Gastbeitrag
Die CETA Ratifizierung: Eine Achterbahnfahrt
Zur Rolle nationaler Parlamente in der EU-Abkommenspolitik

Die Handelspolitik ist in schwieriges Fahrwasser geraten: Die Weltgemeinschaft schafft es nicht, sich in der WTO auf neue Liberalisierungsschritte und neue Regeln zu einigen, die britische Premierministerin May hat sich gerade für ein sog. „hard“-Brexit ausgesprochen und Präsident Trump droht der Welt mit protektionistischen Maßnahmen, will NAFTA neu verhandeln, hat das Trans-Pazifische Abkommen (TPP) aufgekündigt und TTIP liegt auf Eis. In dieser Situation hätte Europa eigentlich eine Riesenchance: Es könnte eine Führungsrolle bei der Aushandlung moderner, bilateraler Abkommen übernehmen und zusammen mit seinen Handelspartnern ein neues Regelwerk zur Gestaltung der Globalisierung erarbeiten. Ist Europa hierzu jedoch in der Lage?

Am 24. Januar 2017 hat der Internationale Handelsausschuss des Europäischen Parlaments CETA angenommen, das Plenum wird voraussichtlich im Februar entscheiden. Damit ist der Ratifizierungsprozess aber noch lange nicht beendet. Erinnern wir uns an das „Auf“ und „Ab“ zu CETA, das der komplizierten Annahme durch den Ministerrats am 28. Oktober 2016  mit all seinen rechtlich höchst umstrittenen Protokollerklärungen vorausging, insbesondere die Drohung des wallonischen Parlaments, mit einem Veto gegen CETA, die Einstimmigkeit im Rat zu torpedieren. Die Initiativen einiger nationaler oder regionaler Parlamente, die darauf abzielen, am Ende des Abstimmungsprozedere bei Handelsabkommen verstärkt einzugreifen, stellen einen Rückschritt dar, auch wenn die im Dezember 2016 verabschiedet Namur Erklärung – unterzeichnet von 40 Wissenschaftlern – uns davon zu überzeugen versucht, dass dieser Prozess einen Fortschritt darstellt.

Die Position der EU in internationalen Beziehungen wird geschwächt und die Entscheidungsfindung wird unnötigerweise verzögert und verkompliziert. Denn ein solch gezwungenermaßen „einheitliches“ Handeln bei so vielen Akteuren erlaubt es einzelnen lokalen Interessen, gegen die Interessen aller anderen EU-Bürger ein Veto einzulegen, und zwar selbst in den Bereichen, in denen die EU-Mitgliedstaaten sich zu einem gemeinsamen Handeln entschieden haben. Mehr noch, diese Versuche unterminieren die Rolle des Europäischen Parlaments und schwächen damit die demokratische Legitimität auf EU-Ebene.

Die Namur Erklärung enthält keine Aussage zur ausschließlichen Kompetenz der EU im Bereich der internationalen Handelspolitik, die mit dem Abstimmungsmodus der qualifizierten Mehrheit im Rat verknüpft ist. Es sind neben dem Europäischen Parlament eben die Mitgliedstaaten, die auch in Bereichen ausschließlicher Kompetenz in Brüssel entscheiden und genau in diesem Kontext definiert sich die Rolle nationaler oder regionaler Parlamente im Brüsseler Entscheidungsfindungsprozess. Nationale oder je nach Verfassungslage regionale Parlamente sollten während des gesamten EU-Verhandlungsprozesses zu internationalen Abkommen – und zwar sowohl bei „EU-only“ als auch bei gemischte Abkommen – in allen Phasen der Verhandlungen über ihre Regierungen Einfluss nehmen und die Regierungen zur Verantwortung ziehen. Sie können und sollen die Rolle des Europäischen Parlaments aber nicht ersetzen, sondern sollen „aktiv zur guten Arbeitsweise der Union beitragen“. Leider schöpfen die nationalen Parlamente diese Möglichkeiten nicht in vollem Maße aus. Bei einer Anhörung im wallonischen Parlament im Februar 2016 waren die Experten bedauerlicherweise der Ansicht, dass nationale Parlamente nach Erteilung des Verhandlungsmandats an die Kommission wenig Einfluss nehmen könnten. Gerade am Beispiel von TTIP wird deutlich, wie sehr die Kommission und die Mitgliedstaaten Rücksicht auf politische Entwicklungen nehmen müssen, auch nach der erfolgten Erteilung des Mandats. Natürlich muss die Kommission die Mitgliedstaaten und diese wiederum ihre nationalen oder regionalen Parlamente über die Verhandlungen regelmäßig informieren. Dies ist kein mühsames Unterfangen, wie die Experten in der Anhörung meinten, sondern eigentlich der in der Praxis übliche Benchmark, wie er in der Rahmenvereinbarung zwischen Europäischer Kommission und Europäischem Parlament zum Ausdruck kommt. Ich denke, dass nationale Parlamente von ihrer Regierung erwarten können, dass sie voll umfänglich und unmittelbar informiert werden und dass diese deren Kommentare in ihren Positionen gegenüber Brüssel vertreten. Auch hier ist die Praxis verbesserungsbedürftig, wie ein Beispiel aus Frankreich zeigt. Das französische Parlament klagte über die mangelnde Informationen TTIP betreffend und wie sich herausstellte, hatte die französische Regierung die erhaltenen Informationen von der Kommission nicht an das Parlament weitergegeben.

In der Erklärung Gemeinsam Handeln bringen über 60 Wissenschaftler aus mehr als 15 europäischen Ländern ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass es einer noch kritischeren Reflexion für eine stärkere und weniger komplexe EU bedarf mit einer effizienteren demokratischen Kontrolle und besserem Zugang seitens der Bürger. Sie machen hierzu fünf konkrete Vorschläge:

  • Abkommen über Bereiche, die unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, sollten deutlich von sogenannten gemischten Abkommen abgegrenzt werden, die Bereiche betreffen, in denen sich sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit teilen. Für jeden Abkommenstyp sollte es eigene Unterzeichnungs- und Ratifizierungsprozesse geben. Abkommen, die hauptsächlich Bereiche betreffen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, sollten nicht künstlich zu „gemischten“ Abkommen gemacht werden. Das Urteil des Gerichtshofes zum EU-Singapur-Vertrag (2/15) wird die Richtung vorgeben.
  • Bei beiden Abkommenstypen wäre mehr Engagement seitens nationaler als auch regionaler Parlamente hinsichtlich der Positionen ihrer nationalen Regierungen wünschenswert. Bei internationalen Abkommen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen – zumal sich dieser Bereich stark ausgedehnt hat – sollten sich nationale und regionale Parlamente mehr mit den Positionen ihrer Regierungen in den EU-Institutionen auseinandersetzen, insbesondere im Ministerrat (hinsichtlich Verhandlungen, Unterzeichnung, vorläufiger Anwendung und letztendliche Ratifizierung internationaler Handelsabkommen). Selbstverständlich sollten nationale Regierungen ausreichende Diskussionen sicherstellen und die notwendigen Informationen, die sie von der Europäischen Kommission bekommen, an ihre Parlamente weitergeben.
  • Da das Europäische Parlament die Bürger der Union vertritt, hat dieses Parlament den Auftrag, die Entscheidungsfindung über die internationale Handelspolitik der EU auf europäischer Ebene zu prüfen und zu diskutieren. Es sollte seine Zustimmung zu Handelsabkommen auf der Grundlage seiner Auffassungen über europäische Interessen und Werten geben oder verweigern.
  • Alle EU-Institutionen sollten hinsichtlich der von ihnen mit der internationalen Handelspolitik der EU verfolgten Ziele transparent sein, wozu auch ihre Positionen gegenüber internationalen Handelspartner gehören.
  • Alle privaten Beteiligten (nicht nur ausländische Investoren) sollten Zugang zu effizienten Überwachungsmechanismen hinsichtlich der Einhaltung der Pflichten der Unterzeichnerstaaten aus diesen internationalen Handelsabkommen haben (einschließlich der Verpflichtungen zu Nachhaltigkeit, Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsschutz).

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