Seit Mitte 2013 verhandeln die Europäische Union und die Vereinigten Staaten über das transatlantische FreihanÂdelsabkommen TTIP. Mit dem Abkommen wird das Ziel verfolgt, die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen. Neben dem Abbau von tarifären und nicht-tarifären HanÂdelsschranken zur Verbesserung des Marktzugangs für Waren und Dienstleistungen soll auch ein umfassendes Investitionsschutzabkommen (ISA) zwischen den VerÂtragspartnern ausgehandelt werden. Demzufolge würden Streitfälle zukünftig vor einem internationalen SchiedsgeÂricht ausgetragen werden. Insbesondere Letzteres stößt in der Bevölkerung auf starken Widerstand. In einer kürzlich von der EU-Kommission durchgeführten Befragung, an der 150.000 Bürger teilnahmen, lehnten 97% die Klauseln zum Investorenschutz ab. Auch wenn die BefraÂgung nicht repräsentativ war, zeigt das Ergebnis dennoch, wie groß die Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber diesem Abkommen sind. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein solches Investitionsschutzabkommen wirklich notwendig ist. Während sich die Befürworter von einem vertragÂlichen Investorenschutz mehr Rechtssicherheit und damit eine Zunahme der Investitionstätigkeit in beiden WirtÂschaftsräumen versprechen, argumentieren die Gegner, mit einem solchen Abkommen würde eine intransparente und parallele Privatjustiz im Interesse multinationaler Unternehmen geschaffen.
Zur Bedeutung ausländischer Investitionsschutzabkommen
Im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft haben auslänÂdische Direktinvestitionen in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine enorme Bedeutung erlangt. So hatten im Jahr 2011 deutsche Unternehmen im Ausland mehr als 1,1 Bio. Euro investiert, davon 22% in den USA. Damit hat sich der Bestand gegenüber 1990 verfünffacht. UmÂgekehrt hatten die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland 2011 einen Wert von 550 Mrd. Euro. Vor dem Hintergrund vermehrter ausländischer DirektinvestiÂtionen haben auch internationale InvestitionsschutzverträÂge zunehmend an Bedeutung gewonnen. Da es für ausÂländische Direktinvestitionen – anders als für den Handel mit Gütern – kein multilaterales Regelwerk gibt, werden diesbezüglich bilaterale Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, die Investoren in der Regel vier Garantien bieten: 1) Schutz vor Diskriminierung, 2) Schutz vor kompensationsloser (auch indirekter) Enteignung, 3) Schutz vor unbilliger und ungerechter Behandlung (z. B. Zugang zum nationalen Rechtsweg) und 4) Garantie eines freien Transfers von Kapital. Die Mitgliedstaaten der EU haben bis heute 1228 solcher Verträge ausgehandelt (daÂvon Deutschland 139). Bei den meisten dieser AbkomÂmen wird Investoren explizit die Möglichkeit eingeräumt, zur Klärung von Vertragsverletzungen ein internationales Schiedsgericht anzurufen. Die Urteile sind dann endgültig und bindend. Bis 2012 gab es weltweit 514 SchiedsverÂfahren zur Schlichtung von Investitionsstreitigkeiten, davon kamen 244 Klagen (47%) aus EU-Ländern.
Einschränkung der politischen Souveränität von Rechtsstaaten
Ein wesentlicher Kritikpunkt an dem zwischen der EU und den USA geplanten ISA ist, dass hierdurch ein Rechtssystem außerhalb der Staaten geschaffen werde, das es insbesondere multinationalen Unternehmen ermögÂliche, nationale Gerichte auszuhebeln. Zudem würden durch ein solches Abkommen die Spielräume zur souveÂränen Politikgestaltung eingeschränkt. Angesichts droÂhender Schadensersatzleistungen würden Staaten deshalb von vornherein von einer restriktiven Gesetzgebung beiÂspielsweise im Bereich des Verbraucherschutzes Abstand nehmen. Beispielhaft wird immer wieder die vor zwei Jahren eingereichte Klage von Vattenfall gegen DeutschÂland zitiert. Es wird befürchtet, dass Deutschland SchaÂdensersatz für entgangene Gewinne aus Atomkraftwerken leisten muss, weil es seine Energiepolitik geändert hat. Unbestritten ist, dass ein ISA die Souveränität der VerÂtragspartner einschränkt. Dies ist allerdings kaum überraÂschend: Jeder völkerrechtliche Vertrag reduziert die Handlungsfähigkeit der beteiligten Staaten, denn es ist das Ziel eines solchen Vertrags, die Vertragsparteien zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten. So gesehen führt ein ISA zu einer gewünschten Verrechtlichung inÂternationaler Beziehungen: Konflikte sind im Rahmen rechtlicher Regelungen auszutragen, nicht durch politiÂsche oder sonstige Instrumente. Ein Blick auf die bis 2012 vor internationalen Schiedsgerichten abgeschlossenen 244 Fälle zeigt dabei, dass die Klagen der Investoren meistens abgewiesen wurden: 42% wurden zugunsten der Staaten abgeschlossen, 31% zugunsten der Investoren und 27% der Streitfälle wurden beigelegt. Dennoch stellt sich die Frage, warum die Aufnahme von Investitionsschutzregeln in ein Freihandelsabkommen zwischen funktionierenden „Rechtsstaaten“ erforderlich ist. Die ursprüngliche Intention von ISA bestand darin, Investoren vor willkürlichen Maßnahmen in solchen StaaÂten zu schützen, in denen keine Rechtsstaatlichkeit geÂwährleistet ist oder war, da insbesondere die UnabÂhängigkeit der Gerichte nicht gegeben ist (so das erste Abkommen Deutschlands mit Pakistan aus dem Jahr 1959). Sowohl in der EU als auch in den USA sind ausÂländische Investoren allerdings wohl auch ohne ISA hinÂlänglich vor staatlicher Willkür geschützt.
Warum ein Investitionsschutzabkommen dennoch wünschenswert ist
Mag dies grundsätzlich der Fall sein, so sprechen denÂnoch drei Argumente dafür, ein ISA zwischen der EU und den USA zu vereinbaren. Zum einen ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass ausländische Investoren in dem eiÂnen oder anderen Mitgliedsstaat der EU bzw. Bundesstaat der USA im Einzelfall doch politischen Risiken ausgeÂsetzt sind. Dies gilt insbesondere für DiskriminierungsÂfälle. Unternehmen befürchten, dass nationale Gerichte im Zweifel dazu neigen, zu Gunsten des Staates zu entÂscheiden. Zum zweiten besteht ein wesentliches Element von ISA gerade darin, die natürlichen Nachteile auslänÂdischer Investoren zu kompensieren. Um ausländische Direktinvestitionen zu fördern, wird Unternehmen, die in anderen Ländern investieren, bewusst die Möglichkeit eingeräumt, internationale Schiedsgerichte anrufen zu können. Weitere Nachteile, die darin beÂstehen, dass ausländische Investoren mit den nationalen Eigenheiten weniger vertraut sind als inländische Firmen, werden dadurch ausgeglichen. Drittens kommt einem Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und den USA eine hohe Signalwirkung zu. Es kann als Vorlage für ähnliche Abkommen mit anderen Ländern dienen. Würde man hingegen den Investorenschutz aus den TTIP-Verhandlungen streichen, stände die EU international vor einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem. Länder, mit denen Deutschland bereits ein Investitionsabkommen geschlossen hat, könnten dies zum Anlass nehmen, diese Abkommen aufzukündigen. Warum sollten sie sich einer privaten Schiedsgerichtbarkeit unterwerfen, wenn die EU-Staaten nicht bereit sind, Unternehmen aus den USA, dem wichtigsten Handelspartner der EU, genauso zu schützen?
Anforderungen an ein Investitionsschutzabkommen mit den USA
Unbestritten ist, dass ausländische Investitionen im ZeitÂalter der Globalisierung einen angemessenen Schutz benötigen und vor staatlicher Willkür geschützt werden müssen. In einem Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und den USA sollten vor allem diese Bereiche klar geregelt werden. Um zu verhindern, dass UnternehÂmen juristische Schlupflöcher nutzen, um ungerechtfertigÂte Klagen gegen Regierungen zu konstruieren, müssen allerdings umgekehrt auch eindeutige InvestitionsschutzÂregeln definiert werden. Eine „faire und gerechte BehandÂlung“ und „indirekte Enteignung“ lassen viel Spielraum für Interpretation. Hier ist einem Missbrauch durch präziÂse Formulierungen vorzubeugen. Gelingt dies, werden auch die Spielräume zur souveränen Politikgestaltung nicht eingeschränkt. Um dies sicherzuÂstellen, muss zusätzlich das Recht von Staaten hervorÂgehoben werden, Gesetze im öffentlichen Interesse (wie z. B. den Schutz von Umwelt, Gesundheit und VerbrauÂchern) zu erlassen, die natürlich auch Einfluss auf die Rentabilität der Investitionen nehmen können. Eventuell wäre es hilfreich, hier klare Verfahrensregeln, Fristen und Prüfkriterien zu vereinbaren. Weiterhin sollte die Transparenz des SchiedsgerichtsverÂfahrens gewährleistet werden. Dies impliziert ein transpaÂrentes Auswahlverfahren der Richter (Richter treten auch als Kläger und Verteidiger auf, was zu InteressenkonflikÂten führen kann), die Veröffentlichung von Dokumenten und den Zugang zu Anhörungen. Auch Informationen über eingeleitete Verfahren, Kläger, Investitionen und Ausgang der Verfahren sollten der Öffentlichkeit zugängÂlich gemacht werden. Schließlich sollte für EntscheiÂdungen der Schiedsgerichte eine Berufungsinstanz eingeÂrichtet werden.
Fazit
Die Aufnahme eines Investitionsschutzkapitels in ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ist aus drei Gründen unbedingt zu empfehlen: Um vor DisÂkriminierung zu schützen, um ausländischen Investoren mehr Rechtssicherheit zu geben und vor allem, um ein modernes Investitionsschutzabkommen mit VorbildfunkÂtion für andere Abkommen zu schaffen. Dies bedeutet keineswegs, dass Staaten nicht mehr ihre legitimen InteÂressen im Hinblick auf politische Gestaltungsspielräume durchsetzen können. Ein Scheitern der TTIP-Verhandlungen am Investorenschutz würde hingegen nicht nur einen politischen Schaden hinterlassen. InsbeÂsondere für Europa mit seinem ohnehin geringen WirtÂschaftswachstum wäre auch der wirtschaftliche Schaden hoch.
Hinweis: Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 02/2015 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
- Ordnungspolitischer Kommentar
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2 Antworten auf „Ja zu TTIP (1)
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