Ordnungspolitischer Kommentar
Bessere Entscheidungen mit weniger Informationen?
Gute Verbraucherschutzpolitik sieht anders aus

Rauchen ist schädlich, keine Frage. Es lohnt sich in vielerlei Hinsicht, eher früher als später damit aufzuhören. Tabakerzeugnisse unterliegen dementsprechend einer ausge­prägten Regulierung. Unter anderem muss die Kennzeich­nung der Verpackungen von Zigaretten und ähnlichen Produk­ten vielen Vorschriften gerecht werden. Das ist beim Blick auf eine Zigaretten­schachtel leicht erkenn­bar. Die Mengen be­stimmter Be­standteile des Rauchs, die bis­lang aus­gewiesen werden muss­ten, dürfen inzwischen nicht mehr aufgedruckt werden. Es wäre bedenklich, wenn dies den Anfang einer Verbraucherschutzpolitik darstellen würde, die systematisch auf dem Verbot objek­tiver In­formationen beruht.

Das Informationsverbot soll vor Fehleinschätzungen der Gesundheitsfolgen des Rauchsens schützen.

Das Tabakerzeugnisgesetz ist im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Es stellt die Umsetzung einer Europäischen Richtlinie in deutsches Recht dar, die unter anderem die Herstellung, Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen regelt. Neben verschiedenen Kennzeichnungspflichten, wie der Vorgabe, „Schockbilder“ aufzudrucken, ergeben sich aus dem Gesetz auch Kennzeichnungsverbote. Unter anderem dür­fen gemäß Â§Â 18 Absatz 3 Satz 1 des Tabakerzeugnis­gesetzes keine Angaben über den Niko­tin-, Teer- und Kohlenmonoxid-Gehalt von Tabakerzeugnissen mehr auf die Ver­packungen gedruckt werden. Das gleiche gilt für werbliche Informationen, in denen diese Werte ebenfalls nicht mehr vorkommen dür­fen.

Gewidmet ist § 18 des Tabakerzeugnisgesetzes dem Schutz vor Täuschung. Begründet wird das genannte Verbot allerdings nicht damit, dass die Werte bislang nicht wahrheitsgemäß angegeben worden seien. Vielmehr begründen die Europäischen Kommission und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Änderung damit, dass Verbraucher dazu neigen würden, Nikotin-, Teer- und Kohlenmonoxid-Werte falsch zu interpretieren: Wenn für bestimmte Ziga­retten niedrigere Werte ausgewiesen werden, würde dies vielen Konsumenten suggerieren, die Zigaretten wären weniger gesundheitsschädlich als solche mit hohen Wer­ten. Das Verbot solle der Vermeidung dieses Trug­schlusses dienen.

Viele Raucher sind der Meinung, dass die Informationen über den Nikotin-, Teer- und Kohlenmonoxid-Gehalt durchaus einen Mehrwert haben – beispielsweise erlauben die An­gaben, den Geschmack einer Zigarette und das Gefühl beim Rauchen, also die Qualität des Raucherlebnisses, vor der Entscheidung für eine Marke bzw. Sorte besser einzuschätzen. Dementsprechend beklagt auch die Ziga­rettenindustrie das Verbot.

Zweifellos gibt es weiterhin Möglichkeiten, die Informationen in Erfahrung zu bringen – online sind die Werte beispielsweise recht schnell auffindbar. Interessanterweise sind sie nach wie vor auch auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft abrufbar. Die Informationen müssen den zuständigen Behörden von den Her­stellern beziehungs­weise Importeuren der Tabaker­zeugnisse zur Verfügung gestellt werden. Kon­sistent ist die Veröffentlichung der an ande­ren Stellen verbotenen Informationen nicht.

So oder so erscheint die Lage, in die Raucher durch das Verbot gebracht wurden, nicht allzu dramatisch und auch das Mitleid mit der Zigarettenindustrie hält sich in Grenzen. Problematisch wäre allerdings, wenn hier der Anfang einer Verbraucherschutzpolitik zu beobachten wäre, die von der Vorstellung Abstand nimmt, dass Bürger in der Lage sind, Entscheidungen in ihrem eigenen Sinne zu treffen.

Verbraucherschutzpolitik sollte zu einer besseren

Informationslage beitragen…

Der Wert von Informationen ist individuell unter­schiedlich. Individuen berücksichtigen üblicherweise nicht alle Informationen, die für ihre Entscheidungen relevant sein könnten. Stattdessen wird der vermutete Wert einer Information mit den Kosten ihrer Beschaffung und Verarbeitung abgewogen. Entsprechend wägen auch die Anbieter von Produkten ab, welche Informationen es lohnt, zur Verfügung zu stellen. Wenn die Anbieter einen Anreiz haben, Informationen nicht wahrheitsgemäß zur Verfügung zu stellen, beziehungsweise Informationen, die für die Konsumenten wichtig sind, nicht glaubhaft vermit­telt werden können, können verbraucherschutzpolitische Maßnahmen sinnvoll sein. Sie können in solchen Fällen helfen, Konsumenten vor Fehlinformationen zu schützen.

…anstatt den Konsumenten wahrheitsgemäße Infor­mationen vorzuenthalten.

Das Verbot von wahrheitsgemäßen Informationen beruht demgegenüber auf einem völlig anderen Konsumentenbild – nämlich auf der Vorstellung von Konsumenten, die den Gehalt von Informationen nicht richtig beurteilen können. Tatsächlich ist keinesfalls ausgeschlossen, dass der eine oder andere den Informationsgehalt einer bestimmten Angabe unter- oder überschätzt. Was es allerdings bedeu­ten würde, wenn es Aufgabe der Verbraucherschutz­politik wäre, das zu verhindern, lässt sich in mehrerlei Hinsicht verdeutlichen.

Informationspflichten oder -verbote erfordern bei staatlichen Stellen zum einen gesichertes Wissen über die Wirkung bestimmter Inhaltsstoffe und zum anderen Kenntnis über die Folgen der Vorgaben. Dass dies keineswegs trivial ist, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass der Aufdruck der Nikotin-, Teer- und Kohlenmonoxid-Werte bislang Pflicht war. Ziga­retten­packungen und -werbungen mussten mit diesen In­forma­tionen versehen werden. Damit sie nicht über­sehen wur­den, war auch geregelt, welche Größe der Auf­druck mindestens haben musste. Bislang herrschte also die Überzeugung, dass Konsumenten vor dem Fehlen die­ser Informationen geschützt werden müssten.

Dass eine solche Informationspflicht spätestens dann aufgehoben wird, wenn erkennbar wird, dass die zugrunde­liegende Überzeugung wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht standhält, ist richtig. Falsch ist allerdings, sie in ein Verbot umzuwandeln. Mit einem Verbot wird der Wert außer Acht gelassen, den der Einzelne der Information gegebenenfalls beimisst. Wie hoch dieser Wert ist, können politische Entscheidungsträger nicht beurteilen. Darin liegt das eigentliche Kernproblem von Informations­verboten: Es ist per se unmöglich, den Wert von Informa­tionen objektiv zu bestimmen.

Schöne neue Welt der Informationsverbote?

Deutlich wird die Tragweite von Informationsverboten, wenn man die Entwicklung fortspinnt. Angenommen, es würden bald alle Informationen verboten, die möglicherweise von dem ein oder anderen fehlinterpretiert werden. Dann wären wohl kaum noch Informationen überhaupt erlaubt:

Die Angabe „Made in Germany“ gilt vielen als Qualitätssiegel und dennoch ist natürlich nicht gewährleistet, dass deutsche Produkte denen ausländischer Konkurrenten systematisch überlegen sind. Sollten Herkunftsbezeichnungen also verboten werden? Auch fettarme Produkte können insbesondere je nach Zuckergehalt sehr viele Kalorien enthalten, dennoch dürfte ein nied­riger Fettgehalt vielen Konsumenten suggerieren, es handle sich um ein weniger kalorienhaltiges Produkt. Sollten In­formationen über den Fettgehalt verboten werden? Die Gluten- oder Laktose-Freiheit von Produkten wird unter Umstän­den auch von denjeni­gen positiv bewertet, die keine Unverträglichkeiten haben und mög­licherweise so­gar allergisch auf Ersatzzutaten reagieren könnten. Soll­ten ent­sprechende Anga­ben untersagt werden?

Nicht nur Produktinformationen werden häufig fehlinterpretiert. Selbst methodisch einwandfreie Statistiken sorgen regelmäßig für falsche Interpretationen. So werden Korrelationen oft für Kausalitäten gehal­ten. Bessere Erklärungen betroffener Zusammenhänge sind wünschens­wert. Ein Verbot der Informationen ist es offen­sichtlich nicht.

Fazit

Niemand fordert grundsätzlich ein solches Verbot. Außerdem lässt sich nicht bestreiten, dass Unternehmen durchaus in einigen Fällen den Anreiz haben, bewusst Fehlinformationen zu verbreiten. Die Grenze zwischen wahrheitsgemäßer Informationsbreitstellung und einer tatsächlich statt­findenden Täuschung muss im Einzelfall gezogen und ih­re Überschreitung gegebenenfalls sanktioniert werden.

Beachtenswert ist der vorliegende Fall vor allem deshalb, weil hier die Verbraucherschutzpolitik eine Grenze überschritten hat: Durch das Verbot, objektiv überprüfbare Werte anzugeben, wird den Konsumenten ihre Ent­scheidungssouveränität abgesprochen. Dem Umstand, dass Angaben möglicherweise fehlinterpretiert werden, sollte auf keinen Fall mit Verboten, sondern höchstens – wenn er nicht hinnehmbar erscheint – durch aufklärende Maßnahmen begegnet werden.

Die Vorstellung von souveränen Bürgern ist entscheidend für unser Wirtschaftsleben und für unsere demokratische Grundordnung. Die Legitimation politischer Entscheidungen beruht auf individuellen Wahlentscheidungen. Wenn von der Überzeugung Abstand genommen wird, dass die Bürger in der Lage sind, diese in ihrem eigenen Sinne zu treffen, öff­nen sich nicht nur Einfallstore für verschiedenste freiheitsbeschränkende Ideen. Auch wird dadurch die Legitimation politi­scher Ent­scheidungen an sich geschwächt. Eine Verbrau­cher­schutzpolitik, die auf Informationsverboten beruht, sollte deshalb konsequent abgelehnt werden.

Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 08/2017 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

Eine Antwort auf „Ordnungspolitischer Kommentar
Bessere Entscheidungen mit weniger Informationen?
Gute Verbraucherschutzpolitik sieht anders aus

  1. Vom Leitbild des „unmündigen“ und deshalb zu bevormundenden Konsumenten zum Leitbild des „unmündigen“ und deshalb umzuerziehenden Wählers ist es nicht mehr weit…

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