Strafprozeßverfahren können mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Beschuldigten gegen eine Geldauflage eingestellt werden. Oftmals macht die Justiz davon Gebrauch. Die Geldauflagen können dann der Staatskasse oder einer als gemeinnützig anerkannten Organisation, die sich in eine Liste des jeweiligen Landesjustizministeriums eintragen lassen muß, zukommen. Im wesentlichen obliegt es den Richtern, welche Organisation auf der betreffenden Liste in den Genuß einer Zuweisung kommt. Dabei scheint es sich bundesweit um eine Summe in einer Größenordnung von etwa einhundert Millionen zu handeln (Sachse 2014).
Die Auswahl des Zuweisungsempfängers scheint dabei manchmal nach bemerkenswerten Kriterien zu erfolgen, so daß oftmals bestimmte Organisationen aus nicht objektiv nachvollziehbaren Gründen begünstigt werden und insbesondere die wie auch immer gearteten Präferenzen des Richters hierbei eine erhebliche Rolle spielen (Miekisch & Brand 2016). Insgesamt erscheint die Verteilung dieser Zuweisungen als wenig transparent. Da den Richtern hierbei erhebliche Ermessensspielräume eingerichtet werden, ist es nur folgerichtig, daß sich findige Unternehmer darauf spezialisiert haben, bei einer derartigen Form von Fundraising den als gemeinnützig anerkannten Organisationen behilflich zu sein.
Aus ökonomischer Sicht liegt hier ein typisches Principal-Agent-Problem vor: Die jeweilige oberste Justizbehörde als Principal weist den Agenten – hier den Richtern – Kompetenzen zu, die diese weitgehend nach eigenem Ermessen ausfüllen können. Somit entsteht ein diskretionärer Handlungsspielraum auf Ebene der Richter. Dieser kann in einem Sinne ausgefüllt werden, der nicht unbedingt dem Willen des Principals entspricht. Die ökonomische Theorie bietet zur Lösung des Problems eine Handvoll Ansätze an: So können durch Anreizsysteme die Zielsetzungen des Agenten mit denen des Principals synchronisiert werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, Kontrollmechanismen einzuführen. Und schließlich bleibt als weitere Option, den Handlungsspielraum einfach zu beseitigen.
Anreiz- und Kontrollsysteme müssen vor allem vor dem Hintergrund des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit gespiegelt werden. Während sich Anreizsysteme hier nicht unbedingt anbieten, könnten vielleicht milde „Kontrollsysteme“ etwa in Form einer erhöhten Transparenz über die Zuwendungsempfänger, ohne daß sie die eigentliche richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, eine der Zielsetzung entsprechende Wirkung entfalten. Derartige Maßnahmen werden teilweise bereits eingesetzt; ihr Erfolg ist aber wohl eher als zurückhaltend einzustufen.
Sinnvoller scheint jedoch die Beseitigung dieses diskretionären Verhaltensspielraums zu sein. In Hamburg etwa wurde ein Sammelfonds eingerichtet, in den sämtliche Hamburger Geldauflagen einfließen und der dann durch ein Gremium, in dem Vertreter der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft und der Justizbehörde sitzen (Miekisch & Brand 2016). Hier stellt sich gleichwohl die Frage, ob auch bei einem derartigen Verteilungssystem nicht insbesondere größere Organisationen überproportional (was das auch immer in diesem Kontext bedeuten mag) profitieren.
Als sinnvollste Alternative erscheint hier doch wohl, die Geldauflagen direkt dem betreffenden Länderhaushalt zukommen zu lassen. Der diskretionäre Handlungsspielraum würde damit vollständig beseitigt und die Gelder über ein demokratisch legitimiertes Verfahren verteilt. Entweder würden damit die Steuerzahler entlastet oder aber entsprechende Staatsaufgaben würden von diesen Beträgen wahrgenommen. Freilich muß man eingestehen, daß die Auswahl der zu produzierenden Staatsleistungen ebenfalls nicht immer nach transparenten Kriterien erfolgt.
Literatur:
Andreas Miekisch und Carola Brand (2016), Eine Frage der Gerechtigkeit: Wie Richter und Staatsanwälte mit Bußgeldern umgehen, Zugriff am 24. April 2017 unter: http://www.br.de/nachrichten/bussgeld-justiz-bayern-100.html
Sachse, J. (2014), Spendengerichte: Wie Richter und Staatsanwälte alljährlich Millionen fast ohne Kontrolle verteilen, Zugriff am 24. April 2017 unter: https://correctiv.org/recherchen/spendengerichte/story/
o. V. (2014), Verdacht auf Parteilichkeit und Vetternwirtschaft bei Bußgeldvergabe, Zugriff am 24. April 2017 unter: http://www.swr.de/report/presse/parteilichkeit-bussgeldvergabe/-/id=1197424/did=12977266/nid=1197424/saa7wj/
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