordnung). Wichtige Grundprinzipien der Marktwirtschaft wie Haftung oder die Signal- und Allokationsfunktion von Preisen und Zinsen werden außer Kraft gesetzt. Finanzinstitute können spätestens seit der Jahrtausendewende im Falle einer Krise mit Hilfe vom Staat rechnen. Übermäßige geldpolitische Expansion dient als Rettungsanker für Finanzsektoren und für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten. Ohne unkonventionelle Geldpolitik wären bereits viele Finanzinstitute bankrott und nationalisiert.

Die Veränderung der abstrakten Ordnung (Aufhebung des Haftungsprinzips) bzw. direkte Eingriffe in die spontane Ordnung (Bankenrettung, übermäßig expansive Geldpolitik) verändern die resultierende Ordnung, indem beispielsweise das Investitionsverhalten nachhaltig verzerrt wird. Durch die Privatisierung der Gewinne und die Verstaatlichung der Verluste werden Anreize zur Spekulation gesetzt. Die stabilisierende Wirkung von freien Märkten und Preisen geht verloren. Insbesondere Finanzmärkte werden zum destabilisierenden Faktor im Wirtschaftsprozess. Ergebnis der Rettungsmaßnahmen ist somit keine stabilere, sondern eine labilere Ordnung, die neue Staatseingriffe auslöst.

Unser Wirtschaftssystem wandelt sich von einer spontanen zu einer geplanten Ordnung. Die Politik vergisst bei ihren gut gemeinten Rettungsmaßnahmen, dass es „eine der Hauptaufgaben des Wettbewerbs [ist], zu zeigen, welche Pläne falsch sind“ (Hayek 1979). Ist dies nicht mehr der Fall, dann werden bestehende verzerrte Strukturen zementiert. Mehr Staat stabilisiert zwar kurzfristig die Wirtschaftsordnung, verhindert aber mittelfristig die nötigen Anpassungsmaßnahmen und lähmt langfristig die Wachstumsdynamik. Kein Land zeigt dies besser als Japan, das trotz mehr als zehn Jahren Nullzinspolitik und nach über 20 Jahren keynesianischer Nachfragepolitik nicht zurück auf den Wachstumspfad gekehrt ist. Kein guter Ausblick, auch nicht für Europa! Aber nicht unrealistisch!

Literatur

Hayek, Friedrich August von (1969). Freiburger Studien. Mohr, Tübingen.

Hayek, Friedrich August von (1967). Rechtsordnung und Handelnsordnung: Aufsätze zur Ordnungsökonomik, Bd. A4 d. Reihe Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache. Mohr Siebeck, Tübingen.

Hayek, Friedrich August von (1979). Recht, Gesetz und Freiheit: Eine Neufassung der liberalen Grundsätze der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie, Bd. B4 d. Reihe Friedrich A. von Hayek – Gesammelte Schriften in deutscher Sprache. Mohr Siebeck, Tübingen.

Hinweis

Björn Urbansky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.

12 Antworten auf „Krise und Ordnung: Vom Markt zum Staat“

  1. Wen von „unserer Wirtschaftsordnung“ oder „unser Wirtschaftssystem“ geschrieben wird, sollte doch zumindest so viel ökonomisches Sachwissen vorhanden sein, zu wissen, dass die „spontante Ordnung“ für die Deutschland in Anschlag gebrachte Soziale Marktwirtschaft eine unangemessene Verkürzung darstellt!

    Übrigens scheint mir mit der Behauptung

    „Finanzinstitute können spätestens seit der Jahrtausendewende im Falle einer Krise mit Hilfe vom Staat rechnen.“

    Ursache und Wirkung vertauscht worden zu sein. Oder ist beim Studium der Tagespresse der Vorwurf des „to big to fail“ einfach nur überlesen worden?

  2. Sollte man nicht auch bei einem Artikel, der sich mit den Schäden einer Krisenbewältigung ja doch auf sehr anschauliche und interessante Weise auseinandersetzt, auch darauf eingehen wie es zu der Krise kam?

    Sollte man nicht auch auf die historischen Beispiele eingehen, bei denen eben die ‚Planung‘, die hier als so negativ beschrieben wird, großen Erfolg hatte?

    Sollte man nicht erwähnen, dass eben die Entfesselung der Märkte zu der Krise geführt hat? Die Planung durch den Staat ist also nötig da sonst die wenigen Finanzspekulanten die Steuerung übernehmen und hierbei beständig Krisen verursachen.
    Ist es nicht die einfachste Lösung der Krise Rahmenbedingungen und Spielregeln vorzugeben in denen dann absolute Freiheit herrscht und herrschen kann?

  3. Hallo Jack,

    nein, das ist falsch. Es ist nicht der freie Markt der die Krise verursacht hat. Sicherlich kann man von einer Krise sprechen, wenn gewisse Güter und Dienstleistungen nicht mehr nachgefragt werden, aber das ist die normale Dynamik des Lebens. Das Problem ist wie immer, dass Politiker versuchen einen gewissen Status Quo zu erhalten, damit auch ihr eigenes Handeln vorhersehbar und verlässlich bleibt. Zu den Finanzmärkten kann man nur sagen, dass eine Bereinigung von faulen Krediten keinerlei negative Wirkung hat. Warum sind sie denn faul ? Wenn man abschreibt, ok, dann muss der Investor eben leer ausgehen, aber das ist das normale Risiko. Fundamental betrachtet ist das globale Finanzsystem staatlich und nicht privat organisiert. Befasse dich mit den großen Institutionen ( IMF; Weltbank, BIS, OECD z.B. ) um zu verstehen, dass sie es sind, die die „Märkte“ machen und nicht die privaten.

  4. Aus unserer Sicht sind grundsätzliche beide Sichtweisen denkbar. Wir sehen einerseits Marktversagen aufgrund der beobachteten Exzesse auf den Finanzmärkten. Andererseits liegt aus unserer Sicht klares Staatsversagen vor, weil implizite Bailout-Garantien Anreize für die Spekulation setzen. In diesem Zusammenhang spielt auch die sehr expansive Geldpolitik eine wichtige Rolle. Ohne Zweifel müssen Verzerrungen und Exzesse abgebaut werden, so dass wir eine Reform der Ordnung für notwendig erachten. Die Wiederherstellung des Haftungsprinzips nimmt aus unserer Sicht hier eine zentrale Stellung ein.

    Wir sind uns bewusst, dass dies nur graduell geschehen kann und Anpassungskosten hat. Nach Hayek haben „die Bemühungen, das Funktionieren des Marktes durch die Gestaltung des Rahmenwerkes zu beeinflussen, natürlich den Nachteil, daß eine solche Verbesserung nur langsam und schrittweise vor sich gehen kann, in dem Maße, wie wir Erfahrungen erwerben und neue Ideen ausprobieren. Das hat vor allem zur Folge, daß dieser Weg wenig Anziehungskraft für die ungeduldigen Besserer hat, die alle Mängel der bestehenden Wirtschaftsordnung mit ein paar Federstrichen beseitigen wollen.“

  5. Beispiel Griechenland:

    UPDATE MARCH 1, 2012:

    ISDA EMEA Determinations Committee: Credit Event Has Not Occurred with Respect to Recent Questions on The Hellenic Republic Restructuring

    In light of today’s EMEA Determinations Committee (EMEA DC) unanimous decisions in respect of the two potential Credit Event questions relating to the Hellenic Republic (DC Issue 2012022401 and DC issue 2012022901), the EMEA DC has agreed to publish the following statement:

    The first submitted question (DC Issue 2012022401) asked whether the holders of Greek law bonds had been subordinated to the ECB and certain NCBs whose bonds were acquired by the Hellenic Republic prior to the implementation of new Greek legislation such that such subordination constitutes a Restructuring Credit Event. (The full text of the question is available here http://www.isda.org/dc/view.asp?issuenum=2012022401.)

    The EMEA DC unanimously determined that the specific fact pattern referred to in the first submitted question does not satisfy either limb of the definition of Subordination as set out in the ISDA 2003 Credit Derivatives Definitions (the 2003 Definitions) and therefore a Restructuring Credit Event has not occurred under Section 4.7(a) of the 2003 Definitions.

    The second submitted question (DC Issue 2012022901) asked whether there had been any agreement between the Hellenic Republic and the holders of private Greek debt which constitutes a Restructuring Credit Event. (The full text of the question is available here http://www.isda.org/dc/view.asp?issuenum=2012022901.)

    The EMEA DC determined that it had not received any evidence of an agreement which meets the requirements of Section 4.7(a) of the 2003 Definitions and therefore based on the facts available to it, the EMEA DC unanimously determined that a Restructuring Credit Event has not occurred under Section 4.7(a) of the 2003 Definitions.

    The EMEA DC noted, however, that the situation in the Hellenic Republic is still evolving and today’s EMEA DC decisions do not affect the right or ability of market participants to submit further questions to the EMEA DC relating to the Hellenic Republic nor is it an expression of the EMEA DC’s view as to whether a Credit Event could occur at a later date, in each case, as further facts come to light.

    —————————————–

    –> Und nun muss man sich fragen, wer davon „profitiert“ ?! Sicherlich nicht die privaten, die schon abschreiben mussten … .

    Es ist natürlich logisch, dass in einem komplett freien Marktdie Prozesse so schnell ablaufen könnten, dass es zu Chaos führt. Das ist ganz klar. Aber der normale Menschenverstand, sofern er bei vielen überhaupt noch vorhanden ist, würde selbst das unterbinden. Wir sind immer ncoh im Kukuland und es wird schlimmer werden. Die Kapitalbasis geht in der Qualität nach unten, die Staatsverschuldung nimmt weiter zu, geopolitisch ist es eh schon ein Desaster. Meine Meinung ist, dass um dieses ganze Gebilde überhaupt noch am Laufen zu halten, die Regierungen uns ins prähistorische Mittelalter zurückschicken werden. Niemand will für etwas gerade stehen oder von seiner Position abweichen; man könnte ja sein Gesicht verlieren !

  6. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=8675

    A. M-A.

    Der Beitrag „Krise und Ordnung: Vom Markt zum Staat“ weist verschiedene Merkwürdigkeiten auf.

    1. Es wird noch nicht einmal im Ansatz gefragt, ob Hayeks Vorstellungen a) praktikabel, b) auf „unsere Wirtschaftsordnung“ bzw. „unser Wirtschaftssystem“ anwendbar und c) wünschenswert sind.

    2. Die Ausführungen zu Hayeks „spontaner Ordnung“ erinnern eher an den Idealtyp einer Marktwirtschaft, zu der es aus wirtschaftspolitischer Sicht zumindest einmal überlegenswert gewesen wäre, zum Realtyp Stellung zu nehmen.

    Damit hätten die Autoren auch klären können, was sie unter „unserer Wirtschaftsordnung“ und „unserem Wirtschaftssystem“ verstehen. Der Leserschaft erschließt sich nämlich nur, dass die Autoren „unsere Wirtschaftsordnung“ und „unser Wirtschaftssystem“ stärker durch die Hayeksche spontane Ordnung und damit einem freien Spiel der Märkte charakterisiert sehen wollen.

    Aber wie passt das z. B. zum Begriff der Sozialen Marktwirtschaft? Der Begriff taucht nicht ein Mal im Text auf, obwohl ihn vor allem deutsche Ökonomen kennen sollten!

    3. Die Autoren schrieben:

    „Finanzinstitute können spätestens seit der Jahrtausendewende im Falle einer Krise mit Hilfe vom Staat rechnen. Übermäßige geldpolitische Expansion dient als Rettungsanker für Finanzsektoren und für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten.“

    Dabei fragt sich, worauf sich der Umstand begründet, dass die Finanzinstitute mit Hilfe vom Staat rechnen können. Ein „too big too fail“ scheint den Autoren kein Begriff zu sein. Hätten sie das aber in ihre Überlegungen einbezogen, hätte zumindest einmal der Gedanke aufkommen können, dass dieses „too big too fail“ das Ergebnis einer „frei gewachsenen, spontanen Ordnung“ sei.

    Der Zustand des „too big too fail“ steht symbolisch für die Zementierung von verzerrten Strukturen, denn im Grunde werden die Staaten Erpresst, in dem es heißt: Ihr helft uns oder wir ziehen Euch mit ins Chaos. Spontane Ordnung wäre dann also nicht immer ein Garant für Haftung.

    Zudem führt das Beharren auf die heilsamen Wettbewerbskräfte einer spontanen Ordnung unweigerlich zu der Frage, was die Vertreter von Hayeks „Ordnungstheorie“ vor der Krise empfohlen hätten. Die De-Regulierung der Finanzmärkte?

    Die Autoren geben auch keinen Hinweis darauf, wie Haftung in einer „Ordnung“ gewährleistet sein soll, die frei und spontan wächst. Haftung setzt doch eigentlich eine gewisse Berechenbarkeit – einen menschlichen Entwurf – voraus! Nicht ohne Grund wird in der vorherrschend ordoliberal geprägten Wirtschaftspolitik von einer Rahmenordnung gesprochen.

    Freilich würde das dann aber im Widerspruch zu Hayek stehen, wenn dieser tatsächlich der Meinung war, dass „spontane Ordnung ,Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“˜“ sei. Zu diesem Widerspruch äußerten sich die Autoren nicht. Es bleibt damit auch offen, wie sie sich zu einer ordoliberalen Ordnungspolitik positionieren.

    4. Es ist fragwürdig, wenn die Autoren die „geldpolitischen Expansionen“ mit dem Attribut „übermäßig“ versehen. Könnte nicht auch eine nicht (!) übermäßige geldpolitische Expansion „als Rettungsanker für Finanzsektoren und für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten“ dienen? Was wollen die Autoren einem mit ihrer Aussage vermitteln? Dass sie den „geldpolitischen Expansionen“ nicht viel abgewinnen können? Nun, vereinzelt mag das ja von Interesse sein. Aber im Kern fehlt ihrer Wertung jeglicher Maßstab und jegliche Perspektive, so dass es dieser Aussage schlicht an Argumentationskraft mangelt.

    In die gleiche Richtung weist auch ihre Antwort vom 01.03.2012, in der sie von einer sehr expansiven Geldpolitik sprachen, die falsche Anreize setze. Auch dort fehlt schlicht ein Maßstab und somit ist es der Beliebigkeit anheim gestellt, zu behaupten, die expansive Geldpolitik wäre „sehr“ (!) expansiv.

    In der Summe darf es wirklich verwundern, dass Gunther Schnabel und Björn Urbansky, die beide immerhin einem Institut für Wirtschaftspolitik angehören, mit ihren Aussagen derartig viele weiße Flecken auf der wirtschaftspolitischen Landkarte hinterlassen.

  7. @ Müller: vielen Dank für Ihre Anmerkungen.

    Zu 1. und 2.:
    Bei der Theorie der spontanen Ordnung handelt es sich um ein theoretisches Konzept. Es komprimiert die komplexe Realität der Ökonomie auf einige, aus Sicht des Modellierenden wichtige Grundzusammenhänge. Bei Hayek ist es das Zusammenspiel zwischen abstrakter Ordnung (Rechts- oder Ordnungsrahmen) und der entstehenden spontanen Ordnung. Die spontane Ordnung ist eine „Ecklösung“ (eine unrealistische wahrscheinlich, um eine ihrer Fragen zu beantworten). Die andere ist die geplante Ordnung. Zwischen diesen beiden Ecklösungen sind verschiedenste Varianten möglich, z. B. die soziale Marktwirtschaft. Unsere „Wirtschaftsordnung/Wirtschaftssystem“ ist eine dieser „Mittellösungen“. Ein Großteil des Wirtschaftsgeschehens läuft „spontan“ ab, der Staat soll nur in Teilbereichen intervenieren. Es ist zu diskutieren, wie viel Markt und Staat sich die Väter der sozialen Marktwirtschaft gewünscht haben. Eine der Kernaussagen unseres Beitrags ist es, dass die Interventionen in der Krise zu einer deutlichen Verschiebung unser Wirtschaftsordnung auf der Skala weg von der spontanen Ordnung hin zur geplanten Ordnung geführt hat.

    Zu 3. und 4.:
    Sie sehen too big to fail als Folge eines Marktprozesses: Der freie Wettbewerb (Deregulierung) auf den Finanzmärkten führt dazu, dass zu große Finanzinstitute entstehen, die mit Rettung bei Fehlspekulation rechnen können. Aber auch die gegensätzliche Sicht ist möglich: Geldpolitische Rettungsaktionen im Fall von Krisen und der daraus resultierende Verfall des Weltzinsniveaus auf nahe Null haben den Finanzmarktsektor so stark aufgeblasen, dass er – aufgrund der so geschaffenen systemischen Risiken – too big to fail geworden ist.
    Grundsätzlich besteht für alle Wirtschaftspolitiker ein großes Dilemma: Soll kurzfristig die Wirtschaft stabil gehalten werden und muss damit in Kauf genommen werden, erpressbar zu sein. Oder soll der Crash und die folgende Rezession hingenommen werden, um in Zukunft moral hazard und noch größere Krisen zu vermeiden.

    Unsere Empfehlung vor der Krise wäre gewesen: Ein klarer Rechtsrahmen, der Freiheit und Haftung definiert. In den letzten 20 bis 30 Jahren war hingegen ein Prozess der Deregulierung zu erleben bei gleichzeitiger Schaffung eines Sicherheitsnetzes gegen die Risiken von Spekulation. Es wurde für mehr Freiheit gesorgt, ohne die nötige Haftung sicher zu stellen. Asymmetrische, stärkere Zinssenkungen in der Krise als Zinserhöhungen in der Erholung nach der Krise, spielen bei der Aussetzung des Haftungsprinzips auf den Finanzmärkten aus unserer Sicht eine zentrale Rolle.

    Bezüglich ihrer Anmerkung zur Gestaltung des Ordnungsrahmens kann man Hayek auch anders verstehen. Der Staat soll den Rechts-/Ordnungsrahmen durchaus anpassen.

  8. Müller analysiert den Text m.E. sehr gut auf seine Schwächen.

    Die Kritik vergisst aber, dass es sich um einen Blogbeitrag handelt.
    Solche Beiträge verkürzen, sind manchmal provokativ aber transportieren eine Message. Sonst liest sie auch keiner.

    Deshalb erscheint mir die Kritik etwas verfehlt. Sie zielt nicht auf die Kernmessage ab, sondern diskutiert Annahmen u.ä.

    Haben die Autoren nicht recht, wenn sie schreiben, dass wir einen Schritt vom Markt zum Staat beobachten? Wäre sowas innerhalb eines hayekianischen Rahmens wünschenswert? Ich glaube nicht!

  9. Hayeks Begriffe der geplanten Ordnung (Taxis) und der spontanen Ordnung (Kosmos) sind reine Denkkonstrukte, die in idealtypischer Weise gewonnen wurden und uns bestenfalls helfen können, die Realität besser zu verstehen. Damit erschöpft sich ihre Funktion bereits.
    Geht man darüber hinaus, wie es beispielsweise die Autoren in krypto-normativer Absicht tun, wird man sich an unfruchtbaren Scheinfragen aufhalten oder gar in Widersprüche verwickeln, wie folgende zwei Anmerkungen zeigen.
    1. Welchen Sinn soll es beispielsweise haben, unter der Prämisse der Präferenz für Hayeks spontane Ordnung darüber „zu diskutieren, wie viel Markt und Staat sich die Väter der sozialen [sic!] Marktwirtschaft gewünscht haben“? In unzähligen Beiträgen jenseits von Vulgärhermeneutik ist mal mehr, mal weniger stringent herausgearbeitet worden, dass es sich diesbezüglich nicht um ein Substitutionsverhältnis, sondern um ein Komplementärverhältnis handelt, das nicht ausschließlich quantitativ, sondern auch qualitativ zu bestimmen ist.
    2. Die herausgehobene Kernaussage, dass sich unsere Wirtschaftsordnung von der spontanen zur geplanten Ordnung verschoben habe, soll unabhängig vom vermeintlichen Wahrheitsgehalt dieser deskriptiven Behauptung wohl darauf hindeuten, dass etwas nicht stimme in Europa oder geändert werden müsse. Das passt natürlich sehr gut zu einer Beschreibung der Befindlichkeiten in Zeiten der Krisenbewältigung.
    Die implizite Aufforderung zur intendierten Rückkehr zu mehr Spontaneität durchbricht aber das Konzept der Spontaneität. Mit Hayek ist außerdem zu bedenken, dass er sowohl Taxis als auch Kosmos als Ergebnis- und nicht als Prozesskategorien gesehen hat. Betrachtet man eine Wirtschaftsordnung dagegen auf ihrem evolutorischen Entwicklungspfad, kann auf dem Wege sich spontan durchsetzender Regeln sowohl eine stärker geplante Ordnung als auch eine weniger geplante entstehen. Das Kriterium für ihre Güte wäre – mit Hayek – ihre zeitweilige oder dauerhafte Viabilität, die sich eben nicht voraussehen lässt, auch nicht von jenen, die zu „wissen“ meinen, dass mehr Markt oder bessere Ordnungsregeln stets auf den Pfad der Tugend führen.

  10. Die Realität als Mischung von Strukturen zu betrachten, die durch solche idealtypischen Begriffe wie „Taxis“ und „Kosmos“ klassifiziert werden, um dann eine konkrete Situation auf dem Spektrum jener Extreme zu lokalisieren, ist der analytische Ansatz des Beitrages von Schnabl und Urbansky. Auf dieser Grundlage soll die These plausibel gemacht werden, dass sich (zumindest) Europa auf dem Weg zu einem Mehr an staatlichen (geplanten) Strukturen befindet. (Die Konservativen der Vereinigten Staaten behaupten dasselbe für ihr Land.) Hayek nannte das den Weg in die Knechtschaft. Mit Blick auf ACTA und andere Planungen könnte man schon dieser Meinung sein. In Bezug auf die europäische Wirtschaftspolitik irren die Autoren sowohl grundsätzlich als auch in ihrer Situationseinschätzung.

    (i) Es ist eine typisch wirtschaftspolitische Illusion, dass die geplante Ordnung den Rahmen für die spontane Ordnung darstellt. Geplante Ordnungen sind nichts als Inseln im Meer spontaner Ordnungen, die man heutzutage auf wissenschaftlichem Niveau mit Hilfe der Chaostheorie beschreibt.
    (ii) Geplante Ordnungen sind für uns Menschen (über-) lebenswichtig. Deshalb versuchen wir, im Kosmos unsere Ordnungen zu etablieren, was allerdings immer nur partiell und zeitweilig gelingt.
    (iii) Gegenwärtig versuchen die Leader der europäischen Staaten verzweifelt, eine geplante und bereits installierte Ordnung aufrecht zu erhalten. Ob es ihnen gelingt, bleibt abzuwarten.
    (iv) Bezogen auf Europa ist es also so, dass die von zahlreichen Staaten errichtete Ordnung durch die Finazmärkte absichtlich oder spontan (wer weiß das schon so genau?) im Kernbereich angegriffen und teilweise zerstört wurde. Europa versucht, verloren gegangene Positionen im Interesse der Gemeinschaft und der globalen Wirtschaft wieder zu erlangen. Vorerst ist die Situation also durch kein Mehr, sondern durch ein Weniger an staatlich etablierter Ordnung gekennzeichnet.

    Den Finanzmärkten diese Möglichkeit, auf die europäischen Staaten einzuwirken, einzuräumen, war kein Fehler, sondern ein absichtlich installiertes Strukturelement, das beibehalten werden muss (und – deutet man Merkels Strategie richtig – beibehalten werden soll): In Anbetracht der politischen Schwierigkeiten, souveräne Staaten zu einer „vernünftigen“ Haushaltspolitik zu bewegen, muss diese Aufgabe (oder besser gesagt: Funktion) der spontanen Ordnung der Finanzmärkte überlassen bleiben.

    Zusammenfassend gesagt: Sowohl das Weltbild der Autoren (weniger das von Hayek), als auch ihre Beurteilung der Situation sind schräg; sie gehen an der Realität vorbei. Der Beitrag ist nichts weiter als Teil einer weltweiten Kampagne, Hayek gegen Keynes in Stellung zu bringen – ungeachtet der theoretischen Entwicklungen und empirischen Einsichten, die im Verlauf von ca. 70 Jahren akkumuliert worden sind. Bevor man die Debatten der 30er Jahre noch einmal führt, sollte man sie zur Kenntnis nehmen. Logisch widersprüchliche Theorien wie die des Hayekschen Dreiecks – Grundlage der Überinvestitionstheorie – werden durch Zeitablauf nicht besser.

  11. Sehr geehrte Frau und Herr Quaas,
    vielen Dank für ihr Interesse an unserem Beitrag.

    Nachfolgend antworte ich auf einige Aussagen.

    An Frau Quaas

    Sie schreiben: „Hayeks Begriffe der geplanten Ordnung (Taxis) und der spontanen Ordnung (Kosmos) sind reine Denkkonstrukte, die in idealtypischer Weise gewonnen wurden und uns bestenfalls helfen können, die Realität besser zu verstehen.“

    Das sehe ich auch so. Wir setzen die Konzepte ein, weil sie helfen die Realität besser zu verstehen.

    Ihre Aussage, dass die Beziehung zwischen Staat und Markt um ein Komplementärverhältnis handelt, scheint nicht immer zu zutreffen. Ein Komplementärverhältnis liegt beispielsweise vor, wenn der Staat mittels Gerichtsbarkeit das Haftungsprinzip durchsetzt. Von einem Substitutionsverhältnis kann man z. B. sprechen, wenn der Staat einen Höchstpreis unterhalb des Marktpreises festsetzt. Die Beziehung zwischen Staat und Markt ist ambivalent.

    Außerdem schreiben Sie „Die herausgehobene Kernaussage, dass sich unsere Wirtschaftsordnung von der spontanen zur geplanten Ordnung verschoben habe, soll unabhängig vom vermeintlichen Wahrheitsgehalt dieser deskriptiven Behauptung wohl darauf hindeuten, dass etwas nicht stimme in Europa oder geändert werden müsse.“

    Richtig. Wenn man die spontane Ordnung bevorzugt, wie dies Hayek tat, sind vermehrte Staatseingriffe in Folge der Krise problematisch, weil sie zu mehr Planung führen. Hayek glaubte zudem es sei Anmaßung von Wissen Politik auf Grundlage von einfachen Kausalketten zu betreiben.

    Weiter schreiben Sie: „ Die implizite Aufforderung zur intendierten Rückkehr zu mehr Spontaneität durchbricht aber das Konzept der Spontaneität. Mit Hayek ist außerdem zu bedenken, dass er sowohl Taxis als auch Kosmos als Ergebnis- und nicht als Prozesskategorien gesehen hat.“

    Wir verwenden Kosmos und Taxis nicht als Prozesskategorie sondern als Ergebnis. Eingriffe in die Ordnung verändern das Ergebnis in die eine oder andere Richtung. Hierzu schreiben Sie an anderer Stelle: „Obwohl Ordnung in diesem Sinne also eine Ergebniskategorie darstellt, ist es von Interesse, ,wie es zu solch einer Ordnung kommt“˜ […].“ Genau das beschreiben wir im Beitrag. Wir erklären den Übergang von einer Ordnung zur anderen Ordnung als Prozess, der durch Staatseingriffe (ceteris paribus) in Gang gesetzt wird.

    An Herrn Quaas:

    Sie schreiben: „Es ist eine typisch wirtschaftspolitische Illusion, dass die geplante Ordnung den Rahmen für die spontane Ordnung darstellt. Geplante Ordnungen sind nichts als Inseln im Meer spontaner Ordnungen, die man heutzutage auf wissenschaftlichem Niveau mit Hilfe der Chaostheorie beschreibt.“

    Bei Hayek entsteht die spontane Ordnung auf Basis der abstrakten Ordnung. Die abstrakte Ordnung entsteht nach Hayek großteils spontan. Sie besteht aus Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Traditionen u.a.. Der Rechtsrahmen ist bei Hayek Teil der abstrakten Ordnung. Die Politik darf dieses Rahmenwerk anpassen (siehe Antwort 1 von „Die Autoren“).

    Weiter schreiben Sie: „Bezogen auf Europa ist es also so, dass die von zahlreichen Staaten errichtete Ordnung durch die Finazmärkte absichtlich oder spontan (wer weiß das schon so genau?) im Kernbereich angegriffen und teilweise zerstört wurde. Europa versucht, verloren gegangene Positionen im Interesse der Gemeinschaft und der globalen Wirtschaft wieder zu erlangen. Vorerst ist die Situation also durch kein Mehr, sondern durch ein Weniger an staatlich etablierter Ordnung gekennzeichnet.“

    Nach Hayek ist der Euro eine geplante Ordnung. Der Euro ist durch die Krise in Bedrängnis geraten. Um die geplante Ordnung zu erhalten, haben die Staaten mit weiteren Staatseingriffen reagiert (Fiskalunion, Rettungsschirm, Rettungspakete). In „Recht, Gesetz und Freiheit“ findet sich ein passendes Zitat: „Die ,Notwendigkeiten“˜ der Politik sind im allgemeinen Folgen früherer Maßnahmen“.

    Weiter schreiben Sie: „Zusammenfassend gesagt: Sowohl das Weltbild der Autoren (weniger das von Hayek), als auch ihre Beurteilung der Situation sind schräg; sie gehen an der Realität vorbei. Der Beitrag ist nichts weiter als Teil einer weltweiten Kampagne, Hayek gegen Keynes in Stellung zu bringen – ungeachtet der theoretischen Entwicklungen und empirischen Einsichten, die im Verlauf von ca. 70 Jahren akkumuliert worden sind. Bevor man die Debatten der 30er Jahre noch einmal führt, sollte man sie zur Kenntnis nehmen. Logisch widersprüchliche Theorien wie die des Hayekschen Dreiecks – Grundlage der Überinvestitionstheorie – werden durch Zeitablauf nicht besser.“

    Hier kritisieren Sie die „Überinvestitionstheorie“ und das „Hayeksche Dreieck“. Diese sind nicht Bestandteil unseres Beitrags. Wir beziehen uns nicht auf den frühen, sondern auf den späteren Hayek. Entsprechend sind die Werke von 1973/1982 für unseren Beitrag relevant. Die Werke sind noch keine 70 Jahre alt.

    Für weitere Anregungen bin ich offen. Meine Zimmernummer lautet I238.

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