Hebammen, Hausgeburten und staatlicher Handlungsbedarf

Zu den Leistungen von Hebammen gehören im wesentlichen

  • die Schwangerenvorsorge,
  • die Geburtshilfe und
  • die Wochenbettbetreuung.

Dabei nimmt die Geburtshilfe einen besonderen Stellenwert ein. Die Geburt selbst kann wieder kann als

  • Geburt in der Klinik,
  • Geburt im Geburtshaus,
  • als ambulante Geburt oder als
  • Hausgeburt

durchgeführt werden. Gegenwärtig werden in Deutschland über 98 Prozent aller Kinder (2014 waren dies etwa 717.000) in Kliniken und etwa 0,5 Prozent zuhause geboren (GKV-Spitzenverband 2017). Die Anzahl der Hausgeburten scheint seit Jahren stabil um die 10.000 Geburten zu liegen (QUAG 2017; o.V. 2013).

Dabei ist bei jeder Geburt gem. § 4 Abs. 1 eine Hebamme hinzuziehen. Von den etwa 24.000 in Deutschland vorhandenen Hebammen sind etwa 18.000 freiberuflich tätig.

Die gegenwärtige Entwicklung bei den Prämien der zur Ausübung einer derartigen Tätigkeit notwendigen Berufshaftpflichtversicherung insbesondere, wenn die Leistung Geburtshilfe mit abgedeckt werden soll, scheint die Freiberuflichkeit und damit vor allem die Alternative Hausgeburt zunehmend unattraktiv zu machen.

Diesen Sachverhalt und einen etwaigen staatlichen Handlungsbedarf wollen wir hier etwas weiter nachgehen.

Freiberufliche Hebammen erhalten eine Vergütung, die zwischen den Berufsverbänden der Hebammen und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt und in einer sog. Hebammen-Vergütungsvereinbarung dokumentiert wird. Es handelt sich dabei um das im deutschen GKV-System übliche korporative Verhandlungsdesign. Dabei gestalteten sich die letzten Verhandlungen vor allem in Hinblick auf die Höhe der Vergütung und die Qualitätskriterien bei Hausgeburten (hier sollen ähnliche Kriterien wie bei Geburten in Geburtshäusern angelegt werden) als sehr schwierig. Ergebnis ist der Vertrag nach § 134a Abs. 1 SGB V in der Fassung des Schiedsspruches 2015. Dieser sieht u.a. einen Ausgleich der Haftpflichtkostensteigerung insbesondere für Geburtshebammen vor (Anlage 1.3 resp. Anlage 1.4).

Grund für die Aufnahme dieses Vergütungselements waren die Steigerungen der Prämien in der Berufshaftpflicht (insofern die Geburtshilfe mit abgedeckt wird) in den letzten Jahren. So lag die Prämie bis zum 30. Juni 2017 für freiberufliche Hebammen bei 6.843 Euro p.a. und erhöhte sich mit dem 1. Juli 2017 auf 7.639 Euro p. a. Die jährlichen Steigerungsraten der Beiträge, die sich angeblich auf etwa 20% belaufen, werden von den Versicherungen mit erhöhten Schadenssummen begründet. Tatsächlich scheinen sich zunehmend Versicherungen aus diesem eher engen Markt zurückzuziehen, so daß hier Prämien durchgesetzt werden können, die bei einer höheren Wettbewerbsintensität nicht erzielbar wären.

Im Hinblick auf die Qualität der Leistung sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: So hat die Hausgeburt sicherlich den Vorteil, daß die Geburt in einer gewohnten Umgebung und im Rahmen vertrauter Personen (hier zuvorderst der Hebamme) stattfinden kann. Was die Qualität der Versorgung angeht, sind die Ergebnisse der vorliegenden Studien widersprüchlich: So zeigen z. B. Crespigny & Savulescu (2014) in ihrer Metastudie, die auf einer überschaubaren Anzahl von Einzelstudien basiert, eine erheblich höhere Mortalität und eine verzögerte Diagnosestellung bei Hypoxie, Azidose und Asphyxie auf. Hingegen treten bei Hausgeburten Kaiserschnitte wesentlich seltener auf. Eine Studie der Cochrane Collaboration (Olsen & Clausen 2013) wiederum läßt den Schluß zu, daß die Outcome-Qualität von Klinikgeburten ähnlich der von Hausgeburten ist, bei Klinikgeburten allerdings häufiger Komplikationen und Intervention auftreten.

Damit läßt sich die Situation wie folgt umreißen: Die werdende Mutter kann zwischen den verschiedenen Geburtsalternativen mit unterschiedlichen Qualitätsausprägungen auswählen, wobei aufgrund der steigenden Haftpflichtversicherungsprämien und der von den Hebammenverbänden als unzureichend beklagten Vergütung das Geschäftsmodell der freiberuflichen Hebamme und damit die Hausgeburt zunehmend infrage gestellt wird.

Ist vor dem Hintergrund ein staatlicher Handlungsbedarf indiziert?

Das GKV-System basiert – wie oben bereits angedeutet – auf korporativen Verhandlungsmechanismen; der Gesetzgeber gibt hier lediglich die Rahmenordnung vor, wobei diese Rahmenordnung eine Vielzahl interventionistischer Elemente etwa bei der Preissetzung vorsieht. Eine aus ordnungsökonomischer Sicht akzeptable Lösung sollte die Wahlfreiheit der werdenden Mutter gewährleisten und damit den Wettbewerb zwischen den hierbei relevanten Leistungserbringern aufrechterhalten. Zudem ist zu beachten, daß die Hebamme sowohl auf einem wichtigen Beschaffungsmarkt – den Markt für Berufshaftpflichtversicherungen – als auch auf dem Absatzmarkt – zumindest im GKV-System – gegenwärtig erheblicher Marktmacht ausgesetzt ist.

Unabhängig von ordnungsökonomischen Aspekten existieren verschiedene Ansatzpunkte einer Lösung:

  • Eine Intervention auf dem Versicherungsmarkt, um hier eine größere Anzahl von Angeboten für die Berufshaftpflichtversicherung zu erreichen und auf diese Weise den Wettbewerb zwischen den Anbietern zu stimulieren,
  • eine Beibehaltung des bisherigen Systems verbunden mit einem verbesserten Ausgleich der Prämiensteigerung durch die GKV, so daß das Geschäftsmodell der freiberuflichen Hebamme nicht infrage gestellt wird, oder
  • eine moderate Weiterentwicklung des bisherigen Systems im Sinne eines Piecemeal Engineerings (Popper 1945) in Richtung auf mehr Wahlfreiheit und Wettbewerb.

Während erstere Alternative allenfalls indirekt wirken kann und vermutlich aufgrund des eher kleinen Marktsegments wenig erfolgreich sein dürfte, zeichnet sich die zweite Alternative durch ordnungsökonomisch kaum akzeptierbare Eigenschaften aus: Sie schafft einen Bestandsschutz für ein bestimmtes Geschäftsmodell und ist im hohem Maße interventionistisch. Zudem bedarf es dabei ständiger Nachbesserungen.

Damit verbleibt als dritte Alternative die moderate Weiterentwicklung des bisherigen GKV-Systems. Hier würde sich eine Intensivierung des Kassenwettbewerbs anbieten: Analog zum Oberenderschen Zwiebelmodell (Oberender et al. 2017) wäre den Krankenkassen ein verpflichtender Regelleistungskatalog vorzugeben; beim Angebot zusätzlicher Leistungen in Form eines Wahlleistungskatalogs wären diese dann gänzlich frei. Ebenso wäre es den Kassen zu überlassen, welchen Beitragssatz sie wählen. Weitergehend könnte gleichwohl in Abhängigkeit vom durch das Mitglied zugewählten Leistungsumfang eine Differenzierung der Beiträge vorgenommen werden. Flankiert werden sollten diese Freiheitsspielräume auf dem Absatzmarkt der Krankenkassen durch die Möglichkeit des selektiven Kontrahierens: Jede Krankenkasse kann mit einzelnen Leistungserbringern direkt Verträge abschließen.

Übertragen auf die Problematik der freiberuflichen Hebammen bedeutet dies folgendes: Wenn die Versicherten ein großes Interesse an Hausgeburten haben, dann werden sie tendenziell ihre Krankenkasse im Hinblick darauf auswählen, ob diese Hausgeburten im Wahlleistungskatalog mit anbietet. Für die Krankenkasse könnte somit das Angebot von Hausgeburten im Wahlleistungskatalog einen Aktionsparameter im Wettbewerb darstellen, um Mitglieder zu attrahieren. Für die freiberuflichen Hebammen hätte das folgende Konsequenzen: Durch den intensivierten Kassenwettbewerb würde sich die Marktmacht der einzelnen Kasse reduzieren. Zudem kann die einzelne Hebammen auf die Veränderung der Rahmenbedingungen mit einer Hochqualitätsstrategie reagieren – die Krankenkasse käme somit nicht umhin, diese Hebamme unter Vertrag zu nehmen – oder indem sie sich mit anderen Hebammen zu einer Kooperation zusammenschließt und auf diese Weise ebenfalls Marktmacht aufbaut. Diese Veränderung der Rahmenbedingungen, die eine Abkehr von den korporativen Verhandlungsstrukturen bedeuten würde, würde zum einen die Wahlfreiheit aller beteiligten Akteure (der Versicherten, der Kassen, der Leistungserbringer) erhöhen, ein höheres Maß an Wettbewerb bieten und zugleich eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Versicherten gewährleisten. Außerdem würde in diesem Wettbewerb geprüft, ob das Geschäftsmodell der freiberuflichen Hebamme tragfähig ist.

Literatur

de Crespigny, L. & Savulescu. J. (2014), Homebirth and the Future Child, in: Journal of Medical Ethics, Vol. 40, pp. 807-812.

Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) (2017), Geburtszahlen in Deutschland, Zugriff am 9. Juli 2017 unter: http://www.quag.de/quag/geburtenzahlen.htm

GKV-Spitzenverband (2017), Hebammen und Geburten, Zugriff am 9. Juli 2017 unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen_hebammen/gkv_kennzahlen_hebammen_1.jsp

o.V. (2013), Hausgeburten in Deutschland, Zugriff am 9. Juli 2107 unter: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hausgeburten-in-deutschland-a-890023.html

Oberender, P., Zerth, J., Engelmann, A. (2017), Wachstumsmarkt Gesundheit, 4. Aufl., Konstanz, München.

Olsen, O., & Clausen, J. A. (2013), Planned hospital birth versus planned home birth, in: Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 11. Art. No.: CD000352.

Popper, K. R. (1945), The Open Society and its Enemies, Vol. 1, London.

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