Im aufziehenden Bundestagswahlkampf streiten viele Sozialpolitiker für armutsfeste gesetzliche Renten. Kritik entzündet sich dabei primär am sinkenden Rentenniveau, das immer mehr Ältere in die Armut treibe. Die Protagonisten fordern deswegen eine neue, höhere Haltelinie für das Rentenniveau. Zudem plädieren viele dafür, die Renten langjährig versicherter Geringverdiener aufzustocken. Altersarmut ist aber kein aktuelles Problem. Und auch für die Zukunft gehen die Forderungen fehl.
Zwar ist das Rentenniveau – also die Rente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Versicherungsjahren gemessen am durchschnittlichen Erwerbseinkommen – als Folge der Reformen der vergangenen Dekade von 53% im Jahr 2002 auf derzeit 48,2% gesunken. Nach Angaben der Bundesregierung wird es bis 2030 weiter auf 44,5% fallen und könnte danach sogar die derzeit geltende Haltelinie von 43% unterschreiten – freilich nur, wenn der vereinbarte Anstieg des Rentenalters und entsprechend längere Beitragszeiten ignoriert werden.1 Gleichwohl ist die Furcht vor massenhafter Altersarmut eine Chimäre. Von weit verbreiteter Altersarmut kann derzeit nicht die Rede sein. Vielmehr profitieren insbesondere auch die Rentner von der günstigen Entwicklung der deutschen Wirtschaft.
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Das belegen aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes zur bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter. Die Zahl der älteren Menschen jenseits des Rentenalters, die Leistungen der Existenzsicherung beanspruchen, ist 2016 um 2% auf 526.000 zurückgegangen. Das reflektiert wesentlich den kräftigen Aufschlag bei den gesetzlichen Renten um 4,25% und 5,95% in West- bzw. Ostdeutschland. Und auch in diesem Jahr kommt die anhaltend günstige Arbeitsmarktlage den Rentnern durch Rentenerhöhungen (zum 1. Juli) von 1,9% bzw. 3,59% in den neuen Bundesländern zugute. Das wird die Einkommenssituation der Rentner erneut verbessern und den Bedarf an subsidiärer staatlicher Hilfe mindern.
Richtig ist, dass sich die Zahl der Empfänger der Grundsicherung im Alter seit 2003 verdoppelt hat. Gleichwohl ist Altersarmut kein Massenphänomen, insbesondere nicht unter Rentnern. So erhielten 2015 nur 2,5% der Rentner Grundsicherung im Alter, während der entsprechende Anteil unter den Älteren insgesamt zuletzt bei rund 3% lag. Beide Werte liegen damit deutlich unter dem Anteil der Leistungsempfänger an der Bevölkerung insgesamt von rd. 9%.
Kritiker verweisen häufig auch auf die Armutsgefährdungsquote, die seit 2005 von 13,4% auf 16,5% 2015 gestiegen ist. Damit liegt die Quote in Deutschland seit einigen Jahren über dem Durchschnitt in der EU. Die Armutsgefährdungsquote stellt nicht auf die Bedürftigkeit einer Person ab und lässt damit etwa Vermögen außer Acht, sondern auf die relative Einkommensposition. Statistiker messen diese anhand des sogenannten Äquivalenzeinkommens.2 Als armutsgefährdet gelten demnach Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60% des mittleren Wertes (Median) beträgt. Auch nach diesem Indikator sind Ältere in Deutschland weniger armutsgefährdet als die Bevölkerung insgesamt (16,7%). Zudem sinkt die Quote deutlich auf 9% (gegenüber 10,2% in der Gesamtbevölkerung), wenn man den 50%-Median als Maßstab anlegt. Und der Anstieg der Quote in den vergangenen Jahren reflektiert u.a. den positiven Trend bei den Erwerbseinkommen.
Auch für die Zukunft wäre es verfehlt, aus dem sinkenden Rentenniveau unmittelbar auf rapide steigende Altersarmut zu schließen. Der Rückgang des Rentenniveaus bedeutet ja nicht, dass die Renten sinken werden. Das ist per Gesetz grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr könnten jüngsten Angaben der Deutschen Rentenversicherung zufolge die Renten bis 2030 im Durchschnitt um 2% pro Jahr steigen. Allerdings werden die Renten mit dem Anstieg der Löhne nicht Schritt halten können. Das ist aber vom Gesetzgeber gewollt und erforderlich, wenn die Rentenversicherung in der alternden Bevölkerung mit steigenden Rentnerzahlen und tendenziell immer weniger Beitragszahlern nachhaltig finanzierbar bleiben soll. Die Alternativen hießen kräftig steigende Sozialbeiträge und/oder weiter wachsende Zuschüsse des Bundes – also höhere Steuern. Es war bislang weithin Konsens, dass dies den Aktiven, insbesondere der jüngeren Generation, nicht zugemutet werden sollte und ihr auch nicht auferlegt werden kann, ohne ihre Leistungsmotivation, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Beschäftigung insgesamt zu gefährden. Der gute Lauf der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahren hat an diesen Schlussfolgerungen nichts geändert. Im Gegenteil. Er kann als Beleg für die positiven Effekte der Reformpolitik der vergangenen Dekade dienen. Das spricht eindeutig dafür, an dieser Politik festzuhalten.
Wegen des demografischen Wandels kann die gesetzliche Rente längerfristig nur ein – am früheren Erwerbseinkommen orientiertes – Basiseinkommen bieten. Deswegen hat der Gesetzgeber seit 2002 auch vielfältige Maßnahmen zum Auf- und Ausbau der betrieblichen und der individuellen Altersvorsorge auf die Schiene gesetzt. Allerdings stagniert die Verbreitung der privaten Vorsorge seit einigen Jahren – unter anderem als Folge des Niedrigzinsumfeldes, unter dem insbesondere Rendite und Attraktivität stark regulierter Produkte der Riester-Rente leiden. Zu Recht hat die Bundesregierung deshalb unlängst wenigstens Maßnahmen für eine weitere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung beschlossen. Hier gibt es insbesondere bei kleinen und mittleren Betrieben noch viel Nachholbedarf. So verfügen nur 28% der Beschäftigten in Klein-Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten über Anwartschaften auf eine Betriebsrente. Wenn dieser Anteil dem Verbreitungsgrad von 83% in Großbetrieben angenähert werden könnte, wäre für die Zukunft schon viel gewonnen. Zudem gilt es, bei der betrieblichen Altersversorgung Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Beschäftigte ihren Vorsorgeplan frei wählen und private Anbieter auch renditestarke Vorsorgeprodukte in fairem Wettbewerb offerieren können. Freilich resultiert die unzureichende Bereitschaft zu privater Altersvorsorge in vielen Fällen auch aus Sorglosigkeit oder systematischer Geringschätzung zukünftiger Bedarfe (Zeitinkonsistenz).3 Hier könnten Opting-out-Modelle bei der betrieblichen Altersversorgung Abhilfe schaffen. Dabei werden die Mitarbeiter eines Unternehmens automatisch in einen Rentenplan aufgenommen, es sei denn, sie lehnen dies ausdrücklich ab.
Dessen ungeachtet besteht bei Personen mit geringem Einkommen und/oder (unfreiwillig) unstetiger Erwerbsbiografie offenkundig ein erhöhtes Risiko der Altersarmut. Das resultiert aus der Logik der am Arbeitseinkommen orientierten gesetzlichen Rente. Deswegen wäre es auch problematisch, hier Korrekturen innerhalb des Systems vorzunehmen, etwa die von verschiedener Seite geforderte (beitragsfinanzierte) Aufstockung geringer Renten. Vielmehr sind hier vor allem die Arbeitsmarkt- und die Sozialpolitik gefordert. Sie sollten – etwa durch Qualifizierungsmaßnahmen und/oder Betreuungsangebote für Kinder – dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit der Risikogruppen zu stärken. Auch hier wurden in den letzten Jahren bereits Fortschritte erzielt, auf die sich aufbauen lässt.
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1) Pimpertz, Jochen (Institut der deutschen Wirtschaft, Köln 2017). Für eine zukunftssichere Altersvorsorge. Schriftliche Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Drucksache 18/4217.
2) Dabei handelt um ein auf der Basis des Netto-Einkommens eines Haushaltes berechnetes bedarfsgewichtetes (fiktives) Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied.
3) Morgenstern, Klaus (Deutsches Institut für Altersvorsoge, 2017). Wenn die Psyche ein Schnäppchen schlägt.
Blog-Beiträge zum Thema:
Leonhard Münstermann: Mit der Deutschland-Rente gegen Altersarmut?
Norbert Berthold: 22-43-67-4: Der „Da Vinci-Code“ der Alterssicherung
2 Antworten auf „Gastbeitrag
Altersarmut
Kein Anlass für rückwärtsgerichtete Rentenpolitik“