In dem bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich viertgrößten Mitgliedstaat der Eurozone – Spanien – tobt derzeit eine beispiellose Staatskrise: die Regionalregierung Kataloniens unter Ministerpräsident Carles Puigdemont (von der bürgerlich-konservativen Demokratischen Partei Kataloniens, PDeCAT) hat zum 1. Oktober dieses Jahres ein, wie es offiziell heißt, Unabhängigkeits-Referendum angesetzt. Die führenden Mitstreiter sind der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschafts- und Finanzminister Oriol Junqueras (Vorsitzender der Republikanischen Linken Kataloniens, ERC), Carme Forcadell (ERC, Präsidenten des katalanischen Regionalparlaments) und Anna Gabriel (Mitglied des Parlaments und Sprecherin der linksökologischen, kapitalismuskritischen und letztlich anarchistischen Fraktion der Bewegung der Volkseinheit, CUP).
Es geht um die Abspaltung von Spanien
Das Ziel ist, nach dem Referendum einen eigenen Staat, República de Catalunya, gründen zu können. Der Begriff „Unabhängigkeit“ ist bewusst gewählt, um die Öffentlichkeit, vor allem im Ausland, fehlzuleiten: er soll suggerieren, dass Katalonien vom spanischen Staat unterdrückt und ausgebeutet wird, wie einst die Kolonien durch die europäischen Mächte. Für diese ist in der Sprachnomenklatur der Vereinten Nationen der Begriff der Begriff der Unabhängigkeit vom Mutterland reserviert. Katalonien ist aber keine Kolonie, sondern in dem föderal strukturierten Spanien eine „Autonome Region“ (neben 16 weiteren, unseren Bundesländern vergleichbar). Die Region war anfangs eine Grafschaft des Königreichs Aragón und gehört seit der Staatsgründung Ende des 15. Jahrhunderts zu Spanien. Es ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen in der Europäischen Union, mit einem diversifizierten Produktionsgefüge in Industrie und Dienstleistungen, einem dynamischen Unternehmenssektor samt einer hohen Präsenz multinationaler (auch deutscher) Unternehmen, einer leistungsorientierten Erwerbsbevölkerung und einer hochmodernen Verkehrsinfrastruktur plus angesehenen Hochschulen. Dies passt überhaupt nicht in das Bild einer imperialistisch unterdrückten Region.
Deshalb geht es um eine durch nichts zu rechtfertigende „Abspaltung“ von Spanien, die die Regionalregierung jetzt erzwingen will. Sie rechnet fest damit, dass die Mehrheit der Bevölkerung, die an der Volksabstimmung teilnimmt, den Plänen zustimmen wird. Irgendwie muss die jahrelang, über fünf öffentlich-rechtlichen katalanischen Fernsehkanälen betriebene Propaganda, voll im Einklang mit dem Handbuch des Populismus, sprich durchsetzt mit peinlichen Lügen, unverfrorene Geschichtsfälschung, leeren Versprechen und viel Wunschdenken, doch Wirkung zeigen! In Frankreich (Marine Le Pen) und den Vereinigten Staaten (Donald Trump) hätte der Populismus doch auch Früchte gezeigt, übrigens auch sonst in Spanien (Podemos). Warum sollte das in Katalonien anders sein? Dass den aktuellen Umfragen zufolge eine absolute Mehrheit gar nicht gesichert ist (die Sezessionisten liegen bei 40 – 45 Prozent), lässt die Regionalregierung und die sie tragenden separatistischen Parteien kalt. Sie wird das Abstimmungsergebnis schon in ihrem Sinne zu interpretieren wissen und im Zweifel die Straße mobilisieren, mit vielen Kindern und Jugendlichen, wie in den letzten Tagen geschehen, damit die Fernsehbilder, möglichst mit starkem Polizeieinsatz, in Europa und die Welt die Runde machen und Sympathien für die „katalanische Sache“ wecken. ARD (Tagesschau) und ZDF (Heute) beteiligen sich jetzt schon an diesem Spiel und kommentieren die Bilder von Massenkundgebungen für das Referendum auch noch schräg. In katalanischen Regierungskreisen und den ihr zugetanen Medien wird diese deutsche Berichterstattung genüsslich zitiert. Dass es in Deutschland zum geplanten Referendum auch seriöse und kenntnisreiche Analysen gibt, wie in der Frankfurter Rundschau (Martin Dahms, 17.8.17) und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, allerdings nur im Feuilleton (Paul Ingendaay, 19. und 22.9.17), das bleibt unerwähnt.
In Deutschland und sonst im Ausland ist dieser Entwicklung, die in einem institutionellen Staatsstreich gipfeln könnte, bis vor Kurzem kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden, obwohl sie in Spanien selbst eines der zentralen Themen in der politischen Debatte war. Ich selbst habe am 27. August 2015 in einem, wie ich glaube ebenfalls weit unbeachteten Beitrag zu diesem Blog unter dem Titel „Katalonien: Droht die Abspaltung von Spanien?“ (hier) dargestellt, was sich da zusammenbraut und, leider, recht bekommen. Das war noch vor den regionalen Parlamentswahlen ein Monat später. Die sezessionistischen Parteien haben nicht gerade mit überwältigender Mehrheit die Wahl gewonnen: nach abgegeben Stimmen und einer Wahlbeteiligung von nur 77,4 Prozent erreichten sie 47,8 Prozent, die ihnen allerdings im Parlament infolge einer Wahlkreisstruktur, die die ländlichen Gebiete bevorzugt, zu 72 Abgeordneten (von 135) verhalf. Trotz dieses knappen Ergebnisses betrieben die Sezessionisten von Anfang an ihre Abspaltungspläne aggressiv und rücksichtslos gegenüber den vielen anderen Katalanen, die Spanier bleiben und nicht im eigenen Land Ausländer werden wollen. Die Separatisten nehmen billigend in Kauf, die katalanische Gesellschaft zutiefst zu spalten und das Zusammenleben der Menschen zu vergiften, ja sie fördern dies sogar, indem sie Mitbürger und Amtsträger (namentlich Bürgermeister), die anders denken, öffentlich und über die sozialen Netzwerke als Verräter („Faschisten“) verunglimpfen. Meinungsfreiheit haben nur die Separatisten, um für ihre Sache einzutreten. Die Andersdenkenden müssen sich hüten, von diesem Grundrecht Gebrauch zu machen – und schweigen aus Angst vor Repressalien, vor allem im Beruf. Ganz gleich, was ab dem 2. Oktober passiert: es wird Jahre dauern, die Wunden zu heilen.
Die verfassungsmäßige Ordnung würde ausgehebelt
Die wiederholten Erklärungen der spanischen Regierung, dass sie diese Politik für nicht rechtens halte und entsprechende vom Regionalparlament verabschiedete Gesetze und Verordnungen dem Obersten Verfassungsgericht zur Überprüfung in einem Normenkontrollverfahren vorlegen werde, stießen auf taube Ohren. Dass mit der Festsetzung eines Unabhängigkeits-Referendums alle roten Linien überschritten würden und die spanische Regierung pflichtgemäß das Referendum verhindern werde, interessierte unter den separatistischen Kräften niemanden.
Nach der Verfassung von 1978, die nach Ende des Franco-Regimes Spanien zu einem demokratisch verfassten Rechtsstaat europäischen Zuschnitts verwandelte, liegt die nationale Souveränität beim ganzen spanischen Volk (Art.1, Abs.2), und es besteht eine unauflösliche Einheit des spanischen Nationalstaates als gemeinsames und unzertrennliches Vaterland aller Spanier (Art. 2; Hervorhebungen durch den Verfasser). Im Klartext heiß dies, dass für Sezessionsbestrebungen einzelner Autonomer Regionen in der spanischen Verfassung kein Raum ist. Das unterscheidet das Referendum-Begehren Kataloniens von den Volksabstimmungen in Quebec und Schottland, auf die die Separatisten immer wieder verweisen.
Eine Volksabstimmung über die Abspaltung Kataloniens könnte, wenn überhaupt, nur in ganz Spanien stattfinden. Das wollen die Separatisten nicht, weil sie – zu Recht – ein für ihre Ziele niederschmetterndes Ergebnis befürchten. Dementsprechend hat es Ministerpräsident Puigdemont abgelehnt, im spanischen Parlament seine Pläne zur Debatte zu stellen und sich um eine mehrheitliche Zustimmung der Abgeordneten zu bemühen. So war einst, im Jahre 2005, der damalige Ministerpräsident des Baskenlandes, Juan José Ibarretxe, mit seinem vom baskischen Parlament verabschiedeten Sezessionsprojekt verfahren, das im nationalen Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten (89,4 Prozent) abgelehnt wurde; aber das Procedere war demokratisch.
Absolut undemokratisch ist, was in jüngster Zeit im katalanischen Parlament abgelaufen ist: Zunächst, am 26. Juli 2017, wurde mit der Mehrheit der separatistischen Abgeordneten die Geschäftsordnung so geändert, dass die geplanten Gesetze der Abspaltung („leyes de desconexián“) im Schnellverfahren und ohne parlamentarische Debatte (sic) verabschiedet werden könnten. Sodann, am 6. September, beschloss das Parlament auf diese Weise das Referendum für den 1. Oktober; die Abgeordneten der Opposition (die Linksliberalen von Ciudadanos, die Sozialisten von PSC und die Konservativen von PP) verließen aus Protest den Plenarsaal und nahmen an der Abstimmung nicht teil. Der Generalsekretär und der leitende Rechtsberater des katalanischen Parlaments weigerten sich, das Gesetz zu unterschreiben, weil das praktizierte Verfahren gegen die eigene Landesverfassung verstoße. Der katalanische Rat für Verfassungsgarantien äußerste sich umgehend im gleichen Sinne. All dies hinderte den Ministerpräsidenten nicht daran, das Dekret für das Referendum zu unterzeichnen und damit in Kraft zu setzen. Das Gleiche wiederholte sich zwei Tage später bei der parlamentarischen Verabschiedung des Gesetzes über die Gründung der Republik von Katalonien. Kann es irgendjemand, der ideologisch nicht verblendet ist, wundern, dass das oberste spanische Verfassungsgericht solche Gesetze sofort kassiert, wegen erwiesener Verfassungswidrigkeit?
Der Staat reagiert mit Maß und Entschlossenheit
Wie zu erwarten, ließen sich die katalanischen Separatisten nicht beirren. Die Regionalregierung erklärte, die Entscheidungen des spanischen Verfassungsgerichts nicht anzuerkennen, weil in Katalonien ein „anderes Recht“ gelte, so einfach ist das, wenn man den Rechtsstaat politisch kippen will. Dementsprechend wurden die konkreten Vorbereitungen für das Referendum in Gang gesetzt – bis es am 20. September zum ersten großen Eklat mit den spanischen Sicherheitskräften kam. Die Staatsgendarmerie Guardia Civil und die Nationale Polizei besetzten verschiedene katalanische Behörden (darunter das Wirtschafts- und Finanzministerium), sie verhafteten mehrere Beamte, die an den Referendum-Vorbereitungen beteiligt waren, außerdem beschlagnahmten sie Referendumsunterlagen und konfiszierten in Druckereien die vorgesehenen Wahlbenachrichtigungen und Stimmzettel. Natürlich war die Regionalregierung über dieses Vorgehen erbost und sprach von einer Aggression aus Madrid, sprich durch den Präsidenten Rajoy und seinen Innenminister. In verschiedenen deutschen Medien wurde das genau so dargestellt. Es ist aber falsch. Der Befehl an die Polizei erging von einem Ermittlungsrichter in Barcelona! Der Jurist (Juan Antonio Ramirez Sunyer) hatte die Entscheidung des Verfassungsgerichts gelesen und hielt sich daran. Das sollten auch deutsche Demokraten gutheißen, oder? Lesenswert ist ein Kommentar in der international angesehenen Tageszeitung El País vom 21. September unter der Überschrift „Die Lügen von Puigdemont – In einer Demokratie dürfen die Behörden die Bürger nicht ungestraft belügen“. Wie ich anfangs schon sagte: Lügen ist das, was die Separatisten beherrschen. Schlimm ist, dass so viele den Lügnern, nur weil sie sich als politische Führer scheinheilig geben, auf den Leim gehen.
Was tatsächlich von der spanischen Regierung anschließend verfügt wurde, war zum einen die Einstellung von finanziellen Übertragungen an die katalanische Regierung im Rahmen des bestehenden Liquiditätsfonds für klamme Autonome Regionen (FLA), nachdem sich der Regionalminister Junqueras geweigert hatte, wöchentlich über die Verwendung der empfangenen Mittel zu berichten, wozu er nach den Fondsregeln verpflichtet ist. Die Zahlung von Gehältern an katalanische Bedienstete und andere Zahlungsverpflichtungen der katalanischen Regierung werden fürs erste direkt vom spanischen Finanzministerium geleistet. Damit soll verhindert werden, dass Gelder aus dem allgemeinen Liquiditätsfonds zur Finanzierung separatistischer Aktivitäten zweckentfremdet werden. Mittlerweile hat Junqueras klein beigegeben, aber die spanische Regierung hält aus Mangel an Vertrauen, aus meiner Sicht zu Recht, den Druck aufrecht. Zum anderen hat der spanische Innenminister sich die katalanische Polizei (Mossos d’Esquadra) unterstellt, so wie es das Staatsgesetz 2/86 über die Sicherheitskräfte (vom 13. März 1986, Art. 41 und 46) vorsieht. Das ist zwar in Katalonien bei den Polizeioberen nicht auf Freude gestoßen, soll aber, wie diese öffentlich erklärt haben, befolgt werden. Es hatte sich in den letzten Tagen gezeigt, dass die katalanischen Vorgesetzten ihrer Polizei nicht strikt anordnen würden, nach Recht und Gesetz zu handeln und das Referendum zu verhindern. So und nicht anders handelt eine verantwortungsvolle Regierung eines demokratischen Rechtsstaates. Wie es auch nur konsequent ist, dass die Zentralregierung die von der katalanischen Regierung recht kreativ eingerichteten Web-Seiten zur Stimmabgabe hat sperren lassen. Die Umgehung von Gerichtsentscheidungen ist und bleibt nun einmal gesetzwidrig, selbst in Katalonien.
In Deutschland und anderen europäischen Ländern kritisieren namhafte Persönlichkeiten die so strenge Anwendung der verfassungsmäßigen Ordnung, und halten dies für Rechthaberei und maßlos übertrieben. Man solle doch den Katalanen ihre Volksabstimmung abhalten lassen, heißt es, und die spanische Regierung könne doch anschließend das Ergebnis für rechtlich nicht bindend erklären. Mehr Naivität geht nicht. Das Plädoyer für die individuelle Selbstentscheidung, das auch die Separatisten für sich in Anspruch nehmen („derecho a decidir“) und von der radikalen spanischen Linkspartei Podemos unterstützt wird, hat in einer repräsentativen Demokratie keinen Platz; entschieden wird bei Parlamentswahlen zu Beginn einer neuen Legislaturperiode. Und ein größeres Missverständnis darüber, was Freiheit heißt, gibt es bei all diesem Verständnis für das Anliegen der Separatisten auch nicht. Es ist der Zweck einer demokratischen Verfassung, dass die Bürger vor staatlicher Willkür und Verantwortungslosigkeit geschützt sind. Und gerade dies verweigern die Separatisten unverhohlen. Somit schränken sie die Freiheit aller Mitbürger ein, die nicht so denken wie sie. Einen derart frontalen Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist in der Europäischen Union inakzeptabel. Die Kritiker des staatlichen Vorgehens verkennen offenbar, wie ernst es den Separatisten ist. Die Scharfmacher unter ihnen haben bereits den 4. Oktober für die Unabhängigkeitserklärung auserkoren. Das entsprechende Gründungsgesetz ist, wie gesagt, längst verabschiedet.
Daher ist die Antwort des Staates auf das Referendum-Projekt voll und ganz gerechtfertigt. Übrigens: in Deutschland würden die Bundesregierung und die Justiz nicht anders verfahren können: Am 16. Dezember 2016 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde bayerischer Bürger gegen die Nichtzulassung einer Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Bestimmung, dass ggf. eine Volksabstimmung im ganzen Bundesgebiet und nicht nur in Bayern abzuhalten wäre, gar nicht erst zur Entscheidung angenommen (2 BvR 349/16). Kennen unsere heutigen nur Gutes wollenden deutschen Fürsprecher eines Unabhängigkeits-Referendums in Katalonien diesen Beschluss nicht? Das täte ihrer Reputation nicht gut. Sie müssten die Frage beantworten, wieso man in Deutschland das Grundgesetz nicht brechen darf, in Spanien aber dessen Verfassung ja? Man kann es drehen und wenden, wie man will: die katalanische Regierung befindet sich im Unrecht.
Sich an Recht und Gesetz zu halten ist auch aus europäischer Sicht geboten. Wenn die internationalen Finanzmärkte den Eindruck bekämen, dass in Spanien Gesetze und verfassungsgemäße Normen beliebig angewandt werden, würden sie bei der Emission von Staatsanleihen höhere Risikoprämien verlangen. Anleger müssten ein opportunistisches Verhalten des Staates in dem Sinne befürchten, dass Anleihen nicht pflichtgemäß bedient und nach Beendigung der Laufzeit getilgt werden, wenn es eben gerade nicht so passt. Noch höhere Risikoprämien drohen bei einer etwaigen Abspaltung Kataloniens, die einem „Catalexit“ gleichkäme, auch wenn die Separatisten ihrer Anhänger auch in dieser Hinsicht betrügen. In ganz Spanien käme es zu Beeinträchtigungen beim Wirtschaftwachstum und bei der Beschäftigung. Spätestens dann würde die derzeitige innenpolitische Spanien-Krise in der Eurozone ankommen, mit den bekannten Folgen. Wieso denken hierzulande immer noch so viele, bei dem Referendum handle es sich nur um ein regionales, innerspanisches Problem? Rächt sich hier, dass viele Deutsche mit Spanien gefühlsmäßig nur Tourismus verknüpfen und sie ansonsten, anders als in Bezug auf Frankreich, Italien oder das Vereinigte Königreich, überhaupt nicht interessiert, was dort politisch vorgeht?
Der Konflikt muss nicht eskalieren
Am kommenden Sonntag wird es schon aus logistischen Gründen ein Referendum, das seinen Namen verdient, nicht geben können. Es gibt kein aktuelles Wählerverzeichnis (das dafür zuständige Nationale Statistische Amt INE darf es rechtlich nicht bereitstellen), die Bürger wissen gar nicht, wo sie denn wählen könnten, die Polizei wird eine illegale Eröffnung von Wahllokalen unterbinden und Wahlhelfer festnehmen. Das ist gut so. Aber wie geht es ab dem 2.Oktober weiter?
Die schlimmste Variante sei ausgeschlossen: die einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung durch die katalanische Regionalregierung. Das wäre der Casus Belli. Entweder müsste die nationale Regierung unter Berufung auf Artikel 155 der Verfassung die katalanische Regierung absetzen, das Regionale Parlament auflösen und die Autonome Region Katalonien unter Kuratel stellen. Oder es müsste militärisch eingegriffen werden. In der spanischen Verfassung heißt es unmissverständlich: Die Armee hat die Aufgabe, die territoriale Integrität und die verfassungsmäßige Ordnung der Nation zu verteidigen (Art. 8; Hervorhebungen durch den Verf.). Wie der König als oberster Befehlshaber entscheiden würde, das weiß keiner. Hoffen wir also, dass es nicht so weit kommt.
Am wahrscheinlichsten ist, dass die katalanische Regierung sich zunächst aus der Verantwortung stiehlt, indem sie sich darüber beklagt, an der Abhaltung des Referendums gehindert worden zu sein, sodann große Protestdemonstrationen in Bevölkerung organisiert und schließlich dann doch zur Tagesordnung übergeht und vorgezogene Neuwahlen einberuft. Die besten Aussichten auf einen Wahlsieg hätte die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) von Junqueras, zu deren Parteiprogramm seit eh und je die Abspaltung Kataloniens von Spanien gehört hat. Das Thema der Sezession wäre also nicht vom Tisch. Aber es bestünde eine Chance, auf den gesunden Menschenverstand der Katalanen zu setzen. Die Anhänger der Abspaltung müssten mit einem pädagogischen Kraftakt über die großen negativen Auswirkungen aufgeklärt werden, die drohen, wenn sie auf einen eigenen Staat beharren: Ausschluss aus der Europäischen Union und der Eurozone, politische internationale Isolierung, Kapitalflucht, Auswanderung tüchtiger Arbeitskräfte, intellektuelle Verarmung der Universitäten u.dgl.m. Im Zuge der in Spanien ohnehin anstehenden Verfassungsreform könnte der derzeitige Regionen-Finanzausgleich, der in Katalonien als Nettozahler für Unmut sorgt (wie bei uns in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen), neu geregelt werden. Am Ende des Tages hätten alle gewonnen – ohne den Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern und mit der wohltuenden Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung.
Blog-Beiträge zum Thema:
Thomas Apolte: Sezession und individuelle Freiheit. Anmerkungen zu einem Beitrag von Roland Vaubel
Jan Schnellenbach: Schottland, Großbritannien und die EU. Eine schwierige Konstellation aus politisch-ökonomischer Sicht
Norbert Berthold: Der Wunsch nach einem eigenen Staat. Ist Schottland bald überall?
Tim Krieger: Das Schottland-Referendum. Eine Herausforderung für die Autokratien und Demokratien dieser Welt.
Roland Vaubel: Das katalanische Referendum
Juergen B. Donges: Katalonien: Droht eine Abspaltung von Spanien?
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