Am 30. Oktober 2016 unterzeichneten die Europäische Union (EU) und Kanada das Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit dem Ziel, eine der größten Freihandelszonen der Welt zu schaffen. Nachdem es in diesem Frühjahr alle parlaÂmentarischen Hürden genommen hat, kann es im Sommer 2017 vorläufig in Kraft treten.[1] Neben dem fast kompletÂten Abbau von Zöllen und einem verbesserten InvestiÂtionsschutz sieht das 1600-seitige CETA-Abkommen vor allem die Reduzierung von nicht-tarifären HandelsÂschranken vor: Eine Angleichung von Normen und StanÂdards in möglichst vielen Bereichen, ein vereinfachter Marktzugang ausländischer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen, sowie die Etablierung handelsfördernder Regeln und Prinzipien. Kritiker befürchten, dass durch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse EU-Standards in Bereichen wie Sicherheit und Verbraucherschutz abgeÂsenkt werden.
Nicht-tarifäre Handelshemmnisse bremsen Freihandel
Nicht-tarifäre Handelshemmnisse haben nach ErkenntnisÂsen der WTO in den zurückliegenden Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen und drohen den Freihandel immer stärker einzuschränken. Dabei ist zwischen MaßÂnahmen zu unterscheiden, die das primäre Ziel einer Handelsbeschränkung verfolgen und Regelungen, die ein legitimes Mittel zur Erreichung politischer Ziele in BereiÂchen wie Umwelt- und Verbraucherschutz sind. Zur ersÂten Kategorie gehören Regelungen, die an die Herkunft oder das Ziel eines Produktes anknüpfen: MengenbeÂschränkungen, Lizensierungen oder Steuervorteile bzw. finanzielle Zuschüsse für inländische Unternehmen. SolÂche staatlichen Maßnahmen sind aus ökonomischer Sicht negativ zu beurteilen und abzulehnen, da sie eine subopÂtimale Verteilung von Ressourcen und damit negative Wachstumseffekte bewirken.
Hiervon zu unterscheiden sind nicht-tarifäre HandelsÂhemmnisse in Form unterschiedlicher Regulierungen zur Durchsetzung nationaler Präferenzen. Hierzu zählen sowohl technische Standards als auch Maßnahmen zum ArÂbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz. Beide werden in jüngsÂter Zeit von Staaten zunehmend ergriffen. Da auch von solchen Maßnahmen eine handelsbeschränkenÂde Wirkung ausgeht, ist oft nicht klar, ob sie aus legitiÂmen oder protektionistischen Beweggründen eingesetzt werden. Sie stellen jedenfalls zusätzliche Kosten für exÂportorientierte Unternehmen dar: Diese müssen die für einzelne Märkte geltenden Regeln ermitÂteln, sie müssen entsprechende Konformitäts- oder AnerÂkennungsverfahren durchführen und ggf. ihre Waren an unterschiedliche Anforderungen anpassen. Insbesondere die Kosten doppelter Produktzulassungen und TestverfahÂren sind erheblich. Nach Schätzungen eines niederländiÂschen Instituts betragen sie bei der Einfuhr in die EU durchschnittlich 21,5 Prozent der Gesamtkosten. Darüber hinaus schränken nicht-tarifäre Handelshemmnisse den Wettbewerb zwiÂschen Unternehmen auf den heimischen Märkten ein, was seinerseits höhere Kosten und damit höhere Preise für Konsumenten bewirkt. Erstens werden infolge eingeÂschränkter Konkurrenz Monopolaufschläge von Firmen möglich. Zweitens führen abgeschottete Märkte zu einer geringeren Innovationsdynamik und einer verzögerten Verbreitung technischen Wissens.
Regulierungen und Standards werden angeglichen
Soll der Marktzugang durch Handelsabkommen erleichÂtert werden, muss ein Weg gefunden werden, wie auch weiterhin legitime Regulierungsmaßnahmen ergriffen werden können, ohne dass von ihnen eine handelsbeÂschränkende Wirkung ausgeht. Hier bieten sich zwei AlÂternativen an: Eine Harmonisierung von Regeln und Standards oder deren gegenseitige Anerkennung.
Das CETA-Abkommen sieht einen Mittelweg vor, indem die EU und Kanada so genannte „KonformitätsbescheiniÂgungen“ der jeweils anderen Seite akzeptieren: In den Bereichen Elektrogeräte, Spielzeug, Maschinen und Messgeräte soll zukünftig eine EU-KonformitätsÂbeÂwertungsstelle EU-Erzeugnisse, die für die Ausfuhr nach Kanada bestimmt sind, unter bestimmÂten Umständen nach kanadischen Vorschriften prüfen können – und umgekehrt. Damit wird vermieden, dass beide Seiten dieselbe Prüfung vornehmen, was den UnÂternehmen erhebliche Kosteneinsparungen beschert und somit letztlich auch den Verbrauchern zugutekommt.
Für aus Verbrauchersicht sensible Produkte wie LebensÂmittel, Chemikalien und Kosmetika bleiben hingegen die Marktzulassungsbedingungen der jeweiligen VertragsÂpartner bestehen. So gelten in der Chemie-Industrie weiÂterhin unterschiedliche Meldepflichten, Grenzwerte und Zulassungsverfahren. Fracking, Hormonfleisch und genÂmanipulierte Pflanzen sind in der EU streng reguliert oder verboten. Das wird auch das Freihandelsabkommen mit Kanada nicht ändern. So kann die EU ihre restriktiveren Regelungen bei gentechnisch veränderten Produkten aufÂrechterhalten und im Bereich Lebensmittel ist explizit festgehalten, dass Kanada zukünftig europäische HerÂkunftsbezeichnungen beachten muss.
Werden neue Standards und Gesetze eingeführt, ist eine „Regulatorische Kooperation“ vorgesehen, der zufolge die EU und Kanada zukünftig bereits vor der Einführung enger zusammenarbeiten. Konkret sieht das Abkommen die Einrichtung ständiger Regulierungsräte vor, die siÂcherstellen sollen, dass von zukünftigen Regulierungen keine handelsdiskriminierenden Effekte ausgehen. Die Räte sollen zudem dazu beitragen, die EntÂwicklung und Durchsetzung von Standards weltweit voranzubringen.
Unterschiedliche Regulierungsphilosophien
Mit der Verabschiedung von CETA befürchten Gegner des Abkommens nun, dass das in der EU dominierende Vorsorgeprinzip („Better be safe than sorry“) unterminiert werde. Demnach besteht seitens der Hersteller eine Nachweispflicht für die Ungefährlichkeit eines Produktes. Erst danach wird ein Produkt von den Behörden für den Markt zugelassen. Im Gegensatz dazu herrscht in Kanada der so genannte „Science-based approach“ vor: Ein ProÂdukt gilt dort solange als unbedenklich, bis das Gegenteil bewiesen ist, wobei die Nachweispflicht für die GefährÂlichkeit bei den Behörden liegt. Erst wenn eine GefährÂdung wissenschaftlich nachgewiesen ist, wird etwas verÂboten. Im Vertrag – so die Kritiker – sei das VorsorgeprinÂzip nicht hinreichend abgesichert, mit der Folge, dass z.B. Gesundheitsschutz in der Verbraucher- und LebensmitÂtelpolitik nicht mehr durch dieses Prinzip gewährleistet sei. Die Handelspartner werden gezwungen, wechselseitig ihre Standards zu akzeptieren, was häufig zur DurchsetÂzung der jeweils schwächsten Regulierung führe. Hierzu ein Beispiel: In der EU bestehen bezüglich der KennÂzeichnungspflicht bei Lebensmitteln sehr strenge VorÂschriften, die mit dem Recht der Verbraucher nach inforÂmierten Kaufentscheidungen legitimiert werden. In KanaÂda sind diese Vorschriften weniger restriktiv. Treten euÂropäische und kanadische Anbieter infolge der gegenseiÂtigen Anerkennung von Standards miteinander in KonkurÂrenz, so entstünden Wettbewerbsnachteile für europäische Produzenten, da sie sowohl höhere Produktionskosten als auch Nachteile bei der Vermarktung hätten. Infolgedessen würde sich der Druck auf die Politik erhöhen, kostenerÂhöhende Regulierungsvorschriften abzubauen. Somit fände eine Harmonisierung auf niedrigem Niveau, ein so genanntes „race to the bottom“ statt.
Wie oben gezeigt wurde, ist allerdings eine gegenseitige Anerkennung von Standards und Regulierungen in CETA nur sehr eingeschränkt vorgesehen. Kanadische Produkte dürfen auch zukünftig nur in die EU eingeführt werden, wenn sie den europäischen Rechtsvorschriften entspreÂchen und umgekehrt gilt dasselbe. Beide Vertragsparteien behalten sich zudem das Recht vor, Bereiche von öffentÂlichem Interesse wie Umwelt, Gesundheit und Sicherheit frei zu regulieren. Somit kann die EU das Vorsorgeprinzip weiterhin anwenden. Ob dies uneingeschränkt vorteilhaft ist, ist hingegen zweifelhaft: Die Durchsetzung des Prinzips ist sehr kostspielig und kann bei enger Auslegung sogar dazu führen, dass der technologische Fortschritt gehemmt wird. Zahlreiche Innovationen der Vergangenheit hätten den im Rahmen des Vorsorgeprinzips eingeforderten Test der UnbedenkÂlichkeit nicht bestanden und wären nicht eingeführt worÂden: Flugzeuge, Impfstoffe, Antibiotika und KlimaanlaÂgen sind nur einige Beispiele.
Fazit
Das CETA-Abkommen wird über den Abbau tarifärer und vor allem nicht-tarifärer Handelshemmnisse den Handel zwischen der EU und Kanada beleben und dadurch zusätzliche Wachstums- und BeschäftigungsimÂpulse auslösen. Auch wenn der Umfang dieser Effekte wegen der eher geringen wirtschaftlichen Bedeutung KaÂnadas für die EU begrenzt sein wird, ist die BeÂdeutung dieses umfassenden Freihandelsabkommens aufgrund seines Modellcharakters nicht zu unterschätzen: Die Etablierung von Regeln und Prinzipien kann als Vorbild für weitere HanÂdelsabkommen dienen, etwa mit den USA oder China. Dass CETA automatisch zu einem Abbau von EU-Standards in den Bereichen Umwelt-, Gesundheits- oder Konsumentenschutz führt, ist nicht zu befürchten. Zum einen sind die Standards in diesen Bereichen in beiden Wirtschaftsräumen ähnlich hoch und zum anderen ist explizit vereinbart, dass die Vertragspartner auch weiterÂhin ihre diesbezüglichen Regelungen aufrechterhalten können, sofern sie dies als notwendig erachten.
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[1] Die vorläufige Anwendung der Vereinbarung ermöglicht eine An-wendung ihrer Kernsubstanz. Hiervon ausgeschlossen sind im Wesentlichen Investitionsbestimmungen. Damit CETA vollumfänglich wirksam wird, muss jeder EU-Mitgliedstaat die Vereinbarung ratifizieren.
Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 07/2017 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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